Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 25. Mai 2012 - VfGBbg 20/12 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Ar. 9 Abs. 1
- StGB, § 56 f.
Schlagworte: - Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 25. Mai 2012 - VfGBbg 20/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 20/12




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

S.  

 

                                            Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigte:  Rechtsanwältin B.

 

Direktorin des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel,
Magdeburger Straße 47,
14770 Brandenburg an der Havel,

 

                                   Äußerungsberechtigte zu 1,

 

Präsident des Landgerichts Potsdam,
Jägerallee 10 - 12, 
14469 Potsdam,

 

                                  Äußerungsberechtigter zu 2,

 

Staatsanwaltschaft Potsdam,
Jägerallee 10 – 12,     
14469 Potsdam,              

                                   Äußerungsberechtigte zu 3,

 

wegen des Beschlusses des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 8. November 2011, Az. 25 BRs 39/08, und des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 20. Dezember 2011, Az. 23 Qs 138/11

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Lammer, Möller, Partikel und Schmidt

am 25. Mai 2012 

 

b e s c h l o s s e n:

 

1. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

A.

Der Beschwerdeführer rügt die Verfassungswidrigkeit eines Wider­­­­­­­­rufs der Strafaussetzung zur Bewährung und beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verurteilte den Beschwerdeführer am 20. April 2007, rechtskräftig seit dem 5. Juni 2008, wegen Nötigung in vier Fällen, in zwei Fällen in Tatein­heit mit Beleidigung, und wegen Beleidigung zu einer Frei­heits­strafe von vier Mona­ten, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jah­ren zur Bewährung ausgesetzt wurde (Az. 25 Cs 252/06).

Die Taten hatte der Beschwerdeführer im Zeitraum September 2005 bis März 2006 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bran­den­burg begangen, in der er eine u.a. wegen räuberischer Erpres­­sung, Körper­ver­let­zung und Beleidigung verhängte Frei­heits­­strafe von acht Jahren und sechs Monaten Dauer verbüßte. Wäh­rend der Haft war der Beschwerdeführer im Zeitraum Sep­tem­ber 2005 bis November 2006 wegen Beleidigung, Bedrohung und Kör­perver­let­zung insgesamt weitere viermal zu Geldstrafen ver­ur­teilt wor­­den.

Mit Beschluss vom 12. Juni 2007 entschied die Strafvoll­streckungs­kammer des Land­ge­richts Potsdam (Az. 20 StVK 116/07) mit Blick auf das anste­hende Ende der Haft in der JVA Bran­den­­burg, dass die Führungs­auf­­­­sicht nicht entfalle und der Beschwer­­deführer seine Ent­las­sungs­­­­­anschrift und jeden Wechsel des Wohnortes und des Arbeits­­­­­­­­­platzes unverzüglich der Auf­sichts­­­stelle zu melden habe. Am 18. Juni 2007 wurde der Beschwer­deführer aus der JVA Bran­­­­­den­burg entlassen.

Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte den Beschwerdeführer am 16. November 2009, rechtskräftig seit dem 16. März 2011, wegen Ver­­­­­­stoßens gegen die vorstehend genannten Weisungen während der Füh­rungs­auf­sicht (145 a StGB) im Zeitraum 27. Juli 2007 bis 13. Dezember 2008 zu einer Freiheitsstrafe von drei Mona­ten (Az. 80 Ds 183/09).

Das Amts­gericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer am 11. Feb­ruar 2011 wegen versuchter Nötigung und Beleidigung in drei Fällen – begangen im Zeitraum März 2009 bis Juli 2010 - zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen (Az. 241 Ds 241/09). Das Urteil ist seit dem 19. Februar 2011 rechts­kräf­tig.

