VerfGBbg, Beschluss vom 27. Mai 2011 - VfGBbg 20/10 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 6 Abs. 2 - VerfGGBbg, § 45 - EV, Art. 9 |
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Schlagworte: | - Prüfungskompetenz - materielle Subsidiarität |
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amtlicher Leitsatz: | Die formelle Rechtmäßigkeit von Rechtssätzen der DDR, die gemäß Art. 9 Abs. 3 Einigungsvertrag, Art. 3 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages nach ihrem Beitritt zur Bundesrepublik gelten sollen, ist nicht Gegenstand der Überprüfung durch das Landesverfassungsgericht, wenn sie erst nach Inkrafttreten der Vereinbarung am 29. September 1990 Rechtswirksamkeit erlangt haben. | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 27. Mai 2011 - VfGBbg 20/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 20/10
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IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
Dr. S.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. & B.,
gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. September 2009 – 11 B 17.08 - sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. August 2005 – 5 K 2669/00 -
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker,
Dielitz, Dr. Lammer, Möller, Nitsche und Partikel
am 27. Mai 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Beschränkungen, die ihm als Eigentümer größerer Waldflächen im Biosphärenreservat S.-Ch. durch die Verordnung über die Festsetzung von Naturschutzgebieten und einem Landschaftsschutzgebiet von zentraler Bedeutung mit der Gesamtbezeichnung „Biospährenreservat S.–Ch.“ vom 12. September 1990 (Verordnung) auferlegt werden.
Die Verordnung dient gemäß ihres § 4 dem Schutz, der Pflege und Entwicklung der besonderen Vielfalt, Eigenart und Schönheit einer in Mitteleuropa einzigartigen Kulturlandschaft. Sie gliedert das Biosphärenreservat in vier Typen von Schutzzonen (§ 3) und enthält verschiedene Gebote zur Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes. § 6 der Verordnung enthält Verbote, dazu zählt in Nr. 11 die Erstaufforstung sowie die Wiederaufforstung mit nicht heimischen Baumarten, ausgenommen die vorhandenen Lehrforsten, sowie in Nr. 19 das Verbot aller Handlungen, die den Charakter des Gebietes verändern oder dem Schutzzweck zuwiderlaufen. Gem. § 8 dieser Verordnung kann von den Verboten und Geboten der Verordnung auf Antrag im Einzelfall Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschrift zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu vereinbaren ist oder zu einer nicht gewollten Beeinträchtigung von Natur und Landschaft führen würde.
Der Beschwerdeführer beantragte am 2. März 2000 beim Landkreis U. – Untere Naturschutzbehörde – die Genehmigung zur Anpflanzung von 2.000 Douglasien je Hektar auf einer Fläche von 30 Hektar in seinem Revier F. (Abteilungen xxxx und xxxx), das in der Schutzzone II des Biosphärenreservats liegt.
Mit Bescheid vom 7. März 2000 wies der Landkreis den Antrag zurück, der Anbau von Douglasien verstoße gegen § 6 Abs. Nr. 11 der Verordnung, weil die Douglasie eine aus Nordamerika stammende nichtheimische Baumart sei. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 8 Verordnung seien nicht erfüllt. Der Widerspruch des Beschwerdeführers vom 7. April 2000 wurde mit Bescheid vom 23. Mai 2000 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Bewertung der Douglasie als nichtheimische Baumart, aber auch gegen die Wirksamkeit der Verordnung wandte, wies das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 25. August 2005 zurück. Die Verordnung sei nach den maßgeblichen Vorschriften des DDR-Rechts wirksam zustande gekommen, insbesondere vom Ministerrat als zuständigem Organ erlassen und hinlänglich bekannt gemacht und in das Landesrecht Brandenburg übergeleitet worden. Ob die Douglasie als heimische Baumart zu qualifizieren sei, könne dahinstehen, jedenfalls sei für den Fall der Verwirklichung der Pläne des Beschwerdeführers mit einer nach § 6 Abs. 1 Nr. 19 der Verordnung zu untersagenden Veränderung des Gebietscharakters zu rechnen. Eine Befreiung nach § 8 der Verordnung sei nicht zu erteilen. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Beschwerdeführers, mit der er im Wesentlichen seine Argumente aus der Klage wiederholte, wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. September 2009 zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht führte mit Beschluss vom 9. Februar 2010 (Az.: BVerwG 7 B 41.09) aus, Fragen des DDR-Rechts seien nicht revisibel und eine Divergenz, die Verletzung einer Aufklärungspflicht sowie der Verstoß gegen Denkgesetze seien nicht ausreichend vorgetragen.
