VerfGBbg, Beschluss vom 15. April 2016 - VfGBbg 1/16 EA -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 7; LV, Art. 8; LV, Art. 52 - SGB II, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 |
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Schlagworte: | Rechtsschutzinteresse | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. April 2016 - VfGBbg 1/16 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 1/16 EA
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
D.,
Antragsteller,
wegen Beschlüsse des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. No-vember 2015 (L 19 AS 2477/15 B ER) und 22. Dezember 2015 (L 19 AS 2979/15 B ER RG)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 15. April 2016
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche und Partikel
beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
A.
I.
Der 1987 geborene Antragsteller, (…) Staatsangehöriger, zog zum 1. März 2015 vom Ausland aus nach Bernau bei Berlin und beantragte für einen früheren, nicht in Rede stehenden Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Gegen die ablehnenden Bescheide des Jobcenters A hat er Klage erhoben. Ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren hatte überwiegend Erfolg.
Der Antragsteller beantragte Mitte August 2015 neuerlich die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Anfang August 2015 bis Ende Februar 2016, die das Jobcenter wiederum ablehnte. Ein Widerspruch blieb erfolglos, über eine Klage ist noch nicht entschieden. Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) verpflichtete das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Antragsteller vorläufig bis zum 28. Februar 2016 Leistungen in Höhe von 351,10 € zu gewähren. Das Landessozialgericht änderte diese Entscheidung am 18. November 2015 und lehnte den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab (L 19 AS 2477/15 B ER). Dem Antragsteller stehe kein Anordnungsanspruch zu, denn die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II lägen vor. Aus zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vom 15. September 2015 - C 67/14 - und vom 11. November 2014 - C 333/13 -) ergebe sich, dass der Zugang zu Leistungen nach dem SGB II für wirtschaftlich inaktive oder arbeitssuchende Unionsbürger in europarechtskonformer Weise beschränkt werden dürfe. Der Antragsteller sei trotz eines Vertrages über eine geringfügige Beschäftigung kein Arbeitnehmer, denn eine tatsächliche und echte Tätigkeit sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es bestünden bereits Zweifel, ob der Antragsteller überhaupt die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Tätigkeit ausübe. Zudem begründe die behauptete geringfügige Tätigkeit keine Arbeitnehmereigenschaft. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht in Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens. Einer Beiladung des örtlichen Sozialhilfeträgers bedürfe es nicht.
II.
Der Antragsteller hat am 4. Januar 2016 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und zugleich Verfassungsbeschwerde erhoben (VfGBbg 1/16). Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde macht er geltend, die Beschlüsse des Landessozialgerichts verstießen gegen Art. 7, 8 und 52 Landesverfassung (LV). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stehe deutschen wie ausländischen Staatsangehörigen, die sich dauerhaft im Inland aufhielten, gleichermaßen zu. Zudem ergäben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Gestaltung des gerichtlichen Eilverfahrens, wenn ohne Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Beeinträchtigungen drohten. Vorliegend habe das Landessozialgericht eine mögliche Grundrechtsverletzung des Antragstellers nicht abschließend geprüft und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung überspannt. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II müsse im Einklang mit völkerrechtlichen Vorschriften angewendet werden. Es sei unzulässig, Unionsbürger von Fürsorgeleistungen auszuschließen, wenn sie Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens seien. Ebenso überspanne das Landessozialgericht den Arbeitnehmerbegriff. Auch dass das Landessozialgericht die für Grundsicherung zuständige Behörde nicht hinzugezogen habe, verstoße gegen Art. 19 GG. Wenn er keinen Anspruch (gegen das Jobcenter) nach dem SGB II habe, dann aber jedenfalls (gegen den Landkreis als Sozialhilfeträger) nach dem SGB XII. Indem das Landessozialgericht von neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen sei, verstoße es gegen Art. 52 LV. Er befinde sich in einer akuten finanziellen Notlage, in der jedenfalls Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen seien. Ein vollständiger Ausschluss der Leistungen verstoße gegen die Menschenwürde.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
dem Jobcenter A im Wege einstweiliger Anordnung bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde aufzugeben, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums zu gewähren.
B.
Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung kommt nicht in Betracht, denn dem Antragsteller fehlt schon das dafür notwendige Rechtsschutzbedürfnis.
Ausgehend von dem Ziel des Antragstellers, im Wege einstweiliger Anordnung vorübergehend bis zum Ergehen einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums zu erhalten, bedarf er nur dann verfassungsgerichtlicher Hilfe, wenn er dieses Ziel nicht auf einem anderen, einfacheren Weg erreichen kann (vgl. Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 20/15 EA -, m. w. Nachw., www.verfassungsgericht.brandenburg.de.). Das ist vorliegend der Fall. Der Antragsteller kann einen nicht von Anfang an aussichtslosen Leistungsantrag beim örtlichen Träger der Sozialhilfe stellen, um Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums zu erhalten.
Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller, der bislang erfolglos Leistungen nach dem SGB II begehrt hat, jedenfalls einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII haben kann. Nach der auch vom Antragsteller herangezogenen neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 15/14 R -, juris) hindert der Ausschluss von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG nicht die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe, über die das Landessozialgericht in den gerügten Entscheidungen gerade nicht mitentschieden hat. Insofern ist es Sache des Antragstellers, entsprechende Leistungen beim Sozialhilfeträger zu beantragen. Dies hat er bisher nicht getan. Einer vorübergehenden Regelung durch eine einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts bedarf es daher nicht. Das Verfassungsgericht kann nicht im Wege der einstweiligen Anordnung eine Entscheidung der bislang nicht mit der Angelegenheit befassten Fachbehörde ersetzen.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |