Toolbar-Menü
Hauptmenü

Jahresbericht 2010

Bericht über die Arbeit des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg im Jahre 2010[1]

- Erschienen am 25.01.2011

I.

Allgemeines

Die Arbeit des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg im 17. Jahr seines Bestehens war von einer weitgehenden Konsolidierung der im Vorjahr eingetretenen personellen Veränderungen geprägt. Allerdings konnte die Richterstelle des im November 2009 in die Landesregierung gewechselten Dr. Schöneburg erst in der letzten Sitzung des Landtages am 17. Dezember 2010 wieder besetzt werden, so dass das Verfassungsgericht seine Tätigkeit im Berichtszeitraum mit einer Besetzung von acht statt, wie in § 2 Abs. 1 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) vorgesehen, neun Richtern auszuüben hatte. Mit der Wahl des Strafverteidigers Dr. Lammer ist das Verfassungsgericht nunmehr mit 6 Berufsrichtern, zwei pensionierten Bundesrichtern und einem Rechtsanwalt besetzt.

 

Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts werden, soweit von inhaltlicher Relevanz, wie auch in den Vorjahren weiterhin im Internet unter der bekannten Adresse www.verfassungsgericht.­branden­burg.­de veröffentlicht und können von dort von jedermann kostenfrei abgerufen werden. Derzeit umfasst die Datenbank etwa 780 Entscheidungen des Verfassungsgerichts in anonymisierter Form. Eine Auswahl der Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Jahres 2008 findet sich zudem in dem im Jahr 2010 erschienenen 19. Band der Entscheidungssammlung der Verfassungsgerichte der Länder, die fortlaufend die wichtigsten Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg sowie elf weiterer Landesverfassungsgerichte dokumentiert[2].

II.

Statistik

Insgesamt sind im Jahr 2010 88 Verfahren eingegangen und 75 Verfahren erledigt worden. In Hauptsacheverfahren ist damit ein Anstieg der Eingänge um 16,6 % auf 63 zu verzeichnen. Deutlicher stieg die Zahl der Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die mit 25 die in den Vorjahren erreichten Eingangszahlen um mehr als das doppelte überschreitet.

Die überwiegende Zahl der Eingänge des Jahres 2010 entfiel erneut auf Individualverfassungsbeschwerden. Davon gingen 60 Hauptsacheverfahren und 25 Eilverfahren ein; erledigt wurden 46 Hauptsacheverfahren und 25 Eilverfahren. Die Verfahrensdauer war mit durchschnittlich 4,0 Monaten in den Hauptsachverfahren und 2,8 Monaten in den Eilverfahren nach wie vor gering.

Von den zwei im Jahr 2009 eingegangenen Kommunalverfassungsbeschwerden konnte ein Verfahren im Berichtszeitraum abgeschlossen werden; die im anderen Verfahren anberaumte mündlichen Verhandlung musste aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben und in das Jahr 2011 verschoben werden. Insgesamt betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer bei kommunalen Verfassungsbeschwerden im Berichtszeitraum 18,7 Monate. Neu eingegangen sind im Jahr 2010 zwei Wahlprüfungsbeschwerden, die mit einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 2 Monaten abgeschlossen werden konnten. Im Jahr 2010 war noch ein Organstreitverfahren anhängig, das nach einer Verfahrensdauer von 11,5 Monaten beendet wurde.

Derzeit sind – neben einer größeren Anzahl von Individualverfassungsbeschwerden – noch eine Kommunalverfassungsbeschwerde  und ein im Jahr 2010 neu eingegangenes konkretes Normenkontrollverfahren anhängig, die im Jahr 2011 zu entscheiden sein werden. Insofern ist zu erwarten, dass die hohe Belastung des Gerichts im Jahr 2010 anhalten wird.

 

III.

Thematische Schwerpunkte

1. Von inhaltlichem Gewicht war eine der kommunalen Verfassungsbeschwerden, bei der sich das Verfassungsgericht unter anderem mit dem Recht auf kommunale und funktionale Selbstverwaltung zu befassen hatte.

