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VerfGBbg, Beschluss vom 28. September 2006 - VfGBbg 17/06 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1
- FGO, § 69 Abs. 4; FGO, § 133a; FGO, §138 Abs. 1
Schlagworte: - Anhörung
- Gegenvorstellung
- rechtliches Gehör
- faires Verfahren
- Rechtswegerschöpfung
nichtamtlicher Leitsatz: 1. Der Rechtsweg gilt als erschöpft, wenn mit einer nach Inkrafttreten des Anhörungsrügegesetzes (01. Januar 2005) erfolglos erhobenen „Gegenvorstellung“ ausschließlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt wird. In diesem Fall ist die „Gegenvorstellung“ vom Gericht als Anhörungsrüge zu behandeln.

2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn Tatsachenvortrag, der - nach Ansicht des Gerichts - für eine Entscheidung von zentraler Bedeutung ist, von diesem ersichtlich nicht zur Kenntnis genommen wurde.
Fundstellen: - LKV 2007, 176
- DÖV 2007, 264 (nur LS)
- JMBl 2006, 147
- LVerfGE 17, 137
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 28. September 2006 - VfGBbg 17/06 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 17/06



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

K. GmbH i. L.,
vertreten durch die Liquidatorin,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte M.,

gegen die Beschlüsse des Finanzgerichtes des Landes Brandenburg vom 23. Dezember 2005 und vom 15. März 2006

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Schröder

am 28. September 2006

b e s c h l o s s e n :

1. Die Beschlüsse des Finanzgerichtes des Landes Brandenburg vom 23. Dezember 2005 und vom 15. März 2006 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg) sowie in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht des Landes Brandenburg zurückverwiesen.

2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die in einem finanzgerichtlichen Verfahren ergangene Kostenentscheidung.

I.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2003 war durch das Finanzamt gegen die seinerzeit als M. & K. GmbH firmierende Beschwerdeführerin die Umsatzsteuer für das Jahr 1996 in Höhe von 229.076,15 € festgesetzt worden, wovon 221.790,65 € getilgt wurden und 7.285,50 € nebst Zinsen offen blieben. Aufgrund des dagegen erhobenen Einspruchs setzte das Finanzamt im Dezember 2003 die Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheides aus, und zwar befristet bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der abschließenden Entscheidung im Einspruchsverfahren. Nachdem das Finanzamt sodann den Einspruch am 11. Oktober 2005 als unbegründet zurückgewiesen hatte, teilte es der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 18. Oktober 2005 mit, daß die Aussetzung der Vollziehung am 14. November 2005 ende und die verbliebene Umsatzsteuer nebst Zinsen in Höhe von nunmehr 2.392,00 € am 15. November 2005 fällig sei.

Am 04. November 2005 erhob die Beschwerdeführerin - vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigten - beim Finanzgericht Klage gegen die Einspruchsentscheidung und beantragte beim Finanzamt erneut die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides vom 24. Oktober 2003.

Am 16. November 2005 zog das Finanzamt die Steuerschuld nebst Zinsen vom Konto der Beschwerdeführerin ein, woraufhin diese am 17. November 2005 die Rückbuchung veranlaßte und nunmehr beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides vom 24. Oktober 2003 beantragte. Im Antragsschriftsatz trug sie zur Begründung u. a. vor:

„...

Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin unter dem Aktenzeichen ... Klage eingereicht. Mit Schreiben vom 2.11.2005 hat die Klägerin beantragt, erneut die Vollziehung des Bescheides auszusetzen.

Beweis und Glaubhaftmachung: Schreiben vom 2.11.2005, Postausgangsbuch

Darüber ist nicht entschieden worden, statt dessen wurde am gestrigen Tag ... der Betrag von 7.285,50 € sowie die Zinsen in Höhe von rund 2400 € vom Konto der Klägerin bei der ... abgebucht.

Beweis und Glaubhaftmachung: Kontoauszug des Kontos der Klägerin der Sparkasse Spree-Neiße

Die Klägerin hat die Rückbuchung veranlaßt. ...“

Mit Eingangsbestätigung vom 18. November 2005 erteilte das Finanzgericht der Beschwerdeführerin folgenden Hinweis:

„...

