VerfGBbg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 36/16 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 6 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 5 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 21 Satz 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 48 - VwGO, § 166 Abs. 1 Satz 1 - ZPO, § 114 Abs. 1 Satz 1; ZPO, § 121 Abs. 2 - VwVfG, § 36 Abs. 2 Nr. 1; VwVfG, § 43 Abs. 2 |
|
Schlagworte: | - Überspannung der Anforderung an die Gewährung von Prozesskostenhilfe - Hundehaltung - Rassegutachten - Zwangsgeld - Sofortige Vollziehung - Vorlage von entscheidungserheblichen Unterlagen - Auflösend befristeter Verwaltungsakt |
|
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 36/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 36/16
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
K.
Beschwerdeführer,
wegen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom
10. Mai 2016 (OVG 5 S 12.16)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 16. Dezember 2016
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Lammer und Partikel
beschlossen:
1. Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
I.
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer und Halter eines Hundes, dessen Rasse er gegenüber der Ordnungsbehörde der Stadt Neuruppin mit „Irish Bulldog Terrier“ bzw. mit „Irish Bulldog Terrier Mix“ angab und für den bestimmt werden soll, ob es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Halten und Führen von Hunden (HundehV) handelt.
1. Die Frage der Rassezugehörigkeit des Hundes war bereits Gegenstand mehrerer ordnungsbehördlicher Verfügungen und nachfolgender verwaltungsgerichtlicher Verfahren sowie zweier erfolgloser Verfassungsbeschwerden (Beschlüsse vom
9. Oktober 2015 - VfGBbg 39/15 und VfGBbg 65/15 -). In seinem für das hiesige Verfahren allein interessierenden Ausgangsbescheid vom 11. Juli 2013 hatte der Bürgermeister der Stadt Neuruppin (nachfolgend: Bürgermeister) dem Beschwerdeführer unter Berufung auf § 13 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz OBG) aufgegeben, ein von einem anerkannten Sachverständigen erstelltes Gutachten über die Rassezugehörigkeit (Rassegutachten) seines Hundes vorzulegen und zugleich zwei in Betracht kommende Sachverständige benannt. Der mögliche Verstoß gegen das Haltungsverbot stelle eine (Anscheins-)Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, zu deren Abwehr die notwendigen Maßnahmen zu treffen seien. Den Bescheid erklärte er für sofort vollziehbar. Ein darauf vom Beschwerdeführer vorgelegtes Rassegutachten einer nicht in dem Bescheid aufgeführten Sachverständigen erkannte der Bürgermeister als ungeeignet nicht an.
Mit der Beschwerdeschrift nicht beigefügtem Bescheid vom 8. Oktober 2015 drohte der Bürgermeister dem Beschwerdeführer den vom Verwaltungsgericht Potsdam in seinem Beschluss vom 15. März 2016 (VG 3 L 120/16) getroffenen Feststellungen zufolge die Festsetzung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nichterfüllung der Forderung aus der Ordnungsverfügung vom 11. Juli 2013 an. In seinem hiergegen eingelegten Widerspruch vom 20. Oktober 2015 führte der Beschwerdeführer aus, die Ordnungsverfügung vom 11. Juli 2013 habe sich angesichts des weit zurückliegenden Ablaufs der ihm hierin für die Vorlage des Sachverständigengutachtens gesetzten Frist gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG durch Zeitablauf erledigt.
Den Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Februar 2016, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Androhungsbescheid anzuordnen, den er unter Wiederholung seines Widerspruchvorbringens und ergänzend damit begründete, das OBG und die HundeHV seien wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 5 Abs. 2 Satz 3 LV unwirksam, lehnte das Verwaltungsgericht ab. Zur Begründung führte es aus, die Androhung des Zwangsgeldes sei offensichtlich rechtmäßig. Gemäß § 3 VwVGBbg könne die Grundverfügung vom 11. Juli 2013 vollstreckt werden. Die Anordnung eines Zwangsgeldes sei zulässig, da der Beschwerdeführer mit der Ordnungsverfügung dazu verpflichtet worden sei, dem Bürgermeister binnen 15 Tagen ab Zustellung der Verfügung ein Rassegutachten vorzulegen. Das Zwangsgeld sei auch schriftlich unter Fristsetzung angedroht worden, wobei hinreichend deutlich gemacht worden sei, dass das Zwangsgeld die in der Grundverfügung angedrohte Ersatzvornahme ersetzen solle. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit des Zwangsgeldes, das mit 200 € im unteren Bereich des gesetzlichen Rahmens liege, bestünden nicht.
