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VerfGBbg, Beschluss vom 16. März 2006 - VfGBbg 265/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - Gemeindegebietsreform
- kommunale Selbstverwaltung
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. März 2006 - VfGBbg 265/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 265/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Quappendorf,
vertreten durch das Amt Neuhardenberg,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Karl-Marx-Alle 72,
15320 Neuhardenberg,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.

wegen: kommunaler Neugliederung;
hier: Eingliederung der Gemeinde Quappendorf (Amt Neuhardenberg) in die amtsangehörige Gemeinde Neuhardenberg

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 16. März 2006

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die bisher dem Amt Neuhardenberg angehörende Beschwerdeführerin wehrt sich gegen ihre Eingliederung in die weiterhin amtsangehörige Gemeinde Neuhardenberg.

I.

1. Die Beschwerdeführerin, eine Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg, gehörte zum nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten Amt Neuhardenberg mit Sitz der Amtsverwaltung in Neuhardenberg. Das im Landkreis Märkisch-Oderland gelegene Amt grenzt im Norden an die zum Amt Barnim-Oderbruch gehörenden Gemeinden Reichenow-Möglin, Bliesdorf und Neutrebbin. Im Nordosten begrenzt das Amt Letschin das Amt Neuhardenberg. Im Süden und Westen sind das Amt Seelow-Land und die Stadt Seelow Nachbarn des Amtes Neuhardenberg.

Nachdem das Amt 1992 zunächst aus neun Gemeinden gebildet worden war, reduzierte sich die Anzahl der amtsangehörigen Gemeinden in den Jahren 1997, 1998 und 2001 durch freiwillige Zusammenschlüsse auf vier. Das Amt bestand fortan aus den Gemeinden Gusow-Platkow, Märkische Höhe, Neuhardenberg und der Beschwerdeführerin.

Das mit einer Fläche von ca. 148 km² unter dem Landesdurchschnitt (161 km²) und einer Bevölkerungsdichte von ca. 36 Einwohnern pro km² ebenfalls unter dem Landesdurchschnitt (49 Einwohner pro km² im äußeren Entwicklungsraum) liegende Amt hatte 5.239 Einwohner (Stichtag 31. Dezember 2001). Von diesen lebten ca. 2.960 in Neuhardenberg, ca. 1.440 in Gusow-Platkow, ca. 710 in Märkische Höhe und 130 in der Beschwerdeführerin.

2. Im Juli 2000 beschloß die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin, die Eingliederung in die Gemeinde Neuhardenberg zu vollziehen. Das Votum der Bürger sollte abgewartet werden. Von diesen sprachen sich ca. 80 % in dem im Juli 2001 durchgeführten Bürgerentscheid gegen die Eingliederung aus. Die zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleiteten Verhandlungen über den Inhalt eines Neugliederungsvertrages wurden nicht fortgesetzt.

3. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland versandt.

4. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 10 des Entwurfes zum Fünften Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 16. Dezember 2002 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 10 des 5. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 84), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 48 Satz 1 des 5. GemGebRefGBbg), lautet:

§ 10
Verwaltungseinheit Amt Neuhardenberg

Die Gemeinde Quappendorf wird in die Gemeinde Neuhardenberg eingegliedert.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 24. Oktober 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie vertritt die Ansicht, daß sie aufgrund ihrer zulässigen und begründeten Verfassungsbeschwerde fortbestehe. Daher habe das Land Brandenburg dafür zu sorgen, daß ihr wieder eine Verwaltung zur Verfügung stehe.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 10 des Fünften Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 ist mit Art. 97 Abs. 1 und Art. 98 der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Gemeinde Neuhardenberg hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Letztere hätte die Beschwerdeführerin gern aufgenommen, respektiere jedoch den Willen der Bürger der Beschwerdeführerin und spreche sich daher gegen eine Zwangseingemeindung der Beschwerdeführerin aus.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das Amt vertreten.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit in einer Vielzahl von Verfahren kommunaler Verfassungsbeschwerden im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg (vgl. u.a. Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203, sowie vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 48/03 -, und Beschlüsse vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 und 118/03 - www.verfassungsge-richt.brandenburg.de) Bezug genommen.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u. a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; Bundesverfassungsgericht - BVerfG - , BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u. a. Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N., vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –,[Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116 = LKV 2002, 573, 574, und vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., sowie Beschlüsse vom 22. April 2004 – VfGBbg 182/03 –und vom 15. September 2005 - VfGBbg 113/03 -).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

(1) Die örtlichen Verhältnisse und wesentlichen Strukturdaten der Beschwerdeführerin, der Nachbargemeinden wie auch des Amtes sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (LT-Drucksache 3/5020, S. 244 ff.). Insbesondere ermittelte der Gesetzgeber die Einwohnerzahlen, die wirtschaftliche Lage sowie die Entfernungsverhältnisse und Verkehrsverbindungen: Daß das Amt in den Jahren 1993 bis 1999 – bedingt durch den Wegzug von ehemaligen NVA- bzw. von Bundeswehrangehörigen - mit ca. 15 % den stärksten Einwohnerrückgang im Landkreis Märkisch-Oderland zu verzeichnen hatte, erfaßte er ebenso, wie die auf statistischen Erhebungen beruhende Prognose eines weiteren Rückgangs der Einwohnerzahl in den nächsten Jahren. Auch sah er, daß die Beschwerdeführerin bei einer Fläche von ca. 9 km² eine Bevölkerungsdichte von nur ca. 14 Einwohnern pro km² aufweist. Unter raumordnerischen Gesichtspunkten ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin zum Nahbereich des Grundzentrums Neuhardenberg gehört. Die Einwohner der Beschwerdeführerin nutzen die dort u. a. vorhandenen Verkaufsstellen und Gaststätten, eine Sparkasse, eine Apotheke sowie eine Bibliothek, an denen es der Beschwerdeführerin fehlt. Ergänzend nehmen auch die Städte und Gemeinden Letschin, Seelow und Wriezen Versorgungsfunktionen für die Beschwerdeführerin wahr. Dabei hat der Gesetzgeber nicht übersehen, daß die Beschwerdeführerin selbst über eine Feuerwehr mit örtlicher Bedeutung und einen Jugendclub verfügt.

In verkehrstechnischer Hinsicht hat der Gesetzgeber erfaßt, daß die im Zentrum des Amtes gelegene Gemeinde Neuhardenberg - insbesondere der Verkehrsonderflugplatz Neuhardenberg - an die Beschwerdeführerin grenzt und die Ortskerne beider Gemeinden nur ca. 3 km voneinander entfernt liegen. Die Verbindung zwischen beiden Orten sowie nach Letschin und Wriezen ist über die Gemeindestraße und die Landesstraßen L 335 und L 34 gegeben. Zwei Buslinien verbinden die Beschwerdeführerin mit Neuhardenberg, Seelow und Neutrebbin. Da in der Beschwerdeführerin nur in geringem Umfang Gewerbe angesiedelt ist, fahren Berufspendler von der Beschwerdeführerin aus in Richtung Neuhardenberg, Seelow, Strausberg, Berlin und Wriezen. Die in der Beschwerdeführerin lebenden Schüler besuchen die Grundschule und den Hort in Neuhardenberg sowie weiterführende Schulen in Seelow, Neutrebbin und Letschin. Kindertagesstätten werden in Neuhardenberg und in Neutrebbin aufgesucht.

Da die Beschwerdeführerin weder über eine Kirche noch über einen Friedhof verfügt, nutzen ihre Einwohner die kirchlichen Einrichtungen in Neuhardenberg, zu deren Kirchengemeinde die Beschwerdeführerin gehört. Kulturelle und sportliche Beziehungen zwischen beiden Gemeinden sah der Gesetzgeber über die Mitgliedschaften im Karnevalsverein, im Chor Neuhardenberg e. V. und im Sportverein. Daß beide Gemeinden einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) angehört und bis 1990 im Gemeindeverband “Marxwalde“ zusammengearbeitet hatten, erfaßte er als historische Verbindung.

Unter haushaltsrechtlichem Gesichtspunkt hat der Gesetzgeberermittelt, daß die Beschwerdeführerin in den vergangenen Jahren überwiegend negative Haushaltssalden hatte. Bei durchschnittlicher Steuerkraft wies die Beschwerdeführerin eine unterdurchschnittliche Investitionskraft auf. Für die Jahre 2000 bis 2005 (z. T. als Planzahlen) stellte der Gesetzgeber formell ausgeglichene Verwaltungshaushalte fest, prognostizierte jedoch für die Zeit bis 2005, daß die vorhandenen Rücklagen verbraucht sein würden. Soweit der Gesetzgeber der Beschwerdeführerin fehlende Finanzkraft bescheinigte, erstreckte er diese Einschätzung auch auf die Gemeinde Neuhardenberg. Ergänzend stellte er hier jedoch fest, daß Neuhardenberg bis zum Jahr 2005 voraussichtlich wieder über einen materiell ausgeglichenen Haushalt verfügen werde. Im Gewerbegebiet zeichne sich, trotz vorhandener Probleme, eine positive Entwicklung ab.

