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VerfGBbg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 15/02 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98; LV, Art. 67 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 55 Abs. 2;
  LV, Art. 100; LV, Art. 98 Abs. 2 Satz 3; LV, Art. 97 Abs. 4;
  LV, Art. 98 Abs. 3; LV, Art. 6 Abs. 2; LV, Art. 98 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 51 Abs. 2; VerfGGBbg, § 51 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 1;
  VerfGGBbg, § 51 Abs. 3; VerfGGBbg, § 41 Satz 1; VerfGGBbg § 50 Abs. 2
- Gemeindestrukturgesetz, Art. 2 Nr. 3 lit. a)
- AmtsO, § 3 Abs. 1 Satz 2
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Beschwerdebefugnis
- interkommunales Gleichbehandlungsgebot
- Pilotverfahren
- Auslagenerstattung
- Gemeindegebietsreform
nichtamtlicher Leitsatz: 1. Im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren ist eine etwaige Verletzung von Fraktions- oder Oppositionsrechten im Gesetzgebungsverfahren nicht zu berücksichtigen.

2. Zu der Frage, ob der Gesetzgeber im Zuge einer kommunalen Neugliederung zu (vorherigen) Grundsatz- und Leitbildentscheidungen gehalten ist.
Fundstellen: - LVerfGE 13, 176 (nur LS)
- LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 143
- NJ 2002, 645
- LKV 2002, 576
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 15/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 15/02



IM NAMEN DES VOLKES
 
 U R T E I L

In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Quappendorf,
vertreten durch das Amt Neuhardenberg,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Karl-Marx-Allee 72,
15320 Neuhardenberg,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.,

betreffend Artikel 2 Nr. 3 lit. a des Gesetzes zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13.3.2001 (GVBl. I S. 30)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2002

für R e c h t erkannt:

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird nach Maßgabe der Entscheidungsgründe zurückgewiesen.

A.
I.

Durch Art. 2 Nr. 3 lit. a des Gesetzes zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (GVBl. I S.30; im folgenden: Gemeindestrukturgesetz) ist eine Regel-Mindestgröße für amtsangehörige Gemeinden bestimmt worden, indem § 3 Abs. 1 AmtsO folgenden zweiten Satz erhalten hat:

§ 3
Abgrenzung der Ämter

(1) ... Amtsangehörige Gemeinden sollen regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner haben.

Die Beschwerdeführerin ist amtsangehörige Gemeinde im Amt Neuhardenberg. In ihr lebten zum 30. Juni 2001 125 Einwohner. Dem Amt gehören – nach einigen freiwilligen Gemeindezusammenschlüssen – neben der Beschwerdeführerin drei weitere Gemeinden an. Die Beschwerdeführerin unterhält unter anderem ein Gemeindehaus und einen Sportplatz.

II.

Am 24. Januar 2002 hat die Beschwerdeführerin kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie hält die Einführung einer Regel-Mindesteinwohnerzahl für amtsangehörige Gemeinden gemäß Art. 2 Nr. 3 lit. a Gemeindestrukturgesetz für verfassungswidrig und sieht sich hierdurch in ihrem Selbstverwaltungsrecht nach Art. 97 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) und in der Bestandsgarantie nach Art. 98 LV verletzt.

Das Gemeindestrukturgesetz sei bereits formell verfassungswidrig, nämlich unter Verstoß gegen Art. 67 Abs. 1 Satz 2 LV (Mitwirkung der Fraktionen an der Arbeit des Landtages) und Art. 55 Abs. 2 LV (Opposition als Bestandteil der Demokratie mit dem Recht auf Chancengleichheit) zustande gekommen. Die Fraktion der PDS habe wegen des gedrängten zeitlichen Ablaufes des Gesetzgebungsverfahrens im Ausschuß für Inneres keine Änderungsanträge stellen können. Die Gedrängtheit des Gesetzgebungsverfahrens wirke sich zugleich als Verletzung des Anhörungsrechtes der Kommunen nach Art. 97 Abs. 4 LV aus. Auch materiell sei die Regelung verfassungswidrig. Die isolierte gesetzgeberische Festlegung eines einzelnen Kriteriums der Gemeindegebietsreform verstoße gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz, weil offenbleibe, ob nun eine landesweite allgemeine Gemeindegebietsreform „angeordnet“ sei oder nicht. Der Gesetzgeber sei gehalten, vor Inangriffnahme der Gemeindegebietsreform das Leitbild der künftigen brandenburgischen Gemeinde in Gesetzesform vorzugeben. Weder sei die Dauer der Freiwilligkeitsphase noch seien die Kriterien für Ämter im engeren Verflechtungsraum oder für Ämter mit weniger als 5.000 Einwohnern vom Gesetzgeber festgelegt worden. Die faktisch eingeräumte Freiwilligkeitsphase sei zu kurz. Die in § 3 Abs. 1 AmtsO für eine amtsangehörige Gemeinde vorgesehene Einwohnerzahl von 500 Einwohnern sei offensichtlich willkürlich, um so mehr, als im Gesetzgebungsverfahren offengeblieben sei, ob „regelmäßig“ tatsächlich eine Öffnung dieser Richtgröße bedeute. Von Gesetzes wegen hätte eine Ausnahmemöglichkeit in bezug auf die Mindesteinwohnerzahl geschaffen werden müssen.

