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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2018 - VfGBbg 116/17 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 51 Abs. 1 Satz 2
- ZPO, § 45 Abs. 1
- SGG, § 60 Abs. 1
Schlagworte: - Stattgabe
- gesetzlicher Richter
- Ablehnungsgesuch
- Entscheidung durch abgelehnten Richter
- Ausnahmecharakter der Selbstentscheidung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2018 - VfGBbg 116/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 116/17




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

L.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:             Rechtsanwalt L.,

 

dieser gemäß § 161 BRAO vertreten durch

H.
als Vertreterin gemäß § 161 BRAO
Rechtsanwälte K. & D.,

 

wegen            Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 14. August 2017 (S 30 SF 296/17 E und S 30 SF 337/17 AB)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Februar 2018

durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 14. August 2017 (S 30 SF 296/17 E und S 30 SF 337/17 AB) verletzen die Be­schwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV). Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über das Ablehnungs­gesuch und die Erinnerung vom 23. Januar 2017 an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.

 

Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwen­digen Auslagen zu erstatten.

 

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe:

 

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus über ein Ablehnungsgesuch und eine Erinnerung im Verfahren zur Festsetzung ihrer erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten.

 

I.

Die Beschwerdeführerin klagte beim Sozialgericht Cottbus (S 38 AS 1080/13) gegen das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz (im Folgenden: Be­klagter) wegen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt, woraufhin der Beklagte erklärte, die außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach anzuerkennen. Am 14. Juni 2013 beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung der ihr zu erstattenden Kosten in Höhe von 605,95 Euro. Der Beklagte nahm zum Kostenfestsetzungsantrag in der Weise Stellung, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis 31. Juli 2013 anzuwenden und insgesamt nur eine Summe von 93,68 Euro zu erstatten sei.

 

Mit Beschluss vom 11. November 2016 setzte die Kostenbeamtin des Sozialgerichts die Kosten auf insgesamt 86,55 Euro fest. Dagegen legte die Beschwerdeführerin am 23. Januar 2017 Erinnerung ein und lehnte zugleich den für die Erinnerung zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Richter werde vom Beklagten im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit für sog. Inhousesemi­nare zum Gebührenrecht bezahlt. Er sei somit nicht in der Lage, in Kostensa­chen unvoreingenommen zu entscheiden, weil er damit rech­nen müsse, bei Ent­scheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten.

 

Mit Beschluss des abgelehnten Richters vom 14. August 2017 verwarf das Sozialgericht Cottbus das Ablehnungsgesuch als unzulässig, es sei rechtsmissbräuchlich. Das Gesuch stelle auf Ablehnungsgründe ab, die wieder­holt Gegenstand von Befangenheitsverfahren gewesen seien und bereits mehrfach durch verschiedene Kammern als unzureichender Grund für die Besorgnis einer Be­fangenheit eingestuft worden seien. Die Wiederholung gleicher Befangenheitsgrün­de, deren Unbeachtlichkeit bereits mehrfach festgestellt worden sei, werde nicht mehr vom Rechtsschutzbedürfnis gedeckt. Aufgrund der offensichtlichen Unzuläs­sigkeit des Ablehnungsgesuchs dürfe der abgelehnte Richter hierüber selbst ent­scheiden.

 

Mit weiterem Beschluss des abgelehnten Richters vom gleichen Tag wies das Sozialgericht Cottbus sodann die Erinnerung gegen den Kos­ten­festsetzungsbeschluss zurück. Die Gebühren seien im Ergebnis rechtmäßig fest­ge­setzt worden.

 

Die Beschlüsse vom 14. August 2017 wurden dem Bevollmächtigten der Beschwerdefüh­rerin jeweils am 13. September 2017 zugestellt. Eine dagegen erhobene Anhörungsrüge vom 20. September 2017 verwarf das Sozialgericht mit Beschluss vom 6. Oktober 2017 als unzulässig.

 

II.

Mit der am 8. November 2017 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­deführerin eine Verletzung von Art.12 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 und Abs. 4 LV.

 

Der Beschluss über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs sei mit Art. 52 Abs. 1 LV unvereinbar. Denn über das Gesuch sei willkürlich und entgegen den einschlägi­gen verfahrensrechtlichen Vorschriften durch den abgelehnten Richter selbst ent­schieden worden. Eine offensichtliche Unzulässigkeit eines Befangenheitsgesuches lasse sich nicht mit dem bloßen Verweis auf nicht näher bezeichnete Entscheidun­gen anderer Kammern des Sozialgerichts begründen. Das Gericht habe bei einem Befangenheitsantrag stets die Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Damit sei ein Verweis auf andere Entscheidungen, die nicht sie - die Beschwerdeführerin - beträ­fen, nicht zu vereinbaren. Eine Abweichung vom ausdrücklich geregelten Grundsatz, dass die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu erfolgen habe, könne allenfalls in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Der Verstoß wirke sich auch auf die Entscheidung über die Erinnerung aus. Diese Entscheidung verstoße zudem gegen das Willkürverbot und das Gebot fairen Verfahrens. Das Gericht hätte dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Äußerung zu den Ausführungen des Jobcenters geben müssen. Es sei jedoch unmittelbar ein ablehnender Beschluss erlassen worden. Das Gericht habe dabei weder die Ausführungen des Beklagten noch der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen.

