VerfGBbg, Beschluss vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 57/01 -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 100; LV, Art. 25; LV, Art, 98 Abs. 2 Satz 3; LV, Art. 98 Abs. 1; LV, Art. 97 Abs. 1; LV, Art. 97 Abs. 2; LV, Art. 98 Abs. 2 - VerfGGBbg, § 51 Abs. 1; VerfGGBbg, § 22 Abs. 1 - AmtsO, § 2 Abs. 1; AmtsO, § 10 Abs. 3 Satz 2 |
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Schlagworte: | - Beschwerdebefugnis - kommunale Selbstverwaltung - Organisationshoheit |
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Fundstellen: | - LKV 2002, 515 | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 57/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 57/01

In dem Verfahren über die kommunale Verfassungsbeschwerde Gemeinde Proschim, Beschwerdeführerin, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M., betreffend § 2 der Amtsordnung für das Land Brandenburg in der Fassung von Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (GVBl. I S. 30) hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 16. Mai 2002 für R e c h t erkannt: Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird verworfen. G r ü n d e : A. Die kommunale Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Änderung des § 2 der Amtsordnung für das Land Brandenburg – AmtsO – durch das Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (GVBl. I S. 30, im folgenden: Gemeindestrukturgesetz). Durch die Rechtsänderung wird den Ämtern (ab 2003) die Möglichkeit genommen, sich, statt eine eigene Amtsverwaltung einzurichten, sog. Amtsmodell 1, zur Durchführung der Amtsaufgaben einer über 5000 Einwohner großen dem Amt angehörenden Gemeinde, sog. Amtsmodell 2, oder einer amtsfreien Gemeinde, sog. Amtsmodell 3, zu bedienen. II. Die Beschwerdeführerin (340 Einwohner) gehört dem Amt Welzow an. Die Verwaltung wird durch die amtsangehörige Stadt Welzow (4498 Einwohner) wahrgenommen. Die Beschwerdeführerin hat am 8. Oktober 2001 kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die Abschaffung des Amtsmodells 2 erhoben und rügt die Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 97 Abs. 1 und 2, 98 Abs. 1 und 2 und Art. 25 der Landesverfassung (LV). Indem ihr durch die verfahrensgegenständliche Rechtsänderung die Verwaltungsorganisation genommen werde, sei ihre Eingemeindung nahezu zwangsläufig. Das Gesetz komme in seinen Rechtsfolgen einem Maßnahmegesetz gleich, durch das ihre körperschaftliche Existenz betroffen sei. Nach der Verfassung hätte sie hierzu angehört werden müssen, was aber unterblieben sei. Ein späteres Gesetz, welches die Gemeinde anderweitig eingliedere und damit ihre Existenz beende, könne als bloße Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Regelung verstanden werden. Daher müsse sie die verfahrensgegenständliche Regelung bereits jetzt angreifen können. Materiell sei die Regelung an den verfassungsrechtlichen Maßstäben zu messen, die für die Zulässigkeit einer „Rück-Neugliederung“ und „Mehrfach-Neugliederung“ entwickelt worden seien. Ihre körperschaftliche Existenz als selbständige Gemeinde beruhe auf der Entscheidung des brandenburgischen Gesetzgebers, kleine Gemeinden nicht zu autonomen Verwaltungsgebilden zusammenzuschließen, sondern ihnen unter Belassung ihrer Selbständigkeit eine Verwaltung, das Amt, nach Maßgabe jener drei Modelle zur Verfügung zu stellen. Eine Veränderung des so gesetzgeberisch Geschaffenen sei nur statthaft, wenn das Geschaffene, für das die Vermutung der Gemeinwohlkonformität spreche, greifbar schlechter sei als die beabsichtigte Änderung, was nicht der Fall sei. Es habe keine sachgerechte gesetzgeberische Folgenabwägung gegeben. Eine Abwägung, wäre sie nur vorgenommen worden, hätte niemals zum Ergebnis des verfahrensgegenständlichen Gesetzes führen können. Es ergäben sich keine Vorteile, die eine Vernichtung rechtlich selbständiger Gemeinden gegen ihren Willen rechtfertigen könnten. Der Spielraum des Gesetzgebers sei in diesem Falle um so enger, als sie im angestammten Siedlungsgebiet des sorbischen Volkes gelegen sei. Art. 25 LV schütze als Abwehrrecht die konkrete Siedlung. Auch wenn man Art. 25 LV nur als Staatsziel einordne, so habe der Gesetzgeber doch Bedeutung und Umfang des Schutzauftrages verkannt. Der Schutz des Siedlungsgebietes und der sorbischen Kultur sei auf die kleinmaßstäbliche Dorfeinheit angewiesen. Die Beschwerdeführerin beantragt mit der Verfassungsbeschwerde sinngemäß,
