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VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2002 - VfGBbg 75/02 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 53 Abs. 2
- StPO, § 467 Abs. 4; StPO, § 274
- OWiG, § 47 Abs. 2
Schlagworte: - Ordnungswidrigkeitenrecht
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Unschuldsvermutung
- Willkür
- Subsidiarität
nichtamtlicher Leitsatz: Bei Einstellung eines Bußgeldverfahrens steht die Unschuldsvermutung nicht zwingend einer Entscheidung entgegen, welche die Auslagen des Betroffenen bei diesem beläßt und nicht der Staatskasse auferlegt.
Fundstellen: - LVerfGE 13, 188 (nur LS)
- LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 185
- JR 2003, 101
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2002 - VfGBbg 75/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 75/02



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

K. B.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Z. und H.,

gegen den Beschluß des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 01.02.2002

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Knippel, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 25. Oktober 2002

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Bauunternehmens und als solcher Halter mehrerer LKW. Im Juni 2001 kontrollierten zwei Polizeibeamte den LKW des Beschwerdeführers mit dem amtlichen Kennzeichen .... Wegen der ihrer Ansicht nach mangelhaften Profiltiefe sowie wegen bestehender Risse fertigten sie mehrere Fotos von einem Reifen. Am 15. August 2001 erließ das Polizeipräsidium Oranienburg gegen den Beschwerdeführer einen Bußgeldbescheid in Höhe von 250 DM. In dem Bescheid wird dem Beschwerdeführer vorgehalten, daß er als Halter die Inbetriebnahme des Fahrzeuges zuließ, obwohl ein Reifen nicht vorschriftsmäßig war (§ 24 Straßenverkehrsgesetz, § 31 Abs. 2, § 36 Abs. 2, § 69a Straßenverkehrszulassungsordnung, Nr. 61 Bußgeldkatalog). Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, daß gemäß Bußgeldkatalog drei Punkte im Bundesverkehrszentralregister eingetragen werden.

Gegen den Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Die Reifen seien in Ordnung gewesen, zudem habe er auch nicht gegen Halterpflichten verstoßen, da er regelmäßig die Fahrzeuge selbst kontrolliert habe sowie die entsprechenden Fahrer durch Arbeitsschutzinspektor J. auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hingewiesen habe. Der vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt bestellte Sachverständige äußerte in der mündlichen Verhandlung Ende Januar 2002, er benötige die Negative der Fotos des Reifen. Diese waren jedoch nicht mehr auffindbar, so daß der Sachverständige im Fortsetzungstermin am 1. Februar 2002 erklärte, er könne keine konkrete Antwort geben, ob der begutachtete Reifen vorschriftsmäßige Profilrillen oder Einschnitte besaß. Zwar seien Ausreißungen möglich, die Kreide habe jedoch die Spuren verdeckt. Der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte sodann, „Freispruch oder Einstellung des Verfahrens bei voller Kostenübernahme durch die Landeskasse, auch notwendige Auslagen des Betroffenen“. Darauf hin stellte das Amtsgericht das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ein. Die Kosten des Verfahrens legte er der Landeskasse auf, nicht jedoch die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers. Ausweislich des Protokolls wurde der Beschluß verkündet und kurz begründet. Der Beschluß wurde dem Verteidiger am 7. Februar 2002 zugesandt.

