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VerfGBbg, Beschluss vom 13. August 2020 - VfGBbg 14/20 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 5 Abs. 3; LV, Art. 8 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 1
Schlagworte: - Coronavirus
- COVID-19
- Pandemie
- Schule
- Regelschulbetrieb
- Präsenzunterricht
- Präsenzpflicht
- Mindestabstand
- Beschwerdebefugnis
- Juristische Person
- Grundrechtsträger
- Keine Prozessstandschaft
- Leben und körperliche Unversehrtheit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 13. August 2020 - VfGBbg 14/20 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 14/20 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 64/20
VfGBbg 14/20 EA

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

Kreisrat der Schülerinnen und Schüler im Landkreis Havelland
-Erweiterter Vorstand-
kommissarischer Sprecher,

Beschwerdeführer,

wegen            Präsenzpflicht und Abstandsregeln im Schulbetrieb

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 13. August 2020

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer ist eine Interessenvertretung der Schülerinnen und Schüler in einem brandenburgischen Landkreis. Er wendet sich gegen die Wiederaufnahme des Regelschulbetriebs nach den Sommerferien 2020, welche in einem Rundschreiben des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) angekündigt wird. Unter anderem soll danach der verpflichtende Mindestabstand zwischen Schülern entfallen. Von der Präsenzpflicht befreit werden nur Schülerinnen und Schüler, für welche ein ärztliches Attest bestätigt, dass sie oder eine in ihrem Haushalt lebende Personen einer Risikogruppe zugehörig ist, sofern die Erziehungsberechtigten sich für ein Fernbleiben vom Präsenzschulbesuch entscheiden.

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Wiederaufnahme des Schulbetriebs verletze das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aller Schülerinnen und Schüler des Landkreises, deren Interessen er vertrete. Auch stehe das Grundrecht dem Beschwerdeführer gemäß Art. 5 Abs. 3 LV als juristische Person zu. Der Rechtsweg sei nicht zu erschöpfen, da die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung für alle Schülerinnen und Schüler des Landes sei und schwere gesundheitliche Nachteile für bestimmte Grundrechtsträger eintreten könnten.

Trotz derzeit relativ niedriger Infektionszahlen sei davon auszugehen, dass sich im Schulbetrieb Schüler mit dem Coronavirus ansteckten, schon wegen der gleichzeitigen Anwesenheit vieler Personen über mehrere Stunden auf relativ engem Raum. Fernunterricht stelle eine mildere Alternative zu der Präsenzverpflichtung in Schulen dar. Eine Infektion könne auch bei nicht der Risikogruppe zugehörigen Personen schwer oder tödlich verlaufen; eine Ungleichbehandlung der beiden Gruppen entgegen Art. 12 Abs. 1 LV sei nicht allein dadurch gerechtfertigt, dass das Risiko eines schweren Erkrankungsverlaufs bei der einen Gruppe höher sei.

Der Beschwerdeführer beantragt, auch im Wege einstweiliger Anordnung,

das MBJS Brandenburg bis zur Zulassung eines Gegenmittels oder Impfstoffes mit hinreichender Wirksamkeit zu verpflichten,
1. die Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht, außer für Prüfungen, Klausuren und Klassenarbeiten, auszusetzen und unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe die Entscheidung hierüber den Schülern bzw. deren Eltern zu überlassen;
2. für der Schule fernbleibende Schüler verpflichtenden Fernunterricht anzubieten, sowie
3. die Abstandsregelungen für alle Schulangehörigen wieder in Kraft zu setzen.

Die Landesregierung hat zum Verfahren Stellung genommen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

Der Beschwerdeführer ist nicht beschwerdebefugt. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), § 45 Abs. 1 VerfGGBbg kann jeder mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Brandenburg in einem in der Verfassung gewährleisteten Grundrecht verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgericht erheben. Die Beschwerdebefugnis setzt die Möglichkeit voraus, selbst, unmittelbar und gegenwärtig in einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition beeinträchtigt zu sein. Damit ist eine Prozessstandschaft, d. h. die Möglichkeit, die Verletzung von Grundrechten eines Dritten im eigenen Namen geltend zu machen, im Verfassungsbeschwer­de­verfahren ausgeschlossen (Beschluss vom 15. November 2019 ‌‑ VfGBbg 17/19 ‑,‌ https://ver­fas­sungs­gericht.brandenburg.de). Der Beschwerdeführer kann deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen, die Grundrechte von Schülern und Schülerinnen des Landkreises Havelland vor dem Verfassungsgericht für diese geltend zu machen. Eine Klageerhebung im Wege der Verfassungsbeschwerde käme - nach Erschöpfung des Rechtswegs -  nur für individuelle Rechtsträger in Betracht.

Auch kann der Beschwerdeführer nicht selbst Träger der geltend gemachten Grundrechte sein. Unabhängig von der Frage, ob es sich beim Beschwerdeführer, dem Kreisrat der Schülerinnen und Schüler im Landkreis Havelland, tatsächlich um eine juristische Person im Rechtssinn handelt und ob eine auch nach den Regeln der Geschäftsfähigkeit wirksame Vertretung durch den „kommissarischen Sprecher“ vorliegt, ist jedenfalls das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 8 Abs. 1 LV) entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht gemäß Art. 5 Abs. 3 LV entsprechend auf juristische Personen anzuwenden (vgl. zu Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz z. B. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 ‌‑ IV C 51/75 ‑,‌ NJW 1978, 554, 555; Lang, in: BeckOK GG, 43. Ed. 15. Mai 2020, Art. 2 Rn. 64aa). Dieses Grundrecht ist gerade auf die menschliche Natur und den menschlichen Körper zugeschnitten.

C.

Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Becker

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Dr. Lammer

Sokoll

Dr. Strauß