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VerfGBbg, Beschluss vom 25. Januar 2013 - VfGBbg 16/12 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- OWiG, § 62
- ZPO, § 177; ZPO, § 180
Schlagworte: - Recht auf rechtliches Gehör
- Berücksichtigung des Parteivorbringens in seinem wesentlichen Kern
- Zurückweisung von Parteivorbringen/Beweisanträgen ohne Stütze im Prozessrecht
- Ersatzzustellung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 25. Januar 2013 - VfGBbg 16/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 16/12




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

     K.,

 

                                          Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigte:  Rechtsanwältin T.,

                            

 

 

wegen der Beschlüsse des Amtsgerichts Senftenberg vom 28. Juni 2011 und 14. Dezember 2011 (59 OWi 150/11)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Ver­­­fassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

am 25. Januar 2013

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Senftenberg vom 28. Juni 2011 und 14. Dezember 2011 (59 OWi 150/11) ver­­­­­­­let­zen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf recht­­­li­ches Gehör. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amts­ge­richt Senf­ten­berg zurückverwiesen.

 

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine not­­wen­digen Auslagen zu erstatten.

 

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

 

 

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen amtsgerichtliche Beschlüsse, mit denen sein im Bußgeldverfahren gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen wurde.

 

I.

Gegen den Beschwerdeführer erging nach Anhörung am 22. Dez­em­ber 2010 unter dem 11. Februar 2011 ein Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Bran­denburg. Hierin wird dem Beschwerdeführer vor­ge­wor­f­en, am 4. Oktober 2010 um 17:35 Uhr auf der Bun­des­autobahn 13 zwi­schen den Anschluss­stellen Bronkow und Calau die zulässige Höchst­­­­­ge­schwin­digkeit außer­halb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 72 km/h über­schrit­ten zu haben, und gegen ihn eine Geldbuße von 780,- € und ein Fahrverbot von drei Monaten Dauer ver­­­hängt.

 

Mit der Zustellung des Bußgeldbescheides war die Zustellperson der Post, Frau M., befasst. Die von ihr unter­zeich­nete Zustellungsurkunde vom 12. Februar 2011 weist aus, dass der Buß­geldbescheid in den zur Wohnung des Beschwer­de­füh­rers, S.-Weg in G., gehö­renden Briefkasten eingelegt wor­­den sei, weil die Übergabe des Schriftstücks versucht wor­den, jedoch nicht möglich gewesen sei. Der Tag der Zustel­­lung – ggf. mit Uhrzeit – sei auf dem Umschlag vermerkt. Auf dem Umschlag befand sich das handschriftlich abgezeichnete Zustell­­­­­­datum 12. Februar 2011. Im Adressfeld der Zustellungs­ur­­­­kunde war zuvor entsprechend einem Nachsendeauftrag des Beschwer­­­­­de­­führers durch die Postbedienstete H. die Straßen­­­­­angabe G.-B.-Straße zu S.-Weg abge­än­­dert worden.

 

Am 25. März 2011 meldete sich die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers nach einer Vollstreckungsankündigung bei der Zentralen Bußgeldstelle als des­sen Vertreterin und beantragte Akteneinsicht, die ihr gewährt wurde. Anfang April 2011 übersandte die Post den Bußgeldbescheid vom 11. Februar 2011 nebst Umschlag der Zen­tra­­len Bußgeldstelle mit dem Bemerken, das Schriftstück sei im Bereich ihres Unternehmens aufgefunden worden; Recher­chen hät­­ten ergeben, der Zustellauftrag sei korrekt ausgeführt wor­den. Auf dem Umschlag befand sich ein in polnischer Sprache abge­­fasster Vermerk, der u.a. die Namensangabe „N.“ enthielt.