2. Am 2. April 2002 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er wendet sich gegen die Entscheidung zur Erstattung der notwendigen Auslagen und rügt die Verletzung des Willkürverbotes, des Gebotes eines fairen Verfahrens sowie eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Der Ablauf der Hauptverhandlung sowie der Abbruch des Termines machten deutlich, daß die Einstellung des Verfahrens nur dazu diente, ihn durch die Kostenlast doch noch zu bestrafen. Der Vorsitzende habe bekundet, das Verfahren einstellen zu wollen, da es für eine Verurteilung „nicht reiche“, er wolle den Betroffenen aber auch nicht freisprechen. Der Beschwerdeführer habe auf die Vernehmung des Zeugen J. bestanden, was das Gericht abgelehnt habe; statt dessen sei der Einstellungsbeschluß verkündet worden. Die Verweigerung der Auslagenerstattung sei eine Ersatzsanktion, die gegen die Unschuldsvermutung verstoße. Diese verlange, daß bei Kostenbelastung des Betroffenen die Ordnungswidrigkeit sicher nachgewiesen sein müsse. Zudem verstoße der Beschluß gegen das Willkürverbot, weil sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar sei. Aus der Beweisaufnahme dränge sich seine Unschuld auf. Durch den Abbruch der Hauptverhandlung ohne Befragung des Zeugen J. sei ihm die Möglichkeit genommen worden, einen Freispruch zu erreichen. § 467 Abs. 1 StPO, der hier einschlägig sei, eröffne dem Gericht kein Ermessen bei der Kostenentscheidung. Für irgendeinen sachlichen Anlaß zur Verwehrung der Auslagenerstattung im Sinne des § 467 Abs. 2 bis 5 Strafprozeßordnung (StPO) gäbe es keinerlei Anhaltspunkte. Mit der Einstellung ohne Auslagenerstattung sei es dem Gericht willkürlich darum gegangen, dem Betroffenen „noch einen Schaden“ zuzufügen.

3. Dem Direktor des Amtsgerichtes Eisenhüttenstadt ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Er trägt vor, daß die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht ausschließlich bundesrechtlich geregelt sei. Da die im pflichtgemäßen Ermessen liegende Einstellung des Verfahrens nicht anfechtbar sei, unterliege sie keinem Begründungszwang. Äußerungen des Vorsitzenden könnten nur herangezogen werden, als sie sich aus dem Protokoll ergeben. Auf weitere – vermeintliche – Äußerungen komme es nicht an. Auch hinsichtlich der Kostenentscheidung nach § 467 Abs. 4 StPO seien Ermessensfehler nicht ersichtlich, zumal den Beschwerdeführer nur eigene Auslagen träfen, nicht aber gerichtliche Kosten.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

a) Insbesondere steht ihr nicht entgegen, daß das Verfahren in der Hauptsache – antragsgemäß – eingestellt wurde und nicht Verfahrensgegenstand ist. Der behauptete Verfassungsverstoß betrifft gerade und ausschließlich die Nebenentscheidung. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Gerichtsentscheidung, die den Beschwerdeführer nur noch in der Nebenentscheidung über die Kosten belastet (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 28. Juni 2001 – VfGBbg 13/01 –, zur Veröffentlichung in LVerfGE vorgesehen) bestehen in diesem Falle nicht.

b) Soweit der Beschwerdeführer in der Begründung der Verfassungsbeschwerde anklingen läßt, er sei zusätzlich auch durch den „Abbruch der Verhandlung“ beschwert - eine Vernehmung des Zeugen J. hätte nämlich zu einem Freispruch geführt -, steht der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus muß ein Beschwerdeführer alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erreichen oder, wie hier, schon von vornherein abzuwenden. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde auf die Vernehmung des Zeugen J. „allseits“ - d.h. auch durch den Beschwerdeführer - verzichtet. Dieser Verzicht (§ 245 Abs. 1 Satz 2 StPO) wird als wesentliche Förmlichkeit (vgl. Engelhardt, in: KK-StPO, 4. Aufl., § 273 Rn. 4; Julius, in: HK-StPO, § 273 Rn. 5) durch das Protokoll bewiesen, dem nach § 274 StPO Beweiskraft für derartige Förmlichkeiten zukommt. Auch ungeachtet der Wirkung des § 274 StPO als positive Beweisregel hat der Beschwerdeführer einen anderen Geschehensablauf nicht substantiiert vorgetragen. Wie aus dem Protokoll weiter hervorgeht, war der Beschwerdeführer darüber hinaus auch mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden, indem sein Verteidiger „Freispruch oder Einstellung des Verfahrens bei voller Kostenübernahme durch die Landeskasse, auch notwendige Auslagen des Betroffenen“ beantragte. Folgerichtig erstrebt er auch mit der Verfassungsbeschwerde nicht etwa eine Wiederaufnahme des Verfahrens, sondern allein die Aufhebung der Kostenentscheidung. Er kann im Verfassungsbeschwerdeverfahren über diese Kostenentscheidung nicht mehr das Ergebnis einer mit seinem Einverständnis gar nicht durchgeführten Beweisaufnahme unterstellen.

