VerfGBbg, Beschluss vom 25. Januar 2013 - VfGBbg 16/12 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 - OWiG, § 62 - ZPO, § 177; ZPO, § 180 |
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Schlagworte: | - Recht auf rechtliches Gehör - Berücksichtigung des Parteivorbringens in seinem wesentlichen Kern - Zurückweisung von Parteivorbringen/Beweisanträgen ohne Stütze im Prozessrecht - Ersatzzustellung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 25. Januar 2013 - VfGBbg 16/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 16/12
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
K.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin T.,
wegen der Beschlüsse des Amtsgerichts Senftenberg vom 28. Juni 2011 und 14. Dezember 2011 (59 OWi 150/11)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt
am 25. Januar 2013
b e s c h l o s s e n :
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Senftenberg vom 28. Juni 2011 und 14. Dezember 2011 (59 OWi 150/11) verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Senftenberg zurückverwiesen.
2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen amtsgerichtliche Beschlüsse, mit denen sein im Bußgeldverfahren gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen wurde.
I.
Gegen den Beschwerdeführer erging nach Anhörung am 22. Dezember 2010 unter dem 11. Februar 2011 ein Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg. Hierin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am 4. Oktober 2010 um 17:35 Uhr auf der Bundesautobahn 13 zwischen den Anschlussstellen Bronkow und Calau die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 72 km/h überschritten zu haben, und gegen ihn eine Geldbuße von 780,- € und ein Fahrverbot von drei Monaten Dauer verhängt.
Mit der Zustellung des Bußgeldbescheides war die Zustellperson der Post, Frau M., befasst. Die von ihr unterzeichnete Zustellungsurkunde vom 12. Februar 2011 weist aus, dass der Bußgeldbescheid in den zur Wohnung des Beschwerdeführers, S.-Weg in G., gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei, weil die Übergabe des Schriftstücks versucht worden, jedoch nicht möglich gewesen sei. Der Tag der Zustellung – ggf. mit Uhrzeit – sei auf dem Umschlag vermerkt. Auf dem Umschlag befand sich das handschriftlich abgezeichnete Zustelldatum 12. Februar 2011. Im Adressfeld der Zustellungsurkunde war zuvor entsprechend einem Nachsendeauftrag des Beschwerdeführers durch die Postbedienstete H. die Straßenangabe G.-B.-Straße zu S.-Weg abgeändert worden.
Am 25. März 2011 meldete sich die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers nach einer Vollstreckungsankündigung bei der Zentralen Bußgeldstelle als dessen Vertreterin und beantragte Akteneinsicht, die ihr gewährt wurde. Anfang April 2011 übersandte die Post den Bußgeldbescheid vom 11. Februar 2011 nebst Umschlag der Zentralen Bußgeldstelle mit dem Bemerken, das Schriftstück sei im Bereich ihres Unternehmens aufgefunden worden; Recherchen hätten ergeben, der Zustellauftrag sei korrekt ausgeführt worden. Auf dem Umschlag befand sich ein in polnischer Sprache abgefasster Vermerk, der u.a. die Namensangabe „N.“ enthielt.
Der Beschwerdeführer beantragte gegenüber der Zentralen Bußgeldstelle mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 15. April 2011 die Einstellung des Verfahrens. Mit Blick auf die dreimonatige Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 Halbsatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes sei Verfolgungsverjährung am 21. März 2011 eingetreten, nachdem die Verjährung zuletzt durch Anhörung vom 22. Dezember 2010 unterbrochen worden sei. Der Erlass des Bußgeldbescheides habe nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) eine Unterbrechung nicht bewirkt, weil er nicht binnen zwei Wochen danach an ihn zugestellt worden sei. Die Zustellung vom 12. Februar 2011 sei unwirksam gewesen und auch in der Folgezeit sei bis zum 21. März 2011 eine Zustellung nicht erfolgt.