 

Der Beschwerdeführer beantragte gegenüber der Zentralen Buß­geld­­stelle mit Schrift­­satz seiner Verfahrensbevollmächtig­ten vom 15. April 2011 die Einstellung des Verfahrens. Mit Blick auf die dreimonatige Ver­­­jährungsfrist nach § 26 Abs. 3 Halb­satz 1 des Straßenver­kehrs­­­geset­zes sei Verfolgungsverjäh­rung am 21. März 2011 ein­ge­treten, nachdem die Verjährung zuletzt durch Anhö­rung vom 22. Dezem­ber 2010 unterbrochen worden sei. Der Erlass des Buß­­geld­be­scheides habe nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 des Geset­zes über Ord­nungs­­widrigkeiten (OWiG) eine Unter­brech­ung nicht bewirkt, weil er nicht binnen zwei Wochen danach an ihn zuge­stellt wor­den sei. Die Zustellung vom 12. Februar 2011 sei unwirk­­­sam gewe­sen und auch in der Folgezeit sei bis zum 21. März 2011 eine Zustellung nicht erfolgt.

 

Die Unwirksamkeit der Zustellung resultiere daraus, dass die in der Zustellungsurkunde enthaltenen Angaben unzutreffend seien, der Umschlag mit dem Bußgeldbescheid nicht in seinen Brief­­kasten eingelegt worden sei und der Zustellvermerk auf dem Umschlag nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Entgegen der Angabe in der Zustellungsurkunde sei eine Über­gabe an ihn persönlich nicht versucht worden. Die Zustell­per­son habe sich gar keine Kennt­nis über die Mög­lich­keit der Zustel­lung an ihn als Betroffenen (§ 177 der Zivilprozess­ord­nung – ZPO -) oder eine Person im Sinne von § 178 Abs. 1 ZPO ver­­schafft. Eine Zustel­lung nach § 177 ZPO sei am 12. Februar 2011 aber möglich gewesen, weil er sich den ganzen Tag in sei­nem Büro S.-Weg in G. auf­ge­hal­ten und es erst am Nach­mittag zum Holz­ma­chen verlassen habe. Eine Ersatz­zu­stel­lung durch Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO) sei unwirk­sam, wenn die Zustell­per­­son nicht zuvor ver­sucht habe, eine Zustel­lung nach den §§ 177, 178 Abs. 1 ZPO zu bewirken. Der Buß­geld­be­scheid sei fer­ner nicht in seinen, sondern in den Brief­kasten des im S.-Weg in G. wohnhaften Herrn N. ein­gelegt worden, der ihn mit dem Ver­merk zur Post zurück­ge­bracht habe, sie solle nicht immer Post des Beschwer­de­füh­rers in seinen Brief­kasten werfen. Schließ­­lich sei der Zustell­ver­merk auf dem Umschlag nicht mit voll­­­stän­­­diger Unter­schrift, son­dern nur mit einer Namens­ab­kür­zung unter­­zeichnet. Da deren Schrift­zug nicht im Ansatz mit der Unter­­­schrift der Zustell­per­son auf der Zustel­lungs­urkunde iden­­tisch sei, bestünden zudem erhebliche Zwei­fel daran, ob die Zustellperson überhaupt Urheber des Zustell­­vermerks auf dem Umschlag sei.

 

Die Zentrale Bußgeldstelle bewertete den Antrag des Beschwer­de­füh­rers vom 15. April 2011 als Einspruch verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf den Ein­spruch und den Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 13. Mai 2011. Gegen diesen stellte der Beschwerdeführer unter dem 17. Mai 2011 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG und verfolgte die Verfahrenseinstel­lung mit der Begründung vom 15. April 2011 und dem Antrag auf Ver­neh­mung der Zustellperson Frau M. als Zeugin weiter.

 

Mit dem ange­grif­fenen Beschluss vom 28. Juni 2011 verwarf das Amts­gericht den Antrag als unbegründet. Die Zustel­lung vom 12. Februar 2011 sei wirksam gewesen. Die Zustel­­lungs­ur­kunde begründe vollen Beweis für die in ihr bezeug­­­­­ten Tat­sa­chen. Diese Beweiswirkung könne nur durch den vol­­len Beweis eines ande­ren als des beurkundeten Gesche­hens­ab­laufs erschüt­tert wer­­­den.

