VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 19/11 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 7, 9, 113 Nr. 4 - VerfGGBbg, § 46 |
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Schlagworte: | - Unmittelbarkeit der Grundrechtsverletzung - Subsidiarität - statthafter Antrag |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 19/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 19/11
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
des minderjährigen Kindes K.,
vertreten durch
die Mutter, K.,
Beschwerdeführer,
wegen Rechtsaufsicht gegenüber dem Landkreis Prignitz und gegen den Fachplan „Hilfen zur Erziehung für den Landkreis Prignitz 2009-2013“
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche und Schmidt
am 15. Juli 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Der minderjährige Beschwerdeführer wendet sich gegen die Steuerung des Landkreises Prignitz im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII).
I.
Mit der am 23. Mai 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Landkreis seiner öffentlichen Aufgabe zur Gewährung von Jugendhilfe nicht nachkomme und gegen Art. 97 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verstoße. Aus dem vom Kreistag des Landkreises Prignitz am 5. März 2009 beschlossenen Fachplan „Hilfen zur Erziehung für den Landkreis Prignitz 2009-2013“ ergebe sich, dass Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung bzw. Bedrohung von seelischer Behinderung durch das Jugendamt nur in besonderen Einzelfällen bewilligt würden. § 35a SGB VIII setze jedoch schon einen besonderen Einzelfall voraus; welche Besonderheiten für eine Bewilligung noch hinzukommen müssten, sei nicht ersichtlich. Die Hilfeverweigerung in diesen Fällen stelle eine Grundrechtsverletzung dar. Nach dem Kreistagsbeschluss habe der Gewährung von Eingliederungshilfen nach § 35a SGB VIII eine sorgfältige Prüfung und Ausschöpfung der Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII vorauszugehen. Die Anspruchsprüfung des Jugendamtes könne wegen der im Fachplan enthaltenen Vorgaben nicht mehr ergebnisoffen erfolgen. So seien laut Kreistagsbeschluss seit 2007 keine teilstationären Jugendhilfen nach § 35a SGB VIII gewährt worden. Da das Jugendamt auf Grund des Fachplanes die Hilfen verweigern müsse und verwaltungsgerichtliche Kontrolle wegen der überlangen Verfahrensdauer nicht rechtzeitig gewährleistet werde, sei die „Rechtsaufsicht“ des Verfassungsgerichts zur Erfüllung kommunaler Aufgaben notwendig.
Der Beschwerdeführer sei durch den Fachplan auch unmittelbar betroffen, er rügt die Verletzung von Art. 1 und 2 sowie Art. 83 bis 86 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), da das Jugendamt gesteuert die Hilfen nach § 35a SGB VIII verweigere. Wegen des Fachplans seien seine Anträge auf Hilfegewährung nach § 35a SGB VIII nicht mehr angenommen worden. Aufgrund eines laufenden Gerichtsverfahrens seien erneute Anträge mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass kein Sachbescheidungsinteresse bestehe. Die Anträge seien nicht geprüft und nicht bearbeitet worden. Durch die Verweigerung der Antragsannahme werde die Beschreitung des Rechtsweg über Jahre verhindert. Über die Zurückweisung des Antrags sei durch den Landkreis Prignitz nicht durch Verwaltungsakt entschieden worden, der Rechtsweg somit verwehrt. Das Jugendamt unterschlage Aktenbestandteile und komme vorsätzlich seiner Prüfpflicht nicht nach, um den Jugendhilfeplan umzusetzen. Durch diese gezielte Abwehr der Ansprüche werde dem Beschwerdeführer die Mindestteilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben verwehrt und die Entfaltung seiner Persönlichkeit eingeschränkt. Durch gezielte Mobbingversuche der zuständigen Sozialarbeiterin werde der Beschwerdeführer in seiner Menschenwürde verletzt.
Das Durchlaufen des gerichtlichen Verfahrens sei bei der im Land Brandenburg üblichen Verfahrensdauer vor den Verwaltungsgerichten im Bereich der Jugendhilfe nicht zumutbar, weil die eventuell gerichtlich zugesprochene Hilfe zu spät käme. Das Fachgericht sei angerufen worden, das Verfahren dauere aber noch an.
Da das zuständige Jugendamt seine Prüfpflicht nicht vornehme, sei die Aufgabe gemäß Art. 84 Abs. 3 GG durch die Bundesregierung zu gewährleisten.
II.
Hinsichtlich der Zweimonatsfrist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen den Fachplan hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30. Mai 2011 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, weil seiner Vertretungsberechtigten der Plan erstmals mit dessen Übersendung am 31. Januar 2011 bekannt geworden sei.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen, nachdem der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. Mai und 3. Juni 2011 auf Bedenken gegen ihre Zulässigkeit hingewiesen worden ist und diese Bedenken nicht, auch nicht durch die Schreiben vom 30. Mai und 9. Juni 2011, ausgeräumt hat.
I. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 LV i. V. m. § 45 VerfGGBbg eröffnet die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen behauptete Verletzungen der in der Verfassung des Landes Brandenburg gewährleisteten Grundrechte.
Soweit der Beschwerdeführer sich auf eine Verletzung des Art. 97 LV beruft, kann dies nicht die für die Verfassungsbeschwerde darzulegende Grundrechtsverletzung begründen. Art. 97 LV ist kein Grundrecht, sondern enthält Vorschriften über die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung. Der Einzelne kann daraus keine Rechte herleiten.
