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VerfGBbg, Beschluss vom 29. November 2013 - VfGBbg 48/13 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV; Art. 52 Abs. 1 Satz 2
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 2
- StPO, §§ 3, 13
Schlagworte: - Gesetzlicher Richter
- Subsidiarität
- Vorabentscheidung
- örtliche Zuständigkeit in Strafsachen
- sachlicher Zusammenhang
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 29. November 2013 - VfGBbg 48/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 48/13




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

     J.,

       

Beschwerdeführer,

 

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt I.,

                           

 

 

 

wegen des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. Juli 2013 (1 Ws 119/13)

 

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

 

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

 

am 29. November 2013

 

b e s c h l o s s e n :

 

    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Beschwerdeent­schei­dung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts.

 

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Potsdam klagte den Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 13. März 2012 beim Landgericht Pots­­­dam an, als Arbeitgeber mehr­fach Arbeit­neh­mer- und Arbeit­­­­­geber­­bei­­­­­träge zur Sozial­­ver­­si­che­rung vorenthalten      (§ 266a Abs. 1 und 2 Strafgesetzbuch - StGB -) sowie Bei­hilfe zum Betrug im besonders schweren Fall und zur Steuer­hin­­ter­zie­hung des Mit­an­ge­klag­­­­­ten A. geleistet zu haben. Der in K. (Hes­sen) wohnhafte Mitangeklagte A. soll nach den Erkennt­­­nis­­sen der Staats­­­­­­­­an­walt­schaft als fakti­scher Inhaber und Betrei­ber eines Unter­neh­mens mit Sitz in S. (später Kl.) ohne Erlaubnis nach dem Arbeit­neh­mer­über­­­­­las­sungs­gesetz für zwei vom Beschwerdeführer gelei­tete (in Hessen bzw. Nord­rhein-Westfalen ansäs­­sige) Unternehmen des Bau­­­­ge­­wer­bes Lohn­ar­­beiten im Wege der Arbeit­neh­mer­über­las­sung er­bracht haben. Zwi­schen dem Beschwer­deführer und dem Mitange­klagten A. sei ver­­­­­­­­einbart gewesen, die Arbei­t­neh­­mer­­­über­las­­­sung als Werk­­ver­träge zu deklarieren und eine Abrech­­­nung nach verbauten Stahl­­mengen vorzunehmen. Die Arbeit­nehmer habe der Mitan­­ge­­klagte A. nicht bei der zustän­di­gen Ein­zugsstelle der Sozial­­­ver­si­che­rungsträger angemeldet. Wegen der uner­­laubten Arbeit­­­­neh­mer­über­lassung sei – neben dem Mitangeklagten A. - auch der Beschwerdeführer zur Zah­­­lung der für die von ihm entliehenen Arbeit­neh­­mer abzufüh­­renden Sozialver­­­si­che­rungs­­beiträge sowie zur Zahlung der von ihm als Arbeit­­geber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge ver­­pflich­tet gewesen. Der Betrugsvorwurf gegen den Mit­ange­klag­ten A. folge aus falschen Angaben gegen­über den Sozi­al­kas­sen des Baugewerbes über die Anzahl seiner Arbeit­nehmer und deren Bruttolöhne, der Vorwurf der Steuerhinter­ziehung u. a. aus der Nichtangabe der den Arbeit­nehmern gezahl­­­ten Schwarzlöhne in der Lohnsteueranmeldung. Diese Taten habe der Beschwerdeführer durch die verabre­dete Konstruk­­tion der Arbeit­nehmerüberlassung und deren Ver­schlei­e­rung gefördert. Neben dem Beschwer­deführer soll dem Mitangeklag­­­ten A. ein in K. (Hessen) wohnhafter Mit­angeklagter B. Beihilfe zum Betrug und zur Steuer­hin­ter­zie­hung geleistet haben.

 