 

Im Hinblick auf diesen Beschluss beantragte der Beschwer­de­füh­rer am 11. August 2011 die Nachholung des rechtlichen Gehörs nach § 33a der Strafprozessordnung (StPO) i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der Beschluss verletze ihn in seinen Grundrechten auf effek­ti­ven Rechtsschutz und rechtliches Gehör aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 3 der Landesverfassung (LV). Das Amts­ge­richt hätte – etwa durch Vernehmung der Zustellperson Frau M. - Beweis über den von ihm schlüssig und sub­stan­ti­iert behaup­­te­ten vom Inhalt der Zustellungsurkunde abweichenden Gesche­­hens­ab­­lauf erheben müssen.

 

Das Amtsgericht setzte die Vollstreckung aus dem Buß­geld­­­be­scheid vom 11. Februar 2011 mit Beschluss vom 26. August 2011 aus und richtete mit Verfügung vom 28. September 2011 zur Sach­­­­­verhaltsaufklärung folgende Fragen an die Zustellpersonen H. und M.:

-   Wer hat am 12. Februar 2011 das Schriftstück … zuzustellen gehabt?

-   Weshalb befindet sich auf dem Briefumschlag offenbar der Namenszug H. und auf der ZU der Namenszug M.?

-   Wer hat das Schriftstück in den Briefkasten K. geworfen?

-   Ist auszuschließen, dass das Schriftstück in den Brief­ka­sten N. gelangt ist?

-   Wie ist das Schriftstück wieder in den Bereich der Deut­schen Post zurückgekehrt?

 

Hierauf erhielt das Amtsgericht vom Kundenservice der Post unter dem 14. November 2011 die schriftliche Auskunft, Frau H. habe das Schriftstück und die Zustellungsurkunde ent­spre­chend dem Nachsendeauftrag kor­ri­giert. Frau M. habe das Schrift­stück ihren Angaben zufol­ge am 12. Februar 2011 ord­nungs­­gemäß in den Briefkasten des Beschwer­deführers eingelegt.

 

Nach Übermittlung dieser Auskunft durch das Amtsgericht nahm der Beschwer­de­füh­rer mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 Stel­­lung. Er wies darauf­hin, dass die Auskunft nichtssagend sei und zum Vor­­­­liegen der Voraussetzungen der Ersatz­zu­stel­lung durch Ein­le­gen in den Briefkasten und zu seiner Behaup­tung, der Buß­geld­­bescheid sei nicht in seinen Briefkasten ein­ge­wor­fen wor­den, keine eigene Erklärung der als Zeugin benann­ten Frau M. enthalte. Deren Ver­nehmung beantragte der Beschwer­de­füh­rer nochmals ausdrück­lich.

 

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 hielt das Amtsgericht den Beschluss vom 28. Juni 2011 aufrecht. Die Gewährung recht­li­chen Gehörs sei durch seine Ermittlungen nachgeholt worden. Die Behauptung des Beschwerdeführers, im Zeitpunkt der Zustel­lung in seiner Wohnung gewesen zu sein, entkräfte nicht die Beweis­­­wirkung der Zustellungs­ur­kunde. Dasselbe gelte für den Hin­­weis, auf dem Briefumschlag befinde sich nicht die Unter­schrift der Frau M.. Aus dem dor­­­tigen Vermerk ergebe sich, dass am 12. Februar 2011 in den Brief­­kasten des Beschwer­de­füh­rers zuge­stellt worden sei. Einer per­sönlichen Einvernahme der Frau M. bedürfe es für hierfür nicht.

 

II.

Mit der am 13. Februar 2012 eingegangenen Ver­fas­sungs­be­schwerde macht der Beschwerdeführer geltend, durch die Beschlüs­­se des Amtsgerichts Senftenberg in seinen Grundrechten auf effektiven Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 LV) und rechtliches Gehör (52 Abs. 3 LV) verletzt zu sein.