Auf den dem Beschwerdeführer am 6. Oktober 2011 bekannt gewor­de­nen Antrag der Staatsanwaltschaft vom 25. Juli 2011 wider­rief das Amts­­gericht Brandenburg an der Havel mit Beschluss vom 8. Nov­ember 2011 die durch sein Urteil vom 20. April 2007 (25 Cs 252/06) gewährte Strafaussetzung zur Bewährung (25 BRs 39/08). Die Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 16. Nov­em­ber 2009 und 11. Februar 2011 wegen teils einschlägiger Straf­taten hät­ten gezeigt, dass die der Strafaus­set­zung zur Bewäh­rung zugrun­­­­­­­de­ge­le­gte Erwartung bzw. Prognose, der Beschwerdeführer werde künftig keine Straftaten mehr bege­hen (§ 56 Abs. 1 StGB), zu korrigieren sei. Dass das Amtsgericht Tier­garten den Beschwer­­­deführer nicht zu einer Frei­heits-, son­dern zu einer Geld­­strafe verurteilt habe, sei für die entscheidende Frage der Resozialisierung, welche bei ihm nicht zu erkennen sei, nicht maßgeblich. Eine mil­dere Maßnahme nach § 56 f Abs. 2 StGB sei nicht in Betracht gekom­men, der Widerruf der Straf­aus­setzung zur Bewährung daher not­wendig.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschwer­de­füh­rer sofortige Beschwerde ein, die das Landgericht Pots­dam mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 verwarf. Den Beschluss erhielt der Beschwer­de­führer am 10. Januar 2012.

Unter dem 2. März 2012 stellte der Beschwerdeführer unter Hin­weis auf eine schwere Erkrankung (schwere Depression mit Angst- und Panikattacken) einen Antrag auf Bewilligung von Haft­­­­aufschub gemäß § 455 Abs. 1, 3 StPO, hilfsweise gemäß     § 456 StPO, den die Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem 6. März 2012 zurückwies. Daraufhin beantragte der Beschwer­de­füh­rer unter dem 22. März 2012 nach § 458 Abs. 2 StPO die gericht­­liche Entscheidung; diesen Antrag wies das Amts­gericht Bran­­denburg an der Havel unter dem 2. April 2012 zurück.

 

B.

Mit der am 7. März 2012 per Fax erhobenen Verfassungsbe­schwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grund­­­­­­­­rechte aus Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 der Verfassung des Lan­­des Brandenburg (LV) durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Bran­denburg an der Havel vom 8. November 2011 und des Land­ge­richts Potsdam vom 20. Dezember 2011. Der Widerruf der Straf­aus­­setzung zur Bewä­h­rung sei unverhältnismäßig, verstoße gegen das Rechtsstaats­prin­zip und verkenne die Tragweite seines Frei­­­­­­­­heitsgrund­rechts.

Die vom Amtsgericht Brandenburg an der Havel zur Begründung her­­an­­­­gezogenen Verurteilungen rechtfertigten einen Bewäh­rungs­wi­­derruf nicht. Der mit dem Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 16. November 2009 geahndete Ver­stoß gegen die führungsauf­sicht­lichen Weisungen stehe in keinem kausalen Zusammenhang mit seinen kri­mi­nel­len Neigungen; der Bewährungswiderruf dürfe nicht einfach eine Strafe für den Verstoß gegen die Weisungen sein. Die Verurteilung durch das Amtsgericht Tier­­­garten vom 11. Februar 2011 trage den Bewährungswiderruf nicht, da die­­­­­ses aufgrund einer positiven Sozialprognose die Ver­hän­gung einer Freiheitsstrafe nicht für erforderlich gehalten habe. Die­ser auf einem unmittelbaren und frischen Eindruck des sach­nä­­­­he­­ren Tat­gerichts (Amtsgericht Tiergarten) beruhenden Beur­tei­­lung hätte sich das Amtsgericht Brandenburg an der Havel anschließen müssen. Jedenfalls hätte es bei seiner Entschei­dung erwägen müssen, dass die Verhängung einer Geldstrafe durch das Amtsgericht Tiergarten ein Indiz für die Gering­wer­tig­­­keit seiner hiermit abgeurteilten Straftaten sein könne, und mil­dere Mittel als den Bewährungswiderruf, etwa eine Ver­län­­ge­rung der Bewährungszeit, in Betracht ziehen müssen.

Schließlich verstoße der Bewährungswiderruf gegen das rechts­staat­­liche Gebot der Rechtssicherheit, weil er ca. acht Monate nach Rechtskraft der in der Bewährungszeit erfolgten Verurtei­lun­gen durch das Amtsgericht Neuruppin und das Amtsgericht Tier­­garten und ca. fünf Monate nach Ablauf der Bewährungszeit nicht mehr damit habe rechnen müs­sen, wegen der mit dem Urteil vom 20. April 2007 verhängten und zur Bewährung aus­gesetzten Freiheitsstrafe in Haft zu kom­men.

