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VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2004 - VfGBbg 21/04 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 Satz 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg § 50 Abs. 3
- StPO, § 33a; StPO § 469
Schlagworte: - Strafprozeßrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Bundesrecht
- rechtliches Gehör
- Auslagenerstattung
- Tenor
- Rechtswegerschöpfung
- Prüfungsmaßstab
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2004 - VfGBbg 21/04 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 21/04



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

O.,

Beschwerdeführer,

gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Bernau vom 27. Oktober 2003 sowie des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. März 2004

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Will

am 26. August 2004

b e s c h l o s s e n :
 

  1. Der Beschluß des Amtsgerichts Bernau vom 27. Oktober 2003, durch den dem Beschwerdeführer gemäß § 469 Strafprozeßordnung die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, sowie der Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. März 2004 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg) und werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Bernau zurückverwiesen.
     
  2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluß des Amtsgerichts Bernau vom 27. Oktober 2003, durch den ihm die Kosten des gegen seine geschiedene Ehefrau gerichteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens auferlegt worden sind, sowie gegen den seine hiergegen gerichtete Beschwerde verwerfenden Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. März 2004.

I.

Der Beschwerdeführer erstattete am 22. September 2001 Strafanzeige wegen des Verdachts des Betruges zu seinen Lasten gegen seine geschiedene Ehefrau. Sie habe im Zeitraum 1991 bis März 2001 die Abbuchung von Versicherungsbeiträgen für ihre Rentenversicherung von seinem Konto veranlaßt. Zwar habe er den Versicherungsvertrag sowie die Einzugsermächtigung unterzeichnet, doch sei er davon ausgegangen, daß es sich um eine Unfallversicherung zur Absicherung der gemeinsamen Kinder handle. Seine geschiedene Ehefrau habe ihn bewußt im Unklaren gelassen.

Durch staatsanwaltschaftliche Verfügung vom 18. September 2002 wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozeßordnung (StPO) eingestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos, da sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet habe. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: „eine nähere Sachverhaltsaufklärung der Ereignisse bei der Antragstellung [bzgl. des Versicherungsvertrags] war nach den Ermittlungen angesichts des Zeitablaufs nicht mehr möglich“.

Auf Antrag der Verteidigerin der Beschuldigten erlegte das Amtsgericht Bernau durch Beschluß vom 16. Juni 2003 die Auslagen und Gebühren der Landeskasse auf. Der hiergegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft half das Amtsgericht nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Frankfurt (Oder) vor. Einem Aktenvermerk des Landgerichts zufolge widerspreche der Beschluß vom 16. Juni 2003 zwar den einschlägigen Kostennormen (§§ 464 ff. StPO), jedoch sei der Beschluß des Amtsgerichts entsprechend § 467a Abs. 3 StPO unanfechtbar, so daß die Beschwerde gegen den Beschluß als Gegenvorstellung gewertet werden könne. Nunmehr beantragte die Staatsanwaltschaft - wie zuvor bereits die Beschuldigte - die Kosten des Ermittlungsverfahrens gemäß § 469 StPO dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Der Beschwerdeführer nahm hierzu durch Schreiben vom 12. September 2003 u.a. wie folgt Stellung:

„Ein Beweis dafür, dass ich die Einzugsermächtigung unterschrieben habe, weil es eine dahingehende Vereinbarung gegeben haben soll, ist nicht erbracht worden. Auch ist der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Letztlich wurde die Angelegenheit eingestellt, weil in Folge des Zeitablaufs die tatsächlichen Geschehnisse nicht mehr aufgeklärt werden konnten. So teilte mir dies jedenfalls der Generalstaatsanwalt ... mit. Eine vorsätzlich oder gar leichtfertig erstattete unwahre Anzeige liegt hier nicht vor, so dass der Antrag abzuweisen sein wird“.

Durch Beschluß vom 27. Oktober 2003 hob das Amtsgericht den Beschluß vom 16. Juni 2003 auf und erlegte durch weiteren (mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen) Beschluß vom selben Tag die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer auf, „da eine strafbare Handlung der Beschuldigten nicht zu erkennen war und die Anzeige leichtfertig erstattet wurde (§ 469 StPO)“. Die hiergegen erhobene Gehörsrüge vom 25. November 2003 legte das Amtsgericht dem Landgericht „zur Entscheidung über das Rechtsmittel“ vor. Das Landgericht verwarf durch Beschluß vom 15. März 2004 „die Beschwerde“ unter Verweis auf § 469 Abs. 3 StPO. Jedenfalls sei der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, da der Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und diese genutzt habe.

II.

Der Beschwerdeführer rügt mit der am 23. April 2004 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg - LV -).

III.

Die beteiligten Gerichte sowie die Beschuldigte des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakte ist beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Die Beschwerdebefugnis ergibt sich aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Der fachgerichtliche Rechtsweg ist erschöpft, da der Beschwerdeführer das Gehörsrügeverfahren gemäß § 33a StPO angestrengt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Die mit dem den Antrag nach § 33a StPO verwerfenden Beschluß des Landgerichts beginnende Beschwerdefrist (vgl. dazu: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. Dezember 1998 - VfGBbg 40/98 -, LVerfGE 9, 145, 147 f.) ist gewahrt (§ 47 Abs. 1 VerfGGBbg).

Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, daß die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch die Strafprozeßordnung - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff.; zuletzt Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 23/04 und 6/04 EA -) sind gegeben. Der Schutzbereich des Art. 52 Abs. 3 LV stimmt mit dem des Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz insoweit überein (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. März 2000 - VfGBbg 2/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 88, 92).

II.

Der Beschluß des Amtsgerichts Bernau vom 27. Oktober 2003, durch den dem Beschwerdeführer gemäß § 469 Strafprozeßordnung die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, sowie der Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. März 2004 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

1. Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV gewährt - auch den um die Kostentragung streitenden Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens - das Recht, sich zu den entscheidungserheblichen Fragen einer rechtlichen Streitigkeit vor Erlaß der Entscheidung zu äußern (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 -, LVerfGE 2, 179, 182). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 25. Februar 1999 - VfGBbg 52/98 -). Insoweit ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, daß das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 09. August 2001 - VfGBbg 15/01 -, vom 28. Juni 2001 - VfGBbg 9/01 - sowie vom 12. Oktober 2000 - VfGBbg 35/00 -). Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen, sondern kann sich auf die Bescheidung der ihm wesentlich erscheinenden Tatsachenbehauptungen beschränken. Insbesondere verwehrt es der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 25. Februar 1999 - VfGBbg 52/98 -, vom 16. Oktober 1997 - VfGBbg 25/97 - sowie vom 17. September 1998 - VfGBbg 26/98 -; vgl. auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. Juni 1996 - VfGBbg 20/95 -, LVerfGE 4, 201, 205). Geht allerdings das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so läßt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133, 145 f.). So liegt der Fall hier.

Zwar steht außer Frage, daß der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte, zum Antrag der Staatsanwaltschaft und der Beschuldigten des Ausgangsverfahrens Stellung zu nehmen und diese Gelegenheit ausweislich seines Schreibens vom 12. September 2003 auch ergriffen hat. Jedoch geht das Amtsgericht in seinem Beschluß vom 27. Oktober 2003 nicht in der von Verfassungs wegen erforderlichen Weise auf diesen Vortrag des Beschwerdeführers ein. Gemäß § 469 Abs. 1 Satz 1 StPO können die Kosten nur dann dem Anzeigenden auferlegt werden, wenn eine unwahre Anzeige vorsätzlich oder leichtfertig erstattet worden ist. Eine Anzeige ist nur dann unwahr, wenn die inhaltliche Unrichtigkeit ihrer tatsächlichen Behauptung auch feststeht. Daher löst eine Verfahrenseinstellung für sich genommen noch nicht zwingend die Rechtsfolge des § 469 StPO aus, „denn bei Einstellung oder Freispruch mangels (hinreichenden) Beweises fehlt es angesichts des fortdauernden Tatverdachts an feststehender Unwahrheit der Anzeige“ (SK-StPO-Degener, Rn. 5 zu § 469 StPO m.w.N.). Der Beschwerdeführer hat zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 469 Abs. 1 Satz 1 StPO ausgeführt, daß ausweislich der Mitteilung des Generalstaatsanwalts die Einstellung auch wegen des infolge Zeitablaufs nicht mehr aufklärbaren Sachverhalts erfolgte und auch daher die Anzeige weder unwahr noch leichtfertig erstattet worden sei. Auf diese die Kernvoraussetzungen des § 469 Abs. 1 Satz 1 StPO betreffenden Vortrag des Beschwerdeführers ist das Amtsgericht in seinem Beschluß vom 27. Oktober 2003 jedoch mit keinem Wort eingegangen. Da dies jedoch von Verfassungs wegen geboten war, kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob die von der Beschuldigten des Ausgangsverfahrens gegenüber dem Landesverfassungsgericht durch Schreiben vom 31. Juli 2004 aufgezeigten Gesichtspunkte den Beschluß des Amtsgerichts im Ergebnis zumindest als vertretbar erscheinen lassen. Denn diese Beurteilung ist dem Landesverfassungsgericht verwehrt. Für das verfassungsgerichtliche Verfahren ist allein maßgeblich, daß der als entscheidungserheblich durchaus in Betracht kommende Vortrag des Beschwerdeführers nicht erkennbar berücksichtigt worden ist.

2. Auch der Beschluß des Landgerichts vom 15. März 2003 unterliegt der Aufhebung. Die Verwerfung des Antrags des Beschwerdeführers vom 25. November 2003 wegen Unanfechtbarkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung stellt sich als Fortsetzung des Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar und unterliegt bereits deshalb der Aufhebung (vgl. zum fortgesetzten Grundrechtsverstoß: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 23/04 und 6/04 EA - und vom 19. Dezember 2002 - VfGBbg 104/02 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 217, 228). Darüber hinaus war der Antrag des Beschwerdeführers vom 25. November 2003 ein Antrag im Gehörsrügeverfahren (§ 33a StPO), so daß dessen Verwerfung wegen (angenommener) Unanfechtbarkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses auch eigenständig gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstößt.

III.

Gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg sind die angegriffenen Beschlüsse aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der Beschluß des Amtsgerichts vom 27. Oktober 2003, durch den der amtsgerichtliche Beschluß vom 16. Juni 2003 aufgehoben worden war, hat - da nicht verfahrensgegenständlich - Bestand.

C.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
Prof. Dr. Will