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VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2011 - VfGBbg 6/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 2; LV, Art. 5 Abs. 2 S. 3; LV, Art. 22; LV, Art.75 ff.
- BbgKWahlG, § 12 Abs. 2 S. 1
- VerfGGBbg, § 14 Abs. 1; VerfGGBbg, § 29
Schlagworte: - Ausschluss vom Richteramt
- Wahlrechtsgleichheit
- Inkompatibilität
- Inelegibilität
- mittelbare Normenkontrolle
- Zitierebot
- Rechtskraft
- Gesetzeskraft
- Begründungspflicht des Gesetzgebers
amtlicher Leitsatz: Verfassung des Landes Brandenburg Art. 22
Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2

1. Die Unvereinbarkeit zwischen dem Amt eines hauptamtlichen Bürgermeisters einer kreisangehörigen Gemeinde und der Mitgliedschaft in der Vertretung seines Landkreises steht im Einklang mit der Verfassung des Landes Brandenburg.
2. Den Gesetzgeber trifft über die allgemeine Begründungsnotwendigkeit hinaus grundsätzlich keine Pflicht, seine Gesetze im Einzelnen zu begründen.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2011 - VfGBbg 6/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 6/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

        O.

 

 

Beschwerdeführer,

 

 

Verfahrensbevollmächtigte:   D. Rechtsanwälte

 

 

 

gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. April 2010 – 1 K 712/09 – und den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Januar 2011  – 12 N 86.10 –

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Partikel und Schmidt

 

am 26. August 2011

 

b e s c h l o s s e n :

 

1.  Es wird festgestellt, dass Verfassungsrichter Dr. Becker von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen ist.

 

2.  Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

 

 

G r ü n d e :

 A.

Der Beschwerdeführer rügt die Verfassungswidrigkeit von § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz - BbgKWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Juli 2009 (GVBl. I S. 326). Die Vorschrift lautet:

 

„§ 12
Unvereinbarkeit (Inkompatibilität)

(1)    ...

 

(2) Leitende Beamte oder leitende Arbeitnehmer, die im Dienst einer in den Nummern 1 bis 6 genannten Körperschaften stehen, können in den folgenden Fällen nicht zugleich einer Vertretung angehören:

 

1. ...

2. Stehen sie im Dienst einer Gemeinde oder eines Amtes, so können sie nicht zugleich der Vertretung des Landkreises angehören, dem die Gemeinde oder das Amt angehört.

3. ...

...

 

²Leitende Beamte oder leitende Arbeitnehmer im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 und 2 sind hauptamtliche Beamte auf Zeit, Amtsleiter und Inhaber vergleichbarer Ämter sowie ihre Vertreter. [...] Satz 1 Nummer 1 und 2 gilt nicht für leitende Beamte oder leitende Arbeitnehmer, die bei einer öffentlichen Einrichtung oder einem Eigenbetrieb beschäftigt sind.

 

(2)    ...

 

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für

1. Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten oder Arbeiter im herkömmlichen Sinne sind,

2. Ehrenbeamte sowie

3. Beamte, die während der Dauer des Ehrenamtes ohne Dienstbezüge beurlaubt sind; dies gilt für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes oder einer rechtsfähigen Gesellschaft des privaten Rechts entsprechend.“

 

Diese Vorschrift war in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 30. März 1998 (GVBl. I S. 54) bereits Gegenstand des Beschlusses des Verfassungsgerichts vom 17. September 1998 (VfGBbg 30/98 -, LVerfGE 9, 111). Das Verfassungsgericht hatte sie in den Gründen für vereinbar mit der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) erklärt. Der Wortlaut von § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG ist danach unverändert geblieben. In § 12 Abs. 2 Satz 1 wurde der Begriff „Angestellte“ durch „Arbeitnehmer“ ersetzt.

 

I.

Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2003 hauptamtlicher Bürgermeister der zum Landkreis X. gehörenden Gemeinde S.. Bei der Kommunalwahl am 28. September 2008 wurde er in den Kreistag des Landkreises X. gewählt. Die Wahl wurde festgestellt, der Beschwerdeführer über die Wahl informiert und aufgefordert, binnen einer Woche zu erklären, ob er die Wahl annehme, und ggf. nachzuweisen, dass er die zur Beendigung seines Dienstverhältnisses erforderliche Erklärung abgegeben habe. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 stellte der Kreiswahlleiter die Inkompatibilität des Amtes des hauptamtlichen Bürgermeisters mit dem des Kreistagsabgeordneten nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 BbgKWahlG fest und wies den Beschwerdeführer gem. § 51 Abs. 2 Satz 5 BbgKWahlG darauf hin, dass er aus dem Kreistag ausscheide, wenn er nicht binnen Monatsfrist die Abgabe der zur Beendigung seines Dienstverhältnisses erforderlichen Erklärung nachweise. Der Beschwerdeführer erklärte, an beiden Ämtern festhalten zu wollen. Am 16. Dezember 2008 stellte der Kreiswahlleiter fest, dass der Beschwerdeführer nach § 59 Abs. 1 Nr. 6 BbgKWahlG seine Rechtsstellung als Kreistagsabgeordneter verloren habe. Den dagegen gerichteten Wahleinspruch wies der Kreistag mit Beschluss vom 23. März 2009 zurück.

 

Der Beschwerdeführer hat vor dem Verwaltungsgericht Potsdam Klage (Az.: 1 K 712/09) erhoben mit dem Begehren, unter Aufhebung der Entscheidung des Kreistags vom 23. März 2009 festzustellen, dass er in Folge der Wahl vom 28. September 2008 Mitglied des Kreistags sei. Er machte die Verfassungswidrigkeit der Inkompatibilitätsvorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG geltend und regte an, das Verfahren nach Art. 100 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) auszusetzen. Nach Einführung der Direktwahl des Landrats seien die in der Entscheidung vom 17. September 1998 angestellten Erwägungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zu überprüfen. Das Verwaltungsgericht Potsdam wies die Klage mit Urteil vom 29. April 2010 ab. Der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt unterscheide sich nicht vom dem, der der verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 17. September 1998 zu Grunde gelegen habe. Der amtierende Landrat des Landkreises X. sei noch durch den Kreistag gewählt worden und unterliege gem. §§ 127, 128 Abs. 2 BbgKVerf der Abwahlmöglichkeit durch den Kreistag.

 

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg lehnte mit Beschluss vom 11. Januar 2011 (Az.: OVG 12 N 86.10) den auf Berufungszulassung gerichteten Antrag des Beschwerdeführers u. a. mit der Begründung ab, dass keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts dargetan worden seien, wonach der zur Entscheidung stehende Sachverhalt keine von der Entscheidung des Verfassungsgerichts abweichenden verfassungsrechtlichen Probleme aufwerfe.

 

II.

