VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juli 2015 - VfGBbg 59/15 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - VerfGGBbg, § 21; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 | |
Schlagworte: | Subsidiarität | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juli 2015 - VfGBbg 59/15 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 59/15
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
D.,
Beschwerdeführer,
wegen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juni 2015 (L 20 AS 1322/15 B ER)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 17. Juli 2015
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.
I.
Der 1987 geborene Beschwerdeführer, der […] Staatsangehöriger ist, zog […] nach Bernau und beantragte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Gegen den Ablehnungsbescheid des Jobcenters Barnim vom 8. April 2015 legte der Beschwerdeführer fristgerecht Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Auf den parallel beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag verpflichtete das Sozialgericht das Jobcenter mit Beschluss vom 13. Mai 2015, vorläufig einen Betrag von 545,90 € monatlich bis zum 30. September 2015, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, an den Beschwerdeführer zu zahlen.
Auf die Beschwerde des Jobcenters änderte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg den Beschluss am 10. Juni 2015 dahingehend ab, dass dem Jobcenter aufgegeben wurde, vorläufig einen Betrag von lediglich 210,66 € für April und von 351,10 € ab Mai 2015 monatlich bis zum 31. August 2015, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch, an den Beschwerdeführer zu zahlen (L 20 AS 1322/15 B ER). Zwar habe der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Allerdings sei der Anspruch im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Verfahrens einstweilen auf einen Betrag von 80 v. H. des Regelbedarfs zu beschränken und seien die durch Arbeit erzielten Eigenmittel (175 €) zunächst ohne Belassung eines Freibetrages zur Abwendung einer Notlage einzusetzen. Der Leistungsausspruch könne bis zum 31. August 2015 befristet werden, denn bis dahin sei mit dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu rechnen. Das Jobcenter setzt den Beschluss des Landessozialgerichts inzwischen um.
II.
Der Beschwerdeführer hat am 29. Juni 2015 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt. Der Beschluss des Landessozialgerichts verstoße gegen Art. 7 Landesverfassung (LV). Die Kürzung des Existenzminimums sei verfassungswidrig. Er befinde sich in einer Notlage und könne sich von den nach Abzug der Unterkunftskosten verbleibenden Mitteln weder ernähren, noch die Fahrten zur Arbeitsstelle bestreiten. Die Verkürzung der durch das Gericht ausgesprochenen Bewilligung um einen Monat verletze den Beschwerdeführer zudem in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 6 LV. Es sei nicht damit zu rechnen, dass bis dahin über den Widerspruch entschieden sei. Bis zur endgültigen Klärung müsse der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) wiederhergestellt werden.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Bran-denburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist wirksam erhoben worden, obwohl daran ein Herr A als „Bevollmächtigter“ mitgewirkt hat. Es kommt vorliegend nicht auf dessen Zulassung als Beistand an. Verfassungsbeschwerden können entweder durch einen Beschwerdeführer selbst oder durch einen Bevollmächtigten erhoben werden. Lässt sich ein Beteiligter im verfassungsgerichtlichen Verfahren vertreten, ist er hinsichtlich der Personen, derer er sich als Prozessbevollmächtigter bedienen will, grundsätzlich auf – hier nicht tätig gewordene – Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule beschränkt (§ 19 Abs. 1 VerfGGBbg). Der Beschwerdeführer hat aber selbst die Beschwerdeschrift unterzeichnet. Er, nicht sein „Bevollmächtigter“, hat damit Verfassungsbeschwerde erhoben, somit kommt es auf die Frage des Vertretungsverhältnisses nicht weiter an.