Nicht erfolgreich war insoweit die kommunale Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde, mit der sie sich gegen § 2a Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 sowie § 2 a Abs. 4 Satz 3 des Gesetzes über die Bildung von Gewässerunterhaltungsverbänden wandte.[3] Die Gemeinde sah sich durch die angegriffenen Vorschriften, die die Bildung von Verbandsbeiräten für die Interessenvertretungen der betroffenen Bauern, Fischer, Wald- und Grundbesitzer vorsehen, in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung gem. Art. 97 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verletzt. Das Verfassungsgericht verwarf die Verfassungsbeschwerde, weil es an der in Art. 100 LV, § 51 Abs. 1 VerfGGBbg vorausgesetzten Beschwerdebefugnis fehle. Der Schutzbereich kommunaler Selbstveraltung sei nicht verletzt, weil die Gewässerunterhaltung den Gewässerunterhaltungsverbänden übertragen und damit der funktionalen Selbstverwaltung zuzuordnen sei. Diese stelle einen Bereich außerhalb der kommunalen Selbstverwaltung dar, indem öffentlicher Aufgaben unter Beteiligung der sachnah Betroffenen durch verselbständigte Selbstverwaltungseinheiten erfüllt würden. Auch die Finanzhoheit der Gemeinden sei nicht betroffen. Die Gemeinde sei zwar durch ihre Verpflichtung zur Zahlung eines Betrages an den Gewässerunterhaltungsverband mit der Vorfinanzierung der Gewässerunterhaltung belastet, könne diesen Beitrag aber durch Erhebung einer Gewässerunterhaltungsumlage auf die Grundstückseigentümer abwälzen. Dass sich die auf sie entfallenden Kosten durch die Bildung des vorgenannten Beirates erhöhten, sei nicht nachvollziehbar dargestellt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz gemeindefreundlichen Verhaltens bzw. das Demokratieprinzip sei außerhalb eines Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung nicht geltend zu machen.

2. Nicht erfolgreich waren ebenfalls die im Berichtszeitraum eingegangenen Wahlprüfungsbeschwerden, die sich gegen das Ergebnis der Wahl zum 5. Landtag Brandenburg vom 27. September 2009 richteten. Diese stützten sich u.a. auf Stimmennachzählungen in einigen Wahllokalen, die zu nachträglichen Korrekturen des Wahlergebnisses in einzelnen Städten geführt hatten. Des weiteren wurde beanstandet, dass die Stimmzettel in einigen Wahllokalen gefaltet an die Wähler herausgegeben worden seien, so dass nicht die Namen aller Parteien auf den ersten Blick sichtbar gewesen seien.[4]  Das Verfassungsgericht verwarf die Beschwerde als unzulässig, weil ein Wahlfehler, der Einfluss auf die Mandatsverteilung haben könnte, nicht dargetan sei. Einzelne Korrekturen des Wahlergebnisses liessen nicht die Vermutung zu, es sei insgesamt zu Fehlern bei der Stimmauszählung gekommen. Die Faltung der Wahlzettel vor Herausgabe an den Wähler sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. Das noch im Jahr 2009 eingegangene Organstreitverfahren, mit dem die Fraktion DIE LINKE begehrte, einen Verstoß der Landesregierung gegen den Informationsanspruch des Landtages gem. Art. 94 Satz 2 LV festzustellen, wurde durch Antragsrücknahme beendet. Die Antagstellerin hatte gerügt, dass die Landesregierung den Landtag nicht frühzeitig und vollständig über ihre Mitwirkung im Bundesrat hinsichtlich der Grundgesetzänderung unterrichtet habe, mit der insbesondere die sog. Schuldenbremse normiert wurde. In der Folge kam es zu einer Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung über die Unterrichtung des Landtages nach Artikel 94 LV.[5]

4. Die im Berichtszeitraum entschiedenen Individualverfassungsbeschwerden hatten nur in geringerem Umfang Erfolg.

a. Zu den erfolgreichen Verfahren gehörte eine Verfassungsbeschwerde gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung, mit der einem nicht am Strafverfahren beteiligten Dritten Einsicht in die Strafakten des Beschwerdeführers gewährt worden war.[6] Das Verfassungsgericht stellte einen Verstoß gegen Art. 11 LV fest. Die Gewährung von Akteneinsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten stelle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung desjenigen dar, dessen personenbezogene Daten auf diesem Weg zugänglich gemacht würden. Die die Akteneinsicht gewährende Stelle habe daher auf der Basis einer zureichenden Sachaufklärung die schutzwürdigen Interessen dieser Personen gegen das Informationsinteresse abzuwägen und den Zugang zu den Daten, soweit erforderlich, zu versagen oder angemessen zu beschränken. Diesen Anforderungen sei das Amtsgericht nicht nachgekommen.