c) Der Beschwerdeführer ist auch beschwerdebefugt. Insbesondere erscheint eine Verletzung der vom Beschwerdeführer aus dem Recht auf ein faires Verfahren abgeleiteten Unschuldsvermutung nicht von vornherein ausgeschlossen, weil dieser Grundsatz Geltung auch für das Bußgeldverfahren beansprucht. Die Unschuldsvermutung ist in Brandenburg in Art. 53 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verankert. Danach ist jeder wegen einer Straftat Beschuldigte oder Angeklagte so lange als unschuldig anzusehen, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Zwar spricht der Wortlaut für eine Auslegung, wonach die Bestimmung ausschließlich bei Straftaten im engeren Sinne anwendbar ist. Wie sich aber aus der Entstehungsgeschichte ergibt, ist Art. 53 Abs. 2 LV auch im Ordnungswidrigkeitenrecht heranzuziehen, denn Art. 53 Abs. 2 LV soll mindestens solchen Schutz bieten, wie ihn das Grundgesetz vorsieht. Zum Entwurf des 10. Abschnittes, in dem der jetzige Art. 53 Abs. 2 LV bereits wortgleich enthalten war, hieß es, der Abschnitt sei weitgehend an das Grundgesetz angelehnt und erweitere dieses an einigen Stellen (vgl. Schöneburg, Ausschußprotokoll Verfassungsausschuß, UA I, in: Dokumentation Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 601). Folgerichtig hebt Sachs hervor, im 10. Abschnitt der Landesverfassung werde an Art. 101 und 103 Grundgesetz (GG) angeknüpft und die dortigen Rechte um weitere Prinzipien ergänzt, die allerdings für das Grundgesetz auch ohne ausdrückliche Regelung anerkannt würden (Sachs, in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, § 5 Rn. 37). Im Grundgesetz findet die Unschuldsvermutung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (vgl. BVerfGE 19, 342, 347; 74, 358, 370) wird, Anwendung nicht nur auf im Straf-, sondern auch im Bußgeldverfahren (BVerfG, Beschluß vom 12. November 1991 – 2 BvR 281/91 - NStZ 1992, 238). Dem steht nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer Art. 53 Abs. 2 LV nicht ausdrücklich nennt. Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt es, wenn der Schutzbereich des Grundrechtes erkennbar umrissen wird.

Soweit der Beschwerdeführer das Recht auf ein faires Verfahren verletzt sieht, ist eine Prüfung nicht angezeigt. Einen über Art. 53 Abs. 2 LV hinausgehendes Recht legt der Beschwerdeführer nämlich nicht dar. Er führt an, das Recht auf ein faires Verfahren gebiete eine „prinzipielle Unschuldsvermutung“. Die Erwähnung des Rechtes auf ein faires Verfahren dient erkennbar allein dazu, ungeachtet von Art. 53 Abs. 2 LV die Unschuldsvermutung auf Verfassungsrecht zu stützen. Soweit er weiter eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 LV („Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“) anführt, ist in der Verfassungsbeschwerde dazu nichts dargelegt worden. Eine vom Beschwerdeführer angeführte Verletzung von Art. 20 GG oder von Art. 103 GG sowie von § 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention kann vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg nicht gerügt werden.