(2) Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten wird und es möglich ist, daß die Neugliederung bei Zugrundelegung des behaupteten abweichenden Sachverhalts anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, EA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen sind weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Der Gesetzgeber gliedert aus Gründen des öffentlichen Wohls im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV die Beschwerdeführerin neu. Die Einbeziehung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg überwindet die bisherige Kleingliedrigkeit der Kommunen und erstrebt eine Stärkung ihrer Verwaltungskraft. Nachvollziehbar beruft sich der Gesetzgeber darauf, daß Ämter als örtliche Verwaltungseinheit im äußeren Entwicklungsraum weiter bestehen sollen, soweit nicht nach dem Leitbild eine amtsfreie Gemeinde gebildet werden kann. Amtsfreie Gemeinden sollen im äußeren Entwicklungsraum dann gebildet werden, wenn ausgeprägte Zentralorte der Kategorie Grundzentrum bestehen, die in ihrer Ausstattung den Grundzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums nahe kommen und eine vergleichsweise hohe, von den übrigen dem Amt angehörenden Gemeinden deutlich unterschiedliche Einwohnerzahl aufweisen (LT-Drucksache 3/5020, S. 250 f., Leitbild I. 2. a) bb)). Das Amt soll nicht weniger als 5.000 und amtsangehörige Gemeinden regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner haben. Auch sollten Ämter - vom Ausnahmefall eines Ämterzusammenschlusses abgesehen - aus nicht mehr als sechs Gemeinden bestehen (LT-Drucksache 3/5020, S. 250, Leitbild I. 2 b) aa), bb) und cc). Eine diesem Leitbild teilweise widersprechende Ausgangssituation hat der Gesetzgeber vorgefunden.

(1) Daß eine Stärkung der Verwaltungskraft, die Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen, ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, insbesondere zu dem Unterfall der Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland (Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 -) sowie zum vorausgegangenen Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (vgl. Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.). Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, daß Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 - ). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

(2) Ein Neugliederungsbedarf ergab sich bereits aus der geringen Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin von unter 500. Soweit der Gesetzgeber seine Abwägungsentscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin die Mindesteinwohnerzahl von 500 Einwohnern deutlich unterschreite (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 251 und ebda. sein Leitbild unter I. 2. b) cc), S. 24), ist hiergegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Die Landesverfassung steht der Einschätzung, daß sich aus einer geringen Einwohnerzahl der Gemeinde typisierend Rückschlüsse auf die (verminderte) Leistungsfähigkeit der Gemeinde ergeben, nicht entgegen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 -, a.a.O.). Der Gesetzgeber war nicht gehalten, die bisherige Leistungskraft der Beschwerdeführerin als alleiniges und zwingendes Indiz für ihre künftige Leistungsfähigkeit zu werten. Der Rückgriff auf die Einwohnerzahl als Indiz für die Leistungsfähigkeit der Gemeinde ist auch bei amtsangehörigen Gemeinden unbeschadet dessen statthaft, daß eine amts- angehörige Gemeinde im Land Brandenburg nicht selber Träger der „eigentlichen“ Verwaltung ist. Die Gemeindevertretung bleibt nämlich ungeachtet der administrativen Umsetzung durch das Amt für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Nicht das Amt, sondern die einzelne Gemeinde ist Träger der gemeindlichen Einrichtungen und für den Unterhalt dieser Einrichtungen zuständig. Solche Einrichtungen können im Regelfall sinnvoll nur von bestimmten gemeindlichen Mindestgrößen an betrieben werden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 -, a.a.O., und Beschluß vom 18. November 2004 – VfGBbg 167/03 –, a.a.O., m.w.N.).

Im übrigen hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang geprüft, ob geographische, historische oder soziokulturelle Gesichtspunkte ein Abweichen von der Regelmindesteinwohnerzahl rechtfertigen. Seine Einschätzung, daß dies nicht der Fall sei (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 251 f.), ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Soweit der Gesetzgeber davon ausgeht, daß der von der Beschwerdeführerin behauptete Zuwachs von 15 Familien nicht belegt sei und sie im übrigen auch nicht näher an den Richtwert von 500 Einwohnern heranbringen würde, begründet diese Annahme keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

(3) Auch soweit der Gesetzgeber darauf abstellt, daß mit einer Effizienzsteigerung und einer damit einhergehenden Stärkung der Verwaltungskraft des Amtes zu rechnen ist, wenn die Verwaltung anstelle der jetzt vier amtsangehörigen Gemeinden nur noch drei Gemeinden zu betreuen hat (LT-Drucksache 3/5020, S. 252), ist dies nachvollziehbar.

cc) Zur Erreichung der Reformziele ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Klein- und Kleinstgemeindestruktur durch die Eingliederung der Beschwerdeführerin eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg ist auch nicht unverhältnismäßig.

Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.).

Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens hier in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt. Danach besitzen die für eine Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg sprechenden Gründe das größere Gewicht.

(1) Die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung war dem Gesetzgeber gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner im Blick gehabt und sich damit auseinandergesetzt, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5020, S. 242 ff.) und dem Protokoll zur Anhörung vom 16. Dezember 2002 (Ausschußprotokoll 3/698, S. 124 ff.). Auf der anderen Seite hat er als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise die geringe Größe der Beschwerdeführerin berücksichtigt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von der Notwendigkeit der Bildung einer größeren Verwaltungseinheit durch Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg ausging.

