VerfGBbg, Beschluss vom 15. Mai 2014 - VfGBbg 61/13 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1 - ZPO, § 320; ZPO § 531 |
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Schlagworte: | - Anspruch auf rechtliches Gehör - Begründungserfordernis - Gehörsverletzung - Beruhen der Entscheidung - Subsidiaritätsgrundsatz - Tatbestandsberichtigung - präkludiertes Berufungsvorbringen |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. Mai 2014 - VfGBbg 61/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 61/13
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
der Eheleute Dr. R und R.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt B.,
wegen des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2013 (10 S 11/13) und des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 13. September 2013 (1 S 18/13)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 15. Mai 2014
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen Entscheidungen des Landgerichts in einer Nachbarschaftsstreitigkeit.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer und Bewohner eines Grundstücks in Potsdam. Sie nahmen den Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Nachbargrundstücks (nachfolgend: Beklagter) vor dem Amtsgericht Potsdam u. a. auf Beseitigung von drei Fenstern in Anspruch. Zwei dieser Fenster befinden sich auf Erdgeschosshöhe in der auf der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführer stehenden Ostwand des Wohnhauses, das dritte Fenster im Dachgeschoss des Wohnhauses, ebenfalls auf dessen Ostseite. Der Beklagte hatte diese Fenster im Zuge einer Baumaßnahme (u. a. Erneuerung des Daches) im Jahre 2011 an die Stelle alter Fenster einbauen lassen. Diese alten, bereits zu DDR-Zeiten installierten Fenster waren entsprechend einem - auf Vorschriften des Brandenburgischen Nachbarrechtsgesetz (BbgNRG) Bezug nehmenden - Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 22. Januar 1998 so gestaltet, dass sie nicht geöffnet werden konnten und keine Durchsicht ermöglichten.
2. Die Beschwerdeführer begründeten ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die neu eingebauten Fenster diese Anforderungen nicht erfüllten und zudem größer ausgeführt (größer dimensionierte Fensteröffnung im Dachgeschoss) bzw. mit einer größeren Glasfläche versehen (Fenster im Erdgeschoss) seien. Auch unabhängig davon hätte nach Ausbau der alten Fenster die Anbringung der neuen Fenster ihrer – nicht erteilten - Zustimmung nach § 20 Abs. 1 BbgNRG bedurft. Da die Fenster keinen besonderen Schutz gegen Feuereinwirkung aufwiesen, liege insoweit auch kein Ausnahmetatbestand vor. Sie hätten daher einen Anspruch auf Beseitigung der Fenster aus § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BbgNRG. Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2013 ab (21 C 427/11). Die Beschwerdeführer hätten wesentliche Veränderungen wie eine Vergrößerung der Fenster oder ihrer Glasfläche infolge des Neueinbaus nicht substantiiert vorgetragen, so dass der Beklagte insoweit Bestandsschutz genieße. Sollten die neuen Fenster die Vorgaben des Urteils vom 22. Januar 1998 nicht erfüllen, könnten die Beschwerdeführer aus dem Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben.
3. Gegen dieses Urteil legten die Beschwerdeführer Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2013 teilte das Landgericht mit, infolge anstehender Änderungen des Geschäftsverteilungsplans sei die Anberaumung eines Verkündungstermins für den 19. Juni 2013 beabsichtigt; soweit noch eine Stellungnahme beabsichtigt sei, solle diese möglichst bis zum 17. Juni 2013 eingereicht werden. Die Beschwerdeführer rügten mit Schriftsatz vom 13. Juni 2013 die Verspätung des Beklagtenvortrags aus der Berufungsbegründung, die neuen Fenster entsprächen den Brandschutzbestimmungen. Ferner reichten sie unter dem 17. Juni 2013 eine baufachliche Stellungnahme eines Diplom-Bauingenieurs ein, der zufolge die neuen Fenster nicht feuerwiderständig seien und ihr Einbau in der auf der Grundstücksgrenze stehenden Ostwand und im Dach den bauordnungsrechtlichen Brandschutzanforderungen widerspreche.