Mit seiner am 11. März 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Potsdam und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Er rügt die Verletzung von Art. 12 und Art. 22 LV. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG sei formell und materiell verfassungswidrig.

 

Der mit der Inkompatibilitätsvorschrift verbundene Eingriff in die passive Wahlrechtsgleichheit sei nicht gerechtfertigt. Art. 22 Abs. 5 LV stelle zwar einen Gesetzesvorbehalt auf. Dieser erfordere jedoch eine reale Gefahr der Interessenkollision, da nur eine solche nach dem Gewaltenteilungsprinzip eine Limitation staatlicher Macht erfordere. Da sich mit der Einführung der Direktwahl des Landrates die Rahmenbedingungen geändert hätten, sei die Wertung, die das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. September 1998 zu der streitgegenständlichen Vorschrift vorgenommen habe, einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Die frühere Entscheidung des Verfassungsgerichts entfalte für das vorliegende Verfahren schon deswegen keine Rechtskraft, weil der Beschwerdeführer nicht Beteiligter in diesem Verfahren gewesen sei und die Voraussetzungen der Rechtskrafterstreckung im Wege der Gesetzeskraft nach § 29 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nicht vorlägen.

 

Die formelle Verfassungswidrigkeit ergebe sich aus der Verletzung der dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Wählbarkeitsbeschränkung obliegenden Beobachtungs-, Abwägungs- und Darlegungspflichten. Eine die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts sei bei neueren Entwicklungen, die deren Rechtfertigung in Frage stellten, zu überprüfen.  Der Gesetzgeber habe diesen Anforderungen im Gesetzgebungsverfahren nicht genügt. Er habe keine Erwägungen hierzu wiedergegeben. Die von der Rechtsprechung entwickelten Ansätze zum „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ seien auch auf die Legislative übertragbar. Dies zeige die landesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur kommunalen Neugliederung und zum kommunalen Finanzausgleich. Bei der angegriffenen Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG hätte es wegen des durch Art. 22 Abs. 5 LV eröffneten Gestaltungsspielraums einer konkreten Abwägung bedurft. Es liege aber nahezu ein Abwägungsausfall vor. Der Gesetzgeber habe die Einführung der Direktwahl des Landrats nicht zum Anlass genommen, die Auswirkungen auf die Gesamtstruktur der Wahlrechtsvorschriften in den Blick zu nehmen. Dazu habe jedoch wegen der positiven Erfahrungen auf dem Gebiet der Zusammenarbeit nach dem Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg (GKG), die zu Einbindung der hauptamtlichen Bürgermeister in Gremien übergemeindlicher Aufgabenerfüllung führe, bei der Mitgliedschaft hauptamtlicher Bürgermeister in regionalen Planungsgemeinschaften und bei der Zusammenarbeit auf Amtsebene in den dortigen Ausschüssen Anlass bestanden. Dort komme es zu vergleichbaren Situationen der an sich widerstreitenden Interessen der Gemeinde und des jeweiligen Gremiums. Es sei aber nicht ersichtlich, dass es zu den zwischen Gemeinde- und Kreistagsebene befürchteten unüberwindbaren Interessenkollisionen gekommen sei.

 

Verfassungsrechtlich bedenklich seien ferner die Anknüpfung an den Begriff des „leitenden“ Bediensteten gegenüber den nicht leitenden Bediensteten sowie gegenüber den ehrenamtlichen Bürgermeistern. Dies erscheine willkürlich. Darüber hinaus entspreche das Wort „leitend“ nicht den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen.

 

Die Inkompatibilitätsregelung verletze das Zitiergebot des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 LV. Es sei hier anzuwenden, weil Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV keinen allgemeinen Regelungsvorbehalt enthalte, für welchen das Zitiergebot nicht gelte. Die Sätze 2 und 3, auf Grund derer die Wahlrechtsgrundsätze eingeschränkt werden könnten, stellten Eingriffsvorbehalte dar.

 

III.

Die Verfahrensakten waren beigezogen. Der Landtag, die Landesregierung, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, der Präsident des Verwaltungsgerichts Potsdam sowie der Kreistag des Landkreises X. hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

IV.

Die Landesregierung ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

 

1. Einer erneuten Entscheidung des Verfassungsgerichts   über die Vereinbarkeit von § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG mit den Vorschriften der Verfassung des Landes Brandenburg stehe die materielle Rechtskraft der Entscheidung vom 17. September 1998 entgegen. Stattgebende und auch abweisende Entscheidungen stellten die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit und damit die Nichtigkeit oder Wirksamkeit einer Vorschrift mit Rechtswirkungen gegenüber der Allgemeinheit fest. Die der Entscheidung zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage habe sich nicht so wesentlich geändert, dass nunmehr eine Verfassungsverletzung festgestellt werden könnte. Zum Zeitpunkt der Wahl des Beschwerdeführers in den Kreistag des Landkreises X. sei der Landrat noch vom Kreistag zu wählen gewesen. Die Neuregelung zur Direktwahl sei erst zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten. Der Beschwerdeführer sei aus diesen Gründen auch nicht beschwerdebefugt.

 

2. Die Verfassungsbeschwerde sei jedenfalls unbegründet. Es handele sich nicht um eine bundesweit singuläre Vorschrift; in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland sei eine vergleichbare Rechtslage vorzufinden.

 

Die Vorschrift sei formell verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber habe keinen erweiterten Begründungs- oder Anhörungspflichten unterlegen. Art. 97 Abs. 4 LV sei im Gesetzgebungsverfahren beachtet worden. Im Rahmen der Stellungnahmen der entsprechenden Verbände sei die Frage der Inkompatibilitätsregelung kontrovers diskutiert worden. Bei der Neufassung des § 12 BbgKWahlG unter Aufrechterhaltung des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 sei die Regelung einer erneuten Prüfung unterzogen worden. Eine darüber hinausgehende Abwägungs- oder Beobachtungspflicht habe nicht bestanden, denn eine für die Inkompatibilitätsregelung erhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage habe sich nicht ergeben. Das Zitiergebot sei nicht zu beachten gewesen, da Art. 22 Abs. 5 Satz 1 und 3 LV keine Einschränkungs- sondern Regelungsvorbehalte enthielten, für die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der überwiegenden Auffassung in der Literatur das Zitiergebot nicht gelte.

 

§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG sei mit Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV vereinbar. Sie, die Landesregierung, nehme insoweit im Wesentlichen auf die Ausführungen des Verfassungsgerichts im Beschluss vom 17. September 1998 Bezug. Zu diesen Feststellungen hätten sich keine relevanten Änderungen ergeben. Auch nach der – für den Beschwerdeführer noch nicht relevanten – Einführung der Direktwahl bestünden die dort beschriebenen vielfältigen Möglichkeiten von Interessenkollisionen fort. Zudem sei zu beachten, dass die Direktwahl nach den bisherigen tatsächlichen Erfahrungen oft scheitere und der Landrat dann doch wieder vom Kreistag zu wählen sei. Welche Folgen das Fehlen einer Inkompatibilitätsregelung haben könne, zeige das Beispiel Baden-Württembergs. Dort seien ca. 30% der Kreistagssitze mit hauptamtlichen Bürgermeistern besetzt. Die Bestimmungen verletzten in Bezug auf ehrenamtliche Bürgermeister und nichtleitende Bedienstete nicht den Gleichheitssatz.