2. Vor einer Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung erklärte sich die 4. große Strafkammer des Landgerichts Pots­dam mit Beschluss vom 22. März 2013 für örtlich unzustän­dig und half der hiergegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht ab. Für keinen der Angeklagten sei das Landgericht zustän­dig, da für sie in Pots­dam weder ein Wohnort- (§ 8 Strafprozessordnung – StPO -) noch ein Tat­­ort­­ge­richts­stand (§ 7 StPO) bestehe. Das gelte für den Mit­­­­ange­klagten A. auch, soweit es um den Vorwurf nach § 266a StGB gehe, da unklar sei, wel­che Kran­­kenversicherung nach   § 28i Sozialgesetzbuch IV die zustän­­­dige Einzugsstelle sei. Jeden­falls sei die Erhebung der Anklage­ durch die Staats­anwalt­schaft zum Land­­ge­richt Potsdam mit Blick auf die Garan­tie des gesetzlichen Rich­­­­ters ermes­sens­­feh­ler­haft, wenn über einen Zusam­menhang im Sinne der § 3, § 13 Abs. 1 StPO mit den gegen den Mit­an­ge­klag­­ten A. erho­be­­nen Vorwürfen für den Beschwerdeführer und den Mitangeklagten B. ein an sich nicht vorhandener Gerichts­­stand begrün­det werde, obwohl mit K. (Hessen) ein für jeden Angeklagten zuständiger Gerichts­stand (des Wohnorts) gegeben sei, hier der Schwerpunkt der Straftat­­be­ge­hung liege und auch viele Zeu­gen aus der Region stamm­­ten.

 

3. Das Oberlandesgericht hob mit dem ange­­grif­fenen Beschluss vom 25. Juli 2013 den Beschluss der Straf­­kammer des Landgerichts auf und verwies die Sache zur Ent­­­­­schei­­­dung über die Eröffnung des Hauptverfahrens an die Straf­­kammer zurück. Potsdam sei nach § 7 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StPO zuständiger Gerichtsstand. Dies ergebe sich für den Mit­­­­­a­n­ge­­klagten A. bezüglich § 266a StGB und der Vorwürfe des Betrugs und der Steuer­hin­ter­zie­hung aus § 7 Abs. 1 StPO, weil er am Firmensitz seines Unternehmens die Sozial­ver­si­che­­­­­­rungs­beiträge habe abführen (der Sitz der Krankenkasse als Ein­­zugs­­­­stelle sei nur der Erfolgsort) bzw. zutreffende Anga­ben habe machen müssen. Die Zustän­­dig­keit für den Beschwerdeführer hinsichtlich des Tatvorwurfs nach § 266a StGB sei nach § 13 Abs. 1 StPO gegeben; er und der Mitangeklagte A. seien insoweit Neben­­­täter, so dass ein Zusammen­hang nach § 3, § 13 Abs. 1 StPO außer Frage stehe. Für den Vor­wurf der Beihilfe zum Betrug und zur Steu­­e­r­hin­terziehung folge die Zuständigkeit des Land­gerichts Potsdam aus § 7 Abs. 1 StPO i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 StGB, wonach die Teil­­nah­me­hand­lung auch am Ort der Haupt­­­tat begangen sei. Der Gerichts­stand nach § 13 StPO sei den Gerichtsständen der §§ 7 - 11 StPO gleich­rangig. Die Aus­­­wahl­ent­schei­dung der Staatsan­walt­schaft sei grund­sätzlich nur auf das Will­­­kürverbot überprüfbar. Zudem seien sach­­frem­de Erwä­gungen nicht erkenn­bar. Der Beschluss ging dem Beschwerdeführer am 31. Juli 2013 zu.

 

II.

Mit seiner am 30. September 2013 erhobenen Ver­fassungs­be­schwerde rügt der Beschwerdeführer eine Ver­let­­zung des Rechts auf den gesetz­lichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Landesverfassung (LV). Das Oberlan­desgericht habe Bedeu­tung und Tragweite die­ses Grund­rechts verkannt, indem es das Aus­wahlermessen der Staats­­anwaltschaft nur auf einen Verstoß gegen das Willkür­ver­bot geprüft habe. Dieser Maß­stab gelte bei der fehlerhaf­ten Handhabung von Zuständigkeitsregelungen nur für die Gerichte, nicht hingegen für die Staatsanwaltschaft als nich­­t­rich­terliche Staatsgewalt; deren Maß­nah­men müss­­­ten darüber hin­­aus verhältnismäßig sein. Die vom Oberlan­­­­­desgericht nicht beanstandete Auswahl­ent­schei­dung der Staats­­­­­­anwalt­­schaft sei jedoch nicht verhältnismäßig. Schließ­­lich müsse er für jeden der voraussichtlich zahl­rei­chen Sit­zungs­tage 360 km nach Pots­­dam fahren. Den Rechtsweg müsse er nicht erschöpfen. Die Verfassungs­be­schwerde sei von all­gemei­ner Bedeutung; zudem entstünde ihm ein schwerer und unab­wend­barer Nach­teil, würde er zunächst auf den Rechtsweg ver­wiesen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsge­richtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu ver­­werfen.