Die Beschwerdeführerin beantragt

festzustellen, daß § 3 Abs. 1 Satz 2 der Amtsordnung für das Land Brandenburg vom 15. Oktober 1993 (GVBl. I S. 450) in der Fassung des Art. 2 Nr. 3 lit. a des Gesetzes zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13.3.2001 (GVBl. I S. 30) mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und nichtig ist.

III.

Dem Landtag Brandenburg, der Landeregierung, dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg und dem Gemeindetag Brandenburg ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

1. Nach Ansicht der Landesregierung ist die kommunale Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig.

Die Beschwerdeführerin sei nicht beschwerdebefugt. Es fehle an einer unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit der Beschwerdeführerin. Zunächst bleibe ein etwaiges die konkrete Neugliederung vollziehendes Gesetz abzuwarten. Im Zuge der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines solchen Gesetzes seien gegebenenfalls die ihm zugrundeliegenden Leitlinien inzident mit zu überprüfen. Es sei nicht verläßlich einschätzbar, zu welcher Entscheidung der Gesetzgeber gelangen werde.

Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Das Gesetzgebungsverfahren sei nicht zu beanstanden. Der Landtag selbst entscheide über die Dringlichkeit eines Gesetzgebungsverfahrens. Der Gesetzgeber habe auch nicht in einer Art Maßstäbegesetz die Leitlinien für die Reform niederzulegen brauchen. Die in § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO festgelegte Regelmindestgröße amtsangehöriger Gemeinden sei mit Art. 97 Abs. 1 und Art. 98 Abs. 1 LV vereinbar. Sie sei weder unverhältnismäßig noch willkürlich. Kommunale Selbstverwaltung erfordere ein Mindestmaß an Leistungsfähigkeit. Leistungsschwache Gemeinden entsprächen nicht dem verfassungsrechtlichen Leitbild der kommunalen Selbstverwaltung, weil die Gemeinde dann kein ernst zu nehmendes Gegengewicht zur staatlichen Verwaltung mehr bilde. Die Bewertung des Gesetzgebers, daß Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern in der Regel nicht in dem erforderlichen Maße zu einer hinreichend kraftvollen Betätigung der gemeindlichen Selbstverwaltung in der Lage seien, ergebe sich aus der Finanzsituation solcher Gemeinden, die ihnen nur beschränkte Möglichkeiten der Aufgabenwahrnehmung und nur enge Entscheidungsspielräume belasse. In der Regel sei die Finanzsituation kleiner Gemeinden in der hier angesprochenen Größenordnung (weniger als 500 Einwohner) durch schwache eigene Steuerertragskraft, hohe Belastung mit Umlageverpflichtungen und geringe Investitionsmöglichkeiten gekennzeichnet. Aus der Schwäche eigener Steuereinnahmen erwachse ein höherer Bedarf an Schlüsselzuweisungen, der zu Lasten der anderen Gemeinden des Landes gehe. In Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern sei der Anteil der Mittel, die durch Umlageverpflichtungen (Amts- und Kreisumlage) gebunden seien, überproportional hoch. Gemeinden in dieser Größenordnung verbleibe kaum Finanzvolumen für Investitionsleistungen. Typische gemeindliche Investitionen wie etwa der Neubau einer Kindertagesstätte oder der Ausbau einer Gemeindestraße seien für solche Gemeinden nahezu nicht finanzierbar. Mit der Einführung einer Mindesteinwohnerzahl stärke der Gesetzgeber die gemeindliche Selbstverwaltung, indem er im äußeren Entwicklungsraum des Landes die zwangsweise Schaffung großflächiger Einheitsgemeinden vermeide und die Beibehaltung der Amtsverfassung im dünnbesiedelten Raum ermögliche. Durch die Regelung werde das bürgerschaftliche Engagement nicht unangemessen beeinträchtigt. Bei Gemeinden bis zu 500 Einwohnern mangele es ohnehin vielfach an Bewerbern für die Gemeindevertretung oder das Bürgermeisteramt.

2. Der Gemeindetag Brandenburg teilt der Sache nach die Auffassung der Beschwerdeführerin.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist zulässig, bleibt aber in der Sache selbst nach Maßgabe der Entscheidungsgründe ohne Erfolg.

I.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Die am 24. Januar 2002 eingegangene kommunale Verfassungsbeschwerde wahrt die einjährige Beschwerdefrist (s. § 51 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg). Das Gemeindestrukturgesetz ist gemäß Art. 6 am Tage nach der Verkündung, d.h. am 16. März 2001, in Kraft getreten.