 

Das Gericht treffe die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 LV, das Ver­­fahrensrecht so anzuwenden, dass der Zugang zu ihm nicht in unzu­mutbarer Weise erschwert werde. Diese Verpflichtung habe das Amtsgericht verletzt, indem es dadurch das Verfahrensrecht grob fehlerhaft angewendet habe, dass es zu den von ihm auf­­­­­­ge­wor­fenen Fragen im Zusammenhang mit der Ersatzzustellung eine Beweis­aufnahme durch Einvernahme der Zustellperson Frau M. bzw. durch Einholung deren persönlicher dienst­li­cher Stel­­­lung­nahme nicht durchgeführt habe. Aus dem Schreiben der Post vom 14. November 2011 hätte sich für die Beantwortung die­­­­ser Fragen Verwertbares nicht ergeben, weil bereits das an die Post gerichtete Auskunftsverlangen des Gerichts vom 28. Sep­­tember 2011 unzu­reichend gewesen sei. Ferner handele es sich bei der Auskunft der Post vom 14. November 2011 nicht um eine eigene Erklärung der Zustellperson Frau M.

 

Sein Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 LV sei ver­letzt, weil das Amtsgericht seinen entscheidungserheblichen Vor­­trag zur Wirksamkeit der Zustellung nicht zur Kenntnis genom­­men und erwogen habe. Die unzu­rei­chende For­mu­lie­rung des an die Post gerichteten Aus­kunfts­ersuchens und sein Umgang mit der nichtssagenden Stel­lung­nahme der Post hierzu belegten, dass das Gericht eine Klä­rung der von ihm auf­ge­wor­fe­nen Fragen zur Wirk­samkeit der Ersatz­­zu­stel­lung und damit die Nachholung der Gewährung rechtlichen Gehörs tat­­sächlich gar nicht beab­sich­tigt habe. Insbesondere habe es sich in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2011 auch nicht damit aus­einandergesetzt, dass diese Fragen nur von der Zustell­person Frau M. per­sön­lich beantwortet wer­den können.

 

III.

Der Direktor des Amtsgerichts Senftenberg hatte als Äuße­rungs­be­­rechtigter Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Aus­gangs­verfahrens wurden beigezogen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

 

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer hat entsprechend § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) den Rechtsweg erschöpft. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 28. Juni 2011 war nach § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG ein Rechtsmittel nicht gegeben. Den gegen Ver­let­zun­gen des Rechts auf rechtliches Gehör statt­haf­ten Rechtsbe­helf der Anhörungsrüge hat der Beschwerdeführer erho­­ben, § 33 a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der auf die Anhö­­­­rungs­rüge ergangene Beschluss vom 14. Dezember 2011 war nicht mit der Beschwerde anfechtbar. Gegen Anhörungsrügen nach § 33a StPO bescheidende Beschlüsse ist die Beschwerde nach    § 304 StPO nur zulässig, wenn das Gericht die nachträgliche Gewäh­­rung des recht­lichen Gehörs oder die Änderung der Ent­schei­dung aus for­mel­len Gründen ablehnt. Die Über­prü­fungs­ent­schei­­dung selbst, wie sie das Amtsgericht unter dem 14. Dezem­ber 2011 getroffen hat, ist nicht anfechtbar, weil dies auf ein nach dem Gesetz gerade nicht eröffnetes weiteres Rechts­mit­tel hin­aus­liefe (vgl. Beschluss vom  17. Februar 2000 – VfGBbg 39/99 -, NStZ-RR 2000, 172, 173). Die Verfas­sungs­be­schwerde ist innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg erho­ben wor­den. Schließlich steht der Zulässigkeit der Verfas­sung­s­be­schwerde nicht entgegen, dass die Beschlüsse, gegen die sie sich richtet, auf der Grundlage von Verfah­rens­recht des Bun­­des ergangen sind. Die insoweit erforderlichen Vor­­aus­set­zun­gen (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 – VfGBbg 18/10 –, LKV 2011, 124 f.) sind erfüllt.