b. Erfolgreich war auch eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die vorläufige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bezüglich zweier Kinder richtete, die durch das Brandenburgische Oberlandesgericht bestätigt worden war.[7] Das Verfassungsgericht stellte eine Verstoß gegen Art. 27 Abs. 2 LV fest, weil die Entscheidung ohne Bestellung eines Verfahrensbeistands für die Kinder getroffen worden war. Es führte aus, nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung beeinflussten die Grundrechte nicht nur das materielle, sondern auch das Verfahrensrecht, soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung sei. Der Grundrechtsschutz des Kindes und sein Anspruch auf rechtliches Gehör forderten eine Verfahrensgestaltung, die eine von Verfälschungen seitens Dritter unbeeinflusste Wahrnehmung der Kindesbelange sicherstelle. Diese stehe insbesondere in Verfahren in Frage, in denen es um die Zuordnung eines Kindes zur Familie gehe, da das Kind in diesen Fällen oft in einen Loyalitätskonflikt zu den Eltern gerate. In einem solchen Fall werde einem Kind, dessen Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung der Verfahrensrechte nicht erlaubten, durch einen Verfahrensbeistand die Möglichkeit eingeräumt, seine eigenen Interessen geltend zu machen.

c. Der Mehrheit der eingereichten Verfassungsbeschwerden blieb der Erfolg aus formalen Gründen versagt. Insbesondere der Grundsatz der Nachrangigkeit (Subsidiarität) der Verfassungsbeschwerde findet nach wie vor nicht ausreichend Beachtung. Ein Beschwerdeführer, der sich als Opfer einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung sah, hatte sich beispielsweise mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Freispruch eines der mutmaßlichen Täter gewandt. Da er sich zuvor der Anklage aber nicht gem. § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO angeschlossen und sich damit der Möglichkeit begeben hatte, als Nebenkläger gegen das fachgerichtliche Urteil Rechtsmittel einzulegen, hatte er nicht alle nach Lage der Sache verfügbaren prozessualen Möglichkeiten ergriffen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem sachnächsten Verfahren zu verhindern.  Die Verfassungsbeschwerde wurde deshalb als unzulässig verworfen.[8]

Ohne Erfolg müssen regelmäßig Verfassungsbeschwerden bleiben, die vor Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs eingelegt werden. Das Verfassungsgericht lehnte in diesem Zusammenhang  eine Aussetzung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens bis zur abschließenden Entscheidung im fachgerichtlichen Rechtsweg ab und verneinte auch die Möglichkeit einer Heilung, sofern der Rechtsweg im Laufe des verfassungsrechtlichen Verfahrens noch erschöpft würde.[9]

Aus prozessualen Gründen wurde außerdem eine Verfassungsbeschwerde verworfen, die ein ehemaliger Rechtsanwalt namens eines Dritten eingelegt hatte. Das Verfassungsgericht urteilte, jener könne nicht Verfahrensbevollmächtigter im Sinne des § 19 Abs. 1 VerfGGBbg sein, weil dies eine Zulassung nach § 12 Bundesrechtsanwaltsordnung voraussetze. Diese Regelung sei abschließend, so dass § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 2. Alt. ZPO, wonach im Parteiprozess Personen mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigte vertretungsbefugt sind, nicht gem. § 13 Abs. 1 VerfGGBbg heranzuziehen sei. Die Voraussetzungen für eine Zulassung als Beistand im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 1 VerfGGBbg, wie sie im Beschluss  vom 16. Juli 2009  - VfGBbg 3/09 - aufgestellt worden sind, lagen nach der Wertung des Verfassungsgerichts in diesem Fall nicht vor.[10] 

Schließlich gab die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschlagnahmebeschluss Anlass zu Ausführungen zum Beginn der zweimonatigen Beschwerdefrist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg. In diesem Fall konnte der Zeitpunkt, zu dem die angefochtene Entscheidung der Beschwerdeführerin zugegangen war, nicht festgestellt werden, weil die Entscheidung formlos übersandt worden war. Das Verfassungsgericht urteilte, in solchen Fällen laufe die Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg beginnend mit dem dritten Werktag nach der Aufgabe der Entscheidung zur Post, es sei denn, der Beschwerdeführer mache glaubhaft, dass sie ihm nicht oder erst in einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei.[11]