Der Beschwerdeführer begehrt mit ebenfalls am 7. März 2012 anhängig gemachtem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord­­­­nung die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 20. April 2007. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe infolge des offensichtlich verfassungswidrigen Widerrufs der Bewäh­rung schaffe vollendete Tatsachen und bereitete ihm schwere und irre­versible Nachteile wie den Verlust seiner Woh­nung. Auß­er­dem sei er aufgrund einer schweren Erkrankung nicht haft­­­taug­lich; er befinde wegen einer schweren Depression mit Angst- und Panikattacken in ärztlicher Behandlung.

Mit Schriftsatz vom 28. April 2012 beantragt der Beschwer­de­führer die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

 

C.

Die Äußerungsberechtigten erhielten Gelegenheit zur Stel­lung­nahme. Die Äußerungsberechtigte zu 3 verteidigt den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung als rechtmäßig und sieht keine Gründe für einen Strafaufschub.

Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

D.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 8. Nov­em­ber 2011 und des Landgerichts Potsdam vom 20. Dezember 2011 verletzen den Beschwer­deführer nicht in seinem Grundrecht auf Freiheit der Per­­son aus Art. 9 Abs. 1 LV.

 

I.

Das Verfassungsgericht prüft gerichtliche Entscheidungen nur ein­­­­­ge­schränkt. Feststellung und Würdigung des Tat­be­stan­des, die Auslegung einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Ein­­­­zelfall sind zuvörderst Sache der dafür allgemein zustän­di­gen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Verfas­sungs­ge­richt solange entzogen, wie nicht Fehler sichtbar werden, die auf ein Übersehen betroffener Grundrechte oder der nicht hin­rei­­­­chenden Be­rück­sich­tigung bzw. unrichtigen Anschauung von Bedeu­­­tung und Tragweite der Grundrechte beruhen, oder Folge sach­­fremder und damit objektiv willkürlicher Erwägungen sind (stän­dige Rechtsprechung, zuletzt Beschluss vom 16. Dezember 2011 – VfGBbg 16/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; für das Bundesrecht: Bundesverfassungsgericht (BVerfG) E 18, 85, 92 f., NStZ-RR 2007, S. 338 f.).

 

II.

Derartige Fehler lassen die angegriffenen Entscheidungen nicht erkennen. In Anbe­tracht der Verurteilungen des Beschwer­de­füh­rers durch das Amtsgericht Neuruppin vom 16. März 2009 zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe und durch das Amtsgericht Tier­garten vom 11. Februar 2011 zu einer Geldstrafe von 100 Tages­sätzen die mit dem Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 20. April 2007 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu wider­ru­fen, verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Artikel 9 Abs. 1 LV.

 

1. Der vom Bundesverfassungsgericht für den Fall eines Bewäh­rungs­widerrufs nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB (Weisungs­ver­stoß) geforderte kau­­­­­­­sale Zusam­menhang zwischen dem - beim Urteil des Amts­ge­richts Neuruppin gegenständlichen - Wei­sungs­­verstoß und der kri­­­­­minellen Neigung des Verurteilten, aus dem die Gefahr der Bege­­­­hung weiterer Straftaten durch diesen folgt, ergibt sich vor­­­­­­liegend bereits aus der Norm, wegen derer das Amtsgericht Neu­­ruppin den Beschwerdeführer ver­ur­teilt hat. § 145 a StGB for­­­­­dert als Taterfolg die Gefährdung des Maßregelzwecks, die wie­­­derum vorliegt, wenn der Wei­sungs­ver­­stoß die Gefahr der Bege­­­­hung neuer Straftaten ver­größert (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 145 a Rz. 8). Den Eintritt dieses Taterfolgs hat das Amts­­­­­gericht Neuruppin in seinem Urteil vom 16. März 2009 aus­drück­­­lich festgestellt, wenn es ausführt, indem „er sich einer ständigen Kontrolle und effek­ti­ven Überwachung durch die Füh­­­­rungsaufsichtsstelle und nach­geord­­nete soziale Hilfsdienste wie die Bewährungshilfe entzog, setzte er sich der konkreten Gefahr aus, den Weg in eine Leben ohne Straf­ta­ten nicht zurück­­zu­finden und wieder in Lebens­ver­hält­nisse abzu­gleiten, in denen die Begehung von Straftaten mehr als wahr­scheinlich erscheint“.