 

 

B.

Über die Verfassungsbeschwerde ist ohne Verfassungsrichter Dr. Becker zu entscheiden, weil er von der Ausübung seines Richteramtes gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 VerfGGBbg ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift ist vom Richteramt ausgeschlossen, wer in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist. Der Begriff „dieselbe Sache“ ist dabei in einem strikt verfahrensbezogenen Sinn auszulegen. Zu einem Ausschluss nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 VerfGGBbg kann nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Ausgangsverfahren führen. Die Tätigkeit muss zudem Anlass zu einer Stellungnahme zu den im Verfassungsbeschwerdeverfahren anhängigen Sach- und Rechtsfragen gegeben haben (Beschluss vom 15. Oktober 2009 – VfGBbg 28/09 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist Verfassungsrichter Dr. Becker von Berufs wegen in derselben Sache tätig gewesen. Er wurde als Rechtsanwalt im Oktober 2008 u. a. vom jetzigen Beschwerdeführer zu den Erfolgsaussichten der nunmehr erhobenen Verfassungsbeschwerde befragt. Darüber hinaus hat er dem Beschwerdeführer einen Formulierungsvorschlag für einen Wahleinspruch zur Verfügung gestellt. Damit ist er – auch wenn es letztendlich nicht zu einer Mandatserteilung gekommen ist – im Wahleinspruchsverfahren, welches dem dieser Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden gerichtlichen Verfahren als Ausgangsverfahren unmittelbar vorgeschaltet ist, tätig geworden.

 

C.

     Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

 

I.

1. Prüfungsgegenstand der Verfassungsbeschwerde sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Dass der Beschwerdeführer seinen Angriff gegen die Entscheidungen der Gerichte darauf beschränkt, ausschließlich die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Gesetzes zu rügen, steht einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht entgegen. Eine Verfassungsbeschwerde kann mit der Behauptung erhoben werden, eine angefochtene gerichtliche Entscheidung sei zwar ansonsten in nicht zu beanstandender Weise zustande gekommen, gründe aber auf einem Rechtssatz, der für verfassungswidrig gehalten werde. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dann mittelbar gegen die Norm (Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2. Lfg. 2008, Art. 113 Nr. 4.6.1).

 

2. Der Überprüfung dieser Vorschrift steht die materielle Rechtskraft des Beschlusses des Verfassungsgerichts vom 17. September 1998 (a.a.O.) nicht entgegen. Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind zwar der materiellen Rechtskraft fähig (LVerfGE 5, 67, 70). Die materielle Rechtskraft erstreckt sich jedoch nach allgemeinen Grundsätzen nur auf die jeweiligen Verfahrensbeteiligten und den Verfahrensgegenstand (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 104, 151, 196 sowie Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, Kommentar, 2. Auflage 2005, § 31 Rdnr. 41, 77; Lechner/Zuck, BVerfGG, Kommentar, 6. Auflage 2011, § 31 Rdnr. 15). Der hiesige Beschwerdeführer wird mangels Beteiligung im früheren Verfahren davon nicht erfasst. Ebenso wenig erstreckt sich § 29 Abs. 1 VerfGGBbg, wonach Entscheidungen des Verfassungsgerichts die Verfassungsorgane sowie alle Gerichte und Behörden des Landes binden, auf den Beschwerdeführer als natürliche Person.

 

Die in den Gründen der Entscheidung vom 17. September 1998 festgestellte Vereinbarkeit der Inkompatibilitätsregelung mit der Verfassung des Landes Brandenburg entfaltet auch keine Gesetzeskraft. Nur für den Fall, dass das Verfassungsgericht eine Norm für unvereinbar mit der Verfassung oder für nichtig erklärt, tritt diese Wirkung ein (§ 50 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 29 Abs. 2 VerfGGBbg). Für die hier in Frage stehende positive Feststellung der Vereinbarkeit gibt es – anders als im Bundesrecht - keine vergleichbare Regelung. Eine Entfaltung von Gesetzeskraft setzt zudem auch nach Bundesrecht die Vereinbarkeitsfeststellung im Tenor voraus (BVerfGE 85, 117, 121).

 

3. Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt. Die in § 45 VerfGGBbg vorausgesetzte Beschwerdebefugnis ist gegeben, wenn die behauptete Verletzung eigener Grundrechte möglich erscheint. Der Beschwerdeführer macht geltend, in seinen Grundrechten auf passives Wahlrecht (Art. 22 LV) und auf Gleichbehandlung (Art. 12 Abs. 1 LV) verletzt zu sein, weil die Inkompatibilitätsvorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG, auf der die angegriffenen gerichtlichen Entscheidung beruhen würden, diese Rechte verletze.

 

Die Rechtsbetroffenheit ist nach dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht von vornherein ausgeschlossen. Das passive Wahlrecht kann zwar nach dem Gesetzesvorbehalt in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV eingeschränkt werden. Dies gilt aber nur, wenn damit dem Gesetzesvorbehalt und den übrigen materiellen verfassungsrechtlichen sowie den formellen Anforderungen an ein Landesgesetz genügt wird (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 124, 348, 363 m.w.N). Der Beschwerdeführer hat einen Sachverhalt vorgetragen, der eine andere als die in der Entscheidung vom 17. September 1998 getroffene Bewertung nicht ausgeschlossen erscheinen lässt. Der normative Rahmen der Inkompatibilitätsregelung hat sich durch die Einführung der Direktwahl der Landräte seit dem 1. Januar 2010 mit dem Kommunalrechtsreformgesetz vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 286) und  dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 330) geändert. Es ist möglich, dass damit der fraglichen Regelung die verfassungsrechtliche Rechtfertigung entzogen sein könnte.

 

4. Die im September 2011 anstehende Neuwahl des Bürgermeisters der Gemeinde S. lässt das für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Auch wenn der Beschwerdeführer nicht wieder zum Bürgermeister gewählt werden sollte, bliebe er vom Kreistag ausgeschlossen. Ebenso wenig hindert der Übergang des Kreistagssitzes des Beschwerdeführers auf die Ersatzperson, der nach der Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises X. vom 19. Januar 2009 mit Wirkung vom 29. Dezember 2008 erfolgt ist, die Erreichung des Rechtsschutzziels des Beschwerdeführers. Wenn das Verwaltungsgericht - bei Erfolg der Verfassungsbeschwerde - die Feststellung zu treffen hätte, dass der Beschwerdeführer seinen Sitz nicht verloren habe, müsste die Ersatzperson nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 BbgKWahlG ihren Sitz aufgeben. Damit wäre der Sitz des Beschwerdeführers wieder für diesen frei.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen nicht in seinen Grundrechten verletzt. Diese und die Entscheidung des Kreiswahlleiters beruhen auf verfassungsmäßiger Grundlage.