Das Landgericht wies die Berufung mit Urteil vom 19. Juni 2013 zurück. Die „aus der Lichtbildanlage K 5 ersichtlichen Fenster“ im Erdgeschoss hätten bereits zum Altbestand des Hauses gehört und seien ausweislich der bindenden Feststellung im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils behördlich genehmigt gewesen. Eine behördliche Beseitigungsansordnung hätten die Beschwerdeführer nicht vorgelegt; auch das Urteil vom 22. Januar 1998 spreche eine solche Anordnung nicht aus. Die Veränderungen im Bereich des Fensters im Dachgeschoss überschritten nicht den durch den Bestandsschutz gesetzten Rahmen. Sie ließen die Identität der baulichen Anlage insgesamt unberührt; erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz, eine wesentliche Erweiterung des Bauvolumens und dergleichen mehr seien nicht erfolgt. Das nach dem Termin vom 6. Juni 2013 eingereichte Brandschutzgutachten rechtfertige keine Wiedereröffnung der Verhandlung. Der bestrittene Vortrag, die Fenster entsprächen nicht den Brandschutzvorgaben, sei ein in der Berufung neues Angriffsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO), wie sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ergebe. Gegen das Urteil des Landgerichts erhob der Beschwerdeführer am 2. Juli 2013 die Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 13. September 2013 (den Beschwerdeführern zugestellt am 11. November 2013) zurückgewiesen wurde (1 S 18/13).
II.
1. Mit der am 18. November 2013 eingelegten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer, durch die Entscheidungen des Landgerichts in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Landesverfassung (LV) verletzt zu sein.
Mit der Feststellung, die Fenster im Erdgeschoss gehörten zum Altbestand, habe das Landgericht ihren (unstreitigen) Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, der Beklagte habe diese erst im Jahr 2011 eingesetzt. Sofern es diesen Vortrag doch zur Kenntnis genommen haben sollte, hätte es die Fenster wider besseres Wissen dem Altbestand zugeordnet und ihren Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt. Ferner habe sich das Landgericht nicht mit ihrer Rüge auseinandergesetzt, das Bestreiten des Beklagten bezüglich des Brandschutzmangels sei verspätet. Schließlich habe das Landgericht ihren Vortrag zum Brandschutz aus ihren Schriftsätzen vom 13. und 17. Juni 2013 als verspätet zurückgewiesen, obwohl es den Parteien im Verhandlungstermin eine Schriftsatzfrist bis zum 17. Juni 2013 gewährt habe. Diese Gehörsverstöße seien auch entscheidungserheblich gewesen; insbesondere hätte das Landgericht die Berufung „wohl kaum zurückweisen dürfen“, wenn es ihren Vortrag vom Fehlen des Brandschutzes zur Kenntnis genommen hätte.
2. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.
I.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss vom 13. September 2013 richtet, fehlt es ihr am Rechtsschutzbedürfnis. Die Zurückweisung einer Anhörungsrüge enthält keine eigenständige Beschwer, sondern lässt allenfalls eine bereits durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer – zusätzlichen – verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Entscheidung über die Anhörungsrüge besteht nicht (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 29. November 2013 – VfGBbg 9/13 -, www.verfassungsgericht. Brandenburg.de).
II.
Im Übrigen haben die Beschwerdeführer nicht in einer den Begründungsanforderungen aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg entsprechenden Weise die Möglichkeit aufgezeigt, durch das angegriffene Urteil des Landgerichts in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt zu sein (zu 1.) bzw. nicht den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachtet (zu 2.).
1.a. Mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV den am gerichtlichen Verfahren Beteiligten die Möglichkeit, sich vor Erlass der Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 10. Mai 2007 – VfGBbg 8/07 -, LVerfGE 18, 150, 157). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Pflicht nachkommt, und es von Verfassungs wegen nicht jedes vorgebrachte Argument ausdrücklich bescheiden muss, bedarf es besonderer Umstände für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (Beschluss vom 10. Mai 2007, a. a. O.).
b. Einen solchen Umstand stellt die von den Beschwerdeführern monierte Feststellung im Urteil vom 19. Juni 2013, die Fenster im Erdgeschoss gehörten zum Altbestand, nicht dar.
Diese Feststellung ist kein Hinweis darauf, dass das Landgericht den Vortrag nicht berücksichtigt hat, im Jahre 2011 seien neue Erdgeschossfenster eingebaut worden. Das Landgericht nimmt mit ihr Bezug auf die „Lichtbildanlage K 5“, die die Erdgeschossfenster vor dem Austausch im Jahr 2011 zeigt. Damit hat es allein diese Fenster, nicht aber die neu eingebauten als „Altbestand“ bezeichnet und - nach dem Kontext der Entscheidung - offenkundig zum Ausdruck bringen wollen, dass sich in der Grenzwand seit jeher mit baubehördlicher Genehmigung Fenster an den Stellen und mit den Ausmaßen befunden haben, wie dies auch hinsichtlich der im Jahr 2011 neu eingebauten Fenster der Fall ist. In Kenntnis dieses Neueinbaus entschieden zu haben, dokumentiert das Landgericht ausdrücklich, wenn es ausführt, „die sich aus den Lichtbildern K 5 und K 6 ergebende Veränderung rechtfertige auch inhaltlich keine Beseitigung“ (S. 4 Absatz 2 des Urteils). Das Foto Anlage K 6 bildet nach dem übereinstimmenden Parteivortrag die neu eingebauten Fenster im Erdgeschoss ab.