d) Ebenfalls steht der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, daß mit ihr die Verletzung von Landesgrundrechten bei der Durchführung eines bundesrechtlich - durch die StPO und das OWiG - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die Voraussetzungen für ein Eingreifen des Landesverfassungsgerichts - keine Rechtsschutzalternativen zur Verfassungsbeschwerde, keine vorangegangene Befassung eines Bundesgerichts, Inhaltsgleichheit der Landes- und Bundesgrundrechte (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. April 1998 – VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f.) – liegen vor. Insbesondere besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtes hinsichtlich der als verletzt gerügten Grundrechte, die mit Grundrechten übereinstimmen, die vom Grundgesetz verbürgt werden. Das Willkürverbot des Art. 52 Abs. 3 LV entspricht Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Die vom Beschwerdeführer als verletzt gerügte Unschuldsvermutung ist in der Landesverfassung inhaltsgleich zum Grundgesetz gewährleistet.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist indes unbegründet. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtes, die Entscheidungen der Fachgerichte nach Art eines Rechtsmittelgerichtes zu überprüfen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. September 1998 - VfGBbg 18/98 -, LVerfGE 9, 95). Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtes ist allein die Landesverfassung. Sie ist hier nicht verletzt.

a) Der Beschluß des Amtsgerichtes verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Willkürlich ist eine Gerichtsentscheidung nur für den Fall, daß sie ganz und gar unvertretbar und schlechthin unverständlich ist, so daß sich der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (st. Rspr., vgl. etwa Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. Oktober 2001 - VfGBbg 24/01 -). So liegt es hier nicht.

Die Entscheidung des Amtsgerichtes, die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers nicht der Staatskasse aufzuerlegen, beruht auf § 467 Abs. 4 Strafprozeßordnung (StPO). Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt – hier § 47 Abs. 2 OWiG –, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Im Falle einer Ermessenseinstellung ermöglicht das Gesetz, § 467 Abs. 1 StPO, der eine zwingende Kostenpflicht der Staatskasse bewirkt und den der Beschwerdeführer für einschlägig hält, nicht anzuwenden. § 467 Abs. 4 StPO eröffnet dem Gericht Ermessen (vgl. etwa Göhler, OWiG-Kommentar, 13. Aufl., 2002, vor § 105 Rn. 80; Hilger, in: LR-StPO, Stand 1.4.2000, § 467 Rn. 63; Schmidt/Baldus, Gebühren- und Kostenentscheidung in Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 1993, Rn. 353; Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. 2000, Rn. 230). Die Entscheidung wäre, und zwar ungeachtet der verfassungsrechtlich relevanten Willkürgrenze, einfachrechtlich rechtswidrig, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hätte oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte. Beides ist hier nicht der Fall, weil zwar einerseits Umstände ersichtlich sind, die für eine Belastung der Staatskasse sprechen, andererseits aber der in Rede stehende Vorwurf nicht zweifelsfrei aufgeklärt worden war. Der Sachverständige hat nämlich bekundet, aus einer von ihm gefertigten Vergrößerung eines Fotos des Reifens gehe hervor, daß die Schnittverletzungen nur oberflächlich und ohne Gewebeverletzung gewesen seien. Es sei aber möglich, daß am Reifen vorschriftswidrige Ausreißungen vorhanden waren, eindeutig sei dies jedoch anhand der vorhandenen Lichtbilder nicht zu klären. Auch der Beschwerdeführer meint, (erst) durch die Aussage des noch nicht vernommenen Zeugen hätte er einen Freispruch erzielen können. Damit ist klar, daß zum Zeitpunkt der Einstellung der Vorwurf noch nicht vollständig und zweifelsfrei ausgeräumt worden war. Es liegt im Wesen einer Ermessensentscheidung, daß sie je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles unterschiedlich – und gleichwohl gleichermaßen rechtmäßig - ausfallen kann. Die konkrete Gewichtung der einzelnen Kriterien muß und kann allein der Tatrichter vornehmen.