 

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Amts­­gerichts Senftenberg verletzt den Beschwerdeführer in sei­nem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

 

1. Das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Ver­fah­rens­be­­­tei­ligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Beschluss vom 16. Dezember, a. a. O, st. Rspr.; zum Bun­des­recht: Bundesverfassungsgericht – BVerfG - E 42, 364, 367 f.). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht die­ser Ver­­­pflichtung nachkommt (Beschluss vom 15. Januar 2009 - VfGBbg 52/07 -, www.verfassungsgericht.branden­burg.de), bedarf es für die Feststellung einer Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV besonderer Umstände, die deutlich machen, dass das Vor­­­­bringen eines Betei­lig­ten überhaupt nicht zur Kenntnis geno­­­m­­men oder bei der Entscheidung nicht in Betracht gezogen wor­­­­den ist (Beschluss vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, LVerfGE 18, 150, 157; zum Bundesrecht: BVerfGE 86, 133, 145 f.). Solche besonderen Umstände sind etwa anzu­neh­men, wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des nicht offensichtlich unsubstantiierten Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein­geht, die - auf der Grund­­lage der Rechtsauffassung des Gerichts - für das Ver­fah­ren von zentraler Bedeu­tung ist (Beschluss vom 10. Mai 2007, a. a. O., S. 157 f.; BVerfGE 86, 133, 146); oder wenn die Nicht­­­­­­­be­rück­­sichtigung bzw. Zurück­wei­sung von Vor­brin­gen oder von Beweis­anträgen im jeweils anzuwendenden Prozess­recht keine Stütze mehr findet (Beschluss vom 13. April 2012 – VfGBbG 43/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 69, 141, 143 f., BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2012 - 2 BvR 1013/11 -, zitiert nach juris Rn. 32). Dies gilt auch bezüglich mit ordent­­­­li­chen Rechtsmitteln nicht mehr anfecht­­barer Ent­schei­dungen, für die von Verfassungs wegen eine gene­­relle Begrün­dungs­pflicht nicht besteht (vgl. BVerfGE 86, 133, 146; 81, 97, 106; 65, 293, 295 f.; BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 698/03, 699/03, 700/03 -, BVerfG(K) 4, 17, 18).

 

2. Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für die Fest­­­­stellung einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor.

 

a. Zum wesentlichen Kern des Vorbringens des Beschwerdeführers gegen­­­­­­über dem Amtsgericht gehörte die Behauptung, die Zustell­per­son Frau M. habe einen Ver­­­­­such, den Bußgeldbescheid an ihn per­­­sön­lich zu übergeben, gar nicht unternommen. Hierauf ist das Amts­­gericht in seinen Beschlüssen vom 28. Juni und 14. Dez­em­­ber 2011 nicht eingegangen. Auch das an die Zustellperson M. gerichtete Auskunftsersuchen des Amtsgerichts vom 28. Sep­tember 2009 verhält sich zu dieser Behauptung nicht.

 

Die Behauptung ist erheblich auf der Grund­lage der amts­ge­­­­­richt­lichen Rechtsauffassung, der zufolge die Begründetheit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung davon abhängt, ob der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde voll­stän­dig entkräftet hat. Nach den Vorschriften der §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO, die  gemäß § 50 Abs. 1, § 67 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, § 1 Ver­wal­tungzu­stel­­lungs­gesetz des Landes Bran­den­burg, § 3 Ver­wal­tungszustel­lungs­­­ge­setz bei der Zustellung von Bußgeldbe­schei­den nach dem OWiG anzuwenden sind, erbringt die Post­­zu­stel­­lungs­urkunde als öffent­liche Urkunde vol­len Beweis der in ihr bezeugten Tat­­­­sa­chen. Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis ist geführt, wenn ein Geschehens­ab­lauf bewiesen wird, der die Rich­­tigkeit der in der Urkunde doku­­­­men­tierten Tat­­­­­­­sachen aus­schließt (BGH, Urteil vom 10. November 2005 – III ZR 104/05 -, NJW 2006, 150, 151). Träfe die Behaup­tung des Beschwer­­­­­­deführers zu, die Zustell­per­son habe nicht gemäß § 177 ZPO ver­sucht, ihm persönlich den Bußgeld­bescheid zu übergeben, son­­­dern die­sen gleich in einen Brief­kasten einge­legt, so wäre die in der Zustel­lungsurkunde ausge­wie­sene Tat­sache des Über­ga­­­be­ver­suchs wider­­­legt mit der Folge der Unwirk­sam­keit der Zustel­lung; denn eine Zustel­lung durch Einlegen in den Brief­kasten (Ersatz­zu­stel­lung nach § 180 ZPO) ist unzu­läs­sig und unwirk­sam, wenn nicht zuvor ver­sucht wurde, eine Zustel­­lung nach § 177 ZPO und, wenn diese scheitert, nach § 178 Abs. 1 ZPO aus­zu­füh­ren (Seitz in: Göhler, Kommentar zum OWiG, 16. Aufl. 2012, § 51 Rn. 12; Stö­ber in: Zöller, Komm­en­tar zur ZPO, 29. Aufl. 2012, § 180 Rn. 2, 7).