Die Unwirksamkeit der Zustellung resultiere daraus, dass die in der Zustellungsurkunde enthaltenen Angaben unzutreffend seien, der Umschlag mit dem Bußgeldbescheid nicht in seinen Briefkasten eingelegt worden sei und der Zustellvermerk auf dem Umschlag nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Entgegen der Angabe in der Zustellungsurkunde sei eine Übergabe an ihn persönlich nicht versucht worden. Die Zustellperson habe sich gar keine Kenntnis über die Möglichkeit der Zustellung an ihn als Betroffenen (§ 177 der Zivilprozessordnung – ZPO -) oder eine Person im Sinne von § 178 Abs. 1 ZPO verschafft. Eine Zustellung nach § 177 ZPO sei am 12. Februar 2011 aber möglich gewesen, weil er sich den ganzen Tag in seinem Büro S.-Weg in G. aufgehalten und es erst am Nachmittag zum Holzmachen verlassen habe. Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO) sei unwirksam, wenn die Zustellperson nicht zuvor versucht habe, eine Zustellung nach den §§ 177, 178 Abs. 1 ZPO zu bewirken. Der Bußgeldbescheid sei ferner nicht in seinen, sondern in den Briefkasten des im S.-Weg in G. wohnhaften Herrn N. eingelegt worden, der ihn mit dem Vermerk zur Post zurückgebracht habe, sie solle nicht immer Post des Beschwerdeführers in seinen Briefkasten werfen. Schließlich sei der Zustellvermerk auf dem Umschlag nicht mit vollständiger Unterschrift, sondern nur mit einer Namensabkürzung unterzeichnet. Da deren Schriftzug nicht im Ansatz mit der Unterschrift der Zustellperson auf der Zustellungsurkunde identisch sei, bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die Zustellperson überhaupt Urheber des Zustellvermerks auf dem Umschlag sei.
Die Zentrale Bußgeldstelle bewertete den Antrag des Beschwerdeführers vom 15. April 2011 als Einspruch verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf den Einspruch und den Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 13. Mai 2011. Gegen diesen stellte der Beschwerdeführer unter dem 17. Mai 2011 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG und verfolgte die Verfahrenseinstellung mit der Begründung vom 15. April 2011 und dem Antrag auf Vernehmung der Zustellperson Frau M. als Zeugin weiter.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 28. Juni 2011 verwarf das Amtsgericht den Antrag als unbegründet. Die Zustellung vom 12. Februar 2011 sei wirksam gewesen. Die Zustellungsurkunde begründe vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen. Diese Beweiswirkung könne nur durch den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs erschüttert werden.
Im Hinblick auf diesen Beschluss beantragte der Beschwerdeführer am 11. August 2011 die Nachholung des rechtlichen Gehörs nach § 33a der Strafprozessordnung (StPO) i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der Beschluss verletze ihn in seinen Grundrechten auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 3 der Landesverfassung (LV). Das Amtsgericht hätte – etwa durch Vernehmung der Zustellperson Frau M. - Beweis über den von ihm schlüssig und substantiiert behaupteten vom Inhalt der Zustellungsurkunde abweichenden Geschehensablauf erheben müssen.
Das Amtsgericht setzte die Vollstreckung aus dem Bußgeldbescheid vom 11. Februar 2011 mit Beschluss vom 26. August 2011 aus und richtete mit Verfügung vom 28. September 2011 zur Sachverhaltsaufklärung folgende Fragen an die Zustellpersonen H. und M.:
- Wer hat am 12. Februar 2011 das Schriftstück … zuzustellen gehabt?
- Weshalb befindet sich auf dem Briefumschlag offenbar der Namenszug H. und auf der ZU der Namenszug M.?
- Wer hat das Schriftstück in den Briefkasten K. geworfen?
- Ist auszuschließen, dass das Schriftstück in den Briefkasten N. gelangt ist?
- Wie ist das Schriftstück wieder in den Bereich der Deutschen Post zurückgekehrt?
Hierauf erhielt das Amtsgericht vom Kundenservice der Post unter dem 14. November 2011 die schriftliche Auskunft, Frau H. habe das Schriftstück und die Zustellungsurkunde entsprechend dem Nachsendeauftrag korrigiert. Frau M. habe das Schriftstück ihren Angaben zufolge am 12. Februar 2011 ordnungsgemäß in den Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt.
Nach Übermittlung dieser Auskunft durch das Amtsgericht nahm der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 Stellung. Er wies daraufhin, dass die Auskunft nichtssagend sei und zum Vorliegen der Voraussetzungen der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten und zu seiner Behauptung, der Bußgeldbescheid sei nicht in seinen Briefkasten eingeworfen worden, keine eigene Erklärung der als Zeugin benannten Frau M. enthalte. Deren Vernehmung beantragte der Beschwerdeführer nochmals ausdrücklich.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 hielt das Amtsgericht den Beschluss vom 28. Juni 2011 aufrecht. Die Gewährung rechtlichen Gehörs sei durch seine Ermittlungen nachgeholt worden. Die Behauptung des Beschwerdeführers, im Zeitpunkt der Zustellung in seiner Wohnung gewesen zu sein, entkräfte nicht die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde. Dasselbe gelte für den Hinweis, auf dem Briefumschlag befinde sich nicht die Unterschrift der Frau M.. Aus dem dortigen Vermerk ergebe sich, dass am 12. Februar 2011 in den Briefkasten des Beschwerdeführers zugestellt worden sei. Einer persönlichen Einvernahme der Frau M. bedürfe es für hierfür nicht.