 

1. Gemäß Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV hat jeder Bürger nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres das Recht, zum Landtag und zu den kommunalen Vertretungskörperschaften zu wählen und in diese gewählt zu werden. Dabei gelten die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV, wonach Wahlen und Abstimmungen allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim sind. Diese Verfassungsnormen beziehen sich nicht nur auf den Wahlakt als solchen, sondern erfassen die Wählbarkeit im weiteren Sinne. Ein Wahlbewerber muss nicht nur die Möglichkeit haben, ein Mandat zu erwerben, sondern auch, das Mandat tatsächlich auszuüben (Urteil vom 25. Januar 1996 – VfGBbg 13/95 -, LVerfGE 4, 85, 91f. und LVerfGE 9, 111). Das passive Wahlrecht nach Art. 22 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 LV wird deshalb durch alle Maßnahmen beeinträchtigt, die die Übernahme des Mandats beschränken. Der Beschwerdeführer wird durch die gerichtlich bestätigte Feststellung des Kreiswahlleiters, wonach er seinen Sitz im Kreistag verloren hat, gehindert, sein Mandat auszuüben und damit in dem Grundrecht des passiven Wahlrechts beeinträchtigt.

 

2. Der Eingriff in den Schutzbereich von Art. 22 LV ist durch § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 51 Abs. 2 Satz 5 i. V. m. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG gerechtfertigt. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind gegeben. Sie genügen ihrerseits verfassungsrechtlichen Anforderungen und stellen eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts des Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV dar. Danach kann der Landesgesetzgeber vorsehen, dass Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes und Richter nicht zugleich Mitglied im Landtag oder in kommunalen Vertretungskörperschaften sein können.

 

a. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG ist formell verfassungsgemäß.

 

aa. Das Zitiergebot ist nicht verletzt. Nach Art. 5 Abs. 2 Satz 3 LV ist zwar, soweit nach der Verfassung ein Grundrecht durch oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf, in dem einschränkenden Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels zu nennen. Das landesverfassungsrechtlich verbürgte Grundrecht auf passives Wahlrecht wird durch § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG eingeschränkt. Das danach grundsätzlich zu beachtende Zitiergebot ist hier aber nicht anwendbar.

 

Die Ausnahme ergibt sich aus Sinn und Zweck des Zitiergebotes. Die in Art. 5 Abs. 2 Satz 3 LV vorgeschriebene Nennung des Grundrechts in dem einschränkenden Gesetz hat eine Warn- und Besinnungsfunktion, die dem Gesetzgeber verdeutlichen soll, dass ein Gesetz zu einer Grundrechtsbeschränkung führt (vgl. Lieber/Iwers/Ernst, a.a.O., Art. 5 Nr. 3.3). Sie dient damit der Vermeidung einer schleichenden Grundrechtsentwertung durch den Gesetzgeber (vgl. Stern, Staatsrecht III/2, 1994, S. 747) und zur Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines speziellen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können (vgl. BVerfGE 24, 367, 396).

 

Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet für die Anwendbarkeit des Zitiergebots in ständiger Rechtsprechung nach der Art des Gesetzesvorbehalts. Im Hinblick auf den in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) enthaltenen Regelungsvorbehalt hat es ausgeführt (BVerfGE 64, 72, 79 m. w. N.), dass es grundrechtsrelevante Regelungen gebe, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen erlasse. Hier erscheine die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots von geringerem Gewicht, weil dem Gesetzgeber in der Regel ohnehin bewusst sei, dass er sich im grundrechtsrelevanten Bereich bewege. Durch eine Erstreckung des Gebots auf solche Regelungen würde es zu einer die Gesetzgebung unnötig behindernden leeren Förmlichkeit kommen.

 

Diese das Zitiergebot einschränkende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trifft zwar in der Literatur zum Teil auf erhebliche Kritik (Sachs, GG, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 19 Rdnr. 29; Dreier, GG, Kommentar, Bd. I, 2. Auflage 2004, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 26;  ausführlich Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Kommentar, Bd. 1, 5. Auflage 2005, Art. 19 Rdnr. 74 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, 1994, S. 751 ff.). Die Formulierung, mit der die Verfassung eine Einschränkung eines Grundrechts zulasse, könne nicht entscheidend dafür sein, ob das Zitiergebot zu beachten sei. Ob ein Gesetzes-, Regelungs-, Inhalts- oder Schrankenvorbehalt bestehe, sei gleichgültig, in allen Fällen werde das Grundrecht i. S. von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG eingeschränkt (vgl. Stern, a.a.O., S. 756). Die Abgrenzung zu Eingriffen, die im Grundgesetz selbst angelegt seien, sei zudem schwierig.

 

Ob dieser Kritik im Grundsatz zu folgen ist, kann aber offen bleiben. Jedenfalls gebieten der Sinn und Zweck des Zitiergebots bei der konkreten Ausgestaltung des Regelungsvorbehalts in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV eine Ausnahme von dessen Anwendbarkeit und der strengen Nichtigkeitsfolge. Nach Art. 22 Abs. 5 Satz 1 LV regelt ein Gesetz das Nähere zur Ausgestaltung des Wahlrechts. Nach Satz 3 kann dieses Gesetz auch vorsehen, dass Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes und Richter nicht zugleich Mitglied im Landtag oder in kommunalen Vertretungskörperschaften sein können. Damit hat der Verfassungsgeber den in Art. 22 Abs. 5 Satz 1 LV enthaltenen allgemeinen Regelungsauftrag zur Ausgestaltung des Wahlrechts hinsichtlich der Inkompatibilitätsregelungen thematisch durch Satz 3 bereits vorgegeben. Er nennt selbst die Möglichkeit der Beschränkung des passiven Wahlrechts für bestimmte Personengruppen. Die zielgerichtete konkrete Beschränkungsmöglichkeit ergibt sich somit aus dem Normbereich selbst. Sie ist bereits in ihm angelegt, indem der Verfassungsgeber die mögliche Interessenkollision erkannt und klar abgegrenzte Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt hat. Trifft der Gesetzgeber dann in diesem eng gezogenen Rahmen eine Regelung, bedarf es keiner Sicherstellung durch das Zitieren, dass sich der Gesetzgeber besonders der Grundrechtseinschränkung besonnen habe. Es ist geradezu offensichtlich, dass er mit einer Inkompatibilitätsregelung, wie sie § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KWahlG enthält, in  Ausführung des speziellen Regelungsvorbehalts in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV in das Recht auf passives Wahlrecht eingreifen wollte.