2. Die Beschwerdeführerin ist beschwerdebefugt. Sie ist durch die angefochtene gesetzliche Festlegung einer Regel-Mindesteinwohnerzahl für amtsangehörige Gemeinden bereits selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

a) Gemäß Art. 100 LV, § 51 VerfGGBbg können Gemeinden Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, daß ein Gesetz des Landes ihr Recht auf Selbstverwaltung nach der Verfassung verletzt. Dies bedeutet, daß die beschwerdeführende Gemeinde von den Rechtswirkungen der angefochtenen Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein muß. Eine noch nicht greifbare und lediglich nicht auszuschließende Auswirkung irgendwann in der Zukunft eröffnet dagegen keine Beschwerdebefugnis (vgl. BVerfGE 74, 297, 319).

b) Hiervon ausgehend ist die Beschwerdeführerin in Bezug auf die für amtsangehörende Gemeinden in § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO bestimmte Regelmindestgröße („regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner“) beschwerdebefugt.

Zweifellos entfaltet diese Regelmindestgröße bereits unmittelbare rechtliche Wirkung im Hinblick auf die Genehmigung von Gebietsänderungsverträgen (s. § 9 Abs. 3 Gemeindeordnung für das Land Brandenburg - GO). Einen solchen Vertrag aber möchte die Beschwerdeführerin nicht abschließen. Zugleich wirkt die Regelung jedoch unmittelbar als ein gesetzgeberisches Kriterium für die Gemeindegebietsreform, welches auf die Beschwerdeführerin – die nur gut 100 Einwohner zählt – zutrifft und damit gegen sie ein Argument gegen ihre Fortexistenz als selbständige amtsangehörende Gemeinde begründet. Insoweit entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, daß der Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Gemeindegebietsreform das bisherige System - das im Land Brandenburg bisher Regel-Mindestgrößen für amtsangehörige Gemeinden nicht kennt - nicht ohne hinreichende Begründung verlassen darf (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 27. November 1978 - 2 BvR 165/75 -, BVerfGE 50, 50, 51 „Raum Hannover“; SächsVerfGH, LKV 1995, 115, 116 ff.; Thüringer VerfGH, Urteil vom 18. Dezember 1996, LVerfGE 5, 391, 422; Bayrischer VerfGH, BayVBl. 1978, 497, 503; hinsichtlich Kreisgebietsreform bereits das erkennende Gericht, Urteil vom 14. Juli 1994 – VfGBbg 4/93 – LVerfGE 2, 125, 142 = LKV 1995, 37; vgl. auch Dreier, in: H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 1998, Art. 28 Rn. 122; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG II , Art. 28 Rn. 233). Regelungen, die das System verändern, begründen für die hiervon betroffenen Kommunen die Beschwerdebefugnis.

Anders als im Falle der Entscheidung des erkennenden Gerichtes zur gesetzlichen Abschaffung des sogenannten Amtsmodells 2 (Durchführung der Amtsaufgaben durch die Verwaltung einer über 5.000 Einwohner großen, dem Amt angehörenden Gemeinde), welche die Fortexistenz der jeweiligen amtsangehörigen Gemeinden unberührt läßt (s. Beschluß vom 16. Mai 2002 – VfGBbg 40/01 -, a.a.O.), hat sich der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO – im Sinne eines Kriteriums der Gemeindestrukturreform - bereits dahingehend gebunden, daß amtsangehörige Gemeinden zukünftig „regelmäßig“ nicht weniger als 500 Einwohner haben „sollen“. Bei den Beratungen des Gemeindestrukturgesetzes ist deutlich geworden, daß diese Regelmindestgröße bei der weiteren Gemeindegebietsreform eine wichtige Rolle spielen werde. Der Abgeordnete Schippel führte etwa in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes aus, daß die Änderung der Amtsordnung auch das Ziel verfolge, daß sich Gemeinden unter 500 Einwohnern zu Gemeinden über 500 Einwohnern zusammenschließen „sollen“ (Plenarprotokoll 3/29 des Landtages Brandenburg, S. 1733). In der abschließenden Lesung des Gesetzes bekräftigte Innenminister Schönbohm, das Gemeindestrukturgesetz sei „Konzept“ und „Kodifizierung“ der geplanten Strukturreform, das Gesetz diene zugleich der Schaffung von Klarheit über die Ziele der Gemeindegebietsreform (Plenarprotokoll 3/31 vom 28. Februar 2001, S. 1903). Der Abgeordnete Schulze führte aus, daß mit dem Gesetz eine Regelung geschaffen werde, „nach der sich Gemeinden, die unter 500 Einwohner haben, zusammenschließen müssen. Wenn sie es nicht freiwillig tun, dann wird dies in wenigen Monaten und Jahren nachgeholt“ (Plenarprotokoll 3/31 des Landtages Brandenburg vom 28. Februar 2001, S. 1906). Dementsprechend heißt es auch in den von der Landesregierung am 11. Juli 2000 beschlossenen und vom Landtag mit Entschließungen vom 20. September 2000 (LT-Drs. 3/1732-B) und vom 24. Oktober 2001 (vgl. LT-Drs. 3-3457/B) gebilligten Leitlinien der Landesregierung, daß entsprechende Gemeinden keine Zukunft haben werden (vgl. LT-Drs. 3-1482: „Bei Gemeindezusammenschlüssen ist darauf hinzuwirken, daß amtsangehörige Gemeinden zukünftig nicht weniger als 500 Einwohner haben“).