d. In der Entscheidung vom 16. Dezember 2010 hatte das Verfassungsgericht schließlich Gelegenheit, zu seiner Prüfungskompetenz Stellung zu nehmen.[12] Der Beschwerdeführer wandte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Heranziehung zu den Kosten der Gewässerunterhaltung auf der Grundlage eines undifferenzierten Flächenmaßstabs. Die Gewässerunterhaltung war im maßgeblichen Zeitpunkt u.a. in § 29 Wasserhaushaltsgesetz in den bis zum 20. August 2002 bzw. 28. Februar 2010 geltend Fassungen vom 12. November 1996[13] bzw. 19. August 2002[14] geregelt. Das Verfassungsgericht stellte fest, dass die bundesrahmenrechtliche Prägung des Systems der Gewässerunterhaltung der umfassenden Prüfungskompetenz des Landesverfassungsgerichts nicht entgegenstehe. Über die bislang im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgeführte Überprüfung der Anwendung formellen und materiellen Bundesrechts durch Gerichte des Landes am Maßstab von Landesverfahrensgrundrechten hinaus sieht sich das Gericht auch zur Kontrolle etwaiger Verletzungen materieller Landesgrundrechte berufen. Eine Beschränkung der Prüfungskompetenz auf Landesverfahrensgrundrechte folge insbesondere nicht aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Bundesrechts, weil die Prüfungsbefugnis der Landesverfassungsgerichte an die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 15. Oktober 1997[15] aufgestellten Voraussetzungen geknüpft werde. Dem Bedürfnis nach Rechtseinheitlichkeit werde mit dem sich daraus ergebenden Erfordernis der Inhaltsgleichheit von grundrechtlichen Gewährleistungen im Grundgesetz einerseits und denen der Landesverfassung andererseits Rechnung getragen. Die Entscheidungskompetenz der Landesverfassungsgerichte sei auf die Fälle beschränkt, in denen bei Ausschöpfung des Rechtswegs Bundesgerichte nicht befasst gewesen seien, damit bleibe die Möglichkeit unterschiedlicher Auslegung von Bundesrecht durch Landesgerichte in dem im Bundesverfahrensrecht angelegen Rahmen, der eine Überprüfung landesgerichtlicher Rechtsprechung durch ein Bundesgericht nicht in jedem Fall vorsehe.

Im Ergebnis blieb die Verfassungsbeschwerde jedoch ohne Erfolg; das Verfassungsgericht stellte insbesondere keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 12 LV fest. Da die zu unterhaltenden Gewässer das auf alle Flächen eines Einzugsgebietes gleichmäßig fallende Niederschlagswasser abzuführen hätten, trage bei typisierender Betrachtung jedes Grundstück allein infolge seiner Lage im Einzugsgebiet dazu bei, dass Gewässer unterhalten werden müssten. Ob der Gesetzgeber bei der Verteilung von Lasten die gerechteste Lösung gefunden habe, unterliege nicht der verfassungsrechtlichen Prüfung, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten habe. Dies sei der Fall. Die Eigentümer von Grundstücken eines Verbandsgebietes bildeten eine Solidargemeinschaft der Gewässerunterhaltung; alle Grundstücke in einem Wassereinzugsgebiet seien bezogen auf die Gewässerunterhaltung wegen ihrer Beteiligung am natürlichen Wasserhaushalt in ein komplexes Wirkungsgefüge einbezogen. Dass die Eigentümer der Gewässer 1. Ordnung nicht für die Unterhaltung für die Gewässer 2. Ordnung herangezogen werden, begründe ebenso wenig einen Verstoß gegen Art. 12 LV wie die Tatsache, dass die Gewässerunterhaltung in anderen Ländern teilweise anders organisiert sei als im Land Brandenburg. Auch eine Verletzung des in Art. 10 LV garantierten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip des Art. 2 Abs. 1 und 2 LV sei nicht feststellbar. Insbesondere sei ein Verstoß nicht darin zu sehen, dass die zur Beitragsumlage verpflichteten Grundstückseigentümer nicht an der Willensbildung innerhalb des Verbandes beteiligt seien. Nicht jede in Ausübung staatlicher Herrschaft ergangene Einzelmaßnahme müsse durch die jeweils Betroffenen demokratisch legitimiert sein. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zum Bestreben der Verfassung des Landes Brandenburg, das Recht des Bürgers auf politische Mitgestaltung durch Aufnahme plebiszitärer Elemente zu stärken. Auch an der demokratischen Legitimation der Verbände bestehe kein Zweifel.

IV.