 

III.

Das Sozialgericht Cottbus erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verfahrens­akten S 38 AS 1080/13, S 30 SF 296/17 E und S 30 SF 337/17 AB wurden beigezo­gen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

 

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

 

Die Beschwerdeführerin hat entsprechend § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichts­gesetz Brandenburg (VerfGGBbg) bezüglich beider angefochtenen Beschlüsse den Rechtsweg erschöpft. Soweit es die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch betrifft, war die Beschwerde nach § 172 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Ein Rechtsmittel gegen die Entschei­dung des Sozialgerichts über die Erinnerung gegen den Kostenfestset­zungsbe­schluss der Urkundsbeamtin (S 30 SF 296/17 E) stand der Beschwerdefüh­rerin auf­grund der Bestimmung des § 197 Abs. 2 SGG nicht zur Verfügung.

 

Der Zulässigkeit steht bezüglich des Beschlusses über das Ablehnungsgesuch der aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg folgende Grundsatz der Subsidiarität nicht entge­gen, auch wenn diese angegriffene Entscheidung in einem der Sachentscheidung vorangehenden Zwischenverfahren ergangen ist. Eine Verfassungsbeschwerde ge­gen Zwischenentscheidungen ist zwar grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfas­sungsverstöße mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können. Der Grund für den Ausschluss fehlt allerdings, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann. Entscheidungen der Fachge­richte über Ablehnungsgesuche können zu solchen bleibenden rechtlichen Nachtei­len führen und daher als Zwischenentscheidungen selbständig angreifbar sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 24, 56, 60 f; BVerfG NJW-RR 2007, 409, 410; BVerfGK 15, 18, 20).

 

Bei dem Richterablehnungsverfahren im Rahmen der sozialgerichtlichen Kostenerin­nerung nach § 197 Abs. 2 SGG handelt es sich um ein selbständiges Zwischenver­fahren, dessen abschlie­ßende Entscheidungen mit der Verfassungsbeschwerde an­gefochten werden kön­nen. Denn diese Entscheidungen sind für das weitere Erin­ne­rungsverfahren bindend. Sie können angesichts der Unanfechtbarkeit des Be­schlus­ses über die Erinnerung im Falle der Verfassungswidrigkeit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs dazu führen, dass ein Beschwerdeführer hinnehmen müsste, dass das weitere Verfahren vor dem Sozialgericht von einem Richter betrie­ben würde, der nicht der gesetzliche im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV ist (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt. Sie hat hinreichend substantiiert und schlüssig einen Sachverhalt unterbreitet, der jeden­falls zu dem behaupteten Verstoß gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Rich­ter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV führen kann.

 

Die Verfassungsbeschwerde ist auch innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg nach Zustellung der angegriffenen Beschlüsse erhoben worden.

 

Schließlich steht der Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass die Beschlüsse, gegen die sie sich richtet, auf der Grundlage von Verfahrensrecht des Bundes ergangen sind. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen sind erfüllt (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, www.verfassungsge­richt.brandenburg.de).

 

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cott­bus vom 14. August 2017 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV.

 

1. Mit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig hat der abgelehnte Richter die Beschwerdeführe­rin im Ablehnungsverfahren ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

 

a. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV, der wörtlich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht und denselben Schutz garantiert, gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzli­chen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzel­fall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte. Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322, 327). Darüber hinaus gewährleistet Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie im Einzelfall vor einem Richter stehen, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, be­rührt die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 2016 - VfGBbg 18/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.; s. auch BVerfGE 89, 28, 36; BVerfGK 20, 164, 167).

 

Eine „Entziehung“ des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die An­wendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen wer­den; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeits­norm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungs­garantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt. Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehl­anwendung des Gesetzesrechts beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Ge­richt Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. Beschlüsse vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 54/14, VfGBbg 9/14 EA - und vom 15. April 2016 - VfGBbg 78/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 82, 286, 299).

 

Für das sozialgerichtliche Verfahren enthalten § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 44 ff Zi­vilprozessordnung (ZPO) Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ab­lehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsrege­lung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (vgl. BVerfGK 11, 434, 441; 13, 72, 78; BVerfG NJW 2011, 2191, 2192; BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris Rn. 15).