II.
Mit der am 13. Februar 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Senftenberg in seinen Grundrechten auf effektiven Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 LV) und rechtliches Gehör (52 Abs. 3 LV) verletzt zu sein.
Das Gericht treffe die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 LV, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass der Zugang zu ihm nicht in unzumutbarer Weise erschwert werde. Diese Verpflichtung habe das Amtsgericht verletzt, indem es dadurch das Verfahrensrecht grob fehlerhaft angewendet habe, dass es zu den von ihm aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der Ersatzzustellung eine Beweisaufnahme durch Einvernahme der Zustellperson Frau M. bzw. durch Einholung deren persönlicher dienstlicher Stellungnahme nicht durchgeführt habe. Aus dem Schreiben der Post vom 14. November 2011 hätte sich für die Beantwortung dieser Fragen Verwertbares nicht ergeben, weil bereits das an die Post gerichtete Auskunftsverlangen des Gerichts vom 28. September 2011 unzureichend gewesen sei. Ferner handele es sich bei der Auskunft der Post vom 14. November 2011 nicht um eine eigene Erklärung der Zustellperson Frau M.
Sein Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 LV sei verletzt, weil das Amtsgericht seinen entscheidungserheblichen Vortrag zur Wirksamkeit der Zustellung nicht zur Kenntnis genommen und erwogen habe. Die unzureichende Formulierung des an die Post gerichteten Auskunftsersuchens und sein Umgang mit der nichtssagenden Stellungnahme der Post hierzu belegten, dass das Gericht eine Klärung der von ihm aufgeworfenen Fragen zur Wirksamkeit der Ersatzzustellung und damit die Nachholung der Gewährung rechtlichen Gehörs tatsächlich gar nicht beabsichtigt habe. Insbesondere habe es sich in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2011 auch nicht damit auseinandergesetzt, dass diese Fragen nur von der Zustellperson Frau M. persönlich beantwortet werden können.
III.
Der Direktor des Amtsgerichts Senftenberg hatte als Äußerungsberechtigter Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer hat entsprechend § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) den Rechtsweg erschöpft. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 28. Juni 2011 war nach § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG ein Rechtsmittel nicht gegeben. Den gegen Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör statthaften Rechtsbehelf der Anhörungsrüge hat der Beschwerdeführer erhoben, § 33 a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der auf die Anhörungsrüge ergangene Beschluss vom 14. Dezember 2011 war nicht mit der Beschwerde anfechtbar. Gegen Anhörungsrügen nach § 33a StPO bescheidende Beschlüsse ist die Beschwerde nach § 304 StPO nur zulässig, wenn das Gericht die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs oder die Änderung der Entscheidung aus formellen Gründen ablehnt. Die Überprüfungsentscheidung selbst, wie sie das Amtsgericht unter dem 14. Dezember 2011 getroffen hat, ist nicht anfechtbar, weil dies auf ein nach dem Gesetz gerade nicht eröffnetes weiteres Rechtsmittel hinausliefe (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2000 – VfGBbg 39/99 -, NStZ-RR 2000, 172, 173). Die Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg erhoben worden. Schließlich steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass die Beschlüsse, gegen die sie sich richtet, auf der Grundlage von Verfahrensrecht des Bundes ergangen sind. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 – VfGBbg 18/10 –, LKV 2011, 124 f.) sind erfüllt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.