Mit seiner am 19. April 2010 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 49 (Berufsfreiheit), 41 (Eigentum), 10 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) und 12 (Gleichheit) der Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Er ist der Auffassung, die Untersagung der geplanten Maßnahme greife unzulässigerweise in seine Grundfreiheiten ein, weil sie sich auf eine unwirksame Verbotsnorm stütze.
Die Verordnung sei nichtig und das Biosphärenreservat deshalb rechtlich nicht existent. Die Verordnung sei bereits nach DDR-Recht nicht wirksam zustande gekommen und im Zuge des Einigungsprozesses nicht wirksam in gesamtdeutsches Recht übergleitet worden. Sie habe auch durch spätere Rechtsakte keine Wirksamkeit erlangt und verstoße gegen höherrangiges Recht.
Die Verordnung sei bereits nach DDR-Recht nicht wirksam zustande gekommen, weil der Ministerrat zu ihrem Erlass nicht zuständig gewesen sei. Die von der Verordnung als Rechtsgrundlage benannte Vorschrift des § 12 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) sei in der DDR nicht wirksam bekannt gemacht worden, weil das BNatSchG lediglich in einem Sonderdruck und nicht im Gesetzblatt selbst veröffentlicht worden sei.
Nach dem Umweltrahmengesetz (URG) seien, solange in der DDR Landesregierungen nicht bestanden hätten, die Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken für Angelegenheiten nach Art. 1 bis 7 URG zuständig gewesen.
Jedenfalls fehle es auch an einem wirksamen Beschluss des Ministerrats. Ausweislich der Unterlagen sei nur ein Beschlussentwurf bestätigt worden, dies stelle keine Festsetzung von Schutzgebieten dar.
Ferner habe der Ministerrat über etwas anderes beschlossen, als er zu beschließen glaubte. Im März 1990 sei der Ministerrat über die für die Unterschutzstellung vorgesehenen Gebiete informiert worden. Die den Gegenstand der Verordnung bildenden Flächen seien allerdings nur teilidentisch mit diesen und vor allem erheblich größer gewesen. Da die Abstimmung über das Verordnungspaket kurzfristig angesetzt worden und die Beratung nur sieben Minuten in Anspruch genommen habe, sei der Ministerrat „überrumpelt“ worden. Im übrigen habe der Ministerrat angenommen, das Gebiet werde in absehbarer Zeit die Qualität eines Biosphärenreservats erreichen, bis heute seien die Anforderungen der UNESCO an ein solches Schutzgebiet aber nicht erfüllt.
Der Ministerrat habe neben Nationalparks und Natur- bzw. Landschaftsschutzgebieten auch Naturparks festgesetzt, die Festlegung solcher Gebiete sehe das URG aber nicht vor.
Im Übrigen entspreche das Verfahren zum Erlass der Verordnung nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen, die nach Inkrafttreten des Verfassungsgrundsätzegesetzes am 17. Juni 1990 auch auf dem Gebiet der DDR Geltung beanspruchten. Die Verordnung sei – statt im Gesetzblatt - im Sonderdruck Nr. 1472 des Gesetzblattes der DDR Teil I veröffentlicht worden
Die Verordnung sei auch nicht mehr rechtzeitig bekannt gemacht worden. Nach redaktioneller Prüfung und Freigabe durch das Referat Rechtspolitik sei die Verordnung durch den Ministerpräsidenten M. und den Minister für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit eigenhändig unterzeichnet worden. Entgegen des Vermerks „Erscheint im Sonderdruck Nr. ... des Gesetzblattes vom 12. September 1990) sei die Verordnung aber erst im Gesetzblatt vom 21.September 1990 (GBl. DDR Nr. 62 S. 1561) erschienen. Tatsächlich sei die Verordnung aber noch später (erschienen bzw.) gedruckt worden, ohne dass dies, wie sonst üblich, in Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Sonderveröffentlichung im Gesetzblatt I kenntlich gemacht worden wäre. Unter Berücksichtigung des üblichen technischen Ablaufs zur Veröffentlichung des Gesetzblattes, die einen Zeitraum von etwa vier Wochen zwischen Druck und Zugang des Gesetzblattes beim Empfänger in Anspruch genommen habe, den vielfältigen Änderungen am Text und den besonderen Umständen in den letzten Tagen der DDR könne von einer Veröffentlichung bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 nicht ausgegangen werden. Für einen Bürger des DDR sei es jedenfalls unabhängig von der gesondert angeordneten und an ihm vorbeilaufenden zentralen Verteilung nicht möglich gewesen, sich bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 auf zumutbare Weise Kenntnis von dem Text der Verordnung zu verschaffen. Entgegen § 3 Abs. 2 der Verordnung habe auch nicht die Möglichkeit bestanden, sich durch Einblick in die Verzeichnisse bei der Behörde Kenntnis vom Umfang der durch die Schutzgebietsausweisung getroffenen Feststellungen zu verschaffen.