Der Beschwerdebefugnis in dieser Hinsicht steht auch nicht entgegen, daß es zur Auflösung der Beschwerdeführerin gem. Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV noch eines gesonderten Gesetzes bedarf. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt wird die Beschwerdeführerin durch die Regelung faktisch bedrängt, sich mit anderen Gemeinden zusammenzuschließen, damit die Mindesteinwohnergrenze überschritten wird. Gleichzeitig bewirkt die Regelung, daß andere Gemeinden einen Zusammenschluß nur mit solchen Gemeinden - und womöglich gerade nicht mit der Beschwerdeführerin - anstreben, mit denen zusammen die Regelmindestgröße erreicht wird. Weiter muß die Beschwerdeführerin damit rechnen, daß ihr in einem späteren Stadium der Gemeindegebietsreform ihre (deutlich) unter der Regelmindestgröße des § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO liegende Einwohnerzahl als Argument für ihre Auflösung vorgehalten wird. Angesichts alles dessen wirkt sich die Regelung bereits gegenwärtig und unmittelbar auf den kommunalpolitischen Bewegungsspielraum der Beschwerdeführerin und ihre Rechtsposition bei der anstehenden Gemeindeneugliederung aus.

II.

Die Kommunalverfassungsbeschwerde führt jedoch nicht zu der Feststellung, daß die angefochtene Regelung mit der Landesverfassung unvereinbar und nichtig ist. Die Festlegung einer Regelmindesteinwohnerzahl für amtsangehörige Gemeinden in § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO - als einem Richtwert für die Gemeindegebietsreform – ist unter Beachtung und nach Maßgabe der nachfolgenden Entscheidungsgründe (insbesondere unter 3. b) von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

1. Mit ihrer Rüge, daß das Gemeindestrukturgesetz schon formell nicht verfassungsgemäß zustandegekommen sei, bleibt die Beschwerdeführerin ohne Erfolg.

a) Im Gesetzgebungsverfahren ist nicht gegen Art. 97 Abs. 4 LV verstoßen worden. Nach dieser Verfassungsregelung sind die Gemeinden und die Gemeindeverbände in Gestalt ihrer kommunalen Spitzenverbände rechtzeitig zu hören, bevor durch Gesetz oder Rechtsverordnung allgemeine Fragen geregelt werden, die sie unmittelbar berühren. Diesem Anhörungserfordernis ist bei Verabschiedung des Gemeindestrukturgesetzes ausreichend Genüge getan worden. Das gilt auch, soweit es um die Beteiligung des Gemeindetages geht. Das erkennende Gericht hat bereits in dem Urteil vom 21. März 2002 - VfGBbg 19/01 – ausgeführt (S. 26 des Entscheidungsabdrucks):

„Das Gericht hat für den Fall der Auflösung eines Gemeindeverbandes entschieden, daß für die von Verfassungs wegen geforderte Anhörung (Art. 98 Abs. 3 Satz 3 LV) kein bestimmtes förmliches Verfahren vorgeschrieben ist (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 15. September 1994 - VfGBbg 3/93 -, LVerfGE 2, 143, 156). Entsprechendes hat für die (allgemeine) Anhörung nach Art. 97 Abs. 4 LV zu gelten (Urteil vom 17. Oktober 1996 - VfGBbg 5/95 -, LVerfGE 5, 79, 90). Von daher kann hier dahinstehen, ob der Gemeindetag Brandenburg neben dem Landkreistag Brandenburg und dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg die Voraussetzungen eines kommunalen Spitzenverbandes i. S. des Art. 97 Abs. 4 LV erfüllt. Denn jedenfalls ist er in einer Weise angehört worden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würde. In der 21. Sitzung des Ausschusses für Inneres des Landtages Brandenburg am 15. Februar 2001 wurden - neben einzelnen Gemeinden und Ämtern sowie dem Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam, dem Kommunalpolitischen Forum Land Brandenburg und anderen Institutionen - die Vertreter des Landkreistages Brandenburg und des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg sowie des Gemeindetages Brandenburg gehört. Gegenstand dieser öffentlichen Anhörung waren der Gesetzentwurf der Landesregierung für das „Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg“ (LT-Drs. 3/2233) und der Entwurf der Fraktion der PDS für ein „Gesetz über die Grundsätze der Gemeindegebietsreform im Land Brandenburg“ (LT-Drs. 3/2250). Diese Entwürfe wurden zusammen mit einem Fragenkatalog auch dem Gemeindetag Brandenburg zur Vorbereitung der Anhörung zugeleitet. Alle drei Verbände haben sodann schriftliche Stellungnahmen abgegeben und vor dem Ausschuß für Inneres mündlich ihre Auffassungen dargelegt.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Es ist auch nicht etwa so, daß die Anhörung der Kommunen und ihrer Verbände in der (21.) Sitzung des Innenausschusses am 15. Februar 2001 eine bloße Pflichtübung gewesen und für das weitere Gesetzgebungsverfahren praktisch „unter den Tisch gefallen“ wäre. Nach der Anhörung am 15. Februar 2001 und der Übersendung des Protokolls der Anhörung am 20. Februar 2001 verblieb sowohl im Innenausschuß, der sich am 22. Februar und 26. Februar 2001 nochmals mit dem Entwurf des Gemeindestrukturgesetzes befaßte, als auch bis zu der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs im Landtag am 28. Februar 2001 Gelegenheit, sich mit dem bei der Anhörung der Kommunen und ihrer Verbände Vorgetragenen zu beschäftigen. Das ist ersichtlich auch geschehen. So hat etwa die Fraktion der PDS in einem Änderungsantrag, durch den sie die Streichung der Mindesteinwohnerzahl (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO) erstrebte, auf die Anhörung (vgl. LT-Drs. 3/2469) und „insbesondere“ auf Prof. Dr. Reichard Bezug genommen. Auch sonst ist in der Aussprache des Landtages mehrfach aus den in der Anhörung abgegebenen Stellungnahmen z.T. wörtlich zitiert worden (vgl. Plenarprotokoll 3/31 vom 28. Februar 2001).

b) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, daß das Gemeindestrukturgesetz unter Verletzung von Art. 67 Abs. 1 Satz 2 LV (Mitwirkung der Fraktionen an der Arbeit des Landtages) und Art. 55 Abs. 2 LV (Opposition als Bestandteil der Demokratie mit dem Recht auf Chancengleichheit) zustandegekommen sei, ist ihr eine Berufung hierauf verwehrt. Gemäß Art. 100 LV, § 51 Abs. 1 VerfGGBbg können Gemeinden und Gemeindeverbände kommunale Verfassungsbeschwerde (nur) mit der Behauptung erheben, daß „ihr Recht auf Selbstverwaltung nach der Verfassung“ verletzt sei. Sie können deshalb im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde allein eine Verletzung solcher Verfassungsbestimmungen rügen, die die kommunale Selbstverwaltung prägen oder doch mit der kommunalen Selbstverwaltung – wie dies bei den Anhörungsrechten nach Art. 97 Abs. 4 und 98 Abs. 3 der Fall ist – zu tun haben (vgl. etwa BVerfGE 91, 228, 242, 245; 71, 25, 37; 56, 298, 310; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl., § 20 Rn. 698 ff; Clemens, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91 Rn. 99 ff). Die Rechte, die sich aus Art. 67 Abs. 1 LV für eine Fraktion oder aus Art. 55 Abs. 2 LV für die Opposition ergeben, sind hingegen in den dafür zur Verfügung stehenden Verfahren – Organstreitverfahren, denkbarerweise auch Normenkontrollverfahren – vor dem Verfassungsgericht geltend zu machen. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist ein spezielles Rechtsinstitut zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung und kann sich nicht an die Stelle des Organstreitverfahrens oder der abstrakten Normenkontrolle (s. insoweit Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl., § 20, Rn. 696; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., § 12, Rn. 59) setzen.

Ob etwas anderes für den Fall gelten kann, daß ein die Kommunen betreffendes Gesetz ganz offensichtlich formell verfassungswidrig ist und – in diesem Sinne – evident an einem elementaren Formalmangel leidet, kann offenbleiben, weil ein solcher Fall hier nicht in Frage steht. Insbesondere erscheinen die Rechte der PDS als Fraktion und (Teil der) Opposition nicht in einem Maße verkürzt, daß das Gemeindestrukturgesetz deshalb als unzweifelhaft formell verfassungswidrig anzusehen wäre. Freilich handelte es sich um ein sehr gedrängtes Gesetzgebungsverfahren und es verblieb nach der Ausgabe des knapp 100seitigen Wortprotokolls über die Anhörung im Innenausschuß vom 15. Februar 2001 (Freitag) am 20. Februar 2001 (Mittwoch) bis zu den weiteren Sitzungen des Innenausschusses am 22. Februar 2001 (Freitag) und – zur Beschlußempfehlung – am 26. Februar 2001 (Dienstag) sowie bis zur zweiten Lesung des Gemeindestrukturgesetzes im Landtag am 28. Februar 2001 (Donnerstag) nur wenig Zeit. Indessen konnte sich die PDS-Fraktion auch schon vor der Ausgabe des Wortprotokolls mit den Ergebnissen und Argumenten der Anhörung befassen. Auch danach verblieben bis zu der Beschlußempfehlungs-Sitzung des Innenausschusses am 26. Februar 2001 noch 6 Tage (4 Arbeitstage), bis zur zweiten Lesung im Landtag nochmals zwei Tage. Das Gericht verkennt nicht die mit diesem knappen Zeitplan verbundene Drucksituation, sieht aber die Grenze, von der an – allenfalls - daran gedacht werden könnte, das Gesetz im Kommunalbeschwerdeverfahren gleichsam als null und nichtig zu behandeln, nicht als erreicht an.