Nach § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist ein Antrag an das Gericht auf Aussetzung der Vollziehung nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat.

Dies gilt nicht, wenn

1. Die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht entschieden hat oder

2. eine Vollstreckung droht.

Es wird gebeten, bis zum 30.11.2005 mitzuteilen, ob die Finanzbehörde einen bei dieser gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach Erlaß der Einspruchsentscheidung abgelehnt hat; ...

Sollten Sie eine unmittelbare Anrufung des Gerichts aus einem der oben unter 1. - 2. angegebenen Gründe für zulässig halten, wird gebeten, diese Gründe in der obigen Frist darzulegen und durch Beifügen von Unterlagen oder in sonst geeigneter Weise glaubhaft zu machen.

Anderenfalls wird anheimgestellt, die Aussetzung der Vollziehung bei der Finanzbehörde zu beantragen, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Für diesen Fall wird eine Prüfung angeregt, ob der unmittelbar beim Gericht gestellte Antrag aufrecht erhalten werden soll.

...“

Den daraufhin zum Nachweis des Abbuchungs- und Rückbuchungsvorgangs von der Beschwerdeführerin an das Finanzgericht übersandten Kontoauszügen vom 16. und 17. November 2005 war auch ein Schreiben des Finanzamtes vom 21. November 2005 beigefügt, in dem die Beschwerdeführerin unter Verweis auf die fehlgeschlagene Abbuchung gebeten wurde, den Betrag von 9.677,50 € zuzüglich 72,50 € Säumniszuschläge und 3,00 € Rücklastschriftgebühr innerhalb einer Woche zu überweisen, damit keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden müßten.

Das Finanzamt übersandte sodann mit Schriftsatz vom 30. November 2005 dem Finanzgericht die der Beschwerdeführerin am selben Tage - „auf den Antrag vom 04.11.2005“ - erteilte Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung und erklärte das Antragsverfahren in der Hauptsache für erledigt.

Die Beschwerdeführerin schloß sich mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2005 der Erledigungserklärung an und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.

Mit dem - durch den Berichterstatter des Senats - getroffenen Beschluß vom 23. Dezember 2005 legte das Finanzgericht die Kosten des Verfahrens der Beschwerdeführerin auf. Zur Begründung führte es aus:

„...

Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes billigem Ermessen, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, weil der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig war; die Antragstellerin hätte den Antrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zunächst beim Antragsgegner wiederholen müssen, ehe sie das Gericht anrief.

Rechtsmittelbelehrung

...“

Die Beschwerdeführerin reichte daraufhin am 10. Januar 2006 eine „Gegendarstellung“ beim Finanzgericht ein und beantragte zugleich, den Beschluß dahingehend abzuändern, daß der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.

Zur Begründung führte sie an, den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 2. November, also nach Ergehen der Einspruchsentscheidung, bei der Antragsgegnerin - dem Finanzamt - wiederholt und das Gericht am 17. November 2005 erst angerufen zu haben, nachdem ohne Entscheidung durch die Antragsgegnerin der Geldbetrag von ihrem Konto abgebucht worden sei. Dies sei auch schon in der Antragsbegründung vom 17. November 2005 mitgeteilt worden.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 12. Januar 2006 bat das Finanzgericht das Finanzamt um Mitteilung, „... ob wirklich schon am 02.11. ein AdV-Antrag beim Finanzamt gestellt worden war. Eine Änderung des Beschlusses käme dann in Betracht.“. Das Finanzamt bestätigte die Angaben der Beschwerdeführerin daraufhin.