 

bb. Die in § 12 Abs. 2 Satz 1 BbgKWahlG verwendeten Be-griffe des „leitenden Beamten“ und „leitenden Arbeitnehmers“ genügen den aus dem in Art. 2 Abs. 1 und 5 LV verankerten Rechtsstaatsprinzip folgenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen (vgl. hierzu LVerfGE 10, 157, 163). Die Begriffe werden für den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2  Satz 1 Nummer 1 und 2 in § 12 Abs. 2 Satz 2 BbgKWahlG legaldefiniert und erfassen hauptamtliche Beamte auf Zeit, Amtsleiter und Inhaber vergleichbarer Ämter sowie ihre Vertreter. Weshalb es nach Auffassung des Beschwerdeführers dennoch zu Auslegungsschwierigkeiten kommen sollte, ist nicht dargetan und in Bezug auf seine eigene Amtsstellung ohnehin nicht erkennbar.

 

cc. Der Gesetzgeber hat auch keine Vorgaben des Gesetzgebungsverfahrens verletzt, insbesondere traf ihn keine Begründungspflicht für die Aufrechterhaltung der angegriffenen Inkompatibilitätsregelung nach Einführung der Direktwahl der Landräte durch das Kommunalrechtsreformgesetz und das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 18. Dezember 2007.

 

i) Aus den Vorschriften der Verfassung des Landes Brandenburg ergibt sich keine generelle Pflicht zur Begründung von Gesetzen durch den Landtag. Art. 75 ff. LV, die das Gesetzgebungsverfahren regeln, geben hierfür nichts her. Jedoch sind nach § 44 der Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg vom 11. Mai 2010 Gesetzentwürfe in der ersten Lesung zu begründen.

 

ii) Eine über diese allgemeine Begründungsnotwendigkeit hinausgehende Pflicht zur genauen Erläuterung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes im Einzelnen besteht nicht. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die eine besondere Darlegungslast des Gesetzgebers für konkrete Fallgestaltungen annimmt, vermag keine allgemeine Wirkung zu entfalten. Sie betrifft im Wesentlichen die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit durch 5%-Klauseln (vgl. hierzu Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Juli 1999, DVBl. 1999, 1271; Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern [LVerfG MV Urteil] vom 14. Dezember 2000, LKV 2001, 270), Fragen der Haushaltsgesetzgebung (BVerfGE 79, 311, 343), die kommunale Neugliederung (z. B. LVerfG MV, Urteil vom 27. Juli 2007, DVBl. 2007, 1102) sowie die Ermittlung des Regelsatzes nach dem SGB II (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 -  1 BvL 1/09 -, NJW 2010, 505). Das Verfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat u. a. mit seinem Urteil vom 14. Dezember 2000 (a.a.O.) entschieden, dass das Unterlassen des Landtags, der Frage einer weiteren Rechtfertigung der Sperrklausel des § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz Kommunalwahlgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern nachzugehen, gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb bei Wahlen verstoße. Nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 79, 311, 343) entspricht dem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum für den Haushaltsgesetzgeber in formeller Hinsicht die Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren, dass, aus welchen Gründen und in welcher Weise er von der Befugnis des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GG Gebrauch mache. Die Unbestimmtheit des materiellen Maßstabs finde ihren Ausgleich in formell-verfahrensmäßigen Anforderungen.

 

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat in seinen Entscheidungen zum kommunalen Finanzausgleich und zur kommunalen Neugliederung diese Ansätze ebenfalls aufgegriffen. Danach steht dem Gesetzgeber bei der Verteilung von Mitteln auf die Kommunen zwar ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei aber auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung zu stützen (vgl. LVerfGE 17, 103 und LVerfGE 18, 159). Bei den Gebietsreformen habe der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend zu ermitteln (u. a. Beschluss vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Er müsse die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden
Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen haben. Ebenso müsse er den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit dieser einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt haben. Es sei dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen habe (st. Rspr. u. a. LVerfGE 8, 97, 169 f. und Beschluss vom 22. April 2004 – VfGBbg 182/03 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

Eine Verallgemeinerung dieser Grundsätze dahingehend, dass jede Entscheidung des Gesetzgebers einem in das Einzelne gehenden Darlegungs- und  Begründungszwang unterliege, ergibt sich aus der angeführten Rechtsprechung nicht. Sie ist auch aus anderen Gründen nicht angezeigt. Eine Gemeinsamkeit der genannten Entscheidungen lässt sich darin erblicken, dass sie sich zu prognostischen Bewertungen (Haushaltsgesetz, Neugliederung, Finanzausgleich) verhalten, die dazu zum Teil einen gestalterischen Charakter haben bzw. (wie bei der 5%-Klausel) der  Abwehr vom Gesetzgeber vermuteter Gefahren dienen. Die Bewertung, ob die gesetzgeberische Entscheidung verfassungsgemäß ist, hat sich wegen des sich aus dem Kontext ergebenden Beurteilungsspielraums auf den Abwägungsvorgang und nicht auf dessen Ergebnis zu konzentrieren. Es muss ersichtlich werden, welches Ziel der Gesetzgeber verfolgt und auf welcher Tatsachengrundlage er seine Entscheidung getroffen hat. Die Regelung muss in Bezug auf das verfolgte Ziel konsistent sein. Aus diesen Gesichtspunkten lassen sich keine Schlüsse auf eine umfassende Begründungspflicht des Gesetzgebers ziehen (so auch Hebeler, DÖV 2010, 754, 762). Der generellen Annahme einer in das Einzelne gehenden Darlegung bei jeder Gesetzgebung stehen im Übrigen praktische Erwägungen entgegen. So wäre eine Abstimmung über die Begründung erforderlich, um feststellen zu können, ob die Mehrheit der Abgeordneten des Landtags diese Begründung trägt. Dies sieht die Verfassung nicht vor.

 

iii) Die Interessenlage bei der Aufrechterhaltung der Inkompatibilitätsregelung durch den Gesetzgeber im Jahr 2007 ist mit den von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur gesetzgeberischen Darlegungslast entwickelten Fallgruppen nicht vergleichbar. Der Verfassungsgeber hat die Gefahr einer Interessenkollision für bestimmte Personengruppen gesehen und sie bereits in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV zum Anknüpfungspunkt für mögliche Wählbarkeits-beschränkungen gemacht. Dieser Regelungsvorbehalt enthält in den Tatbestandsmerkmalen keinen vom Verfassungsgericht nur begrenzt überprüfbaren Beurteilungsspielraum oder prognostische Elemente, die eine besondere Darlegung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen erforderlich machen könnten. Soweit die Regelung Gewählte betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahe legt (vgl. hierzu BVerfGE 98, 145, 162), ist daher weder eine gesonderte Ermittlung der tatsächlichen Gefahrenlage noch deren Darstellung durch den Gesetzgeber erforderlich. Der Gesetzgeber kann die spezielle Ermächtigung vielmehr durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (st. Rspr. BVerfGE 98, 145, 162 m. w. N.). Das Verfassungsgericht ist ohne weiteres rechtlich und tatsächlich in der Lage, anhand dieser Maßstäbe die materielle Rechtmäßigkeit unmittelbar zu prüfen, ohne dass es einer gesonderten Darlegung der Entscheidungsgrundlagen und der verfolgten Ziele bedürfte. Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Überlegung, dass eine Überprüfung, ob es in der Vergangenheit zu entsprechenden Konfliktlagen und Interessenkollisionen gekommen ist, tatsächlich kaum möglich sein dürfte. Die Interessenkollision ist ein innerer Vorgang beim jeweiligen Abgeordneten, der nur selten offengelegt werden wird.