2. Die Beschwerdeführerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Gesetzgeber gehalten gewesen sei, vorab, also vor Durchführung der Gemeindegebietsreform, ein Leitbild der brandenburgischen Gemeinde festzulegen und in diesem Sinne über die Maßstäbe für Neugliederungsmaßnahmen gesetzgeberische Klarheit zu schaffen. Die Beschwerdeführerin rügt damit der Sache nach, daß der Gesetzgeber kein Gesetz erlassen habe. Ob dies Gegenstand einer kommunalen Verfassungsbeschwerde sein kann, ist schon im Ansatz zweifelhaft (verneinend etwa Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 2001, 74 mit Anm. Ehlers, DVBl 2000, 1520; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91 Rn. 24; Clemens, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91 Rn. 35). Art. 100 LV und § 51 Abs. 1 VerfGGBbg stellen - anders als Art. 6 Abs. 2 LV, § 45 Abs. 1 VerfGGBbg – nicht darauf ab, ob ein in der Verfassung gewährleistetes Recht durch die „öffentliche Gewalt“ verletzt worden ist, was auch durch Unterlassen denkbar ist, sondern darauf, ob das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstverwaltung durch ein „Gesetz“ verletzt ist. Auch sieht § 51 Abs. 3 i.V.m. § 41 S. 1 VerfGGBbg für den Fall einer erfolgreichen kommunalen Verfassungsbeschwerde – anders als § 50 Abs. 2 VerfGGBbg für die Individualverfassungsbeschwerde („Handlung oder Unterlassung“)- nur die Feststellung der Nichtigkeit bzw. Unvereinbarkeit der „beanstandeten Rechtsnorm“ vor. Jedenfalls aber kann sich ein Beschwerdeführer von Verfassungs wegen allenfalls dann auf ein gesetzgeberisches Versäumnis, etwa im Sinne einer Unvollständigkeit der getroffenen Regelung (zur Unterscheidung vgl. etwa BVerfG, Beschluß vom 25.8.1998 – 1 BvR 2487/94 -, NVwZ 1999, 175; van den Hövel, Zulässigkeits- und Zulassungsprobleme der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze, 1990, S. 66) berufen, wenn ein Verfassungsauftrag zu einem Tätigwerden (oder zu einem weitergehenden Tätigwerden) des Gesetzgebers bestand (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 93 Rn. 69; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 90 Rn. 112). So liegt es hier aber nicht. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, überhaupt eine Gemeindegebietsreform durchzuführen. Nähme er davon etwa wieder Abstand, liefe eine gesetzgeberische Festlegung eines Leitbildes von vornherein leer. Aber auch wenn der Gesetzgeber eine Gemeindegebietsreform verfolgt, braucht er kein Leitbild in Gesetzesform zu fixieren. Er kann vielmehr die Gründe des öffentlichen Wohls, an denen sich die gemeindliche Neugliederung messen lassen muß (Art. 98 Abs. 1 LV), auch in anderer Weise konkretisieren (vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhoff, HdstR III, 2. Aufl., § 62 Rn. 39). Damit korrespondiert die Kontrollkompetenz des Landesverfassungsgerichts, welches gegebenenfalls zu überprüfen hat, ob sich die Maßstäbe des Gesetzgebers als Gründe des öffentlichen Wohls darstellen und vom Gesetzgeber sachgerecht angelegt worden sind. Im übrigen würden die gesetzgeberischen Vorgaben, welche die Beschwerdeführerin vermißt, sie selbst aber auch gar nicht betreffen. Weder steht die Umwandlung des Amtes Neuhardenberg in eine amtsfreie Gemeinde zu erwarten noch läge eine solche Gemeinde im sogenannten engeren Verflechtungsraum oder hätte sie weniger als 5.000 Einwohner. Auch daß die Beschwerdeführerin gerade durch die Kürze der Freiwilligkeitsphase an einem Zusammengehen mit einer anderen Gemeinde gehindert gewesen wäre, wird von ihr nicht geltend gemacht.