1. Das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Beschluss vom 16. Dezember, a. a. O, st. Rspr.; zum Bundesrecht: Bundesverfassungsgericht – BVerfG - E 42, 364, 367 f.). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Verpflichtung nachkommt (Beschluss vom 15. Januar 2009 - VfGBbg 52/07 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de), bedarf es für die Feststellung einer Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV besonderer Umstände, die deutlich machen, dass das Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht in Betracht gezogen worden ist (Beschluss vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, LVerfGE 18, 150, 157; zum Bundesrecht: BVerfGE 86, 133, 145 f.). Solche besonderen Umstände sind etwa anzunehmen, wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des nicht offensichtlich unsubstantiierten Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht eingeht, die - auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Gerichts - für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist (Beschluss vom 10. Mai 2007, a. a. O., S. 157 f.; BVerfGE 86, 133, 146); oder wenn die Nichtberücksichtigung bzw. Zurückweisung von Vorbringen oder von Beweisanträgen im jeweils anzuwendenden Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Beschluss vom 13. April 2012 – VfGBbG 43/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 69, 141, 143 f., BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2012 - 2 BvR 1013/11 -, zitiert nach juris Rn. 32). Dies gilt auch bezüglich mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbarer Entscheidungen, für die von Verfassungs wegen eine generelle Begründungspflicht nicht besteht (vgl. BVerfGE 86, 133, 146; 81, 97, 106; 65, 293, 295 f.; BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 698/03, 699/03, 700/03 -, BVerfG(K) 4, 17, 18).
2. Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für die Feststellung einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor.
a. Zum wesentlichen Kern des Vorbringens des Beschwerdeführers gegenüber dem Amtsgericht gehörte die Behauptung, die Zustellperson Frau M. habe einen Versuch, den Bußgeldbescheid an ihn persönlich zu übergeben, gar nicht unternommen. Hierauf ist das Amtsgericht in seinen Beschlüssen vom 28. Juni und 14. Dezember 2011 nicht eingegangen. Auch das an die Zustellperson M. gerichtete Auskunftsersuchen des Amtsgerichts vom 28. September 2009 verhält sich zu dieser Behauptung nicht.
Die Behauptung ist erheblich auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Rechtsauffassung, der zufolge die Begründetheit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung davon abhängt, ob der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde vollständig entkräftet hat. Nach den Vorschriften der §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO, die gemäß § 50 Abs. 1, § 67 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, § 1 Verwaltungzustellungsgesetz des Landes Brandenburg, § 3 Verwaltungszustellungsgesetz bei der Zustellung von Bußgeldbescheiden nach dem OWiG anzuwenden sind, erbringt die Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis ist geführt, wenn ein Geschehensablauf bewiesen wird, der die Richtigkeit der in der Urkunde dokumentierten Tatsachen ausschließt (BGH, Urteil vom 10. November 2005 – III ZR 104/05 -, NJW 2006, 150, 151). Träfe die Behauptung des Beschwerdeführers zu, die Zustellperson habe nicht gemäß § 177 ZPO versucht, ihm persönlich den Bußgeldbescheid zu übergeben, sondern diesen gleich in einen Briefkasten eingelegt, so wäre die in der Zustellungsurkunde ausgewiesene Tatsache des Übergabeversuchs widerlegt mit der Folge der Unwirksamkeit der Zustellung; denn eine Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten (Ersatzzustellung nach § 180 ZPO) ist unzulässig und unwirksam, wenn nicht zuvor versucht wurde, eine Zustellung nach § 177 ZPO und, wenn diese scheitert, nach § 178 Abs. 1 ZPO auszuführen (Seitz in: Göhler, Kommentar zum OWiG, 16. Aufl. 2012, § 51 Rn. 12; Stöber in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 29. Aufl. 2012, § 180 Rn. 2, 7).
Die in Rede stehende Behauptung des Beschwerdeführers ist auch nicht offensichtlich unsubstantiiert. Der Beschwerdeführer hat zur Bekräftigung vorgetragen, sich bis zum Nachmittag des 12. Februar 2011 und damit – jedenfalls nach dem Verständnis des Amtsgerichts – im Zeitpunkt der Zustellung unter der Zustelladresse in seinem Büro aufgehalten zu haben.
b. Die Art und Weise, wie das Amtsgericht weiteren unter Beweis gestellten Vortrag des Beschwerdeführers zur Unwirksamkeit der Zustellung behandelt hat, kommt einer Nichtberücksichtigung dieses Vortrages und des hierzu gestellten Beweisantrages gleich, die im Prozessrecht keine Stütze findet.