 

iv) Es bestand keine besondere Beobachtungspflicht des Gesetzgebers im Hinblick auf die Inkompatibilitätsregelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG, aus der möglicherweise eine Begründungspflicht folgen könnte.

 

Das Recht ist nicht starr. Es kann sich grundsätzlich dem Wandel der politischen Verhältnisse bei gleichbleibendem Wortlaut anpassen (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, NJW 1986, 1126, 1127f. m.w.N.) Den Gesetzgeber trifft auf Grund der Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 2 Abs. 5 LV) zwar eine allgemeine Beobachtungs- und gegebenenfalls Korrekturpflicht in Bezug auf seine Gesetze (vgl. hierzu LVerfGE 10, 157, 177 m.w.N.). Er ist von Verfassungs wegen gehalten, die Auswirkungen seiner Entscheidungen im Blick zu behalten und erforderlichenfalls auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Besondere Beobachtungspflichten ergeben sich aber erst dann, wenn auf unsicherer Tatsachengrundlage Regelungen ergehen oder wenn prognostische Entscheidungen getroffen werden. Dann kann es geboten sein, dass er die weitere Entwicklung verstärkt beobachtet sowie die Norm überprüft und revidiert, falls sich erweist, dass die ihr zugrunde liegenden Annahmen nicht mehr zutreffen (BVerfGE 110, 141, 157 m. w. N., vgl. auch BVerfGE 90, 226, 238; 111, 333, 361). Mit der Inkompatibilitätsregelung hat der Gesetzgeber jedoch keine Prognoseentscheidung getroffen (dazu bereits unter iii)), deren Grundlagen bzw. tatsächliche Entwicklung zu überprüfen sein könnten.

 

Aus der vom Beschwerdeführer zur Begründung einer besonderen Beobachtungspflicht in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 120, 82) lässt sich nichts anderes herleiten. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht schon in einer früheren „Apellentscheidung“ festgestellt, dass eine 5%- Sperrklausel auf kommunaler Ebene möglicherweise auf Grund der Einführung der Direktwahl der Landräte und hauptamtlichen Bürgermeister ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung verloren haben könnte. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungen genügte nicht mehr, um die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit durch eine Sperrklausel zu begründen. Die Sperrklausel basierte dabei auf der prognostischen Einschätzung des Gesetzgebers zu den durch den Einzug von Splitterparteien in den kommunalen Vertretungen zu erwartenden Funktionsstörungen. Voraussetzung für den Erlass der Inkompatibilitätsregelung nach Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV ist aber weder, dass es in der Vergangenheit nachweislich zu Interessenkollisionen noch zu dadurch verursachten Funktionsstörungen gekommen ist. Sinn und Zweck der bereits in der Verfassung eröffneten Möglichkeit der Unvereinbarkeitsregelungen ist es, Interessenkollisionen bei der Amts- und Mandatsausübung bereits im Vorfeld auszuschließen. Dies ist nur durch Anknüpfung an Tatbestände, die solche Kollisionen typischerweise erwarten lassen, möglich.

 

Ungeachtet dessen lassen die vom Beschwerdeführer zur Begründung einer Beobachtungspflicht weiter angeführten positiven Erfahrungen in den Amtsausschüssen und auf dem Gebiet der kommunalen Zusammenarbeit keinen Schluss darauf zu, welchen inneren Konflikten der einzelne Vertreter bei den Entscheidungen unterlegen hat. Sie betreffen auch nicht die Kollision bei der Ausübung von Amt und Mandat.

 

b. Die Inkompatibilitätsregelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG ist materiell verfassungsgemäß.

 

Nach der Einführung der Direktwahl der Landräte mit dem Kommunalrechtsreformgesetz und dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes, beide vom 18. Dezember 2007, kann die Inkompatibilitätsregelung einer erneuten Prüfung unterzogen werden, die jedoch zu keinem anderen Ergebnis führt. Das Verfassungsgericht hält an seiner im Beschluss vom 17. September 1998 dargelegten Rechtsauffassung fest.

 

aa. Die materiellrechtliche Prüfung der Vorschrift ist nicht auf den bei der Wahl des Beschwerdeführers zum Kreistag im Jahr 2008 noch betroffenen Übergangszeitraum zu begrenzen. Zwar wurde der Landrat des Landkreises X. noch von dem im September 2008 gewählten Kreistag gewählt. Der Landrat kann nach Art. 3 Abs. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 18. Dezember 2007, § 128 Abs. 2 BbgKVerf noch vom Kreistag abgewählt werden, so dass sich für den Beschwerdeführer zur Zeit keine andere Interessenlage als bei der der Entscheidung vom 17. September 1998  zu Grunde liegenden Rechtslage ergibt.

 

Die das Grundrecht einschränkende Norm muss sich jedoch in formeller und materieller Hinsicht insgesamt als verfassungsgemäß erweisen (st. Rspr. vgl. BVerfGE 29, 402, 408) und nicht nur in ihrer Anwendung im speziellen Fall zu einem verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ergebnis führen. Wenn der Beschwerdeführer eine eigene Rechtsverletzung geltend machen kann, ist der angegriffene Akt unter jedem verfassungsrechtlich erdenklichen Gesichtspunkt zu prüfen (Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, Kommentar, 2. Auflage 2005, § 90 Rdnr. 13 m.w.N.). Insoweit kommt der Verfassungsbeschwerde neben dem subjektiven Rechtsschutz ein objektivrechtlicher Charakter zu (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Kommentar, Bd. 2, Losebl. Stand: August 2010, § 78 Rdnr. 117). Die mittelbar angegriffene Inkompatibilitätsregelung ist auf dauerhafte Geltung angelegt. Das Kommunalrechtsreformgesetz und das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 18. Dezember 2007, welche die Direktwahl der Landräte einführten, sind am Tag nach deren Verkündung, dem 21. Dezember 2007, in Kraft getreten. Sie waren damit zum Zeitpunkt der Wahl des Beschwerdeführers und des Erlasses der angegriffenen Entscheidungen geltendes Recht. In den von Anfang an geltenden Übergangsvorschriften des § 127 BbgKVerf und Art. 3 Abs. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes ist bestimmt, dass vor dem 1. Januar 2010 der Landrat auf acht Jahre durch den Kreistag gewählt wird und insoweit weiterhin die Abwahlmöglichkeit durch den Kreistag besteht.