 

2. Zwar erzwingt oder erlaubt nicht jede in der Bewährungszeit begangene Straf­tat, insbesondere nicht, wenn sie von geringem Gewicht und nicht einschlägig ist, ohne weiteres eine Kor­rek­tur der der Strafaus­set­zung zur Bewährung zugrunde gelegten posi­­­­ti­ven Prognose, der Ver­­ur­teilte werde im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB künftig keine Straf­ta­ten mehr begehen (vgl. Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 56 f Rz. 4). Von der gegen­tei­li­gen Prämisse ist das Amts­gericht Bran­den­burg an der Havel in sei­nem Beschluss vom 8. November 2011 aber auch nicht aus­ge­gan­gen. Vielmehr hat es für die Korrektur sei­­­­ner ursprüng­li­chen Prognose auch die Verurteilung des Beschwer­­­­­­deführers durch das Amtsgericht Tiergarten vom 11. Feb­­­ruar 2011 heran­ge­zo­gen. Diese Verurteilung hatte die Bege­hung von drei Beleidigungen sowie eines Versuchs der Nötigung und damit einschlägige Straf­­ta­ten zum Gegenstand.

 

3. Der Umstand, dass das Amtsgericht Tier­garten wegen dieser Taten eine Geld- und nicht eine Frei­heits­strafe ohne Bewährung ve­r­hängt hat, führt nicht zur ver­fas­sungs­rechtlichen Unzu­läs­sig­keit des Bewährungswiderrufs. Das Bundesverfassungsgericht hat den Wider­ruf der Bewäh­rung­­ wegen einer Straf­­tat, die mit einer zur Bewäh­­rung ausgesetzten Frei­heits­strafe geahndet wurde, als (nur) aus­nahmsweise zulässig erach­­tet (BVerfG NStZ 1985, 357; NStZ-RR 2008, 26 f.) und den Aus­­nah­­­mecharakter damit begründet, dass regelmäßig das die Bewä­h­rung gewährende Tat­gericht infolge der Erscheinung und des Ver­­­­haltens des Straf­täters in der mündlichen Verhandlung die bes­­seren Erkennt­nismöglichkeiten hin­­­sichtlich dessen vor­aus­­­sicht­­­lichen weiteren Lebensweges habe (BVerfG, aaO).

Vorliegend hat der Beschwerdeführer in der Bewäh­rungszeit jedoch zwei Straf­­taten begangen und wurde wegen einer dieser durch das Amts­gericht Neuruppin zu einer Frei­heitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Das Amtsgericht Neu­rup­pin hat nicht nur eine sogenannte kurze Frei­heits­strafe verhängt, son­dern auch deren Voll­­streck­ung mangels posi­­tiver Sozial­­pro­g­nose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB für gebo­ten gehalten.

Demgegenüber hatte das Amts­gericht Tier­garten eine Sozialpro­g­nose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB gar nicht anzustellen, weil es den Beschwer­de­füh­rer zu einer Gesamtgeld­strafe (100 Tages­sätze) ver­­­urteilte. Dass das Amtsgericht Tiergarten nur eine Geldstrafe und keine kurze Freiheitsstrafe verhängte, kann nicht mit einer posi­ti­ven Sozialp­ro­g­nose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB gleich­­­­­ge­setzt wer­d­en (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2008, S. 26; Fischer, aaO, § 56 f Rz.8 b). Im Übrigen kann eine Straf­­­­­­­aus­set­zung zur Bewährung auch wegen der Ver­ur­tei­lung zu einer Geldstrafe widerrufen werden (OLG Hamm, aaO). Andern­falls würde der Tatrichter mit der Verurteilung zu einer Geld­strafe die Wider­rufs­entscheidung des Bewährungsge­richts vorwegnehmen können.

Ferner konnte das Amts­gericht Tier­garten bei seiner Urteils­fin­dung am 11. Feb­ruar 2011 die Ver­­­urteilung des Beschwer­de­führers zu einer Freiheitsstrafe durch das Amts­­gericht Neu­ruppin nicht berücksichtigen, weil diese erst am 16. März 2011 rechts­kräftig wurde. Insofern erscheint auch frag­­­lich, ob das Amts­­gericht Tiergarten hinsichtlich der Prognose über den wei­te­ren Lebensweg des Beschwerdeführers bes­sere Erkennt­nis­mög­lich­keiten hatte als das die Bewährung wider­rufende Amts­ge­richt Brandenburg an der Havel.

