Jahresbericht 2009
Bericht über die Arbeit des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg im Jahre 2009*
I.
Allgemeines
Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat im 16. Jahr seines Bestehens erhebliche personelle Veränderungen erfahren. Inzwischen ist nur noch ein Verfassungsrichter tätig, der dem Gericht bereits im Jahr 2008 angehörte. Der Arbeit des Verfassungsgerichts hat dies indes keinen Abbruch getan. Infolge des Wechsels von Dr. Schöneburg in die Landesregierung ist zudem eine Verfassungsrichterstelle derzeit vakant. Das Verfassungsgericht geht davon aus, dass diese zeitnah besetzt werden wird.
Seit Ende des Jahres hat das Gericht unter der bisherigen Adresse (www.verfassungsgericht.brandenburg.de) einen neuen Internetauftritt, der die bestehende Entscheidungssammlung des Verfassungsgerichts fortführt und weitere Informationen - wie etwa Ankündigungen mündlicher Verhandlungen des Gerichts und Pressemitteilungen - enthält.
II.
Statistik
Insgesamt sind im Jahr 2009 65 Verfahren eingegangen und 87 erledigt worden. Aufgrund der gegenüber den Vorjahren leicht gesunkenen Eingangszahlen insbesondere im Bereich der Verfassungsbeschwerden konnte der Verfahrensbestand so weit abgebaut werden, dass derzeit keines der anhängigen Verfahren älter als ein Jahr ist.
Der bei weitem größte Anteil der Eingänge des Jahres 2009 entfiel erneut auf Individualverfassungsbeschwerden. Davon gingen 50 Hauptsacheverfahren und 10 Eilverfahren ein; erledigt wurden 71 Hauptsacheverfahren und 9 Eilverfahren. Die Verfahrensdauer war mit durchschnittlich 5,8 Monaten in den Hauptsacheverfahren und 1,5 Monaten in den Eilverfahren wiederum verhältnismäßig gering. Im Bereich der Organstreitverfahren konnte die Verfahrensdauer bei zwei Eingängen und fünf Erledigungen von durchschnittlich 19,1 auf 8,1 Monate gesenkt werden.
Derzeit sind - neben einer größeren Anzahl von Individualverfassungsbeschwerden insgesamt noch zwei Kommunalverfassungsbeschwerde und ein Organstreitverfahren anhängig, die im Jahr 2010 zu entscheiden sein werden.
III.
Thematische Schwerpunkte
Arbeitsschwerpunkte des Verfassungsgerichts bildeten im Berichtszeitraum Organstreitverfahren, ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sowie eine Vielzahl von Individualverfassungsbeschwerden.
1. Von den fünf im Jahr 2009 entschiedenen Organstreitverfahren hatte ein Antrag Erfolg(Urteil vom 17. September 2009 VfGBbg 45/08 ). Der Antragsteller, damaliger Landtagsabgeordneter der DVU, hatte sich gegen seinen Ausschluss von der weiteren Teilnahme an der 71. Plenarsitzung des Landtags Brandenburg am 17. September 2008 gewandt. Die amtierende Landtagspräsidentin hatte ihm in der Sitzung wegen eines Redebeitrags zunächst einen Ordnungsruf erteilt und ihn kurz darauf auf Intervention eines Abgeordneten des Saales verwiesen. Das Landesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass diese Vorgehensweise gegen Artikel 56 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg(LV) verstößt. Es hat ausgeführt, die Landesverfassung gewährleiste das Recht des Abgeordneten, im Landtag das Wort zu ergreifen, Fragen und Anträge zu stellen sowie seine Stimme abzugeben. Dieses Recht gelte zwar nicht absolut, sondern unterliege den vom Landtag kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie gesetzten Schranken. Gemäß der Geschäftsordnung des Landtages könne der Präsident einen Abgeordneten wegen gröblicher Verletzung der Ordnung von der Sitzung ausschließen. Die wertsetzende Bedeutung dieser Vorschriften erfordere aber eine strikte Bindung an das in der Geschäftsordnung des Landtags vorgezeichnete Sanktionsverfahren. Dieses sei nicht eingehalten worden, weil Ordnungsmaßnahmen des Landtagspräsidenten gegenüber Abgeordneten nicht mehrfach hinsichtlich desselben Vorgangs ergehen dürften.