3. Die Festlegung einer Regel-Mindesteinwohnerzahl für amtsangehörige Gemeinden durch § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO („regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner“) ist auch als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Anerkanntermaßen ist die Auflösung von Gemeinden und die Änderung ihres Gebietes durch den Staat nicht von vornherein ausgeschlossen. Art. 98 LV zieht jedoch hierfür Grenzen. In das Gebiet einer Gemeinde und ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Das öffentliche Wohl ist dabei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwar der Unterlegung mit einer Vielfalt von Zwecken und Sachverhalten zugänglich ist, jedoch die Verwirklichung von Zwecken und Sachverhalten ausschließt, die dem Staat und seinen Gebietskörperschaften im ganzen mehr schaden als nützen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 18. Juni 1998 - VfGBbg 27/97 - LVerfGE 8, 97, 169 = DVBl 1999, 34 = LKV 1998, 395 = NJ 1998, 588; VerfGH NW, Urteil vom 4.8.1972 – VerfGH 9/71 -). Bei der Überprüfung von Leitlinien, auf die der Gesetzgeber bei einer Gebietsreform zurückgreift, kontrolliert das Verfassungsgericht aber nur, ob die zugrundeliegenden Annahmen hinreichend ermittelt, ob die Leitlinien nicht offensichtlich ungeeignet und ob sie der Verwirklichung des gesetzgeberischen Reformzieles dienlich sind. Die Konkretisierung der einzelnen Ziele einer allgemeinen Gemeindegebietsreform ist zunächst der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers vorbehalten, der die verschiedenen Gemeinwohlgründe gewichten und ordnen kann. In diesem Sinne bleibt die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf dieser Stufe der Gemeindegebietsreform eingeschränkt (vgl. etwa Thüringer Verfassungsgerichtshof, LVerfGE 5, 391,
423 m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben hält hier die Regel-Mindesteinwohnerzahl für amtsangehörige Gemeinden von 500 Einwohnern (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO) der verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Ziel der Gemeindestrukturreform und des Gemeindestrukturgesetzes ist es ausweislich der von der Landesregierung beschlossenen und vom Landtag gebilligten Leitlinien der Landesregierung und der Gesetzesbegründung zum Gemeindestrukturgesetz (LT-Drs. 3/2233), die Verwaltungs- und Leistungskraft der Städte, Gemeinden und Ämter zu stärken. Die Landesverfassung steht der Einschätzung, daß sich aus einer geringen Einwohnerzahl der Gemeinde typisierend Rückschlüsse auf die (verminderte) Leistungsfähigkeit der Gemeinde ergeben, nicht entgegen. Der Rückgriff auf die Einwohnerzahl als Indiz für die Leistungsfähigkeit der Gemeinde ist auch bei amtsangehörigen Gemeinden unbeschadet dessen statthaft, daß eine amtsangehörige Gemeinde – jedenfalls im Land Brandenburg – nicht selbst Träger der „eigentlichen“ Verwaltung ist. Die Gemeindevertretung auch der amtsangehörigen Gemeinde bleibt ungeachtet der administrativen Umsetzung durch das Amt für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Nicht das Amt, sondern die einzelne Gemeinde ist Träger der gemeindlichen Einrichtungen und für den Unterhalt dieser Einrichtungen zuständig. Solche Einrichtungen können im Regelfall sinnvoll nur von bestimmten gemeindlichen Mindestgrößen an betrieben werden (vgl. Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. März 1993 – 4 K 1/92 -, UA S. 35; Wilhelm LKV 2001, 11 f; Pfeil, LKV 2000, 132; Wagner, Neubau der Verwaltung, S. 328 ff.). Dementsprechend sind auch in anderen Bundesländern bei Gemeindegebietsreformen je nach Bevölkerungsdichte und Siedlungsstruktur Gemeinde-Mindestgrößen zugrunde gelegt worden. So wurde z.B. in Nordrhein-Westfalen für ländliche Orte eine Größe von 8.000, in Niedersachsen von 5.000, in Rheinland-Pfalz von 7.500 und in Schleswig-Holstein von 5.000 Einwohnern angestrebt (vgl. von Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 110). In Sachsen sehen die Leitbilder eine Größe von 1.000 Einwohnern für Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften und Verwaltungsverbänden vor. In Bayern ist seinerzeit bei der Gemeindegebietsreform nicht nur der Richtwert von 5.000 Einwohnern pro Verwaltungseinheit (Einheitsgemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft), sondern auch ein Richtwert von 1.000 Einwohnern für die einzelne Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft zugrunde gelegt worden. Derartige Vorgaben sind, soweit ersichtlich, verfassungsgerichtlich jeweils unbeanstandet geblieben (siehe etwa VerfGH Sachsen, Urteil vom 18. November 1999 – Vf. 174-VIII-98 -; StGH Bad.-Württ., Urteil vom 14. Februar 1975, DVBl 1975, 385, 391; vgl. auch BayVGH, Beschluß vom 3. März 1977 – Nr. 65 V 76 -, BayVBl 1979, 146, 148). Im Schrifttum wird als Alternative zur Einheitsgemeinde gerade auch der Zusammenschluß von kleineren Gemeinden, ggf. ihrerseits mit entsprechend niedrigeren Regel-Mindesteinwoh-nerzahlen, unter Beibehaltung einer Amtsverfassung angesehen (vgl. etwa Oehler, LKV 1992, 72, 75, der einen Richtwert von 800 Einwohnern nennt; Hoppe/Stüer, DVBl. 1992, S. 641, 652: Bildung von Verwaltungsgemeinschaften/Ämterverwaltungen mit „numerischen Vorgaben insbesondere für akzeptable Mindestzahlen von Einwohnern“). Eine unzureichende Regelgröße kann sogar verhindern, daß Aufgaben auf Gemeinden verlagert werden (vgl. etwa BVerfG, Beschl. vom 24. Juni 1969 – 2 BvR 446/64 – BVerfGE 26, 228, 239: Scheitern der Schulträgerschaft an zu geringer Gemeindegröße). Von daher erweist sich eine Regel-Mindesteinwohnerzahl als geeigneter Maßstab dafür, ob eine bestimmte Aufgabe von der Gemeinde sinnvoll und wirtschaftlich erfüllt werden kann. Auch die kommunale Finanzverfassung stellt bei den allgemeinen Zuweisungen, den Schlüsselzuweisungen, zur Ermittlung des Finanzbedarfes verbreitet auf die Zahl der Einwohner als zentrales Kriterium ab. Über eine Regel-Mindesteinwohnerzahl wird darauf hingewirkt, daß jede Gemeinde über einen Mindestbetrag an Finanzmitteln verfügt.