III. Dem Landtag Brandenburg, der Landesregierung, dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg, dem Rat für sorbische (wendische) Angelegenheiten und der DOMOWINA, Bund Lausitzer Sorben e.V. ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. 1. Nach Ansicht der Landesregierung ist die kommunale Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführerin sei nicht beschwerdebefugt. Rügefähig sei bei einer kommunalen Verfassungsbeschwerde allein die Verletzung des Rechts auf gemeindliche Selbstverwaltung. Rechte aus Art. 25 LV könnten von der Beschwerdeführerin als solcher nicht wahrgenommen werden. Selbst wenn sich aber die Beschwerdeführerin auf Art. 25 LV berufen könne, bleibe eine konkrete Neugliederungsmaßnahme abzuwarten. Im übrigen sei die Beschwerdeführerin nicht selbst und unmittelbar betroffen. Ihre Existenz bleibe unberührt. Für eine Zukunft nicht auszuschließende Auflösung der Beschwerdeführerin biete die verfahrensgegenständliche Regelung keine Grundlage. Jedenfalls sei der Kommune verwehrt, ein Gesetz anzugreifen, das erst noch des Vollzuges durch Gesetz bedürfe. Nur das Vollzugsgesetz könne ggf. Gegenstand einer kommunalen Verfassungsbeschwerde sein. Die Beschwerdeführerin erleide keinerlei Rechtsverlust, wenn sie ein etwaiges die konkrete Neugliederungsmaßnahme vollziehendes Gesetz abwarte. Die Umwandlung des Amtes in ein solches nach Modell 1 sei nicht ausgeschlossen.2. Der Rat für sorbische (wendische) Angelegenheiten hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, daß sich die Beschwerdeführerin durch Beschluß der Gemeindevertretung zum angestammten Siedlungsgebiet des sorbischen Volkes bekannt habe. Dadurch sei nach dem Sorben (Wenden)-Gesetz vom 7. Juli 1994 (GVBl. I S. 294) die Stellung der Sorben im Gemeindegebiet gestärkt worden. Bei einer Eingemeindung nach Welzow drohe ein Verlust dieser Schutzrechte, da Welzow bisher ein entsprechendes Bekenntnis noch nicht abgelegt habe. B. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Nach Art. 100 LV und § 51 Abs 1 VerfGGBbg können Gemeinden und Gemeindeverbände kommunale Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, daß ein Gesetz des Landes das Recht auf Selbstverwaltung verletzt. Es muß ein Sachverhalt unterbreitet werden, aufgrund dessen der Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltung verfassungswidrig verletzt sein könnte (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 14. Mai 1998 - VfGBbg 22/97 -, LVerfGE 8, 88, 93; zur entsprechenden Rechtslage auf Bundesebene BVerfG, BVerfGE 71, 25, 36 = NVwZ 1986, 289). Ein solcher Sachverhalt ist jedoch nicht erkennbar. Die Beschwerdeführerin ist deshalb nicht beschwerdebefugt. Insbesondere bleibt die Existenz der Beschwerdeführerin unberührt (1.) und behält sie als amtsangehörige Gemeinde das Recht, sich einer Amtsverwaltung zu bedienen (2.). Auch soweit sich die Beschwerdeführerin auf Art. 25 LV bezieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis (3.). 1. Die angegriffene Regelung bedeutet keine Vorentscheidung über die körperschaftliche Existenz der Beschwerdeführerin. Die Abschaffung des Amtsmodells 2 läuft nicht zwingend auf eine Auflösung der Beschwerdeführerin durch Eingliederung hinaus. Hierzu bedarf es vielmehr gem. Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV eines gesonderten Gesetzes, das den Voraussetzungen des Art. 98 Abs. 1 LV genügen, d.h. durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein muß. In Übereinstimmung hiermit ist auch in den „Leitlinien der Landesregierung für die Entwicklung der Gemeindestruktur in Brandenburg“ die Bildung amtsfreier Gemeinden auf dem Gebiet von Ämtern des Modells 2 nur vorgesehen, soweit keine andere dem Gemeinwohl entsprechende Lösung zustande kommt (vgl. LT-Drs. 3/1482). Auch in dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren hat die Landesregierung vorgetragen, daß eine Umwandlung der Ämter nach Modell 2 in Ämter nach Modell 1 nach der nächsten Kommunalwahl möglich bleibe. Erst wenn es zu einem Gesetz kommt, das die Eingemeindung der Beschwerdeführerin beinhaltet und damit ihre eigenständige Existenz beenden will, ist Raum für die Anrufung des Landesverfassungsgerichtes. 