Es fehle darüber hinaus an der vorgeschriebenen Bekanntmachung in der Bezirkspresse sowie an jeder lokalen Rückkopplung und somit an einer Einbindung der betroffenen Bürger. Diese seien, wie auch die Gemeinden, nicht angehört worden. Im Übrigen hätte die Verordnung nach den Grundsätzen der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts der Form eines Gesetzes bedurft, da mit der Schaffung von fünf Nationalparks, drei Naturparks und sechs Biosphärenreservaten sowie der einstweiligen Sicherung von 12 weiteren Gebieten für den Naturschutz mehr als 10% der Landesfläche der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einen besonderen Schutzstatus erhalten hätten.
Die Verordnung sei auch nicht wirksam in Bundesrecht übergeleitet worden. Da sie am 12. September 1990 erlassen worden sei, könne sie nicht Gegenstand des am 31. August 1990 in Kraft getretenen Einigungsvertrages sein. Auch eine Überleitung gemäß der Vereinbarung zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 18. September 1990 (GBl. DDR I Nr. 64 S. 1979) komme nicht in Betracht. Zwar führe Art. 3 (zu Kap XII) Nr. 30 Buchstabe g) die streitgegenständliche Verordnung auf, Art. 3 Satz 1 bestimme allerdings, dass das nachfolgend aufgeführte Recht der DDR nach Wirksamwerden des Beitritts in Kraft bleibe. Aus Art. 9 Abs. 3 Einigungsvertrag ergebe sich, dass es sich nicht nur um nach Unterzeichnung des Einigungsvertrags erlassenes, sondern auch um in Kraft getretenes DDR-Recht handeln müsse. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung vom 18. September 1990 seien die Verordnungen vom 12. September 1990 zwar erlassen, aber noch nicht in Kraft getreten; als Inkrafttretenszeitpunkt habe die Verordnung in § 12 den 1. Oktober 1990 vorgesehen. Mangels Bekanntmachung vor dem 3. Oktober 1990 sei die Verordnung jedenfalls in der DDR nicht mehr gültiges Recht geworden. Hinsichtlich der Schutzgebietsausweisungen fehlten, anders als für die übrigen mit Fortgeltung bedachten Rechtsvorschriften, die jeweiligen Hinweise auf den Ort der Veröffentlichung im Gesetzblatt der DDR. Dabei seien alle bis zum 26. September 1990 als Recht veröffentlichte Normen berücksichtigt worden, die Vereinbarung selbst sei am 28. September 1990 veröffentlicht worden. Der Vereinbarung vom 18. September 1990 sei die Aufgabe zugekommen, die sich durch den Abschluss des Einigungsvertrages und das Beitrittsdatum bildende zeitliche Lücke zu schließen. Sie habe nicht den Zweck verfolgt, der Bundesrepublik Deutschland in dieser Phase nicht ausreichend qualifiziertes DDR-Recht „unterzuschieben“. Auch die Produktionsnummer des Sonderdrucks (1472) gebe keinen Hinweis auf ein Inkrafttreten der Verordnung vor dem 2. Oktober 1990. In Anbetracht der ungeordneten Zustände in den letzten Tagen vor dem Beitritt, der viel höheren Auflage als sonst üblich und der abweichend von den sonstigen Gepflogenheiten angeordneten zentralen Verteilung könne ein Rückschluss aus dem Produktionsprozess auf das Inkrafttreten der Verordnung nicht gezogen werden.
Schließlich habe der Einigungsvertrag der Verordnung die Rechtsgrundlage entzogen, da Art. 6 URG, der die Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Verordnung bilde, nicht über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hinaus für anwendbar erklärt worden sei. Damit fehle der Verordnung ab dem 3. Oktober 1990 die gesetzliche Grundlage.