2. Großenteils erfolgreich war auch der Normenkontrollantrag damaliger Abgeordneter des Landtages Brandenburg (Fraktion „Die Linke") gegen Bestimmungen des Landespersonalvertretungsgesetzes. Aufgrund der angegriffenen Regelungen in § 91 des Landespersonalvertretungsgesetzes werden Personalräte für das pädagogische Personal an Schulen in öffentlicher Trägerschaft nicht bei den Schulen, sondern bei den Staatlichen Schulämtern eingerichtet. Daneben können an den einzelnen Schulen sogenannte „Lehrerräte" gewählt werden, deren Befugnisse von den Kompetenzen der jeweiligen Schulleitung abhängen. Die Antragsteller hatten geltend gemacht, die Norm verstoße gegen das durch Art. 50 LV gewährleistete Mitbestimmungsrecht sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip. Das Verfassungsgericht ist der Auffassung der Antragsteller in seinem Urteil vom 15. Oktober 2009 (VfGBbg 9/08) zum Teil gefolgt. Es hat grundlegend zu Art. 50 LV Stellung genommen und ausgeführt, die Verfassungsnorm gewähre den Beschäftigten ein soziales Grundrecht auf Mitbestimmung. Der Landesgesetzgeber habe bei der Ausgestaltung dieses Rechts im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit einen erheblichen Gestaltungsspielraum, dessen Grenzen die verfassungsrechtlich gesicherten Grundprinzipien der Mitbestimmung bildeten. Diese seien bei der Ausgestaltung der Personalvertretung an Schulen nicht vollständig beachtet worden. Die Aufteilung der Personalvertretung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten der Schulen auf Personalräte bei den Staatlichen Schulämtern und Lehrerräte in den Schulen sei zwar verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der Landesverfassung unvereinbar sei aber, dass das Anhörungsrecht der Lehrerräte nur für Lehrer und nicht auch für das sonstige pädagogische Personal an den Schulen gelte. Gegen die Landesverfassung verstoße ebenfalls, dass die Lehrerräte nicht auch an Schulen den Personalräten gleichgestellt seien, in denen der Schulleiter statt in personellen Angelegenheiten allein in anderen Angelegenheiten entscheidungsbefugt sei.
3. Die im Berichtszeitraum entschiedenen Individualverfassungsbeschwerden hatten nur in geringerem Umfang Erfolg.
a. Zu den erfolgreichen Verfahren gehörte die Verfassungsbeschwerde gegen ein sozialgerichtliches Urteil. Das Verfassungsgericht hielt in diesem Fall zwar die Entscheidung in der Sache für verfassungsgemäß, hob jedoch das Urteil auf, soweit das Sozialgericht dem Beschwerdeführer Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes auferlegt hatte (Beschluss vom 20. August 2009 VfGBbg 39/09). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einen Beteiligten mit den Verfahrenskosten belasten, wenn er einen nicht Erfolg versprechenden Rechtsstreit trotz entsprechenden Hinweises fortführt. Das Verfassungsgericht hat die Annahme des Sozialgerichts, die Fortführung der Klage sei rechtsmissbräuchlich gewesen, für völlig unverständlich gehalten. Es hat ausgeführt, die Auferlegung von Verschuldenskosten im sozialgerichtlichen Verfahren verstoße gegen das Willkürverbot des Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV, wenn ein Kläger in einer nur schwer überschau und nachvollziehbaren rechtlichen Situation seine Klage nicht zurücknehme, obwohl das Gericht ihn über die seiner Auffassung nach eindeutige Rechtslage belehrt habe.
b. Erfolgreich war auch eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen Entscheidungen richtete, mit denen der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme eines strafrechtlichen Verfahrens verworfen worden war. Der Beschwerdeführer hatte diesen Antrag gestellt, nachdem die Auswertung einer DNA Spur nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Mordes ergeben hatte, dass eine am Körper des Opfers sichergestellte Spur mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Person aus dessen Ufeld verursacht worden sei. Das Strafgericht hielt den Beweis nach hypothetischer Schlüssigkeitsprüfung für nicht geeignet, Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers zu begründen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde hatte der Beschwerdeführer gerügt, die befassten Gerichte hätten die Regelungen der Strafprozessordnung zum Wiederaufnahmerecht in einer der Verfassung zuwiderlaufenden Weise zu einschränkend ausgelegt. Das Verfassungsgericht gab der Beschwerde statt (Beschluss vom 19. November 2009 VfGBbg 17/09 - ). Es hob die angegriffenen Entscheidungen auf und stellte fest, dass das durch Art. 10 LV in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt ist, wenn ein strafrechtlicher Wiederaufnahmeantrag unter Vorwegnahme einer vollen Beweiswürdigung abgelehnt und dadurch dem Verurteilten die Möglichkeit abgeschnitten wird, auf den Prozess der Wahrheitsfindung in einer für seine Verurteilung wesentlichen Frage durch das Instrumentarium der Hauptverhandlung angemessen einzuwirken.