Mit Beschluß vom 15. März 2006 wies das Finanzgericht - nunmehr durch den Senat und nach Ausscheiden des vormaligen Berichterstatters - die Gegenvorstellung zurück und führte zur Begründung aus:

„... Daraufhin hat die Antragstellerin Gegenvorstellung mit dem Vorbringen erhoben, daß sie beim Antragsgegner bereits am 2.11.2005 und damit nach Ergehen der Einspruchsentscheidung und vor Anrufung des Gerichts einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt habe. Dies habe sie auch bereits in ihrem Schriftsatz vom 17.11.2005, mit dem sie die Aussetzung der Vollziehung bei Gericht beantragt habe, vorgetragen.

Die Gegenvorstellung der Antragstellerin ... ist unbegründet. Nach der Rechtsprechung ist die Gegenvorstellung nur ausnahmsweise gegen solche mit ordentlichen Rechtsmitteln unanfechtbare Entscheidungen des Gerichts zugelassen, die unter ganz schwerwiegenden Fehlern leiden. Als solche hat die Rechtsprechung auch den - vorliegend einzig in Betracht kommenden - Fall einer sogenannten greifbaren Gesetzwidrigkeit anerkannt, bei dem die Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist ... . Die vom damals zuständigen Berichterstatter getroffene Kostenentscheidung ist nach dem Gesetz zumindest denkbar. Seine Entscheidung ist mit der geltenden Rechtsordnung weder schlechthin unvereinbar noch entbehrt sie jeder rechtlichen Grundlage oder ist dem Gesetz inhaltlich fremd (vgl. Bundesgerichtshof ...). Die Gegenvorstellung ist insbesondere nicht geeignet, jeden beliebigen Fehler zu korrigieren, sondern auf Fälle schwerster Fehler wie z. B. bei einem Verstoß auf das Recht des gesetzlichen Richters beschränkt. Auch ein schwerwiegender Verfahrensverstoß durch den früheren Berichterstatter, insbesondere gegen verfahrensrechtliche Grundrechte, ist nicht ersichtlich. ...“

II.

Mit der am 10. April 2006 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg - LV -), sowie des Anspruchs auf ein faires Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 LV), indem sie geltend macht: Das Grundrecht auf rechtliches Gehör bliebe eine leere Worthülse, wenn es lediglich darauf beschränkt wäre, daß jeder vortragen kann, was er für wichtig hält, sofern nicht damit auch die Pflicht des Gerichtes verbunden wäre, den Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung zu berücksichtigen, also in Erwägung zu ziehen. Das Finanzgericht habe ihren Vortrag ignoriert. Es sei durch das Gericht kein komplizierter Sachverhalt festzustellen gewesen, es sei nur um die Frage gegangen, ob nach Erlaß der Einspruchsentscheidung erneut ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt wurde. Das Gericht habe seine Entscheidung damit begründet, daß dieser Antrag nicht gestellt worden sei, obwohl er tatsächlich gestellt und dies auch in der Antragsschrift vom 17. November 2005 vorgetragen und unter Beweis gestellt worden sei. Damit habe das Gericht den vorgetragenen tatsächlichen Sachverhalt ignoriert bzw. willkürlich ins Gegenteil verdreht. Denn das Gericht hätte sonst der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegen müssen.

III.

Das Finanzgericht sowie das Finanzamt haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Gerichts- und Verwaltungsakten sind beigezogen worden.

Die Anfrage des Landesverfassungsgerichtes, ob der Antrag auf „Gegendarstellung“ der Beschwerdeführerin vom 09. Januar 2006 zumindest nicht auch als Anhörungsrüge nach § 133 a Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Folge aufzufassen sein könnte, daß die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör noch gar nicht - auch nicht durch den Beschluß des Senats vom 15. März 2006 - beschieden worden ist, so daß das Verfahren insoweit noch fortzuführen wäre, verneinte das Finanzgericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sei eine Umdeutung von Prozeßerklärungen- und Anträgen bei Angehörigen beratender Berufe grundsätzlich nicht möglich.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Insbesondere ist der Rechtsweg ausgeschöpft (§ 45 Abs. 2 S. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Gegen den Kostenbeschluß des Finanzgerichtes vom 23. Dezember 2005 stand ein weiteres Rechtsmittel nicht zur Verfügung (§ 128 Abs. 4 Satz 1 FGO). Auch von dem Rechtsbehelf nach § 133 a FGO - der Anhörungsrüge -, der nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts zur Ausschöpfung des Rechtsweges gehört (u. a. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 20. April 2006 - VfGBbg 74/05 -), hat die Beschwerdeführerin der Sache nach Gebrauch gemacht (in diesem Sinne - in einem vergleichbaren Zusammenhang - auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 46/02 -, LVerfGE 13, 153; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92 -, LVerfGE 1, 81, 84). Das Finanzgericht hätte die gegen den Beschluß vom 23. Dezember 2005 erhobene Gegenvorstellung - mit der die Beschwerdeführerin auf ihre Antragsbegründung vom 17. November 2005 und den dort vorgetragenen Sachverhalt verwies -, als Antrag nach § 133 a FGO behandeln müssen.