 

Zwar hat der Beschwerdeführer den Rechts­­­­­­weg ausgeschöpft   (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg), weil gegen die angegriffene Entscheidung des Ober­­­­­landesgerichts ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO). Einer Sachentscheidung steht jedoch der aus dem Gebot der Rechts­­­­weg­erschöpfung abgeleitete Grund­­­­­satz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen, demzufolge der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbe­schwerde alle fach­­­­­­gericht­li­chen Mög­lich­keiten zur Verhinderung oder Be­sei­tigung der gel­­tend gemachten Grundrechtsverlet­­­zung wahrnehmen muss (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 15. März 2013 – VfGBbg 32/12 -, www.ver­fas­­­­­sungs­ge­richt.bran­den­burg.de). 

 

Solche Mög­­lich­­keiten bestehen auch nach dem Beschluss des Ober­­lan­­­des­­gerichts. Bei diesem handelt es sich lediglich um eine der End­ent­scheidung vorausgehende unselbständige Zwi­­­­­­­sche­n­­­­­ent­­­schei­dung. Eine Zwischenentschei­dung kann nur dann (ausnahms­weise) unmit­telbar mit der Verfas­sungs­be­­schwerde angefochten werden, wenn sie einen bleibenden recht­­­­­­lichen Nach­­­teil für den Betroffenen zur Folge hat, der sich später nicht mehr vollständig beheben lässt (vgl. Beschluss vom  19. Juni 2013 – VfGBbg 23/13 -, www.ver­fas­sungs­ge­richt.bran­den­burg.de; BVerfGE 119, 292, 294). Das ist dann der Fall, wenn in einem selbständigen Zwi­­schen­­­­­­­­verfahren über eine für das wei­tere Verfahren wesentliche Rechts­­­­­­frage eine abschließende Ent­schei­dung gefällt wird, die später keiner Nach­­­prü­fung mehr unterliegt (Beschluss vom 19. Juni 2013, a. a. O.; BVerfG, a. a. O.). Einen solchen abschließen­den Cha­rak­ter in Bezug auf die hier allein gerügte Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters hat die Entscheidung des Oberlandes­­gerichts nicht. Sie betrifft die örtliche Zuständigkeit des Land­ge­richts für die Ent­­­schei­­dung über die Eröffnung des Haupt­­verfahrens nach § 203 f StPO. Ist das Hauptverfahren eröff­net, kann der Beschwer­de­füh­rer die Frage der ört­­­lichen Zustän­­digkeit - in deren Bejahung durch das Ober­lan­des­ge­richt er die Verletzung der Garantie des gesetzlichen Rich­ters erblickt - nach § 16 Satz 2 und 3 StPO rügen und, sofern dies erfolg­­los bleibt und er verurteilt wird, gemäß    § 338 Nr. 4 StPO als absoluten Revi­­­sions­grund beim Bundesge­richtshof (vgl. § 135 Gerichtsverfassungs­gesetz) geltend machen, wie der Beschwerdeführer selbst erkennt. Unerheblich ist in die­sem Zusam­­menhang der vom Beschwer­de­füh­­rer rekla­­­mierte Aufwand an Zeit und Reisekosten, um den Gerichts­stand Pots­dam zu erreichen; hierbei handelt es sich nicht um einen blei­­benden recht­lichen Nach­teil in dem erläuterten Sinne. Eine Vorabent­scheidung in ent­spre­chen­der Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg, die auch bei Vorliegen der Vorausset­­zungen dieser Norm nur im Aus­nahmefall in Betracht kom­­mt (vgl. Beschluss vom 30. Juni 1999 – VfGBbg 50/98 -, LVerfGE 10, 213, 219), ist deshalb ebenfalls nicht ange­zeigt.

 

Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Übrigen keine Rechtsfrage von all­­­ge­mei­­­ner Bedeu­tung (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VerfGGBbg), die durch das angerufene Verfas­sungs­­­ge­richt zu klären wäre. Vielmehr geht es um die Ausübung des Wahl­rechts der Staatsanwaltschaft in einem Einzelfall. Das Ober­lan­des­ge­richt hat insoweit sachfremde Erwägungen nicht fest­gestellt (zu diesem Prüfungsmaßstab vgl. BVerfGE 20, 336, 346). Schließlich droht dem Beschwer­­­­deführer auch kein schwe­­rer und unab­wend­ba­rer Nach­­teil im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 VerfGGBbg. Hierfür müsste eine Grund­­­rechts­ver­let­­zung im Raum stehen, die nach den Umstän­den des Ein­zel­falls auch nur zeit­weise hin­­­­­­­­­­zu­­neh­men ganz und gar uner­träg­lich wäre (Beschluss vom 21. Dez­­­em­ber 2006 – VfGBbg 20/06 -, LVerfGE 17, 146, 151 f); dies ist vorliegend nicht der Fall.

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Nitsche
   
Partikel Schmidt