Schließlich bot es sich für das Amtsgericht Brandenburg an der Havel auch deshalb nicht an, sich bei seiner Ent­schei­dung über den Bewäh­­rungswiderruf an der Strafbildung des Amts­ge­­richts Tier­­gar­ten zu orien­­tie­ren, weil diese nicht aus­sa­ge­kräftig ist; sie lässt eine kon­krete Aus­­­ein­an­­der­set­­­­zung mit der Viel­­zahl der einschlägigen Vorstrafen des Beschwer­­­deführers und den der Bewäh­­­­rungsentscheidung des Amts­­­­­ge­richts Bran­den­burg an der Havel vom 20. April 2007 zugrun­de­lie­genden Erwä­gun­­gen ver­­­­mis­sen (vgl. hierzu Fischer, aaO, § 56 f Rz. 8 b).

 

 

4. Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht Brandenburg an der Havel im Rah­men seiner Prüfung, ob der Bewährungswiderruf ver­hält­nismäßig ist, davon ausgehen musste, Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB würden voraussichtlich künftige Straftaten des Beschwer­de­füh­rers verhindern, sind nicht ersichtlich.

 

5. Der vom Beschwerdeführer angegriffene Widerruf der Bewährung ver­stößt nicht unter den Gesichtspunkten von Ver­trau­ens­schutz und Rechtssicherheit gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2, 5 LV). Ein Widerruf der Bewährung kann – in Grenzen - auch nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen. Der Beschwerdeführer hat am 6. Oktober 2011, also ca. vier Monate nach Ablauf der Bewährungszeit im Juni 2011, Kenntnis vom Antrag der Staats­an­walt­schaft auf Wider­ruf der Bewährung erlangt und musste infol­ge­des­sen mit einem Bewährungswiderruf rechnen. Etwa einen Monat später, am 8. November 2011, erfolgte die Widerrufs­ent­­schei­­dung des Amts­­ge­richts Brandenburg an der Havel. Gemes­sen an der Rechts­kraft der zum Widerruf führenden Verur­tei­lun­gen, auf wel­che die Widerrufsentscheidung alsbald zu erfolgen hat, betrug der Zeit­raum bis zum Widerruf ca. 8 (Amtsgericht Neu­rup­pin) bzw. 9 Monate (Amtsgericht Tiergarten). Beide Zeit­räume (zwischen Bewährungsablauf und dem Widerruf sowie zwi­schen Rechtskraft der Verurteilungen und dem Widerruf) sind im Hin­blick auf Vertrauensschutz und Rechtssicherheit ver­­­fas­sungs­­recht­lich unbedenklich (vgl. zur Rechtsprechung der Fach­ge­richte, welche durchweg Zeiträume von jeweils bis zu einem Jahr für zulässig halten Fischer, aaO, § 56 f Rz. 19 a; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, aaO, § 56 f Rz. 13). Dies gilt hier insbesondere, weil der Beschwerdeführer zunächst nicht erreich­bar war.

E.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

 

I.

Soweit der Beschwerdeführer sich auch die mit der Hauptsache gerügte Verfassungswidrigkeit des Bewährungswiderrufs stützt, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, weil sich das Begehren in der Hauptsache als erfolg­los erweist.

 

II.

Mit Blick auf das Erfordernis der Dring­lich­keit ist die einst­weilige Anordnung unter dem Gesichtspunkt der Sub­si­dia­ri­tät unzu­­­lässig, soweit sie auf die Erkrankung des Beschwerde­füh­rers gestützt wird. Im Zeitpunkt der Anhängigmachung des Antrags, auf wel­chen für die Frage der Sub­si­diari­tät allein abzu­­­­­­­stel­len ist, hatte der Beschwer­de­füh­rer noch die – am 22. März 2012 wahr­ge­nom­mene - Mög­­­lich­keit, wegen der Ablehnung des begeh­r­ten Haftaufschubs (§ 455 Abs. 1, 3 StPO, § 456 StPO) durch die Staats­­anwaltschaft die gerichtliche Ent­schei­dung nach § 458 Abs. 2 StPO, § 462 StPO zu beantragen.

 

F.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Pro­zess­ko­stenhilfe ist zurück­zu­wei­sen, denn die Ver­fas­sungs­be­schwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bieten keine hin­rei­chende Aussicht auf Erfolg (s. D. und E.)

 

G.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen; er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Lammer
   
Möller Partikel
   
Schmidt