 

bb. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG trifft eine zulässige Inkompatibilitäts- und keine Ineligibilitätsregelung. Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV ermächtigt den Landesgesetzgeber nur zu Unvereinbarkeitsregelungen, nicht dagegen zu einem Ausschluss öffentlicher Bediensteter von Wahlen (Ineligibilität). Die angegriffene Norm hält sich in diesem Rahmen. Die von ihr erfassten Personen können sich zur Wahl stellen und gewählt werden. Sie müssen sich im Falle der Wahl zwischen Amt und Mandat entscheiden. Unbeschadet der faktischen Einengung dieser Entscheidungsfreiheit durch berufliche und wirtschaftliche Zwänge, die in den meisten Fällen dem Ausscheiden aus dem bisherigen Dienstverhältnis entgegenstehen werden, beinhaltet die angegriffene Vorschrift damit lediglich eine Inkompatibilität (ausführlich LVerfGE 9, 111, 117 m.w.N.).

 

cc. In den tatsächlichen Auswirkungen kann § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG der in der Folge der Annahme des Mandats zur Aufgabe des bisherigen (hauptberuflichen) Dienstverhältnisses zwingt, einem Ausschluss der Wählbarkeit in die Vertretung des Landkreises nahekommen. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann im Hinblick auf die Bedeutung der Wahl- und Wählbarkeitsgleichheit nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV begründet werden. Ein solcher Hinweis genügt zwar grundsätzlich für die Einführung einer Unvereinbarkeitsregelung (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 38, 326, 340). Wenn aber Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit sein könnte, ist die Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (LVerfGE 9, 111, 117, vgl. auch BVerfGE 48, 64, 90), was jedoch traditionell im kommunalen Bereich der Fall ist (Magiera, in: Sachs, GG, Kommentar, 5. Auflage 2009, § 137 Rdnr. 10).  Diese Voraussetzungen sind – auch nach Fortfall der Wahl- und Abwahlmöglichkeit des Landrats – gegeben.

 

Dabei ist zu beachten, dass Gegenstand der Prüfung nicht ist, ob es eine Interessenkollision mit der Amtsführung durch den Landrat geben kann, sondern welchem Interessenwiderstreit die Ausübung des Kreistagsmandats und die des Amtes des hauptamtlichen Bürgermeisters unterliegen können. Die Aufgabenverteilung und Möglichkeiten solcher Konflikte haben sich mit der Einführung der Direktwahl des Landrats und dem Erlass der neuen Kommunalverfassung im Wesentlichen nicht geändert.

 

i) Zwischen dem Amt als leitender Beamter einer Gemeinde oder eines Amtes und der Wahrnehmung eines Mandats im Kreistag ergeben sich unbeschadet dessen, dass sich Amt und Mandat auf verschiedenen Ebenen gegenüberstehen, vielfältige Interessenskollisionen. Der Kreis und seine Gemeinden bzw. Ämter bilden eine Gemeinschaft, die nicht nur territorial, sondern auch nach Zweckbestimmung und Funktion eng verbunden und verflochten ist (BVerfGE 23, 353, 368). Die rechtlichen und tatsächlichen Interessen der verschiedenen Selbstverwaltungsebenen greifen ineinander und können je nach Fallgestaltung in unterschiedliche Richtungen weisen (LVerfGE 9, 111, 118).

 

ii) Das Verfassungsgericht ist in seinem Beschluss vom 17. September 1998 von Interessenskollisionen im Bereich der Kommunalaufsicht, der Sonderaufsicht und der Fachaufsicht des Kreises gegenüber den kreisangehörigen Ämtern und Gemeinden ausgegangen. Diese bestanden – wie ausgeführt - nicht direkt, sondern nur mittelbar. Der Landrat sei für die Kommunal-, Sonder- und Fachaufsicht über die Gemeinden zuständig, wobei er als allgemeine untere Landesbehörde tätig werde, der Dienstaufsicht des Ministers des Innern unterliege und nur den übergeordneten staatlichen Behörden verantwortlich sei. Der Landrat sei jedoch insgesamt auf das Vertrauen des Kreistags angewiesen, was aus der Wahl und der Abwahlmöglichkeit durch den Kreistag sowie dessen Dienstaufsicht in den übrigen Bereichen folge. Derweilen hat sich diese Interessenlage - bis auf die direkte Wahl- und Abwahlmöglichkeit durch den Kreistag - nicht verändert. Der Landrat untersteht – soweit er nicht als allgemeine untere Landesbehörde tätig wird (§ 132 Abs. 4 BbgKVerf) - weiterhin der Dienstaufsicht durch den Kreistag (§ 131 Abs. 1 i. V. m. § 61 Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf). Die Kreistagsmitglieder sind befugt, eine Kontrolle der Verwaltung auszuüben (§ 131 Abs. 1 i. V. m. § 29 BbgKVerf). Zudem kann der Kreistag gem. § 83 i. V. m.
§ 81 Abs. 2 Nr. 1 b BbgKVerf durch Beschluss mit qualifizierter Mehrheit das Abwahlverfahren gegenüber dem Landrat einleiten. Das Argument, dass der Landrat auf das Vertrauen der Kreistagsabgeordneten angewiesen ist, bleibt damit – wenn auch abgeschwächt - bestehen.

 

iii) Die weitere und stärker zu gewichtende direkte Interessenkollision im Rahmen der Selbstverwaltungs-, Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben, die vom Kreistag wahrzunehmen sind bzw. deren Erledigung durch den Landrat vom Kreistag kontrolliert werden kann, besteht unverändert fort.