b) Die Kostenentscheidung verstößt auch nicht gegen die Unschuldsvermutung des Art. 53 Abs. 2 LV. Die Unschuldsvermutung schützt den Betroffenen vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches Verfahren zur Schuldfeststellung oder Strafbemessung vorausgegangen ist. Feststellungen zur Schuld zu treffen, Schuld auszusprechen und Strafe zuzumessen, ist den Gerichten erst erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in dem mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten, bis zum Abschluß durchgeführten Verfahren nachgewiesen ist (BVerfGE 82, 106, 116 = NJW 1990, 2741 = NStZ 1990, 598 = StV 1991, 111). Erst das vollständig durchgeführte Verfahren schafft die prozessual vorgesehenen Voraussetzungen dafür, Feststellungen zur Schuld zu treffen und die Unschuldsvermutung gegebenenfalls zu widerlegen (BVerfGE 74, 358, 373). Wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, daß ein Tatverdacht nicht (mehr) besteht, ist der Betroffene freizusprechen. Die Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG setzt demgegenüber voraus, daß ein Tatverdacht nicht oder jedenfalls nicht vollständig ausgeräumt worden ist.

aa) Bei einer Einstellung des Verfahrens verbietet es die Unschuldsvermutung jedenfalls nicht von vornherein, die Auslagen des Betroffenen bei diesem zu belassen und nicht der Staatskasse aufzuerlegen, denn eine derartige Entscheidung ist keine Strafe (vgl. etwa BVerfG, Beschl. vom 29. Januar 2002 – 2 BvR 1965/01 -, NJW 2002, 1867; BGH, Beschl. vom 5. November 1999 – StB 1/99 -, NJW 2000, 1427). Die Versagung des Auslagenersatzes hat keinen strafenden Sanktionscharakter. Die Entscheidung stellt weder ein sozialethisches Unwerturteil dar, das die Strafe kennzeichnet, noch ist sie die nachdrückliche Pflichtenmahnung eines Bußgeldes. Vielmehr wird durch das Gericht nur abgelehnt, die notwendigen Auslagen zu Lasten der Allgemeinheit zu erstatten.

bb) Die angegriffene Entscheidung verstößt auch nicht gegen Art. 53 Abs. 2 LV. Sie ist nicht mit Feststellungen zur Schuld begründet worden ist. Es verstößt gegen die Unschuldsvermutung, wenn Entscheidungen über Kosten, Auslagen oder Entschädigungsansprüche im Straf- oder Bußgeldverfahren mit Feststellungen zur Schuld begründet werden, obwohl das Verfahren nicht bis zur Schuldspruchreife gediehen war (vgl. zur entsprechenden Rechtslage nach dem GG: Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 74, 358, 373; 82, 106, 121 f.; NStZ 1988, 84; 1992, 238; NJW 1992, 2011; NJW 1992, 1611 f.). Schuldfeststellungen in den Gründen eines das Verfahren einstellenden Beschlusses können deshalb grundsätzlich zur Feststellung eines selbständigen Grundrechtsverstoßes führen (BVerfGE 74, 358, 373 f.; 82, 106, 116; zu einer möglichen Heilung durch eine spätere Klarstellung: BVerfG, Beschluß vom 5. Mai 2002 - BvR 413/00 -). Ein derartiger Schuldvorwurf ist dem Beschwerdeführer hier durch den Amtsrichter nicht gemacht worden. Der Beschluß ist schriftlich nicht begründet worden. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, der Richter habe im Gericht erklärt, er – der Beschwerdeführer – sei mit der Kostenentscheidung „gut bedient“, stellt diese Bemerkung schon keine Begründung der Entscheidung dar, sondern eine Bewertung und läßt allenfalls mittelbar auf einen fortbestehenden Verdacht schließen. Der Äußerung läßt sich nicht entnehmen, der Richter gehe bereits zu diesem Zeitpunkt von einem schuldhaften Gesetzesverstoß des Beschwerdeführers aus.

Dr. Knippel Prof. Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
Dr. Jegutidse Prof. Dr. Schröder
Prof. Dr. Will