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VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 20/15 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 47 Abs. 2
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 47 Abs. 1 Satz 1
- EGZPO, § 26 Nr. 8
- ZPO, § 321a
Schlagworte: - Anhörungsrügeverfahren
- Zwangsräumung
- Rechtsschutzbedürfnis
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 20/15 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 20/15 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

K,

Antragsteller,

wegen            Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 20. November 2014 (3 C 68/14) und Urteil des Landgerichts Potsdam vom 5. August 2015 (4 S 22/15)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 11. Dezember 2015

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

Der Antrag wird verworfen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgewiesen.

 

Gründe:

 

A.

 

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Zwangsvollstreckung.

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die für den 15. Dezember 2015 anberaumte Zwangsräumung des von ihm bewohnten Hauses. Er macht geltend, er sei aufgrund eines unter Zeugen mündlich geschlossenen, nach wie vor gültigen Mietvertrages, auf den er den vereinbarten Mietzins gezahlt habe, zur Nutzung des Hauses berechtigt. Auf eine gegen ihn gerichtete Räumungsklage habe er hierfür im gerichtlichen Verfahren Zeugenbeweis angeboten und Bankbelege für die Mietzahlungen vorgelegt. Dies sei aber ebenso wenig zur Kenntnis genommen worden, wie der Mietvertrag selbst erörtert worden sei. Hierdurch werde er in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt. Die Zwangsräumung werde für ihn zur Obdachlosigkeit führen, da er keinen neuen Wohnraum gefunden habe. Ein zu seinen Gunsten bestehendes, ihm einen faktischen Mietvertrag zusicherndes Urteil des Sozialgerichts Potsdam aus Mai 2015 werde nicht beachtet. Hierdurch würden seine Grundrechte auf Leib, Leben und Eigentum, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt (Art. 1 Abs.1 Grundgesetz (GG), Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 GG).

 

Mit Urteil vom 20. November 2014 (3 C 68/14) verurteilte das Amtsgericht den Antragsteller zur Räumung und Herausgabe des von ihm bewohnten Einfamilienhauses an den Kläger des Ausgangsverfahrens. Zur Begründung führte es aus, zwischen dem Antragsteller und dem Kläger sei im Juli 2012 ein schriftlicher Vorvertrag über den Kauf des Hauses geschlossen worden, der eine Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung des Kaufpreises bis spätestens Mai 2013 und ein Recht zur Nutzung des Hauses bis dahin gegen Entrichtung eines monatlichen Mietzinses beinhaltet habe. Nach nicht beigelegten Unstimmigkeiten über die Grundstücksgrenze habe der Kläger als Eigentümer von dem Antragsteller als dem Besitzer auf Grundlage des § 985 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu Recht die Herausgabe des Grundstücks verlangt; ein wirksam geschlossener Mietvertrag stehe dem nicht entgegen. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung zur mietvertraglichen Überlassung des Grundstücks sei als Teil des so bezeichneten Vorvertrages zu einem Grundstückskauf gemäß § 311b Abs. 1 BGB, § 125 BGB mit der Folge der Nichtigkeit formunwirksam. Bei gemischten oder zusammengesetzten Verträgen erstrecke sich der Formzwang auf den gesamten Vertrag, sofern dieser eine Einheit bilde. Dies sei vorliegend der Fall, da die Vereinbarungen nach dem Willen der Parteien miteinander „stehen oder fallen“ sollten. Eine solche rechtliche Einheit, bestehe, da die mietvertragliche Überlassung lediglich aufgrund der von den Parteien beabsichtigten Grundstückseigentumsübertragung gewollt gewesen sei. Folge des Formmangels sei die Nichtigkeit der Vereinbarung, so dass der Antragsteller aus ihr keine Rechte herleiten könne. Für einen auf anderer Grundlage geschlossenen Mietvertrag sei von dem Beschwerdeführer nichts substantiiert vorgetragen worden.

 

Die Berufung wies das Landgericht mit Urteil vom 5. August 2015 (4 S 22/15) zurück. Zur Begründung führte es aus, dem Antragsteller stehe mangels formgültigen Vertrages kein Recht zum Besitz nach § 986 BGB zu, das er dem Herausgabeanspruch des Eigentümers nach § 985 BGB entgegensetzen könne. Der geschlossene Vorvertrag habe hinreichend bestimmt die Inhalte des künftigen Kaufvertrages festgelegt und sei damit dem Formbedürfnis des § 311b Abs. 1 BGB unterfallen. Eine notarielle Beurkundung sei aber nicht erfolgt. Gemäß § 139 BGB werde bei einer Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen sei, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Dies sei vorliegend anzunehmen, da der Immobilienkaufvertrag und die Nutzungsabrede nach dem Parteiwillen hätten voneinander abhängen sollen; dies zeige insbesondere die zeitlich auf den Termin der Kaufpreiszahlung befristete Nutzungsberechtigung des Antragstellers. Zu einer unbedingten Nutzung habe der Antragsteller demgegenüber gerade nicht berechtigt sein sollen. Da es nicht zu dem Verkauf gekommen sei, sei auch die Grundlage für das Nutzungsverhältnis entfallen. Eine Bestätigung des Nutzungsverhältnisses nach § 141 BGB scheide mangels substantiiert vorgetragenen Bestätigungswillens der Parteien ebenso aus wie die Annahme der Begründung eines mündlich geschlossenen Mietvertrages. Aus dem Vortrag des Antragstellers habe sich nicht ergeben, dass sich die Parteien über die erforderlichen Mindestinhalte eines Mietvertrages geeinigt hätten, etwa die Kostentragungspflicht für Nebenkosten, die Dauer des Mietverhältnisses, Instandsetzungs- und Verkehrssicherungspflichten. Daher sei auch die Durchführung einer Beweisaufnahme nicht geboten.