II. Die Verfahrensakten waren beigezogen. Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, der Landtag, die Landesregierung sowie der Landrat des Landkreises Uckermark hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
1. Gem. Art. 6 LV, § 45 Abs. 1 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, sofern der Beschwerdeführer geltend macht, durch die öffentliche Gewalt des Landes Brandenburg in einem in der Verfassung gewährleisteten Grundrecht verletzt zu sein. Die von dem Beschwerdeführer letztlich angegriffene Verordnung über die Festsetzung von Naturschutzgebieten und einem Landschaftsschutzgebiet von zentraler Bedeutung mit der Gesamtbezeichnung „Biosphärenreservat S. –Ch.“ vom 12. September 1990 ist der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber dem Land Brandenburg zuzurechnen. Sie ist vor der Entstehung des Landes Brandenburg (3. Oktober 1990) durch den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik erlassen worden, konnte aber nicht gem. Art. 9 Einigungsvertrag in das Landesrecht Brandenburgs übergeleitet werden, sondern erlangte unmittelbare Geltung durch das Einigungsvertrags-Gesetz.
Art. 9 Abs. 1 und 2 Einigungsvertrag leiten das zu dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages am 31. August 1990 geltende Recht der DDR unter bestimmten Voraussetzungen als Landesrecht in das Recht der neuen Länder über. Die streitgegenständliche Verordnung ist aber ausweislich ihres Textes erst nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages, nämlich am 12. September 1990 erlassen worden. Sie war deshalb zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Einigungsvertrages noch nicht in Kraft und damit kein Recht der DDR. Rechtssätze der DDR, die erst nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages erlassen wurden, konnten zwar gem. Art. 9 Abs. 3 Einigungsvertrag aufgrund besonderer Vereinbarung über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hinaus in Kraft bleiben. Eine solche Regelung trifft Art. 3 der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag vom 18. September 1990 (Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages - Vereinbarung), der die nach Art. 9 Abs. 3 Einigungsvertrag überzuleitenden Rechtssätze auflistet. Die streitgegenständliche Verordnung ist – unter Nr. 30 lit. g) (zu Kapitel XII) - Bestandteil dieses Katalogs. Gleichwohl wird sie bereits nach dem Wortlaut des Art. 3 von der Überleitung nicht umfasst. Denn Art. 3 der Vereinbarung bestimmt, dass das „nachfolgend aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik“ nach dem Wirksamwerden des Beitritts in Kraft bleibt. Sie bezieht sich damit auf Rechtssätze, die zwischen der Unterzeichnung des Einigungsvertrages und dem Inkrafttreten der Vereinbarung Rechtswirksamkeit erlangt haben. Die streitgegenständliche Verordnung war allerdings weder zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung am 18. September 1990 noch am Tag ihres Inkrafttretens am 29. September 1990 (Art. 7 Vereinbarung i.V.m. Art. 45 Abs. 1 Einigungsvertrag i.V.m. Bekanntmachung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – und der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages vom 16. Oktober 1990 [BGBl. II 1360]) in Kraft. Sie sollte gemäß ihres § 12 erst zum 1. Oktober 1990 Rechtswirksamkeit erlangen. Auf zukünftiges Recht bezieht sich die Vereinbarung ausweislich ihres Artikel 3 jedoch nicht. Folglich ist die Verordnung nicht gemäß Art. 9 Abs. 3 Einigungsvertrag in Verbindung mit Art. 3 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages in das Landesrecht Brandenburgs übergeleitet worden.