 

Die in Rede stehende Behauptung des Beschwerdeführers ist auch nicht offensichtlich unsubstantiiert. Der Beschwerdeführer hat zur Bekräftigung vorgetragen, sich bis zum Nachmittag des 12. Februar 2011 und damit – jedenfalls nach dem Ver­ständ­nis des Amtsgerichts – im Zeit­punkt der Zustellung unter der Zustell­­­adresse in seinem Büro auf­ge­halten zu haben.

 

b. Die Art und Weise, wie das Amtsgericht weiteren unter Beweis gestellten Vortrag des Beschwerdeführers zur Unwirk­sam­keit der Zustellung behan­delt hat, kommt einer Nichtbe­rück­sich­­­­­­­ti­gung dieses Vortrages und des hierzu gestellten Beweis­antrages gleich, die im Prozessrecht keine Stütze findet.

 

aa. Aus­weis­­lich seines Auskunftsersuchens vom 28. September 2011 hielt das Amtsgericht nach Erhebung der Anhörungsrüge gegen seinen Beschluss vom 28. Juni 2011 u. a. die vom Beschwer­de­füh­rer auf­ge­wor­fene Frage für entscheidungserheblich und auf­klä­­­rungs­­be­dürf­tig, ob die Zustell­person Frau M. den Buß­­geld­­be­scheid tat­säch­lich in den Briefkasten des Beschwer­­­deführers eingelegt hat; denn das Auskunftsersuchen vom 28. September 2011 ent­­­hielt die Frage, ob ausgeschlossen sei, dass der Buß­geld­be­scheid in den Brief­ka­sten des Herrn N. ein­ge­wor­fen worden sei. Ferner ging das Amts­gericht offenkundig von dem Erfordernis aus, die­se Frage von der Zustellperson per­sön­lich beantworten zu lassen; das Aus­­­kunfts­ersuchen ist an die als Zeuginnen bezeich­ne­ten Frauen H. und M. gerichtet (Bl. 26 der Akte des Amts­­­­­­gerichts). Im Folgenden erhielt das Gericht die Mitteilung des Kun­­den­ser­vi­ces der Post, Frau M. habe ausgesagt, das Schrift­­­stück ord­­­­­nungs­gemäß in den Brief­­­­ka­sten des Beschwer­de­füh­­­rers ein­ge­legt zu haben, nicht jedoch eine per­sön­liche Erklä­­rung der Frau M. selbst. Das Amts­ge­richt hat darauf­hin nicht auf einer per­sönlichen Erklärung der Frau M. zu dieser Frage bestanden, son­dern sei­nen Beschluss vom 28. Juni 2011 auf­recht­er­halten, ohne zu begrün­den, warum es insoweit zur Aufklärung einer per­sön­lichen Stel­lungnahme der Frau M. nicht (mehr) bedürfe.

 

bb. Dieses Vorgehen des Amtsgerichts findet im Prozessrecht keine Stütze. Im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Ent­­­schei­dung kommen nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG u. a. die Vor­­schriften über die Beschwerde nach den §§ 306 bis 309 StPO sinn­­gemäß zur Anwendung. Das Fachgericht hat die behörd­­liche Maß­nahme in tatsächlicher und rechtlicher Hin­sicht voll­ständig zu über­prüfen. Soweit es für die Beurteilung der Begrün­detheit des Antrags erforderlich ist, hat das Gericht alle zur Auf­klä­rung des Sachverhalts notwendigen Ermitt­­­lungen von Amts wegen nach pflichtgemäßen Ermessen und ohne Bindung an Anträge durch­­­­­zuführen (vgl. § 308 Abs. 2 StPO) und darf dabei das Frei­­­­­beweisverfahren anwenden (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2008 – 2 BvR 325/06 -, BVerfG(K) 13, 218, 226 f. m. N.).