 

Der Antragsteller hat schließlich ein Protokoll einer Sitzung des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Mai 2015 (S 47 AS 701/15 ER) zu einem zwischen ihm und dem Jobcenter Teltow-Fläming geführten Rechtsstreit zu den Kosten der Unterkunft vorgelegt, in dem das Jobcenter ein Anerkenntnis zur Gewährung von Unterkunftskosten abgab, nachdem die Kammervorsitzende darauf hingewiesen hatte, der Antragsteller zahle jedenfalls für ein „sog. faktisches Mietverhältnis“ eine Nutzungsentschädigung, und dahingestellt gelassen hatte, ob ein Mietvertrag tatsächlich abgeschlossen worden sei.

II.

 

Der Antragsteller hat am 8. Dezember 2015 den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt, Verfassungsbeschwerde erhoben (VfGBbg 88/15) und Prozesskostenhilfe beantragt.

 

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

 

die Vollstreckung einstweilen bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts über seine Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

 

B.

I.

 

Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kommt nicht in Betracht, da die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde (VfGBbg 88/15) unzulässig ist (vgl. Beschluss vom 23. Mai 2014 - VfGBbg 6/14 EA -) und die  Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) auch im Übrigen nicht gegeben sind.

 

1. Die in der Hauptsache am 8. Dezember 2015 erhobene Verfassungsbeschwerde ist bereits verfristet. Das Berufungsurteil des Landgerichts erging am 5. August 2015, so dass die Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 Satz 1 VerfGGBbg nicht eingehalten wird. Soweit sich der Antragsteller daher gegen die gerichtlichen Entscheidungen und nicht gegen das Verfahren der Zwangsvollstreckung selbst wendet, ist er mit diesem Vortrag auch im Verfahren nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausgeschlossen.

 

2. Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ergibt sich darüber hinaus auch aus dem Grundsatz der Subsidiarität. Hiernach muss der Beschwerdeführer über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne - die vorliegend wegen der vom Landgericht nicht zugelassenen Revision und des Nichterreichens der in § 26 Nr. 8 Einführungsgesetz-Zivilprozessordnung (EGZPO) vorgesehenen Streitwertgrenze nicht zweifelhaft ist -  hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der behaupteten Grundrechtsverletzung ergreifen (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. September 2014 - VfGBbg 18/14 - und vom  15. Mai 2014 - VfGBbg 61/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Anhörungsrüge gehört zum Rechtsweg im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (auch) die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ist. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Antragsteller eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend: Die Fachgerichte hätten den von ihm angebotenen Zeugenbeweis zum Vorliegen eines mündlich geschlossenen Mietvertrages übergangen.

 

Ein Gehörsverstoß ist regelmäßig im Wege der Anhörungsrüge zur fachgerichtlichen Überprüfung zu stellen, bevor Verfassungsbeschwerde erhoben wird (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 17. April 2015 - VfGBbg 56/14 -; Beschluss vom 29. August 2014 - VfGBbg 1/14 -). Dem Antragsteller stand diesbezüglich die Möglichkeit offen, Anhörungsrüge nach § 321a Zivilprozessordnung (ZPO) zu erheben. Die Erschöpfung des Rechtswegs war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich bzw. unzumutbar. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass die Erhebung der Anhörungsrüge offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung des Antragstellers das Landgericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts veranlasst und im Ergebnis zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Beschlüsse vom 16. Januar 2015 - VerfGBbg 29/14, - vom 21. März 2014 - VfGBbg 43/13 - und vom 6. Juli 2012 - VerfGBbg 30/12 -).

 

3. Soweit der Antragsteller befürchtet, durch die Zwangsräumung obdachlos zu werden, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Denn die Landesverfassung, insbesondere Art. 47 Abs. 2 LV, begründet lediglich einen Anspruch darauf, dass ordnungsbehördlicherseits für eine den Umständen nach angemessene anderweitige Unterbringung Sorge getragen werden muss. Dass der Antragsteller sich bereits an die Ordnungsbehörde gewandt hat, ist aber nicht vorgetragen.

 

4. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg sind aber auch in der Sache nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

 

Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - VfGBbg 17/15 EA-, vom 24. Februar 2015 - VfGBbg 3/15 EA -, vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -, vom 06. Juli 2012 - VfGBbg 5/12 EA -, vom  20. Mai 2010 - VfGBbg 9/10 EA - und vom 30. September 2010 - VfGBbg 8/10 EA -, www.verfassungsgericht.branden-burg.de).

 

Hierüber hinaus muss, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl“ und „dringend geboten“ sein (vgl. Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - VfGBbg 17/15 EA -, vom 24. Februar 2015 - VfGBbg 3/15 EA -, vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -, vom 06. Juli 2012 - VfGBbg 5/12 EA -, vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 1/03 EA - sowie Urteil vom 4. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 112 f m. w. Nachw.).

 

Danach kommt der Erlass der begehrten  einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Es kann vorliegend offen bleiben, ob dem Antragsteller durch die Zwangsräumung ein derart schwerer, irreversibler, die auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gerichteten Interessen des die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers an einem Abschluss  des Verfahrens deutlich übersteigender Nachteil entsteht. Jedenfalls sind Auswirkungen auf das „gemeine Wohl“, die abzuwenden „dringend geboten“ wären, bei dieser Einzelfallentscheidung weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es geht dem Antragsteller vielmehr allein um eine in seinem Individualinteresse liegende Aussetzung einer zivilrechtlichen Vollstreckungsmaßnahme.

 

II.

 

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht ebenfalls zurückzuweisen.

 

III.

Der Beschluss ist entsprechend § 30 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt