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Jahresbericht 2013

Bericht über die Arbeit des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg im Jahre 2013

- Erschienen am 06.06.2014

I. Allgemeines

Das BbgVerfG feierte im vergangenen Jahr einen runden Geburtstag: 20 Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit im Land Brandenburg. Am 29. 9. 1993 waren die ersten Verfassungsrichter vom Brandenburgischen Landtag gewählt worden, die ersten Entscheidungen des BbgVerfG ergingen im November 1993.

 Die Entscheidungssammlung des BbgVerfG wurde im Berichtszeitraum fortgeführt. Entscheidungen von inhaltlicher Relevanz werden unter der Internetadresse „www.verfassungsgericht.brandenburg.de“ veröffentlicht und können kostenfrei abgerufen werden. Zudem findet sich in dem im Jahr 2013 erschienenen 22. Band der Entscheidungssammlung der Verfassungsgerichte der Länder, die fortlaufend die wichtigsten Entscheidungen des BbgVerfG sowie 12 weiterer Landesverfassungsgerichte dokumentiert, eine Auswahl der Entscheidungen des BbgVerfG aus dem Jahr 2011.[1]

 II. Statistik

 Im Jahr 2013 sind 74 Verfahren (68 Hauptsacheverfahren und sechs Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) beim BbgVerfG eingegangen. Die weit überwiegende Zahl der Eingänge entfiel dabei auf Individualverfassungsbeschwerden (64 der Hauptsacheverfahren und alle Eilverfahren). Neu eingegangen sind im Berichtszeitraum zudem drei kommunale Verfassungsbeschwerden sowie ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle.

 Erledigt hat das BbgVerfG im vergangenen Jahr 77 Verfahren. Eine kommunale Verfassungsbeschwerde und sechs Individualverfassungsbeschwerden hatten Erfolg. Die Verfahrensdauer war bei den Individualverfassungsbeschwerden mit durchschnittlich 4,8 Monaten in den Hauptsacheverfahren und 2,1 Monaten in den Eilverfahren erneut gering. Bei den übrigen Verfahrensarten lag die durchschnittliche Verfahrensdauer zwischen 6,4 und 20,6 Monaten. Am Ende des Geschäftsjahres waren noch 42 Verfahren anhängig.

 III. Thematische Schwerpunkte

 1. Kommunale Verfassungsbeschwerden

 Im Jahr 2013 sind fünf kommunale Verfassungsbeschwerden entschieden worden, die jeweils Fragen der kommunalen Finanzausstattung zum Gegenstand hatten.

 a. Konnexitätsprinzip

Ein Verfahren betraf das in Art. 97 III BbgVerf verankerte Konnexitätsprinzip. Hintergrund war die vom Landesgesetzgeber beschlossene Verbesserung der Personalausstattung in den Kindertagesstätten. Zur Finanzierung des personellen Mehrbedarfs wurden die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu höheren Personalkostenzuschüssen an die Einrichtungsträger verpflichtet. Zur Gegenfinanzierung erhöhte das Land seinen im BbgKitaG vorgesehenen Zuschuss, den es zur anteiligen Finanzierung der Kindertagesbetreuung an die Landkreise und kreisfreien Städte zahlt, und zwar um rund 36 Millionen Euro jährlich. Mit ihrer kommunalen Verfassungsbeschwerde machten die vier kreisfreien Städte des Landes Brandenburg u. a. geltend, dass dieser Betrag keinen ausreichenden finanziellen Ausgleich für die durch die Gesetzesänderung verursachten Mehrausgaben darstelle. Der Gesetzgeber habe den Anstieg der Personalkostenzuschüsse zu gering veranschlagt.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.[2] Das BbgVerfG stellte fest, dass die angegriffene Kostenerstattungsregelung die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung in seiner Ausprägung durch das Konnexitätsprinzip verletzt. Dieses verpflichtet das Land zum Ausgleich der Mehrbelastungen, die den Gemeinden und Gemeindeverbänden dadurch entstehen, dass das Land ihnen neue Aufgaben überträgt. Nach der Rechtsprechung des BbgVerfG schuldet das Land grundsätzlich einen vollständigen Kostenausgleich. Es muss allerdings keine centgenaue Abrechnung vornehmen, sondern darf – wie im vorliegenden Fall geschehen – auch eine pauschalierende Kostenerstattungsregelung treffen. Allerdings stellt das BbgVerfG in ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen an eine solche Erstattungsregelung. Voraussetzung hierfür ist eine fundierte Prognose über die entstehenden Mehrkosten unter gründlicher Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort; zudem muss für jede einzelne betroffene Kommune die realistische Möglichkeit bestehen, durch eigene Anstrengungen zu einem vollständigen Kostenausgleich zu gelangen.

Hieran fehlte es vorliegend. Der Gesetzgeber hatte sich im Gesetzgebungsverfahren darauf beschränkt, die bei den Landkreisen und kreisfreien Städten anfallenden Personalkostenzuschüsse zu erfragen und hieraus einen arithmetischen Mittelwert zu bilden, der dann Grundlage für die Festlegung des Ausgleichsbetrages war. Diese Vorgehensweise hielt das BbgVerfG für unzulässig. Denn bei der Höhe der Personalkostenzuschüsse gibt es ganz erhebliche Unterschiede zwischen den Landkreisen und kreisfreien Städten. Ob es sachliche und nicht beeinflussbare Gründe für diese Belastungsunterschiede gibt (etwa Unterschiede in der Altersstruktur des Fachpersonals), ist im Gesetzgebungsverfahren nicht geklärt worden. Der Gesetzgeber wurde deshalb verpflichtet, spätestens mit Wirkung für das Haushaltsjahr 2014 eine den Anforderungen der BbgVerf gerecht werdende Kostenausgleichsregelung zu treffen.

Die Entscheidung dürfte erhebliche Auswirkungen über den entschiedenen Einzelfall hinaus haben. Das BbgVerfG hat die grundsätzliche Verpflichtung zum Kostenausgleich nicht allein darauf gestützt, dass der Landesgesetzgeber die Anforderungen an die Personalausstattung bzw. damit einhergehend die Finanzierungspflichten der örtlichen Jugendhilfeträger verschärft hat. Es hat vielmehr einen Schritt früher angesetzt, nämlich bei der Frage, wer eigentlich bestimmt, dass die Landkreise und kreisfreien Städte die örtlichen Jugendhilfeträger sind und die damit zusammenhängenden Aufgaben zu erfüllen haben: Ursprünglich war dies der Bund (§ 69 I SGB VIII a. F.), die gleichlautende landesrechtliche Vorschrift (§ 1 I BbgAGKJHG) hatte nur deklaratorischen Charakter. Ende 2008 hat der Bund allerdings seine Zuständigkeitsbestimmung aufgehoben und die Festlegung der örtlichen Träger den Ländern überlassen. Hierzu sah sich der Bund veranlasst, weil ihm seit der Föderalismusreform I ein Aufgabendurchgriff auf die Kommunen verwehrt ist (vgl. Art. 84 I 7, Art. 85 I 2 GG). Dadurch soll eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen unter Umgehung der landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsregelungen ausgeschlossen werden. Der Bundesgesetzgeber hat daraus den Schluss gezogen, dass die Begründung neuer Aufgaben (etwa die bundesrechtliche Ausweitung der Kinderbetreuungsansprüche) nur dann zulässig ist, wenn er die bisherige Aufgabenübertragungsnorm an die Kommunen aufhebt.

Damit wurde die vom Land Brandenburg unverändert beibehaltene landesrechtliche Regelung des § 1 I BbgAGKJHG konstitutiv. Nach der Entscheidung des BbgVerfG begründet bereits die Beibehaltung dieser landesrechtlichen Zuständigkeitsbestimmung dem Grunde nach die Verpflichtung des Landes zum Kostenausgleich. Dieser Gesichtspunkt dürfte generell für die Übertragung neuer Aufgaben im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gelten, und zwar unabhängig davon, ob die Aufgaben durch das Land oder durch den Bund begründet worden sind.[3]

b. Finanzausgleichsumlage

Drei kommunale Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die zum 1. 01. 2011 eingeführte Finanzausgleichsumlage (§ 17a BbgFAG). Betroffen hiervon sind Städte und Gemeinden, die als besonders finanzkräftig (abundant) gelten, weil ihre Steuerkraft deutlich größer ist als ihr Finanzbedarf. Dabei wird die Steuerkraft hinsichtlich der Grundsteuer und der Gewerbesteuer nicht nach dem vor Ort erzielten tatsächlichen Aufkommen, sondern nach Maßgabe landesweiter Durchschnittshebesätze ermittelt. Damit soll den Gemeinden der Anreiz genommen werden, sich durch Festsetzung besonders niedriger Hebesätze (als „Steueroasen“) Standortvorteile zu verschaffen. Durch die Finanzausgleichsumlage werden die abundanten Städte und Gemeinden verpflichtet, ¼ der Steuerkraft abzuführen, soweit 115 % des Bedarfs überschritten wird. Im Jahr 2012 waren 11 Städte und Gemeinden mit insgesamt ca. 30 Millionen Euro umlagepflichtig.

Mit den kommunalen Verfassungsbeschwerden machten drei betroffene Kommunen geltend, die Finanzausgleichsumlage verletze sie in ihrer Finanzhoheit als Teil des Selbstverwaltungsrechts aus Art. 97 I BbgVerf. Danach sei ein horizontaler Finanzausgleich, wie ihn die Finanzausgleichsumlage bewirke, unzulässig. Um bedürftige Kommunen zu unterstützen, dürfe das Land nicht anderen Gemeinden Mittel entziehen. Daneben haben die drei Beschwerdeführerinnen die Ermittlung des Umlagebetrags beanstandet. Weil bei der Berechnung der Steuerkraft im Bereich der Grundsteuer und der Gewerbesteuer auf landesweite Durchschnittshebesätze abgestellt werde, beruhe die festgesetzte Umlageschuld zum Teil auf Steuereinnahmen, die es gar nicht gebe. Dies sei verfassungswidrig. Allenfalls die tatsächlich erzielten Einnahmen dürften in die Berechnung einfließen.

Das BbgVerfG konnte einen Verstoß gegen die BbgVerf nicht feststellen.[4] Diese verbietet es dem Gesetzgeber nicht, im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs einen Teil der Finanzkraft bestimmter Gemeinden abzuschöpfen und unter allen bedürftigen Kommunen zu verteilen. Der von der BbgVerf gewährleistete Finanzausgleich dient gerade der Angleichung der Finanzkraft der Kommunen, damit alle Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können. Das Aufkommen der Umlage kommt ausschließlich den Kommunen zugute und führt nicht zu Ersparnissen im Landeshaushalt. Auch beeinträchtigt die Finanzausgleichsumlage die Finanzhoheit der abundanten Gemeinden nicht unverhältnismäßig stark; 15 v. H. ihrer den Finanzbedarf übersteigenden Steuerkraft verbleibt ihnen ungeschmälert, ihre darüber hinausgehende Finanzkraft zu 75 v. H. Schließlich verstößt es nicht gegen die BbgVerf, dass der Berechnung der Umlageschuld teilweise eine fiktive Steuerkraft zugrunde gelegt wird. Hierfür gibt es nachvollziehbare Gründe, so dass der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat.

c. Kommunale Mindestausstattung

Drei kreisfreie Städte machten im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf eine angemessene finanzielle Mindestausstattung geltend. Sie sahen sich in ihrer von Art. 97 I BbgVerf geschützten Finanzhoheit verletzt.

Diese kommunale Verfassungsbeschwerde blieb ebenfalls erfolglos.[5] Sie genügte schon nicht den Begründungsanforderungen, die eine Kommune nach der Rechtsprechung des BbgVerfG erfüllen muss, wenn sie die Verletzung ihres Anspruchs auf eine angemessene finanzielle Mindestausstattung rügen möchte. Die Städte hatten ihre Haushaltslage nicht umfassend dargelegt, sondern lediglich beispielhaft einen Teilbereich ihrer Pflichtaufgaben und die für deren Wahrnehmung in ihren Haushalten veranschlagten Mittel aufgezeigt. Zu den anderen Pflichtaufgaben und zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben hatten sie keine Angaben gemacht. Aus diesem Grunde war es dem BbgVerfG schon im Ansatz nicht möglich, die finanzielle Situation der Beschwerdeführerinnen umfassend einzuschätzen.

2. Organstreitverfahren

Im Berichtszeitraum entschieden wurde auch das Organstreitverfahren eines Landtagsabgeordneten gegen die FDP-Fraktion im Brandenburger Landtag. Der Antragsteller – selbst Mitglied dieser Fraktion – rügte die Zahlung von besonderen Zulagen an den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und die parlamentarische Geschäftsführerin. Er sah durch die Zulagen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Abgeordneten verletzt. Demgegenüber berief sich die FDP-Fraktion auf ihre Organisationshoheit nach Art. 67 I BbgVerf, weil ihr die in Rede stehenden Mittel vom Landtag zur eigenverantwortlichen Verwendung zugewiesen worden waren.

Der Antrag wurde als unzulässig verworfen, weil er nicht fristgerecht erhoben worden war.[6] Die betreffenden Funktionszulagen werden seit Beginn der laufenden Legislaturperiode Ende 2009 gezahlt. Sie waren seinerzeit von dem damaligen Fraktionsvorstand beschlossen worden. Damit war der erst im März 2012 gestellte Antrag des Landtagsabgeordneten verspätet. Gemäß § 36 III BbgVerfGG muss eine Organklage innerhalb von sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme  oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist, erhoben werden. Für unzulässig erachtete das BbgVerfG den Antrag auch, soweit er sich gegen den Fraktionshaushalt für das Jahr 2012 richtete. Aufgrund des nur vorbereitenden Charakters des Fraktionshaushalts kann dieser nicht zum Gegenstand eines Organstreitverfahrens gemacht werden. Dass und an wen die Zulagen tatsächlich ausgezahlt werden, richtet sich ausschließlich nach der im Jahr 2009 getroffenen Entscheidung des Fraktionsvorstandes.

3. Individualverfassungsbeschwerden

a. Hochschulfusion in der Lausitz

Das BbgVerfG lehnte einen Eilantrag der BTU Cottbus ab, die Fusion dieser Universität mit der Hochschule Lausitz (FH) zu stoppen.[7]

Mit dem Gesetz zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz vom 11. 2. 2013[8] wurden die BTU Cottbus und die Hochschule Lausitz (FH) am 1. 7. 2013 zur Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg fusioniert. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wollte die Universität erreichen, dass das Neustrukturierungsgesetz vorläufig nicht in Kraft tritt. Sie machte geltend, ihre Auflösung verletze sie in ihrem durch die BbgVerf verbürgten Recht auf Wissenschaftsfreiheit und dem Recht auf universitäre Selbstverwaltung. Zudem sei sie am Gesetzgebungsverfahren nicht hinreichend beteiligt worden.

Nach der Rechtsprechung des BbgVerfG darf das Inkrafttreten eines Gesetzes nur dann vorläufig ausgesetzt werden, wenn schwerste Nachteile drohen, weil mit einer solchen Entscheidung ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers verbunden ist. Diese Voraussetzung sah das BbgVerfG im vorliegenden Verfahren als nicht gegeben an. Falls die gleichzeitig erhobene Verfassungsbeschwerde der Universität Erfolg haben sollte, könnten beide Einrichtungen, möglicherweise unter Schwierigkeiten, aber letztlich doch wieder eigenständig werden.

Über die Verfassungsbeschwerde der BTU Cottbus ist noch nicht entschieden worden. Da einzelne Fakultäten und eine Reihe von Professoren parallel Verfassungsbeschwerden beim BVerfG erhoben haben, hat das BbgVerfG das Verfahren zunächst ausgesetzt. Das Gleiche gilt für das gegen das Neustrukturierungsgesetz eingeleitete Normenkontrollverfahren und die Verfassungsbeschwerden von fünf weiteren Professoren, die beim BbgVerfG anhängig gemacht worden sind.

b. Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen

Außergewöhnlich hoch war im Berichtszeitraum der Anteil der erfolgreichen Individualverfassungsbeschwerden. Fast jede zehnte Verfassungsbeschwerde hatte im Jahr 2013 Erfolg, während die Erfolgsquote im langjährigen Mittel bei unter 3% liegt. Bemerkenswert ist auch, dass alle erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gerichtliche Entscheidungen aus dem Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit (insbesondere der Zivilgerichtsbarkeit) zum Gegenstand hatten. Inhaltlich betrafen diese Verfahren überwiegend den Anspruch auf rechtliches Gehör, das Recht auf Rechtsschutzgleichheit (im Zusammenhang mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe) sowie das Verbot objektiver Willkür. Exemplarisch sollen hierfür zwei Verfahren angeführt werden:

aa. Mit Erfolg wandte sich eine Beschwerdeführerin dagegen, dass das OLG Brandenburg ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren in einem Zivilrechtsstreit mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt hatte.[9] Das BbgVerfG bekräftigte seine Rechtsprechung, dass die Fachgerichte das Erfordernis der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht überspannen dürfen, weil sie ansonsten der unbemittelten Partei die gerichtliche Durchsetzung ihrer Rechte im Verhältnis zu einer bemittelten Partei unverhältnismäßig erschweren. Insbesondere sollen in der Rechtsprechung nicht geklärte und umstrittene Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht „durchentschieden“ werden. So lag der Fall aber hier. Die Beschwerdeführerin stritt mit einer Versicherungsgesellschaft um die Zahlung des Rückkaufwertes einer gekündigten Rentenlebensversicherung mit Kapitalwahlrecht. Die Versicherung verweigerte die Zahlung unter Hinweis auf ein laufendes Versorgungsausgleichsverfahren. Tatsächlich untersagt § 29 VersAusglG dem Versorgungsträger, solche Zahlungen an den ausgleichspflichtigen Ehegatten vorzunehmen, die Einfluss auf den Wert des auszugleichenden Anrechts haben können. Ob zu den zu unterlassenden Zahlungen im Sinne dieser Vorschrift aber auch die auf eine Kündigung des Versicherungsvertrages folgende Auskehr des Rückkaufwertes nach § 169 VVG zählt, ist umstritten und höchstrichterlich bisher nicht entschieden.

bb. Ebenfalls erfolgreich war eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil des LG Potsdam in einer Wohnraummietsache.[10] Die Mutter des Beschwerdeführers hatte im Jahre 1980 die von ihr vertraglich genutzte Wohnung von einer Ofen- auf eine Schwerkraftheizung umgerüstet. Im Hinblick auf diese Leistung traf sie mit der Rechtsvorgängerin der heutigen Vermieterin im gleichen Jahr eine Vereinbarung, wonach der bisherige Mietpreis unverändert blieb und eine Mieterhöhung nur „im Falle des Auszugs“ der Mieterin für den nachfolgenden Mieter in Kraft treten sollte.

Nachdem die Mutter des Beschwerdeführers verstorben war, einigte sich dieser mit der Vermieterin im Jahre 2007 darauf, das bestehende Mietverhältnis bezüglich der Wohnung fortzuführen. Nachfolgend machte die Vermieterin gegenüber dem Beschwerdeführer im Klagewege eine Mieterhöhung geltend und berief sich darauf, dass die Wohnung wegen der eingebauten Heizung als „voll ausgestattet“ gelte.

Das AG Potsdam wies die Klage ab. Die Wohnung verfüge zwar über eine Sammel­heizung, hierauf könne sich die Vermieterin aber nicht berufen. Die Heizung sei von der Mutter des Beschwerdeführers als Mieterin eingebaut worden, auf solche vom Mieter geschaffene Ausstattungen der Wohnung könne eine Mieterhöhung nicht gestützt werden. Das LG Potsdam gab demgegenüber der Vermieterin Recht. Der Ausschluss der Mieterhöhung nach der Vereinbarung im Jahr 1980 sei von vornherein auf den Zeitraum der Wohnungsnutzung durch die Mutter des Beschwerdeführers beschränkt gewesen. Die Vereinbarung sei dahingehend auszulegen, dass eine Mieterhöhung wegen der eingebauten Heizungsanlage erfolgen könne, wenn die Mutter des Beschwerdeführers „als Vertragspartnerin ausscheide“.

Diese Auslegung war nach der Entscheidung des BbgVerfG sachlich unhaltbar und überschritt die Grenzen jeglicher Auslegungsmöglichkeit; sie war deshalb objektiv willkürlich. Eine Vereinbarung mit dem vom LG Potsdam zugrunde gelegten Inhalt („Ausscheiden“) hatten die Parteien offenkundig nicht abgeschlossen. Die Vereinbarung im Jahr 1980 stellte vielmehr auf eine gewillkürte Beendigung des Mietverhältnisses ab. Die Möglichkeit einer Mieterhöhung war allein an den „Auszug“ der Mutter des Beschwerdeführers und damit an eine vom Willen getragene Entscheidung geknüpft.

 

IV. Ausblick

 

Ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt des BbgVerfG im Jahr 2014 wird die Neuregelung der öffentlichen Zuschüsse für die Schulen in freier Trägerschaft sein. Nach § 124 II BbgSchulG in der bis zum 31. 12. 2011 geltenden Fassung gewährte das Land den Trägern von Ersatzschulen (§ 120 BbgSchulG) einen Zuschuss in Höhe von 94% der Personalkosten einer entsprechenden Schule in öffentlicher Trägerschaft (vergleichbare Personalkosten). Nunmehr sehen §§ 124 I, 124a BbgSchulG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 2012 vom 19. 12. 2011[11] die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses vor, der anteilig die Personal- und Sachkosten der freien Schulen finanziert. Die für die Berechnung des Zuschusses maßgeblichen Faktoren werden  – in erheblichem Umfang – normativ vorgegeben (z. B. Eingruppierung der Lehrkräfte; Klassenfrequenz). § 140 BbgSchulG beinhaltet aus Gründen des Vertrauensschutzes Übergangsregelungen für die Gewährung des Betriebskostenzuschusses, die mit Ende des laufenden Schuljahres auslaufen.

Die gesetzliche Neuregelung des öffentlichen Finanzierungszuschusses haben 31 Abgeordnete des Brandenburger Landtags mit einem Antrag auf abstrakte Normenkontrolle angegriffen.[12] Nach Ansicht der Antragsteller ist die Neuregelung mit Art. 30 VI BbgVerf unvereinbar. Danach müsse der Staat zumindest das wirtschaftliche Existenzminimum für den Betrieb der Ersatzschulen gewährleisten. Art. 30 VI 2 BbgVerf, wonach die freien Schulträger Anspruch auf einen öffentlichen Finanzierungszuschuss haben, begründe einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Gewährung staatlicher Finanzhilfe und begrenze damit die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der finanzielle Ausgleich müsse so bemessen sein, dass die Träger auch angesichts des Sonderungsverbotes (Art. 30 VI 1 BbgVerf i. V. m. Art. 7 IV 3 GG) in der Lage seien, von dem ihnen zugewiesenen Grundrecht Gebrauch zu machen. Diesem Erfordernis würden die §§ 124, 124a BbgSchulG n. F. nicht entsprechen. Die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen bedrohten das wirtschaftliche Existenzminimum freier Schulträger und gefährdeten den Bestand des Ersatzschulwesens als Institution. Der Gesetzgeber habe gleichheitswidrig Haushaltszwänge nur gegenüber den freien Schulträgern, nicht aber gegenüber den staatlichen Schulen geltend gemacht. Zudem seien die rechtsstaatlichen Grenzen des Vertrauensschutzes missachtet worden, die Übergangsregelungen in § 140 BbgSchulG seien unzureichend. Schließlich habe der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum nicht ordnungsgemäß wahrgenommen. Der Gesetzgeber sei vorliegend verpflichtet gewesen, die von seiner Entscheidung betroffenen Belange nachvollziehbar zu ermitteln und eine planungsähnliche Abwägungsentscheidung zu treffen. Diesen „prozeduralen Anforderungen“ habe er nicht genügt.

Nachfolgend haben zudem zehn Träger freier Schulen Verfassungsbeschwerden gegen §§ 124, 124a, 140 BbgSchulG erhoben und sich den vorgenannten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neuregelung des Finanzierungszuschusses angeschlossen.[13]

Zu erwähnen sind schließlich noch zwei Verfassungsbeschwerden, mit denen sich Polizeibeamte gegen die seit dem 1. 1. 2013 im BbgPolG geregelte Kennzeichnungspflicht wenden.[14]

Nach § 9 II 1 BbgPolG haben Polizeivollzugsbedienstete bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild zu tragen. Beim Einsatz in geschlossenen Einheiten wird das Namensschild durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung ersetzt (§ 9 II 2 BbgPolG). Die namentliche Kennzeichnung gilt nicht, soweit der Zweck der Maßnahme oder Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Polizeivollzugsbediensteten dadurch beeinträchtigt werden (§ 9 III BbgPolG). Inhalt, Umfang und Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht regelt gemäß § 9 IV BbgPolG eine vom Ministerium des Innern erlassene Verwaltungsvorschrift.

Die Beschwerdeführer haben bei ihrem Dienstherrn eine Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht beantragt und nach der Ablehnung dieser Anträge Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Die verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Mit ihren gegen § 9 Abs. II bis IV BbgPolG gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen sie insbesondere eine Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz (Art. 11 I BbgVerf) und des Gleichheitssatzes (Art. 12 I BbgVerf). In prozessualer Hinsicht machen sie geltend, dass ihre Verfassungsbeschwerden von allgemeiner Bedeutung seien und es deshalb nicht der Erschöpfung des Rechtsweges gemäß § 45 II BbgVerfGG bedürfe.



[1] Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen (LVerfGE), herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte, erschienen im de Gruyter Verlag (Entscheidungszeitraum vom 1. 1. bis zum 31. 12. 2011).

[2] BbgVerfG, Urt. v. 30. 4. 2013 - VfGBbg 49/11, DVBl 2013, 852.

[3] Inzwischen ist durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfestrukturen vom 5. Dezember 2013 (GVBl I Nr. 43) in § 25 IV BbgAGKJHG eine Regelung für den Kostenausgleich bei bundesrechtlich veranlassten Aufgabenveränderungen geschaffen worden.

[4] BbgVerfG, Urteile vom 6. 8. 2013 – VfGBbg 53/11, 70/11 und 71/11, DVBl 2013, 1180.

[5] BbgVerfG, Beschl. v. 18. 10. 2013 – VfGBbg 68/11, LKV 2013, 554.

[6] BbgVerfG, Beschl. v. 25. 01. 2013 – VfGBbg 21/12, www.verfassungsgericht.brandenburg.de.

[7] BbgVerfG, Beschl. v. 19. 6. 2013 -, VfGBbg 3/13 EA, LKV 2013, 365.

[8] GVBl  I Nr. 4.

[9] BbgVerfG, Beschl. v. 15. 3. 2013 – VfGBbg 49/12, www.verfassungsgericht.brandenburg.de.

[10] BbgVerfG, Beschl. v. 19. 6. 2013 – VfGBbg 61/12, www.verfassungsgericht.brandenburg.de.

[11] GVBl I Nr. 35.

[12] Az. VfGBbg 31/12.

[13] Az. VfGBbg 50/12 bis 58/12; VfGBbg 79/12.

[14] Az. VfGBbg 50/13 und 51/13.