 

Danach hat das Amtsgericht den Sachverhalt nicht pflichtge­mäßem Ermessen entsprechend aufgeklärt, indem es davon abge­se­hen hat, eine per­sönliche Erklärung der Zustellperson Frau M. einzuholen. Es hielt die für die Wirksamkeit der Zustel­lung und damit die Begründetheit des Antrags auf gerichtliche Ent­scheidung erhebliche Frage, in welchen Briefkasten der Bußgeldbescheid eingeworfen wurde, für aufklärungsbedürftig (s. zu aa.). Das Schreiben des Kundenservice der Post vom 14. Nov­­em­ber 2011 war insoweit zur Aufklärung ungeeignet. Es ent­hält keine eigene Erklärung der Zustellperson, sondern refe­riert nur deren angebliche Aus­sage, ohne dass erkenn­bar wäre, wem gegenüber sie getätigt worden sein soll. Zudem steht nicht fest, dass die angebliche Aus­sage der Zustell­person sich über­haupt auf die mit dem Aus­kunfts­ersuchen vom 28. September 2011 gestell­ten Fragen des Gerichts bezieht. Das Auskunftsersuchen ist an die Deutsche Post AG (zu Händen der Zustellperson) adres­­siert, und aus dem Schreiben der Post vom 14. November 2011 ergibt sich nicht, dass es an die Zustellperson wei­ter­ge­lei­­tet wurde. Unerheblich ist in diesem Zusam­menhang, dass das Amts­gericht die Ermitt­lungen im Wege des Freibeweisverfahrens anstellen durfte. Die Zulässigkeit des Freibeweises entbindet das Gericht von den für die Beweis­er­hebung geltenden Grund­sät­zen der Münd­lich­­keit, Unmit­tel­barkeit und Öffentlichkeit der Beweis­auf­nahme (BVerfG(K), a. a. O., Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 55. Aufl., 2012, § 244 Rn. 9), nicht jedoch von dem Erfor­­­der­nis, auf zur Erfüllung der Aufklärungspflicht geeig­nete Beweismittel zuzugreifen (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O.).

 

Eine persönliche Stellungnahme der Zustellperson Frau M. drängte sich zudem deshalb auf, weil so der Grund für die unterschiedlichen Unterschriften auf Briefumschlag und Zustellurkunde hätte aufgeklärt werden können.

 

c. Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts beruhen auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht aus­zuschließen, dass das Amts­gericht für den Beschwerdeführer günstiger entschieden hätte, wenn es den Vor­trag des Beschwer­de­­­füh­rers berück­sich­tigt (zu 2.a.) oder eine per­­sön­liche Stellungnahme der Zustell­­­­person Frau M. eingeholt hätte (zu 2.b.).

 

3. Nachdem die Verfassungsbeschwerde bereits aus den vor­ge­nann­ten Gründen in vollem Umfang Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­füh­rer darüber hinaus auch in seinem Grundrecht auf effek­tiven Rechts­schutz verletzen (vgl. Beschluss vom 30. Sep­tem­ber 2010 - VfGBbg 32/10 -, www.verfassungsge­richt.branden­burg.de; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Auflage 2001, Rn. 649).

 

C.

Die Entscheidungen des Amtsgerichts sind hiernach gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben; die Sache selbst ist an das Amts­gericht zurück­zu­verweisen.

 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

 

Der Gegenstandswert ist nach §§ 33 Abs. 1, 37 Abs. 2 Satz 2 Rechts­­anwaltsvergütungsgesetz entsprechend der ständigen Pra­xis des Gerichts in Verfahren über Individual­ver­fas­sungs­be­schwer­­­­den gegen Gerichtsentscheidungen auf 4.000,00 € fest­zu­set­zen.

 

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Partikel Schmidt