2. Allerdings berührt die in Frage stehende Gesetzesänderung die zur kommunalen Selbstverwaltung gehörende und damit dem Schutzbereich des Art. 97 Abs. 1 LV unterfallende Organisationshoheit. Hiernach ist es grundsätzlich Sache der Kommune, in welcher Art und Weise sie ihre Aufgaben erledigt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20. Januar 2000, LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 11, 3, 26). Bei einer amtsangehörigen Gemeinde gehört hierzu die Erledigung der Verwaltungsaufgaben durch das Amt. Insoweit kann sich die Neuregelung auf die Beschwerdeführerin auswirken, weil nämlich (ab 2003) die Möglichkeit entfällt, daß sie – sofern sie als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht - wie bisher nach dem Amtsmodell 2 verwaltet wird. Indes ist die Organisationshoheit nur relativ gewährleistet. In der Ausgestaltung der gemeindlichen Organisation verfügt der Gesetzgeber über Freiräume (BVerfG, Beschluß vom 26. Oktober 1994 – 2 BvR 445/91 -, BVerfGE 91, 228 = NVwZ 1995, 677 = DVBl 1995, 290) und nicht jede staatliche Vorgabe für die Organisation der Gemeinde bedarf einer spezifischen Rechtfertigung (zuletzt BVerfG, Beschluß vom 13. März 2000 – 2 BvR 860/95 -, NVwZ 2001, 317 = BayVBl 2000, 721 = DAR 2000, 397). Von daher kann eine amtsangehörige Gemeinde lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine Amtsverwaltung zur Verfügung steht, nicht aber, daß diese in bestimmter Form ausgestaltet ist. In diesem Fall bleibt ungeachtet der Abschaffung des Amtsmodells 2 der Anspruch der Beschwerdeführerin - sofern sie als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht - auf Erledigung ihrer Verwaltungsaufgaben durch das Amt gewahrt. Nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 AmtsO ist für das Amt eine eigene Amtsverwaltung – dann eben nach dem verbleibenden Amtsmodell 1 - einzurichten. Der Beschwerdeführerin stünde daher weiterhin eine Amtsverwaltung zur Seite. Ihre Einflußmöglichkeiten auf den Verwaltungsapparat würden sich für diesen Fall sogar verstärken. Die Einwirkungsmöglichkeiten einer amtsangehörigen Gemeinde auf eine Amtsverwaltung sind größer als die auf eine (fremde) Gemeindeverwaltung. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AmtsO finden eine Reihe von Vorschriften, die die Stellung des Amtsausschusses und des Amtsdirektors regeln, beim Amtsmodell 2 keine Anwendung. Der Amtsausschuß und damit mittelbar die einzelne amtsangehörige (nicht geschäftsführende) Gemeinde können daher im Rahmen des Amtsmodells 2 an wesentlichen Organisationsfragen, etwa auch beim Stellenplan, nicht mitwirken. Auch in Personalfragen würde die Stellung der Beschwerdeführerin als amtsangehörige Gemeinde unter der Geltung des Amtsmodells 1 noch verstärkt. Im Rahmen des bisher für sie geltenden Amtsmodells 2 war der Amtsausschuß gem. § 10 Abs. 3 Satz 2 AmtsO weder oberste Dienstbehörde der Bediensteten der Verwaltung noch Dienstvorgesetzter des Amtsdirektors. Auch wird der Amtsdirektor nicht etwa vom Amtsausschuß, welchem Vertreter der Beschwerdeführerin angehören, sondern allein von den Bürgern der geschäftsführenden Gemeinde gewählt. Damit hatte die Beschwerdeführerin bisher keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Auswahl des Hauptverwaltungsbeamten. 3. Aus Art. 25 LV ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Art. 25 LV gibt für die hier maßgebliche Frage des Amtsmodells nichts vor. Zudem ist Art. 25 LV nach dem Urteil des erkennenden Gerichtes vom 18. Juni 1998 - VfGBbg 27/97 – (LVerfGE 8, 97, 171 = DVBl 1999, 34 = LKV 1998) keine das verfassungsrechtliche Bild der kommunalen Selbstverwaltung mitprägende kommunale Schutzvorschrift und vermittelt für sich genommen keine Beschwerdebefugnis i.S. § 51 Abs. 1 VerfGGBbg. Ob sorbische bzw. wendische Belange gleichwohl dazu führen können, die sich aus Art. 97 Abs. 1 und 2 sowie 98 Abs. 1 und 2 LV ergebende Stellung der Gemeinde, etwa unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der kulturellen örtlichen Gemeinschaft (vgl. dazu: Steiner, Kulturpflege, in: HStR III, § 86 Rn. 21), zu verstärken und in diesem Sinne Schutzwirkungen gegen die Eingemeindung in eine „nichtsorbische“ Gemeinde außerhalb des angestammten Siedlungsgebietes der Sorben bzw. Wenden entfalten können, bedarf im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. II. Das Gericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, vgl. § 22 Abs. 1 VerfGGBbg.
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