 

Die Festsetzung der Kreisumlage hat unmittelbare Auswirkungen auf die Kommunen und kann weiterhin auch unter Festlegung von Mehr- oder Minderbelastungen für einzelne Gemeinden erfolgen (§ 130 Abs. 3 BbgKVerf). Wie auch nach der früheren Rechtslage fördert der Kreis die kreisangehörigen Gemeinden und Ämter in der Erfüllung ihrer Aufgaben, ergänzt durch sein Wirken die Selbstverwaltung der Gemeinden und Ämter und trägt zu einem gerechten Ausgleich zwischen den Gemeinden und Ämtern bei. Bei der Entscheidung darüber, ob und in welchem Maße er in diesem Sinne tätig wird, muss der Kreis neben den Bedürfnissen der einzelnen Gemeinden und Ämter notwendigerweise seine eigenen Bedürfnisse und die Gesamtsituation im Kreisgebiet berücksichtigen (§ 122 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf). Die daraus folgende Befürchtung, dass ein leitender Bediensteter einer kreisangehörigen Gemeinde oder eines Amtes, der als Kreistagsmitglied an solchen Entscheidungsprozessen beteiligt wäre, geneigt sein könnte, im Interesse der “eigenen” Kommune die Bedürfnisse des Kreises oder anderer Kommunen hintanzusetzen, ist demnach immer noch gerechtfertigt. Darüber hinaus ist (und war) der Landkreis berechtigt, unter bestimmten Umständen freiwillig von den kreisangehörigen Gemeinden übernommene Aufgaben und Einrichtungen auch ohne Zustimmung der Gemeinde zu übernehmen (§ 122 Abs. 3 BbgKVerf) oder auch eine ausschließliche eigene Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben gegenüber der Gemeinde zu beschließen. Bei solchen Entscheidungen liegt die Gefahr einer Interessenkollision geradezu auf der Hand (vgl. auch BVerfGE 58, 177, 197).

 

iv) Die Regelung der Inkompatibilität ist wegen der weiterhin in vielfältiger Weise bestehenden Möglichkeiten von Interessenkollisionen noch immer gerechtfertigt. Sie ist zu deren Vermeidung auch im Hinblick auf die Befangenheitsregelung in § 131 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 31 Abs. 2 i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 3 BbgKVerf erforderlich. Danach ist ein Kreistagsmitglied u. a. dann von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst oder einer von ihm kraft Gesetzes vertretenen juristischen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Diese Regelung ist jedoch unbehelflich und reicht zur Vermeidung von Interessenskonflikten nicht aus. Zum einen wäre in einer Vielzahl von Fällen zweifelhaft, ob das Kreistagsmitglied an der Mitwirkung gehindert und die Wirksamkeit von Kreistagsbeschlüssen gegeben ist (vgl. §§ 22 Abs. 6 BbgKVerf). Zum anderen können sich unerwünschte Interessenskollisionen zwischen Amt und Mandat auch außerhalb des Bereichs von “unmittelbaren” Vor- und Nachteilen für den Mandatsträger selbst oder eine von ihm vertretene juristische Person ergeben. Zur Vorbeugung gegen Interessenskollisionen konnte der Gesetzgeber deshalb eine generelle Unvereinbarkeitsregelung bestimmen (vgl. zur inhaltsgleichen alten Rechtslage LVerfGE 9, 111, 119 m. w. N.).

 

v) Der hohe Stellenwert der Wahl- und Wählbarkeitsgleichheit verlangt weiter, dass der Gesetzgeber innerhalb der von der Verfassungsnorm erfassten Personengruppen keine sachwidrigen Differenzierungen vorgenommen hat (BVerfGE 48, 64, 89 f.; 18, 172, 184). Auch diesen Vorgaben genügt § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgKWahlG. Soweit der  Beschwerdeführer einen Gleichheitsverstoß wegen der Differenzierung zwischen leitenden und nicht leitenden Bediensteten sowie zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Bürgermeistern rügt, hat das Verfassungsgericht diese Fragen bereits in seiner Entscheidung vom 17. September 1998 geklärt und dazu das Folgende ausgeführt:

 

„Der Landesgesetzgeber konnte die Unvereinbarkeitsregelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 KWahlG auf leitende Beamte und Angestellte i.S. des § 12 Abs. 2 Satz 2 KWahlG (hauptamtliche Beamte auf Zeit, Amtsleiter und Inhaber vergleichbarer Ämter sowie ihre Vertreter) begrenzen. Nachgeordnete Bedienstete der kreisangehörigen Ämter und Gemeinden sind im Kreistag in ungleich geringerem Maße Interessenskollisionen ausgesetzt als leitende Beamte und Angestellte, denen das Geschick der Kommune anvertraut ist und deren Verantwortungsbereich durch Entscheidungen des Kreistages, die sich auf die (kreis)amtsangehörigen Ämter und Gemeinden auswirken, unmittelbar berührt wird. Die Unterscheidung erscheint deshalb sachlich vertretbar. Jedenfalls ist die Gesetz gewordene Regelung geeignet, die Gefahr von Interessenskollisionen zu verringern und damit nicht sachwidrig. Wie der Wortlaut des Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV (“kann”) zeigt, muss der Gesetzgeber die Ermächtigung nicht ausschöpfen (vgl. zu Art. 137 Abs. 1 GG BVerfGE 38, 326, 340).

 

Es stellt sich auch nicht als ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, dass ehrenamtliche Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden dem Kreistag angehören dürfen. Dies folgt schon daraus, dass Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV ehrenamtliche Bürgermeister nicht erfasst. Die Ehrenbeamten zählen nicht zu den Beamten i.S. des Art. 137 Abs. 1 GG (BVerfGE 18, 172, 184 f.; kritisch hierzu Stober, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 137 Abs. 1, Rn. 287, 317 ff.). Da der Landesgesetzgeber den Ermächtigungsrahmen des Art. 137 Abs. 1 GG zwar unter-, aber nicht überschreiten darf (s.o.), bezieht sich auch Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV nicht auf Ehrenbeamte. Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit schützt den Beschwerdeführer nur vor sachwidrigen Differenzierungen innerhalb des von Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV erfassten Personenkreises.“

 

vi) Es begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 330) der Wortlaut des § 12  Abs. 2 Satz 1 BbgKWahlG von „Angestellte“ auf „Arbeitnehmer“ erweitert worden ist. Um nicht über die Ermächtigung des  Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV (Angestellte) hinaus zu gehen, wurde der Anwendungsbereich durch § 12 Abs. 4 Nr. 1 BbgKWahlG beschränkt (vgl. LT-Drs. 4/5053, S. 41) und erfasst u. a. keine Arbeiter im herkömmlichen Sinne sowie Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Tätigkeiten ausüben. Damit geht der erfasste Personenkreis nicht über den von in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV verwendeten Begriff des Angestellten hinaus, der Personen erfasst, die in einem Dienstverhältnis zu einem öffentlichen Arbeitgeber  stehen, aber weder Beamte noch Arbeitnehmer sind (Lieber/Iwers/Ernst, a.a.O., Art. 22 Nr. 6).

 

3. Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 LV ist daneben nicht zu prüfen. Gegenüber dem speziellen Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit aus Art. 22 Abs. 1 und 3 LV tritt der allgemeine Gleichheitssatz zurück (Lieber/Iwers/Ernst, a.a.O., Art. 12 Nr. 2.1).

 

D.

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen. Sie ist unanfechtbar.

 

Postier Dielitz
       
Dr. Fuchsloch ist wegen
Krankheit verhindert, ihre
Unterschrift beizufügen
Postier, 16.9.2011
Dr. Lammer ist wegen
Urlaubs verhindert, seine
Unterschrift beizufügen
Postier, 16.9.2011
   
Möller Partikel
   
Schmidt