c. Auch darüber hinaus ist das Begründungserfordernis nicht erfüllt. Die Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV setzt ein Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem als Gehörsverstoß gerügten Verfahrensfehler voraus. Dies führt zu einer entsprechenden Begründungspflicht bei der Verfassungsbeschwerde (Beschluss vom 18. März 2010 – VfGBbg 21/09 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die pauschal-abstrakte Behauptung, das Landgericht hätte die Berufung nicht zurückweisen dürfen, wenn es den zu Unrecht als verspätet behandelten Vortrag vom Fehlen des Brandschutzes berücksichtigt hätte, genügt der Begründungspflicht nicht. Die Beschwerdeführer stellen sie in keinen Zusammenhang mit der Urteilsbegründung und leiten aus dieser nicht her, warum die Frage des Brandschutzes die Entscheidung zu ihren Gunsten überhaupt hätte beeinflussen können. Dies anzunehmen, versteht sich in Anbetracht der auf Bestandsschutz abstellenden Argumentation des Landgerichts auch nicht von selbst, nachdem aus dem gesamten Akteninhalt nichts dafür ersichtlich ist, dass die ausgetauschten Fenster feuerbeständig gewesen sein könnten.
2. Im Hinblick auf die landgerichtliche Behandlung des Vortrags zu Brandschutzmängeln und der Verspätungsrüge der Beschwerdeführer steht zudem der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde einer Sachentscheidung entgegen.
a. Der Subsidiaritätsgrundsatz besagt, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten nutzen muss, um die gerügte Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder bereits deren Eintritt zu verhindern (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 24. Januar 2014 – VfGBbg 15/13 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
b. Diesen Anforderungen haben die Beschwerdeführer nicht entsprochen, indem sie es unterlassen haben, beim Amtsgericht bezüglich dessen Urteil vom 26. Februar 2013 einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO zu stellen (vgl. zur Subsidiarität in den Fällen der §§ 319 ff ZPO: Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 23. Juni 1989 - 1 BvR 147/89 -, zitiert nach juris, und vom 6. Oktober 1991 - 2 BvR 458/89 -, NJW 1992, 495).
Das Landgericht hat das (gesamte) Vorbringen der Beschwerdeführer zum fehlenden Fensterbrandschutz als unzulässiges (präkludiertes) neues Angriffsmittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO bewertet. Dies ergibt sich daraus, dass es insoweit als Prüfungsmaßstab den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils herangezogen hat (vgl. zu dieser Vorgehensweise Heßler, in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., § 531 Rn. 21) und dieser einen Vortrag der Beschwerdeführer zum fehlenden Brandschutz der Fenster nicht wiedergibt. Auf dieser Grundlage konnte es den entgegengesetzten Vortrag des Beklagten aus der - als fristgemäß festgestellten - Berufungserwiderung nicht als verspätet ansehen. Diese prozessrechtliche Beurteilung ihres Vorbringens wie das des Beklagten hätten die Beschwerdeführer durch einen erfolgreichen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 320 ZPO abwenden können. § 320 ZPO ermöglicht auch die Beseitigung von Unvollständigkeiten des Tatbestandes („Auslassungen“, vgl. nur Vollkommer, a. a. O., § 320 Rn. 4). Hätte das Amtsgericht auf einen entsprechenden Antrag der Beschwerdeführer den Tatbestand seines Urteils um deren Vortrag zum fehlenden Brandschutz der Fenster ergänzt, so wäre das Landgericht nach seiner Rechtsauffassung gehindert gewesen, diesen als präkludiertes neues Angriffsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO zu bewerten (vgl. hierzu ausführlich Zuck, in: Lechner/Zuck, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 6. Aufl., § 90 Rn. 145c); in diesem Fall hätte das Landgericht auch die auf das Vorbringen zum Brandschutz aus der Berufungserwiderung bezogene Verspätungsrüge der Beschwerdeführer durchgreifen lassen können. Schließlich war es den Beschwerdeführern zumutbar, eine Berichtigung des Tatbestandes zu beantragen. Insbesondere wäre ein solches Vorgehen nicht offensichtlich aussichtslos gewesen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Amtsgericht die Berichtigung mit Blick auf seinen pauschalen und floskelhaften Verweis auf die „gewechselten Schriftsätze“ am Ende des Tatbestandes abgelehnt hätte.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dieltiz | Dresen |
Dr. Lammer | Nitsche |
Partikel | Schmidt |