Ausblick

1.Im Jahr 2011 steht wieder eine größere Anzahl von Individualverfassungsbeschwerden, die vielfältige Rechtsfragen betreffen, zur Entscheidung an. Dazu gehören unter anderem mehrere Verfahren aus dem familienrechtlichen Umfeld. Besonderes Interesse wird das Verfahren hervorrufen, in dem es im Kern um das rechtmäßige Zustandekommen der in den letzten Tagen vor der Wende erlassenen Verordnungen der DDR zur Gründung von Biosphärenreservaten und Naturschutzgebieten auf dem Gebiet der neuen Länder geht.[16] In einem weiteren Verfahren steht die Frage im Mittelpunkt, ob Änderungen eines Flächennutzungsplanes mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können.[17] Schließlich wird über eine Kommunalverfassungsbeschwerde zu entscheiden sein, welche die Verfassungsmäßigkeit des § 32 Abs. 1 Satz 3 Kommunalverfassung Brandenburg betrifft.[18] Durch diese Norm ist mit der Inkrafttreten der Kommunalverfassung im Jahre 2008[19] die Fraktionsmindeststärke in kreisfreien Städten und Landkreisen von zwei auf vier Mitglieder heraufgesetzt worden. Die Beschwerdeführerin sieht darin einen Eingriff in ihre durch das Recht auf kommunale Selbstverwaltung garantierte Organisationshoheit sowie einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip. In einem konkreten Normenkontrollverfahren wird sich das Gericht mit der Verfassungsmäßigkeit des § 40 Brandenburgisches Wassergesetz in der Fassung bis zum 29. April 2008[20] zu befassen haben, der die Erhebung bzw. Befreiung von Wassernutzungsentgelten betrifft.[21] Insoweit sind Bedenken im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes und den Gleichheitssatz erhoben worden.

2. Das Verfassungsgericht hat am Wettbewerb „Kunst am Bau“ teilgenommen, aus dem im Jahr 2010 der Beitrag „Höhere Instanzen“ des Berliner Künstlers Roland Fuhrmann als Sieger hervorgegangen ist. Inspiriert von Friedrich Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ gestaltete der Künstler Schwärme von Kranichen aus spiegelpoliertem Edelstahl, die nach seinem Entwurf an verschiedenen Stellen des Potsdamer Justizzentrums und so auch im Foyer des Landesverfassungsgerichts von der Decke hängen werden. Der Kranich als Zugvogel steht nach Deutung des Künstlers für grenzenlose Freiheit, in der spiegelnden Unterseite des Vogelschwarms erkenne sich der Betrachter selbst und werde von den Kranichen des Ibykus auf sein reines Gewissen befragt. Damit wird sich die im Vorbericht in Aussicht genommene Aufwertung des baulichen Rahmens der Rechtsprechungstätigkeit des Landesverfassungsgerichts Brandenburg im Laufe des Jahres 2011 realisieren.

 


[1] vgl. zum Vorjahreszeitraum den Bericht in LKV 2010, 118 ff.

[2] Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen (LVerfGE), herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte, erschienen im de Gruyter Verlag. Der Band dokumentiert den Entscheidungszeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2008.

[3] Beschluss vom 19. August 2010 -  VfGBbg 4/09 –, www.verfassungsgericht.­brandenburg.de.

[4] Beschluss vom 19. August 2010 - VfGBbg 25/10 –, www.verfassungsgericht.­brandenburg.de

[5] GVBl. Teil I – Nr. 31 – vom 7. Oktober 2010, S. 1ff.

[6] Beschluss vom 15. April 2010 - VfGBbg 37/09, LKV 2010, 475.

[7] Beschluss vom 30.September 2010 – VfGBbg 32/10 -, www.verfassungs­gericht.­­­­­­brandenburg.de.

[8] Beschluss vom 18. Februar 2010 – VfGBbg 50/09 -, NJW-Spezial 2010, 216.

[9] Beschluss vom 21. Januar 2010 – VfGBbg 49/09 –, NJW 2010, 1947.

[10] Beschluss vom 19. November 2010 – VfGBbg 30/10 –, www.verfassungs­gericht.­brandenburg.de.

[11] Beschluss vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 28/09 -, www.verfassungsgericht.­brandenburg.de.

[12] VfGBbg 18/10 – www.verfassungsgericht.brandenburg.de.

[13] BGBl. I S. 1695.

[14] BGBl. I S. 3245.

[15] BVerfGE 96, 345, 371ff.

[16] VfGBbg 20/10.

[17] VfGBbg 16/10.

[18] VfGBbg 45/09

[19] Gesetz vom 18. Dezember 2007 – GVBl. I S. 286.

[20] Gesetz vom 13. Juli 1994 (GVBl. I S. 302, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 10. Juli 2002 (GVBl. I S. 62, 67).

[21] VfGBbg 62/10.