 

In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings - ebenso wie für den Zivil- oder den Verwaltungsprozess - anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ur­sprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen nament­lich gänzlich untaugliche oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche (vgl. BSG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 68/09 B -, juris Rn. 9 f, vom 17. Dezem­ber 2009 - B 3 KR 32/09 B -, juris Rn. 9 f und vom 9. April 2014 - B 14 AS 363/13 B -, juris Rn. 4; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 60 Rn. 10b ff). Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fäl­len der Richterablehnung trägt die sozialgerichtliche Rechtsprechung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Be­gründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvor­eingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Ver­einfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden; in diesem Fall entfällt ein gesondertes Zwi­schenverfahren. Bei strenger Beachtung der Voraussetzun­gen des gänzlich untaug­lichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs gerät eine Selbstentschei­dung mit der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Rich­ters nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraus­setzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist. Ein solcherart verein­fachtes Ablehnungsverfahren ermöglicht nur echte Formal­entscheidungen und soll offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhin­dern. Dies gebietet eine enge Auslegung der Voraussetzungen. Völlige Ungeeig­netheit ist demnach anzu­nehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegen­stand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforder­lich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ent­schei­dung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abge­lehnte Richter nicht durch Mitwir­kung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ab­lehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei der Anwendung dieses Prü­fungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269, 281 ff; 7, 325, 340; 11, 62, 73 f; 11, 434, 442; 13, 72, 79 f; BVerfG NJW 2007, 3771, 3772 f; BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris Rn. 16 f).

 

b. Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt der Beschluss des Sozialgerichts Cott­bus vom 14. August 2017 (S 30 SF 337/17 AB) die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzuläs­sig durch den abgelehnten Richter zeigt, dass das Sozialgericht den Gewährleis­tungsgehalt des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV ver­kannt hat.

Das Sozialgericht begründet die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs damit, dass dieses offensichtlich unzulässig sei, da es auf Ablehnungsgründe abstelle, die wie­derholt Gegenstand von Befangenheitsverfahren gewesen seien und die bereits mehrfach, durch verschiedene Kammern, als unzureichender Grund für die Besorg­nis einer Befangenheit eingestuft worden seien. Das „ständige Wiederholen gleicher Befangenheitsgründe“, deren Unbeachtlichkeit bereits mehrfach festgestellt worden sei, werde nicht mehr vom Rechtsschutzbedürfnis gedeckt.

 

Diese Erwägungen werfen bereits erhebliche Zweifel auf, ob das Sozialgericht das Ablehnungs­gesuch überhaupt zutreffend erfasst hat. Denn die unter dem Gliede­rungspunkt I. der Beschlussgründe wiedergegebene Begründung der Ablehnung - „der abgelehnte Richter habe Geld vom JobCenter OSL angenommen und habe da­her ganz allge­mein den Eindruck erweckt, seine Entscheidungen seien insgesamt käuflich“ - deckt sich nicht mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin. Diese stellt maßgeblich darauf ab, dass der abge­lehnte Richter einer ge­werblichen Nebentätigkeit zu Sachthemen nach­gehe, die Ge­genstand des zu ent­scheidenden Verfahrens seien, eine unvoreingenommene Entscheidung in Kostensachen nicht mehr angenommen werden könne und er seine richterliche Unabhängigkeit mit Willkür verwechsele. Die vorgetra­genen Ablehnungsgründe gehen demnach in ihrer spezifischen Kombination deutlich über das im Beschluss niedergelegte hin­aus. Der Vorhalt, die Ablehnungsgründe seien bereits mehrfach beschieden worden, vermag schon deshalb nicht zu überzeu­gen. Denn im Rahmen der Anwendung der Maß­stäbe eines unzulässigen Ableh­nungs­gesuchs im Wege der Selbstentscheidung ist das Gericht von Verfassungs wegen in besonderem Maße verpflichtet, das Ge­such seinem Inhalt nach voll­ständig zu erfassen (vgl. BVerfGK 5, 269, 283; BVerfG NJW 2007, 3771, 3773; BVerfG, Be­schluss vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11 -, juris Rn. 35).

 

Vor allem aber wird die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Beschwer­deführerin den Anforderungen einer strikten Anwendung des Regel-Ausnahme­-Ver­hältnisses zwischen der Entscheidung durch einen anderen Richter einerseits und der Befug­nis zur Selbstentscheidung andererseits nicht gerecht. Letzteres fordert eine strenge Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Mitwirkung des abgelehnten Richters, weil nur so die Beachtung der Garantie auf den gesetzlichen Richter gewährleistet ist (vgl. BVerfGK 11, 62, 78). Ein „Wiederholen gleicher Befan­genheitsgründe“ ist vorliegend im Beschluss nicht mit Tatsachen untersetzt. In den Fällen, in denen ein abgelehnter Richter das Befangenheitsgesuch mangels Rechtsschutzbedürfnisses selbst ablehnt, bedarf es aber einer qualifizierten Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit und der Berücksichtigung aller zur Be­gründung der Ablehnung vorgetragenen Umstände (vgl. Beschluss vom 16. Septem­ber 2011 - VfGBbg 60/10 -, www.verfassungsge­richt.brandenburg.de; VerfGH Sachsen, Beschluss vom 4. November 2010 - Vf 83-IV-10, Vf 84-IV-10 -, juris Rn. 18).