Besonderheiten, die einen Fortbestand der Beschwerdeführerin als eigenständige Gemeinde gebieten, sind weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Daß die Beschwerdeführerin bei durchschnittlicher Steuerkraft für die Jahre 2000 bis 2005 formell ausgeglichene Verwaltungshaushalte erwartete, genügt nicht, zumal dieser Ausgleich in jedem Jahr durch eine Entnahme aus Mitteln der allgemeinen Rücklage erreicht wurde bzw. wird und diese bis 2005 vollständig verbraucht wäre. Die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers erscheint insoweit vertretbar, soweit er mit der Schaffung größerer Verwaltungseinheiten insbesondere den Erhalt der Leistungsfähigkeit beabsichtigt.

(2) Der Gesetzgeber verweist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf, daß Verflechtungen der Beschwerdeführerin mit der Gemeinde Neuhardenberg aufgrund der dort bestehenden Versorgungseinrichtungen, einschließlich der Schulen, vorhanden sind. Auch ist es nicht verfehlt, wenn der Gesetzgeber seiner Neugliederungsentscheidung zugrundelegt, daß die aneinander grenzenden Gemeinden durch eine Landesstraße verkehrswegemäßig miteinander verbunden sind und die Entfernung zwischen beiden Ortskernen nur 3 km beträgt. Auch läßt der Umstand, daß die Beschwerdeführerin und die Gemeinde Neuhardenberg aus dem ehemaligen Landkreis Seelow in den Landkreis Märkisch-Oderland kamen, hingegen die ehemaligen Gemeinden – jetzt Ortsteile der Gemeinde Märkische Höhe - Ringenwalde, Reichenberg und Batzlow aus dem Landkreis Strausberg, die Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Gemeinde Neuhardenberg auch unter historischem Gesichtspunkt jedenfalls nicht als verfassungsrechtlich unvertretbar erscheinen (s. LT-Drucksache 3/5020, S. 252). Schließlich tragen auch die zwischen beiden Gemeinden vorhandenen sportlich-kulturellen und kirchlichen Verflechtungen die Entscheidung des Gesetzgebers.

(3) Eine vorzugswürdige leitbildgerechte Alternative ist nicht gegeben.

An Stelle einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg hat der Gesetzgeber ihre Eingliederung in die Gemeinde Neutrebbin des Amtes Barnim-Oderbruch oder in die amtsfreie Gemeinde Letschin erwogen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn er dem nicht näher untersetzten Vortrag von Bürgern der Beschwerdeführerin, daß man auch in Seelow und Letschin einkaufen gehe und zur Gemeinde Neutrebbin Beziehungen habe, nicht entscheidendes Gewicht beigemessen hat, zumal das für sich leistungsfähige Amt Barnim-Oderbruch und die Gemeinde Letschin sich zur Aufnahme der Beschwerdeführerin nicht geäußert haben. Auch hätten beide Varianten zur Folge, daß die Beschwerdeführerin ihre Selbständigkeit verlieren würde.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

(1) Der Gesetzgeber war nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Neuhardenberg gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Erfahrungsgemäß kann der Wohlstand einer Gemeinde auf Lagevorteilen - etwa einer verkehrsgünstigen Lage an der Schnittstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße - beruhen, wenn auch die sich aus der günstigen Lage ergebenden Chancen genutzt werden müssen. Umgekehrt kann Verschuldung jedenfalls teilweise aus Lagenachteilen herrühren, etwa wenn Infrastruktureinrichtungen unterhalten werden müssen, die zugleich den Menschen aus Nachbargemeinden zugute kommen, und gleichzeitig günstige Entwicklungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind oder durch bestehende (Wohn-)Bebauung nicht lohnend genutzt werden können. Unabhängig davon ist die Finanzlage und damit auch der Beitrag, den die Einwohner mit einem neu zugeschnittenen Gebiet und Ressourcen zu leisten vermögen, naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

(2) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Das Ergebnis der Willensbildung der Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin zur Neugliederung sowie des Bürgerentscheids waren dem Gesetzgeber bekannt und sind in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 242 ff.). An das sich insbesondere aus dem Bürgerentscheid ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Bürgervotum stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. So hatte sich die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin für die Eingliederung in die Gemeinde Neuhardenberg ausgesprochen. Auch steht die Gemeinde Neuhardenberg einer Aufnahme der Beschwerdeführerin nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis des Bürgerentscheids gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung in die Gemeinde Neuhardenberg sprechenden Umständen mit dem Ziel, die Struktur des Amtes zu straffen und zu vereinfachen sowie seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen, das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
   
Prof. Dr. Will