Zu verlangen ist allerdings, daß die Unterschreitung einer bestimmten Mindesteinwohnerzahl nicht rechtlich oder faktisch zwingend zur Auflösung bzw. Eingliederung einer Gemeinde führt. Die kommunale Selbstverwaltung hat nicht nur die Daseinsvorsorge der Bürger im Blick, sondern dient auch dazu, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken. Von daher können zum Beispiel auch geographische Gegebenheiten (wie etwa die isolierte Lage einer Kommune, Entfernungen zu anderen Orten) eine Rolle spielen. Ferner können geschichtliche Zusammenhänge (etwa eine selbstbewußte Rolle der Kommune in der Geschichte) sowie sozio-kulturelle Gesichtspunkte (etwa die sorbische Prägung einer Gemeinde oder religiöse Besonderheiten) Berücksichtigung verdienen. Die Vielgestaltigkeit der verschiedenen Gesichtspunkte, die der Gesetzgeber in seine Abwägung einzustellen hat, verbieten es, einem Kriterium zwingend Vorrang einzuräumen oder die Abwägung rein schematisch vorzunehmen und von den konkreten örtlichen Besonderheiten abzusehen. Die Selbstverwaltung ist nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf deshalb nicht bloß in quantifizierender Betrachtungsweise und ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein wegen des Unterschreitens einer bestimmten Einwohnergrenze aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem erreichten Vorteil geraten. Bei Abwägen aller Kriterien müssen ggf. die Einwohnerzahlen zurückstehen, wenn die Würdigung des Einzelfalles eine vertretbare Lösung mit geringerer Einwohnerzahl zuläßt. Nicht zuletzt kann die geringere Einwohnerzahl z.B. durch höhere Wirtschaftskraft (etwa durch lukrative Firmenansiedlungen oder als Folge erhöhten touristischen Interesses) ausgeglichen werden. Je stärker allerdings die Einwohnerzahl hinter der Richtzahl zurückbleibt, desto schwerer müssen die Gesichtspunkte wiegen, die für den Fortbestand der Gemeinde sprechen. Zugleich ist zu berücksichtigen, daß bei einer allgemeinen Gebietsreform größere Räume neu zu gliedern sind, so daß nicht allein örtliche Gegebenheiten der einzelnen Gemeinde zu bedenken sind, sondern auch der größere Rahmen und damit auch die Frage einzubeziehen ist, ob die Voraussetzungen für die Bildung eines Amtes vorliegen (vgl. auch BayVerfGH, Beschl. vom 29. April 1981 – Vf. 1-VII-78 -, BayVBl 1981, 399, 400). Läßt sich eine kleine Gemeinde zwanglos in ein weiterbestehendes Amt – und als solches kommt auch ein unmittelbar an die Gemeinde grenzendes Nachbaramt in Betracht - einfügen, muß dies mit besonderem Gewicht in die Abwägungsentscheidung einfließen.

Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 AmtsO läßt für die angemessene Berücksichtigung der genannten und ggf. weiterer Gesichtspunkte neben der Regel-Mindesteinwohnerzahl hinreichend Raum. Die doppelte Relativierung, wonach amtsangehörige Gemeinden „regelmäßig“ nicht weniger als 500 Einwohner haben „sollen“, läßt je nach Gewicht der für den Fortbestand der betreffenden Gemeinde sprechenden Gesichtspunkte auch amtsangehörige Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern zu. Die Regelung gerät deshalb nicht in Widerspruch zur Landesverfassung.
  

Dr. Macke Dr. Dombert
 
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
 
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
 
Prof. Dr. Schröder Weisberg-Schwarz
  
Prof. Dr. Will