Seit dem Inkrafttreten des Anhörungsrügegesetzes zum 01. Januar 2005 kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nur noch mit der Anhörungsrüge nach § 133 a FGO geltend gemacht werden; eine formlose Gegenvorstellung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung ist seitdem bei Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr zulässig (Ruban, in: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Auflage, Vor § 115 Rz. 27). Den gleichwohl als Gegenvorstellung bezeichneten Rechtsbehelf, mit dem die Beschwerdeführerin - aufgrund des Gehalts ihres Vorbringens deutlich erkennbar - einzig den Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Grundgesetz - GG -, Art. 52 Abs. 3 LV) gerügt hat, hätte das Finanzgericht daher - ungeachtet des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin anwaltlich vertreten war - als Anhörungsrüge behandeln müssen (Ruban, a.a.O., Vor § 115 Rz. 27, § 133 a Rz. 12; Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 08. Dezember 2005 - 5 B 92/05 -; bei einer als Beschwerde erhobenen Anhörungsrüge u. a. auf den Kern des Vorbringens abstellend auch Bundesfinanzhof, Beschluß vom 24. April 2006 - VII B 40/06 -). Denn eine Abänderung der mit der Gegenvorstellung beanstandeten Entscheidung kam nur im Rahmen des § 133 a FGO in Betracht, weshalb nach dem Auslegungsgrundsatz der größtmöglichen Erfolgsaussicht zu verfahren gewesen wäre (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 46/02 -, LVerfGE 13, 153).

Tatsächlich hat sich denn auch das Finanzgericht ausweislich des angegriffenen Beschlusses vom 15. März 2006 nochmals mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin - das Finanzgericht habe ihren entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen - beschäftigt, jedoch einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß durch den früheren Berichterstatter, insbesondere gegen verfahrensrechtliche Grundrechte, nicht festgestellt. Die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen darauf zu verweisen, daß sie sich ein weiteres Mal mit einem (nunmehr) ausdrücklich auf § 133 a FGO Bezug nehmenden Antrag an das Finanzgericht hätte wenden müssen, wäre Förmelei. Soweit das Finanzgericht, sei es auch ohne hinreichende "Verarbeitung" der hier zugrundliegenden Situation, nicht abgeholfen hat, ist dies - und wäre dies auch in dem Verfahren nach § 133 a FGO - nicht seinerseits nochmals anfechtbar (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. Februar 2000 - VfGBbg 39/99 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 45, 48 f.).

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - hier: durch die Finanzgerichtsordnung - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg in st. Rspr. seit Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff.; Beschluß vom 14. Februar 2002 - VfGBbg 65/01 -) sind hier gegeben: Ein Bundesgericht war nicht befaßt. Eine Rechtsschutzalternative zu der Verfassungsbeschwerde steht, wie ausgeführt, nicht mehr zur Verfügung. Die als verletzt in Betracht kommenden landesverfassungsrechtlich verbürgten Rechte auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren vor Gericht sind inhaltsgleich mit den entsprechenden grundrechtsgleichen Rechten des Grundgesetzes (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 2/05 - und vom 09. Dezember 2004 - VfGBbg 14/04 -).

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des Finanzgerichtes vom 23. Dezember 2005 und vom 15. März 2006 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV) sowie ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 S. 1 LV).

1. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gewährt den Prozeßbeteiligten das Recht, sich zu den entscheidungserheblichen Fragen einer rechtlichen Streitigkeit vor Erlaß der Entscheidung zu äußern (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 -, LVerfGE 2, 179, 182). Dem entspricht die Pflicht des Gerichtes, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - in st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 27, 248, 250; 70, 288, 293; 86, 133, 145; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 25. Februar 1999 - VfGBbg 52/98 - m.w.N.). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht. Es ist aber nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen, sondern kann sich auf die Bescheidung der ihm wesentlich erscheinenden Punkte beschränken. Insbesondere verwehrt es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen (BVerfG in st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 27, 248, 251 f.; 42, 363, 367 f.; 54, 117, 123; 60, 305, 310; 88, 366, 375 f.; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. Oktober 1997 - VfGBbg 25/97 -, S. 8 f. des Umdrucks; Beschluß vom 17. September 1998 - VfGBbg 26/98 -, S. 7 f. des Umdrucks; Beschluß vom 18. Juni 1996 - VfGBbg 20/95 -, LVerfGE 4, 201, 205; Beschluß vom 15. Juni 2006 - VfGBbg 69/05 -). Deshalb muß sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände ergeben, daß das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht mit in Betracht gezogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so läßt dies auf Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern das Vorbringen nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133, 145 f. zu Art. 103 Abs. 1 GG). Diese in Bezug auf den Zivilprozeß entwickelten Verfahrensgrundsätze sind sinngemäß auch im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachten (§ 155 FGO).

Hiernach werden sowohl der Beschluß des Finanzgerichts vom 23. Dezember 2005 als auch jener vom 15. März 2006 dem Inhalt und der Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gerecht.

Der Beschluß vom 23. Dezember 2005 läßt nicht erkennen, warum das Finanzgericht dem substantiierten Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin nicht gefolgt ist. Das Vorbringen war auch nach dem Rechtsstandpunkt des Finanzgerichts nicht unerheblich, was sich darin zeigt, daß in der Begründung des Beschlusses gerade auf das Gegenteil, nämlich eben darauf abgestellt wird, daß der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig sei, da die Antragstellerin den Antrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zunächst beim Antragsgegner hätte wiederholen müssen, ehe sie das Gericht anrief. Hierin kommt deutlich zum Ausdruck, daß das Finanzgericht dieses wesentliche Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht - wie es im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV seine Pflicht gewesen wäre - in Erwägung gezogen hat.

Soweit das Finanzgericht - durch die Gegendarstellung/Anhörungsrüge veranlaßt - die Möglichkeit zur Selbstüberprüfung und -korrektur des Beschlusses vom 23. Dezember 2005 nicht genutzt hat, verstößt der daraufhin ergangene und die Verfassungswidrigkeit perpetuierende Beschluß des Finanzgerichts vom 15. März 2006 ebenfalls gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Nach Wortlaut und Begründungsgang dieses Beschlusses kann nicht festgestellt werden, daß das Finanzgericht die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin ernsthaft in Erwägung gezogen hat.

2. Aus den zu 1. ausgeführten Gründen verletzen die Beschlüsse des Finanzgerichts vom 23. Dezember 2005 sowie vom 15. März 2006 die Beschwerdeführerin auch in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV.

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Finanzgericht zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die sich aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs und der Fairneß des Verfahrens vor Gericht ergebenden Anforderungen beachtet hätte. Dem Landesverfassungsgericht ist es verwehrt zu beurteilen, zu welchem Ergebnis das Finanzgericht bei der nach § 138 Abs. 1 FGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes vorzunehmenden Ermessensentscheidung gelangt. Für das verfassungsgerichtliche Verfahren ist allein maßgeblich, daß die vom Finanzgericht als allein tragend erachtete Begründung den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht wird.

III.

Gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg sind die angegriffenen Beschlüsse des Finanzgerichts aufzuheben und ist das Verfahren an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

C.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
Prof. Dr. Schröder