Den - der Beschwerdeschrift ebenfalls nicht beigefügten - Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu erhebende Beschwerde lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) mit dem angegriffenen Beschluss vom 10. Mai 2016, dem Beschwerdeführer am 18. Mai 2016 zugestellt, ab. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dieser sei offensichtlich rechtmäßig. Insbesondere habe sich die der Zwangsgeldandrohung zugrunde liegende Ordnungsverfügung vom 11. Juli 2013 nicht allein durch Ablauf der hierin genannten Frist erledigt.
II.
Der Beschwerdeführer hat am 18. Juli 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt die in der Versagung der Prozesskostenhilfe liegende Verletzung seines Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 LV auf Eröffnung des Rechtsweges und auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Weiter stelle die wegen § 152 Abs. 1 VwGO fehlende Möglichkeit einer Beschwerde gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss eines Oberverwaltungsgerichts eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 LV und des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 12 Abs. 1 LV in seiner Ausprägung als Willkürverbot dar.
Das OVG - das auch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht zu ziehen gehabt habe - habe die an die Erfolgsaussichten des beabsichtigten Rechtsmittels zu stellenden Anforderungen überspannt, da der unterbreitete Vortrag einen Erfolg des Rechtsmittels jedenfalls möglich erscheinen lasse. Eine Verlagerung der Prüfung der streitigen Sach- und Rechtsfragen in das Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe sei dagegen unzulässig. Das OVG habe insbesondere nicht erkannt, dass das OBG und die HundeHV verfassungswidrig seien, so dass sie nicht die Grundlage der Ordnungsverfügung vom 11. Juli 2013 hätten bilden dürfen. Darüber hinaus seien mit dieser die von § 26 Abs. 2 VwVfG geforderten Mitwirkungshandlungen überdehnt worden, da hier keine Mitwirkungspflicht, sondern eine bloße Mitwirkungsobliegenheit normiert werde, die nicht im Wege der Vollstreckung erzwingbar sei. Schließlich könne aus einem über drei Jahre alten Bescheid, der die „sofortige“ Vollziehung anordne, nicht mehr vollstreckt werden. Zuletzt liege in der wiederholten Verhängung von Zwangsgeld eine Verletzung des Grundrechts auf Selbstbelastungsfreiheit im Sinne des „nemo-tenetur-Grundsatzes“.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.
1. Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf eine wiederholte, der Androhungsverfügung vom 8. Oktober 2015 offenbar nachgehende Verhängung von Zwangsgeld der Sache nach eine Verletzung des Art. 52 Abs. 5 Alt. 1 LV und des hierin enthaltenen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen, geltend macht, bildet dies nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dieser ist gemäß § 46 VerfGGBbg durch den Antrag des Beschwerdeführers und die hierin erfolgende Bezeichnung des Beschwerdegegenstandes bestimmt. Vorliegend richtet sich der Antrag allein gegen den Beschluss des OVG vom 10. Juli 2016 über die Versagung von Prozesskostenhilfe, nicht hingegen gegen Bescheide oder hierzu ergangene gerichtliche Entscheidungen. Auch ist Art. 52 Abs. 5 Alt. 1 LV ersichtlich nach keiner Betrachtungsweise berührt.
2. Die Verfassungsbeschwerde genügt im Übrigen nicht den Begründungserfordernissen aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg.