Die Rüge der Verletzung von Vorschriften des Grundgesetzes (Art. 1, 2, 83 bis 86 GG) ist ebenfalls unzulässig, weil es sich nicht um Grundrechte der Landesverfassung handelt. Selbst wenn das Gericht davon ausgeht, dass der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer die Verletzung der entsprechenden Landesgrundrechte rügen möchte, bleibt die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
II. Hinsichtlich der durch den Fachplan „Hilfen zur Erziehung für den Landkreis Prignitz 2009-2013“ geltend gemachten Rechtsverletzung ist der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt. Voraussetzung für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist, dass der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch die angegriffene Maßnahme selbst, unmittelbar und gegenwärtig in eigenen Grundrechten verletzt zu sein. Hier fehlt es schon an der Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung. Der beanstandete Fachplan richtet sich an die Fachkräfte des öffentlichen Trägers und der privaten Träger der Jugendhilfe. Er ist damit interner Natur und entfaltet gegenüber dem Beschwerdeführer keine unmittelbare rechtliche Wirkung (vgl. Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflage 2006, § 80 Rdnr. 20 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 7 A 11375/02 -, zitiert nach juris). Ob die Aufnahme von gesetzlich nicht vorgesehenen zusätzlichen Kriterien für die Gewährung der Jugendhilfe, wie sie vom Beschwerdeführer behauptet wird, unzulässig ist (dazu Hilke in Stähr, SGB VIII, Kommentar, Losebl., Bd. 2, Stand: I/2011, § 80 Rdnr. 12), kann dabei offen bleiben. Der Beschwerdeführer kann in seinen subjektiven Rechten erst durch die Umsetzung des Fachplans beeinträchtigt werden, das heißt durch die auf Grund des Fachplans getroffenen konkreten Entscheidungen.
Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdefrist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg brauchte deswegen nicht entschieden zu werden.
III. Soweit der Beschwerdeführer seine Menschenwürde (Art. 7 LV) und sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 9 Abs. 1 LV) durch die Verweigerung der Hilfe nach § 35a SGB VIII auf Grund des Fachplans verletzt sieht, genügt sein Vortrag nicht den Anforderungen, die § 20 Abs. 1 Satz 2 und § 46 VerfGGBbg an die Begründung der Verfassungsbeschwerde stellen. Danach sind in der Begründung das (Landes-)Grundrecht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. Im Einzelnen ist darzulegen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht genügt und inwieweit dadurch das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll.
Eine behördliche Maßnahme, die auf Grund des Fachplans ergangen sein soll und ihn in seinen Rechten verletzen könnte, bezeichnet der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Hinweise seitens des Gerichts nicht. Er benennt weder einen konkreten Antrag, der nicht bearbeitet wurde, noch einen Ablehnungsbescheid. Es wird aus dem Vortrag des Beschwerdeführers darüber hinaus nicht ersichtlich, dass ihn eine etwaige Ablehnung des Antrags in den genannten Grundrechten verletzen könnte. Er legt schon die Tatsachen, auf Grund derer er nach § 35a SGB VIII Jugendhilfe beansprucht, nicht dar. Auch wird die behauptete Verletzung der Menschenwürde (Art. 7 LV) und freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 9 Abs. 1 LV) nicht erkennbar.
Dabei führt die Argumentation des Beschwerdeführers, dass eine gerichtliche Entscheidung möglicherweise zu spät käme und er deshalb nicht auf den Rechtsweg verwiesen werden könne, nicht zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Zwar kann die Unzumutbarkeit der Erschöpfung des Rechtswegs geeignet sein, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung auch vor dem Abwarten der letztinstanzlichen fachgerichtlichen Entscheidung zu ermöglichen (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg). Voraussetzung ist aber auch dann, dass der Beschwerdeführer sich gegen eine konkrete ihn unmittelbar beeinträchtigende Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Brandenburg wendet und die Grundrechtsverletzung ausreichend darlegt. Daran fehlt es – wie bereits dargelegt - jedoch, eine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete Maßnahme (z. B. Bescheid oder Unterlassen der Bescheidung eines konkreten Antrags durch die Behörde) hat er nicht genannt. Darüber hinaus legt er auch die Unzumutbarkeit der Ausschöpfung des Rechtswegs selbst nicht konkret dar, sondern behauptet sie nur pauschal. Der Beschwerdeführer gibt weder an, wann noch gegenüber welcher Entscheidung er um Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht hätte.
IV. Die Verletzung der Menschenwürde (Art. 7 LV) durch gezielte Mobbingversuche und Manipulationen der Akten durch Mitarbeiter des Jugendamtes, welche der Beschwerdeführer behauptet, werden ebenfalls nicht hinreichend konkret dargelegt. Welche Unterlagen wann eingereicht wurden und verschwunden sein sollen, wird nicht ersichtlich.
V. Das Verfassungsgericht ist auch nicht zur Rechtsaufsicht über die Landkreise und deren Aufgabenerfüllung berufen. Die Verfassungsbeschwerde kann gemäß Art. 6 Abs. 2 und Art. 113 Nr. 4 LV, § 12 Nr. 4 VerfGGBbg mit der Behauptung erhoben werden, selbst durch die öffentliche Gewalt in einem der Grundrechte verletzt zu sein. Anträge zur Überwachung der generellen Aufgabenwahrnehmung durch Kommunen sehen weder die Verfassung noch das Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg vor.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Möller | Nietsche |
Schmidt | |