2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht aber der in § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser verlangt von einem Beschwerdeführer, dass er über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der gerügten Grundrechtsverletzung ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichts zu erwirken. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig, wenn trotz Erschöpfung des Rechtsweges im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in zumutbarer Weise Rechtsschutz im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren erlangt werden kann (vgl. etwa Beschlüsse vom 16. November 2000 – VfGBbg 49/00 -, LKV 2001, 215; vom 19. Juni 2003 – VfGBbg 1/03 -, LKV 2003, 469; vom 21. Oktober 2011 – VfGBbg 34/11 -, und vom 20. Juni 2014 - VfGBbg 10/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Daran fehlt es, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gerade eine das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betreffende und im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigierbare Grundrechtsverletzung ist. Soweit sich die gerügte Grundrechtsverletzung hingegen auf den Prüfungsgegenstand des fachgerichtlichen Hauptsacheverfahrens bezieht, ist der Beschwerdeführer grundsätzlich darauf zu verweisen, sein Recht zunächst dort zu suchen (Beschluss vom 15. Juli 1999 - VfGBbg 20/99 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Das ist hier der Fall. Die Frage, ob und in welchem Umfang dem Beschwerdeführer ein Leistungsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zusteht, ist zunächst im noch offenen Vorverfahren beim Jobcenter Barnim und sodann ggf. fachgerichtlich zu klären. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landessozialgericht den vorläufig zuerkannten Leistungsanspruch im Hinblick auf den besonderen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens reduziert und erzielte Einnahmen zunächst vollständig angerechnet hat. Denn diese aus dem Wesen des einstweiligen Verfahrens folgenden Beschränkungen, bei denen es sich – anders als der Beschwerdeführer meint – gerade nicht um Regelsatzkürzungen handelt, sind nur vorläufiger Natur, endgültig wird der Leistungsanspruch im Hauptsacheverfahren geklärt. Insofern läuft der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, Leistungsansprüche nicht mehr geltend machen zu können.
3. Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den sich aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg ergebenden Begründungsanforderungen. Nach diesen Vorschriften ist es Sache des Beschwerdeführers, dem Gericht substantiiert und schlüssig einen Sachverhalt zu unterbreiten, der zu dem behaupteten Grundrechtsverstoß führen kann. Es ist im Einzelnen substantiiert darzulegen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht genügt und inwieweit dadurch das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (Beschluss vom 21. November 2014 - VfGBbg 15/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Mit der Beschwerdeschrift ist eine mögliche Verletzung des Beschwerdeführers in seinen durch die Landesverfassung verbürgten Grundrechten aus Art. 6, 7 LV weder dargelegt noch erkennbar. Das Landesverfassungsgericht ist nicht nach Art eines Rechtsmittelgerichtes zur Überprüfung von Entscheidungen der Fachgerichte berufen. Ein korrigierender Eingriff des Landesverfassungsgerichts kommt erst dann in Betracht, wenn dargelegt werden kann, dass die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlichen unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht (vgl. Beschlüsse vom 20. November 2008 – VfGBbg 35/08 -; vom 15. Dezember 2008 – VfGBbg 55/08 -, juris). Daran fehlt es hier. Zum einen obliegt die Anwendung und Überprüfung des einfachen Rechts, hier der sozialrechtlichen Bestimmungen über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, allein den Fachgerichten. Es ist nicht erkennbar, dass die vom Landessozialgericht zuerkannte, für den Zeitraum bis zur abschließenden behördlichen Klärung vorläufig reduzierte Leistungsgewährung evident unzureichend ist. Zum anderen lässt die vom Landessozialgericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorgenommene zeitliche Einschränkung des vorläufigen Leistungsanspruchs nicht erkennen, dass dadurch der Rechtsschutzanspruch des Beschwerdeführers verkürzt worden sein könnte. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, dass die Erwartungen des Landessozialgerichts in Bezug auf die Dauer des Vorverfahrens von vornherein unzutreffend gewesen sein könnten, kann der Beschwerdeführer zudem gegebenenfalls erneut gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen, sollte sich die Klärung seines Anspruchs durch das Jobcenter wider Erwarten über den 31. August 2015 hinaus hinziehen.
4. Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Lammer | Nitsche |
Partikel | Schmidt |