c. Schließlich hatte eine Verfassungsbeschwerde Erfolg, mit der sich die Beschwerdeführerin gegen die überlange Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gewandt hatte. Die Beschwerdeführerin hatte das Verfassungsgericht angerufen, nachdem sie mehr als fünf Jahre auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über ihre Klage auf Bewilligung von Wohngeld und ihren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gewartet hatte. Das Verfassungsgericht hat die Ansicht der Beschwerdeführerin geteilt und eine Verletzung ihres Rechts auf ein zügiges Gerichtsverfahren festgestellt (Urteil vom 17. Dezember 2009 - VfGBbg 30/09 -). Dabei hat es in seiner Entscheidung die Verpflichtungen dargelegt, die das Grund-recht auf ein zügiges Verfahren für die mit seiner Gewährleistung befassten staatlichen Stellen begründet. Es hat ausgeführt, das „Grundrecht vor Gericht" nach Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV stehe weder unter Gesetzes- noch unter Finanzierungsvorbehalt. Es verpflichte den Staat, sämtliche notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit Gerichtsverfahren zügig beendet werden können. Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber hätten die Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch die Organisation der Gerichtsbarkeit und deren personelle und sächliche Ausstattung sicherzustellen. Die Gerichte - und damit auch jeder einzelne Richter - müssten sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen. Verantwortung für die Gewährleistung eines zügigen Verfahrens trügen ebenfalls die Selbstverwaltungsgremien der Gerichte, die mittels der ihnen obliegenden Geschäftsverteilung und Spruchkörperbesetzung den zügigen Abbau von Altbeständen voranzubringen hätten. Diesen Anforderungen sei nicht Genüge getan worden, weil trotz eines erheblichen Anhangs an Altverfahren Richterstellen abgebaut worden seien und die Verwaltung des Gerichts keine effektiven Maßnahmen zur Erledigung von Altverfahren getroffen hatte. Diese Entscheidung hat für den noch zu verabschiedenden Haushalt zur Folge, dass eine Stelleneinsparung im richterlichen Bereich nicht statthaft ist, durch die Gerichte mit überlangen Verfahren betroffen werden könnten.
IV.
Ausblick
1. Neben einer größeren Anzahl von Individualverfassungsbeschwerden, die vielfältige Rechtsfragen betreffen, stehen im Jahr 2010 vor allem zwei Kommunale Verfassungsbeschwerde- und ein Organstreitverfahren zur Entscheidung an: Mit dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren VfGBbg 4/09 wendet sich die Gemeinde Schöneiche bei Berlin gegen Bestimmungen des Gesetzes über die Bildung von Gewässerunterhaltungsverbänden, die die rechtliche Ausformung der bei den Gewässerunterhaltungsverbänden zu bildenden Verbandsbeiräte regeln. Das von der Stadt Potsdam erhobene Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren VfGBbg 45/09 betrifft die Heraufsetzung der Fraktionsmindeststärke in kreisfreien Städten auf vier Mitglieder durch § 32 Abs. 1 Satz 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg. Schließlich begehrt die Fraktion „Die Linke" im Landtag Brandenburg in dem Organstreitverfahren VfGBbg 38/09 die Feststellung, die alte Landesregierung habe den Informationsanspruch des Landtages verletzt, indem sie diesen nicht frühzeitig und vollständig über ihre Mitwirkung im Bundesrat bei der Änderung des Grundgesetzes durch Einführung der sogenannten „Schuldenbremse" unterrichtet habe.
2. Das Verfassungsgericht nimmt am Wettbewerb „Kunst am Bau" des Justizzentrums Potsdam teil und sieht damit im Jahr 2010 einer weiteren Aufwertung des baulichen Rahmens seiner Rechtsprechungstätigkeit entgegen.
* vgl. zum Vorjahreszeitraum den Bericht in LKV 2009, 167 ff.