Allerdings läuft die Regelung in Art. 3 der Vereinbarung hinsichtlich der streitgegenständlichen Verordnung deshalb nicht leer. Denn der bundesdeutsche Gesetzgeber hat mit seiner Zustimmung zum Einigungsvertrag und zur Vereinbarung im Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands und zu der Vereinbarung vom 18. September 1990 (Einigungsvertrags-Gesetz vom 23. September 1990) hinsichtlich der übergeleiteten Normen einen Rechtsanwendungsbefehl erlassen. Dieser erfasst auch die streitgegenständliche Verordnung. Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 1 Einigungsvertrag, der das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zum Landesrecht zählende DDR-Recht pauschal als solches in Kraft beließ, haben die Parteien in der Vereinbarung, wie bereits bezüglich der nach Art. 9 Abs. 2 Einigungsvertrag übergeleiteten Regelungen, die einzelnen, aus dem Recht der DDR überzuleitenden Vorschriften aufgeführt und damit in den Blick genommen. Mit seiner durch das Einigungsvertrags-Gesetz erklärten Zustimmung zu der Geltung der ausdrücklich aufgeführten Verordnung ab dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat der Bundesgesetzgeber den materiellen Inhalt der Verordnung in seinen Willen aufgenommen und dadurch die Verordnung vorab und unabhängig vom Eintritt ihrer formellen Rechtskraft nach DDR-Recht in den Rang eines Gesetzes erhoben. Da das Einigungsvertragsgesetz bereits am 29. September 1990 in Kraft trat, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verordnung nach DDR-Recht noch Entwurfscharakter hatte, eine Überleitung von DDR-Recht aus den genannten Gründen daher nicht möglich war, hat das Einigungsvertragsgesetz insoweit bundesdeutsches Recht geschaffen. Die Verordnung ist deshalb mit ihrem Inhalt als bundesdeutsches Gesetz rechtswirksam geworden. Da die Inkraftsetzung der Verordnung mit dem Einigungsvertragsgesetz durch den Bundesgesetzgeber erfolgt ist, handelt es sich um eine zunächst dem Bundesgesetzgeber zuzurechnende Norm, so dass keine Kompetenz des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg besteht, sie auf ihre formelle Rechtsmäßigkeit nach DDR-Recht zu überprüfen.
Art. 9 Abs. 4 Einigungsvertrag, der nach Art. 3 der Vereinbarung auch auf das nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages geschaffene und aufgrund der Vereinbarung übergeleitete Recht der DDR zur Anwendung kommt, steht nicht entgegen. Zwar gilt die Rechtsverordnung gemäß Art. 9 Abs. 4 Einigungsvertrag als Landesrecht fort, da nach Art. 75 Ziffer 3 Grundgesetz (GG) in der zum Beitrittszeitpunkt gültigen Fassung Naturschutz und Landschaftspflege zu den Materien zählten, in denen der Bund zur Rahmengesetzgebung befugt war. Art. 9 Abs. 4 Einigungsvertrag enthält eine ausdrückliche Regelung allerdings nur hinsichtlich der Fortgeltung von DDR-Recht als Bundesrecht, das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zur Rahmengesetzgebung des Bundes gehört und dessen Gegenstände im übrigen Bundesgebiet bundeseinheitlich geregelt sind. Aus dem Zusammenhang der Gesamtvorschrift ergibt sich aber, dass diejenigen Regelungen in der Anlage II, die Bereiche der Rahmengesetzgebung betreffen und im alten Bundesgebiet nicht bundesrechtlich geregelt sind, unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Einigungsvertrag als Landesrecht fortgelten (vgl. dazu Kloepfer/Kröger, DVBl. 1991, 1031, 1039). Mit dem Bundesnaturschutzgesetz ist der Bund seiner Rahmenkompetenz nachgekommen, indem er ein ausfüllungsfähiges und ausfüllungsbedürftiges Gesetz geschaffen hat, das den Landesgesetzgebern noch Raum für eigene substantielle Entscheidungen beließ (vgl. dazu v. Münch, Staatsrecht Band 1, 5. Aufl. 1993, Rn. 524ff.). Die Festsetzung konkreter Naturschutzgebiete erfolgte auf der Basis dieses Gesetzes durch die Länder.
Dieses Landesrecht ist allerdings – mit dem Einigungsvertragsgesetz - durch den Bundesgesetzgeber geschaffen worden. Diesem kam infolge seiner Pflicht, nach Art. 23 Satz 2 a.F. GG die Voraussetzungen für den Beitritt der ehemaligen DDR zu schaffen, eine Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache für die mit dem Beitritt zwangsläufig verbundenen, unaufschiebbaren gesetzgeberischen Aufgaben zu (BVerfGE 84, 133, 148). Auch wenn der Verordnung deshalb heute der Rang eines materiellen Landesgesetzes zukommt, das der Abänderung durch den Landtag Brandenburg zugänglich ist, bleibt eine Überprüfung des formellen Zustandekommens der Verordnung infolge der Rechtsetzung durch den Bundesgesetzgeber der Kompetenz des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg entzogen.