 

Es ist anerkannt, dass die erneute Ablehnung eines Richters durch eine Partei im selben Verfahren nach Bescheidung eines früheren Ablehnungsgesuchs ein unzu­lässiges und auch rechtsmissbräuchliches Gesuch darstellen kann, wenn die Ableh­nung nicht auf neue oder ergänzte Gründe gestützt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - IV B 76/98, IV B 77/98, IV B 78/98, IV B 79/98 -, juris Rn. 34 ff; KG, Beschluss vom 11. Juni 1986 - 18 Abl 2638/86 -, FamRZ 1986, 1022, 1023; BbgOLG, Beschluss vom 19. April 2013 - 13 WF 24/13, 13 WF 25/13 -, FamRZ 2013, 1600; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. 2017, § 42 Rn. 7; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 42 Rn. 17; Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Oktober 2016, § 54 Rn. 63; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 60 Rn. 10b; Günther NJW 1986, 281, 284, 286). Ähnliches gilt nach fachgerichtlicher Rechtsprechung, wenn ein Verfahrens­betei­ligter denselben Richter in pa­rallelen Gerichtsverfahren in einem en­gen zeitli­chen und sachlichen Zusammenhang wiederholt trotz erfolgter zurückwei­sender Be­scheidung mit unveränderten Argu­menten ablehnt (vgl. BVerwG, Be­schluss vom 31. Januar 2013 - BVerwG 2 AV 4/13, BVerwG 2 PKH 4/13 -, juris Rn. 5). Anhalts­punkte hierfür sind jedoch nicht ersicht­lich. Aus der beigezogenen Verfah­rensakte ergibt sich kein weiteres voran­gegange­nes Ablehnungsgesuch der Be­schwerdefüh­rerin gegen denselben Richter im Erinnerungsverfahren S 30 SF 296/17 E RG. Auch dass in anderen Verfah­ren gegen diesen Richter eingereichte, iden­tisch be­gründete Ablehnungsge­suche der Beschwerdeführerin bereits negativ beschieden wor­den waren, lässt sich weder der Verfahrensakte ent­nehmen noch sonst erkennen.

 

2. Der Beschluss vom 14. August 2017 über die Erinnerung der Beschwerdeführerin (S 30 SF 296/17 E) verstößt danach schon gegen das Grundrecht auf den gesetzli­chen Richter. Er ist mit den Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV nicht zu vereinba­ren.

In der Konsequenz der in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV verbürgten Garantie, nicht vor ei­nem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität mangelt, liegt es auch, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, über dessen Ablehnung unter Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV entschieden worden ist. Die hinter dem Ab­lehnungsgesuch stehende Partei kann so lange nicht davon ausgehen, dass sie dem gesetzlichen Richter gegenübersteht, bis diese Frage von dem zuständigen Gericht ohne Beteiligung der möglicherweise befangenen Richter geklärt ist. Sie muss im Falle einer nach den dargelegten Kriterien unzulässigen Selbstentscheidung be­fürchten, dass die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch maßgeblich von Rich­tern beeinflusst ist, die der Sache nicht mit der notwendigen Distanz und Neutralität gegenüberstehen und dass sich diese Voreingenommenheit auch in der anschlie­ßend zu treffenden Sachentscheidung fortsetzt. Aus den genannten Gründen ist im­mer dann, wenn ein Fall unzulässiger Selbstentscheidung vorliegt, davon auszuge­hen, dass auch die dem Ablehnungsgesuch folgende Sachentscheidung nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen wird. Andernfalls hätte es ein die Grenzen der Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs verkennendes Gericht in der Hand, durch eine gleichzeitig mit der Verwerfung eines Befangenheitsantrags getroffene nicht anfechtbare Sachentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. BVerfGK 11, 434, 444 f; BVerfG, Beschluss vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11 -, juris Rn. 40).

 

C.

Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 14. August 2017 sind hiernach gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben; die Sache selbst ist an das Sozialgericht zu­rückzuverweisen.

 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

 

Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergü­tungsgesetz entsprechend der ständigen Praxis des Gerichts in erfolgreichen Verfah­ren über Individualverfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen auf 10.000,00 Euro festzusetzen.

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Partikel Schmidt