a. Nach diesen Vorschriften ist es Sache des Beschwerdeführers, dem Gericht substantiiert und schlüssig einen Sachverhalt zu unterbreiten, der zu dem behaupteten Grundrechtsverstoß führen kann. Es ist im Einzelnen darzulegen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht genügt und inwieweit dadurch das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. Das setzt unter anderem eine geordnete und vollständige Darstellung der maßgeblichen äußeren Umstände des zur Überprüfung gestellten Einzelfalls voraus, die der Beschwerdeführer seinen Erwägungen zugrunde zu legen hat (Beschluss vom 21. November 2014
- VfGBbg 15/14 -; Beschluss vom 19. Juni 2013 - VfGBbg 39/12 -). Daher sind dem Verfassungsgericht nicht nur die zur Überprüfung gestellten Gerichtsentscheidungen entweder vorzulegen oder ihm wenigstens mit dem wesentlichen Inhalt wiederzugeben. Gleiches gilt vielmehr regelmäßig auch für die angegriffene, den Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungen bildende behördliche Ausgangsverfügung und die Anträge, die der Beschwerdeführer bei den befassten Gerichten gestellt hat. Daran fehlt es vorliegend: Die Beschwerdeschrift beinhaltet weder die Androhungsverfügung vom 8. Oktober 2016 noch den Antrag des Beschwerdeführers an das OVG auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Diese werden auch inhaltlich nicht zumindest summarisch umrissen, vielmehr lässt die Beschwerdeschrift hierauf konkret bezogene Ausführungen vollständig vermissen. Damit aber fehlt es bereits an der erforderlichen verlässlichen tatsächlichen Grundlage, die für eine fundierte Bewertung der im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zur Überprüfung gestellten Entscheidung unverzichtbar ist.
b. Ungeachtet dessen lässt der Vortrag des Beschwerdeführers nicht erkennen, dass die Anforderungen an die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) überspannt wurden.
Der Beschwerdeführer greift mit seiner Argumentation der Sache nach zuvörderst den Ausgangsbescheid des Bürgermeisters vom 11. Juli 2013 an, wenn er ausführt, dieser basiere auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage und einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme zu den Rassemerkmalen seines Hundes, die er überdies widerlegt habe. Der Bescheid bestimme zudem Rechtsfolgen, die über das gesetzlich Vorgesehene hinausreichten. Gleiches gilt wohl bezüglich seiner nicht näher untersetzten Behauptung, das OVG habe Beweis erheben müssen. Die Androhungsverfügung vom 8. Oktober 2015 kann dergestalt aber von vornherein nicht erfolgreich angegriffen werden. § 15 VwVGBbg regelt nämlich ausdrücklich, dass Einwendungen, die sich gegen die Entstehung der zu vollstreckenden Verpflichtung richten, außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür vorgesehenen Rechtsmitteln zu verfolgen sind.
Soweit der Beschwerdeführer weiter vorträgt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung habe sich durch Zeitablauf erledigt, verkennt er, dass die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes erst mit der Rücknahme oder dem Widerruf des Verwaltungsaktes bzw. seiner Aufhebung im Widerspruchs- oder Klageverfahren endet (vgl. nur BVerwG NVwZ 1983, 473; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 80 Rn. 73; Puttler, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 80 Rn. 76). Sein Hinweis auf § 43 Abs. 2 VwVfG Bund geht fehl. Er verwechselt insoweit offensichtlich den gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG Bund auflösend befristeten Verwaltungsakt, der seine Rechtswirkung mit Ablauf der Frist verliert, mit der vorliegend dem Adressaten des Verwaltungsaktes nur gesetzten Handlungsfrist. Durch diese aber wird gerade keine zeitliche Beschränkung des Geltungsanspruchs des Verwaltungsaktes begründet. Der hiermit festgelegte Zeitpunkt soll nur die Möglichkeit eröffnen, der aufgegebenen Handlungspflicht nachzukommen, ohne dass der Adressat mit der Anwendung von Zwangsmitteln zu rechnen hat. Zu der Frage, wann es nach Ablauf der Frist zu der Vollstreckung des Verwaltungsaktes kommt, wird keine Aussage getroffen (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 31. Mai 2011 - 10 S 794/09 -, Juris; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 43 Rn. 206 f).
c. Mit seiner Rüge, gegen den Beschluss des OVG sei eine (weitere) Rechtsschutzmöglichkeit nicht gegeben, was Art. 6 Abs. 1 LV verletze, verkennt der Beschwerdeführer, dass Ausgestaltungen des gerichtlichen Verfahrens der VwGO als Bundesrecht nicht mit der Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht des Landes Brandenburg angegriffen werden können. Hierfür kommen gemäß § 45 Abs. 1
VerfGGBbg nur behauptete Grundrechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt des Landes Brandenburg in Betracht (vgl. bereits Beschluss vom 9. Oktober 2015
- VfGBbg 65/15 -, m. w. Nachw.).
C.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten ist abzulehnen, da die Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 48 VerfGGBbg in Verbindung mit §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
D.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Lammer | Partikel |