II. Darüber hinaus steht der Verfassungsbeschwerde auch der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen. Dieser verlangt vom Beschwerdeführer, vor Anrufung des Verfassungsgerichts über eine bloße Rechtswegerschöpfung hinaus alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende zu unternehmen, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beheben (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt: Beschluss vom 25. Februar 2011 – VfGBbg 15/10 (8/10 EA) –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Der Weg der Verfassungsbeschwerde kann danach nur beschritten werden, wenn keine anderweitige Möglichkeit besteht, dieses Ziel ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichts zu erreichen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollen rechtskräftige Gerichtsentscheidungen nur ausnahmsweise in Frage gestellt werden, auch soll die vorrangige Anrufung der Fachgerichte eine umfassende Vorprüfung des Beschwerdevorbringens gewährleisten. Dem Verfassungsgericht wird so ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet. Kann ein Fachgericht die Sache nicht prüfen, weil ein Rechtsmittel oder sonstiger Rechtsbehelf nicht „in gehöriger Weise“ (Lübbe-Wolf, EuGRZ 2004, 669, 673) eingelegt worden war, dh es nicht fristgerecht eingelegt, prozessualen Rüge- und Darlegungslasten nicht genügt oder sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des jeweiligen Verfahrensrechts nicht Rechnung getragen war, so ist die nachfolgend erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig (BVerfGE 74, 102, 113f.). Denn das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung wäre funktionslos, wenn es nicht als Erfordernis der Erschöpfung des Rechtsweg gemäß den Anforderungen des jeweiligen Prozessrechts zu verstehen wäre.
Der Beschwerdeführer hat zwar gegen die ihm nachteilige Entscheidung des Landkreises U. den Rechtsweg ausgeschöpft, § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, nachdem er nach der Zurückweisung seines Antrags Widerspruch eingelegt und Klage erhoben hat und die ihm ungünstige Entscheidung mit der Berufung und die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten hat. Die dahingehende Beschwerde ist durch das Bundesverwaltungsgericht allerdings, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gerügt hat (§ 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) als nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) zurückgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe unter anderem nicht dargelegt, welche Tatsache auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten. Sein Vortrag im Zusammenhang mit der Nichtzulassungsbeschwerde war demnach nicht ausreichend substantiiert, obwohl er die Gründe, die er mit der Verfassungsbeschwerde vorbringt, schon im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hätte vortragen können. Er hat damit nicht alles getan, um eine etwaige Grundrechtsverletzung bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu beseitigen.
Dies führt zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insgesamt. Zwar schließt ein solches Versäumnis grundsätzlich nur die korrespondierende Rüge im Verfassungsbeschwerdeverfahren aus (vgl. BVerfGE 16, 119, 127f.). Dies unterstellt, wäre sein Versäumnis vorliegend unerheblich, denn eine Verletzung seiner Grundrechte durch eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung trägt der Beschwerdeführer nicht vor. Er rügt keine Mängel des gerichtlichen Verfahrens, sondern wendet sich gegen das Verfahren der Verordnungsgebung. Wenn das Bundesverwaltungsgericht auf die Aufklärungsrüge das Urteil der Vorinstanz gem. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen hätte, wäre die Berufungsinstanz neu eröffnet worden. Der Beschwerdeführer hätte deshalb die nunmehr im Verfassungsbeschwerdeverfahren von ihm als neu angeführten Tatsachen im fachgerichtlichen Verfahren vorbringen können. Die erneute Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wäre dann auf der Grundlage dieser neuen Tatsachen ergangen (Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 144 Rn. 8). Alle neuen Erkenntnisse, die nach Auffassung des Beschwerdeführers nunmehr die Bewertung rechtfertigen, dass die streitgegenständliche Verordnung nicht wirksam veröffentlicht worden sei, hätten dann einer erneuten Bewertung durch das zuständige Fachgericht offengestanden. Dieses wäre dadurch in die Lage versetzt worden, der vom Beschwerdeführer nunmehr im Verfassungsbeschwerdeverfahren behauptete Grundrechtsverletzung, nämlich der Einschränkung seiner wirtschaftlichen Betätigung durch eine formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommene Rechtsverordnung, abzuhelfen. Ist dem Beschwerdeführer damit entgegenzuhalten, dass er nicht alles zur Verhinderung der Grundrechtsverletzung unternommen hat, ist die Verfassungsbeschwerde auch wegen Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz als unzulässig zu verwerfen.
C.
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen. Sie ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Lammer |
Möller | Nietsche |
Partikel | |