aa. Ausweislich seines Auskunftsersuchens vom 28. September 2011 hielt das Amtsgericht nach Erhebung der Anhörungsrüge gegen seinen Beschluss vom 28. Juni 2011 u. a. die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage für entscheidungserheblich und aufklärungsbedürftig, ob die Zustellperson Frau M. den Bußgeldbescheid tatsächlich in den Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt hat; denn das Auskunftsersuchen vom 28. September 2011 enthielt die Frage, ob ausgeschlossen sei, dass der Bußgeldbescheid in den Briefkasten des Herrn N. eingeworfen worden sei. Ferner ging das Amtsgericht offenkundig von dem Erfordernis aus, diese Frage von der Zustellperson persönlich beantworten zu lassen; das Auskunftsersuchen ist an die als Zeuginnen bezeichneten Frauen H. und M. gerichtet (Bl. 26 der Akte des Amtsgerichts). Im Folgenden erhielt das Gericht die Mitteilung des Kundenservices der Post, Frau M. habe ausgesagt, das Schriftstück ordnungsgemäß in den Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt zu haben, nicht jedoch eine persönliche Erklärung der Frau M. selbst. Das Amtsgericht hat daraufhin nicht auf einer persönlichen Erklärung der Frau M. zu dieser Frage bestanden, sondern seinen Beschluss vom 28. Juni 2011 aufrechterhalten, ohne zu begründen, warum es insoweit zur Aufklärung einer persönlichen Stellungnahme der Frau M. nicht (mehr) bedürfe.
bb. Dieses Vorgehen des Amtsgerichts findet im Prozessrecht keine Stütze. Im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kommen nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG u. a. die Vorschriften über die Beschwerde nach den §§ 306 bis 309 StPO sinngemäß zur Anwendung. Das Fachgericht hat die behördliche Maßnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen. Soweit es für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags erforderlich ist, hat das Gericht alle zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Ermittlungen von Amts wegen nach pflichtgemäßen Ermessen und ohne Bindung an Anträge durchzuführen (vgl. § 308 Abs. 2 StPO) und darf dabei das Freibeweisverfahren anwenden (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2008 – 2 BvR 325/06 -, BVerfG(K) 13, 218, 226 f. m. N.).
Danach hat das Amtsgericht den Sachverhalt nicht pflichtgemäßem Ermessen entsprechend aufgeklärt, indem es davon abgesehen hat, eine persönliche Erklärung der Zustellperson Frau M. einzuholen. Es hielt die für die Wirksamkeit der Zustellung und damit die Begründetheit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erhebliche Frage, in welchen Briefkasten der Bußgeldbescheid eingeworfen wurde, für aufklärungsbedürftig (s. zu aa.). Das Schreiben des Kundenservice der Post vom 14. November 2011 war insoweit zur Aufklärung ungeeignet. Es enthält keine eigene Erklärung der Zustellperson, sondern referiert nur deren angebliche Aussage, ohne dass erkennbar wäre, wem gegenüber sie getätigt worden sein soll. Zudem steht nicht fest, dass die angebliche Aussage der Zustellperson sich überhaupt auf die mit dem Auskunftsersuchen vom 28. September 2011 gestellten Fragen des Gerichts bezieht. Das Auskunftsersuchen ist an die Deutsche Post AG (zu Händen der Zustellperson) adressiert, und aus dem Schreiben der Post vom 14. November 2011 ergibt sich nicht, dass es an die Zustellperson weitergeleitet wurde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass das Amtsgericht die Ermittlungen im Wege des Freibeweisverfahrens anstellen durfte. Die Zulässigkeit des Freibeweises entbindet das Gericht von den für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit der Beweisaufnahme (BVerfG(K), a. a. O., Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 55. Aufl., 2012, § 244 Rn. 9), nicht jedoch von dem Erfordernis, auf zur Erfüllung der Aufklärungspflicht geeignete Beweismittel zuzugreifen (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O.).
Eine persönliche Stellungnahme der Zustellperson Frau M. drängte sich zudem deshalb auf, weil so der Grund für die unterschiedlichen Unterschriften auf Briefumschlag und Zustellurkunde hätte aufgeklärt werden können.
c. Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts beruhen auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht für den Beschwerdeführer günstiger entschieden hätte, wenn es den Vortrag des Beschwerdeführers berücksichtigt (zu 2.a.) oder eine persönliche Stellungnahme der Zustellperson Frau M. eingeholt hätte (zu 2.b.).
3. Nachdem die Verfassungsbeschwerde bereits aus den vorgenannten Gründen in vollem Umfang Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer darüber hinaus auch in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzen (vgl. Beschluss vom 30. September 2010 - VfGBbg 32/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Auflage 2001, Rn. 649).
C.
Die Entscheidungen des Amtsgerichts sind hiernach gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben; die Sache selbst ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.
Der Gegenstandswert ist nach §§ 33 Abs. 1, 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entsprechend der ständigen Praxis des Gerichts in Verfahren über Individualverfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen auf 4.000,00 € festzusetzen.
D.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Nitsche | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Partikel | Schmidt |