VerfGBbg, Urteil vom 25. Januar 1996 - VfGBbg 13/95 -
Verfahrensart: |
konkrete Normenkontrolle Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 113 Nr. 3; LV, Art. 22 Abs. 1; LV, Art. 22 Abs. 2; LV, Art. 22 Abs. 3; LV, Art. 2 Abs. 5 Satz 2 - VerfGGBbg, § 42 Abs. 1; VerfGGBbg, § 42 Abs. 2 - GG, Art. 100 Abs. 1.; GG, Art. 38; GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 2; GG, Art. 137 Abs. 1 - GO, § 28 - LKrO, § 24 Abs. 2 - KWahlG, § 12 Abs. 1 Nr. 1 |
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Schlagworte: | - Wahlrecht - Inkompatibilität - Sondervotum |
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amtlicher Leitsatz: | 1. Für die Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art. 113 Nr. 3 LV, § 42 VerfGG reicht es aus, daß sich die für verletzt gehaltene Bestimmung der Landesverfassung aus der Begründung der Vorlage ergibt. 2. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG ist mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar, soweit danach angestellte Ärzte, welche in nichtselbständigen Einrichtungen des Kreises in nichtleitender Funktion ärztlich tätig sind, nicht dem Kreistag des Landkreises angehören dürfen. |
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Fundstellen: | - DÖV 1996, 372 - NJ 1996, 252 - LVerfGE 4, 85 |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Urteil vom 25. Januar 1996 - VfGBbg 13/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 13/95
U R T E I L | ||||||||||||||
In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz - BbgKWahlG -) vom 22. April 1993 (GVBL. I S. 113, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 1995, GVBl. I S. 273) aufgrund des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 16. März 1995 (1 K 1125/94) hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 1995 für R e c h t erkannt: § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG ist mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar, soweit danach angestellte Ärzte, welche in nichtselbständigen Einrichtungen des Kreises in nichtleitender Funktion ärztlich tätig sind, nicht dem Kreistag des Landkreises angehören dürfen. G r ü n d e : A. Gegenstand der zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Normenkontrollverfahren ist eine Inkompatibilitätsvorschrift des Kommunalwahlrechts in Brandenburg. I. Das Kommunalwahlrecht wird durch das Gesetz über die Kommunalwahlen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz - BbgKWahlG -) vom 22. April 1993 (GVBl I S. 113) geregelt. Es gilt nach § 1 BbgKWahlG sowohl bei den Wahlen für die Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen als auch für die Kreistagswahlen in den Landkreisen des Landes Brandenburg. Die vom Verwaltungsgericht vorgelegte Inkompatibilitätsvorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG hat folgenden Wortlaut:
§ 12 BbgKWahl hindert die Beamten und Angestellten nicht, sich zur Wahl zu stellen. Vielmehr müssen sie sich nach der erfolgten Wahl entscheiden, ob sie das Mandat antreten und zuvor das Dienstverhältnis beenden oder aber das Dienstverhältnis fortsetzen und auf das Mandat verzichten. Das folgt aus der Regelung des § 12 Abs. 4 BbgKWahlG (alte Fassung):
II. 1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist angestellter Oberarzt in der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses in Nauen. Träger dieses Krankenhauses ist seit dem 6. Dezember 1993 der Landkreis Havelland (§§ 6, 16, 17 Abs. 1 Kreisneugliederungsgesetz i.V.m. § 1 des Gesetzes zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises Havelland - Havellandgesetz -) vom 22. April 1993 (GVBl. I S. 147). Der Kläger wurde bei der Kommunalwahl am 5. Dezember 1993 in den Kreistag des Landkreises Havelland gewählt. Der Kreiswahlleiter teilte ihm dies mit Schreiben vom 8. Dezember 1993 mit. Mit Bescheid vom 23. Dezember 1993 stellte der Kreiswahlleiter gemäß § 12 Abs. 4 Satz 5 BbgKWahlG fest, daß der Kläger an einer Zugehörigkeit zum Kreistag gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG gehindert sei. Nehme er die Wahl an, so müsse er binnen eines Monats die Beendigung seines Dienstverhältnisses nachweisen, anderenfalls mit Ablauf dieser Frist aus dem Kreistag ausscheiden. Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger mit Schreiben vom 29. Dezember 1993 Einspruch. Am 3. Januar 1994 beantragte er wegen der für den folgenden Tag anberaumten konstituierenden Sitzung des Kreistages die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Wahleinspruchs. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluß vom 16. Februar 1994 bis zur Entscheidung in der Hauptsache statt. Den Einspruch des Klägers wies der Beklagte des Ausgangsverfahrens nach Vorprüfung durch den Kreisausschuß durch Beschluß vom 25. April 1994 zurück. Die nachträgliche Feststellung der Unvereinbarkeit gemäß § 12 Abs. 4 Satz 5 BbgKWahlG sei rechtens. Der Kläger könne als Angestellter des Kreises Havelland nicht zugleich dessen Kreistag angehören. Das Kreiskrankenhaus in Nauen habe als nichtrechtsfähige Anstalt keine eigene Rechtspersönlichkeit; die Unvereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Mandat bestehe deshalb nicht etwa nur für die vertretungsberechtigten Angestellten, wie dies § 12 Abs. 1Nr. 3 BbgKWahlG für die dort genannten Personengruppen festlege. Der Kläger erhob am 31. Mai 1994 Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam. Er ist der Auffassung, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Inkompatibilität in seiner Person nicht erfüllt seien. Sollte der Tatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG jedoch erfüllt sein, so erweise sich diese Vorschrift als mit dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar. 2. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt, ob § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG insoweit mit der Verfassung des Landes Brandenburg vereinbar ist, als diese Vorschrift anordnet, daß angestellte Ärzte, welche in nichtselbständigen Einrichtungen des Kreises in nichtleitender Funktion lediglich ärztlich tätig sind, nicht dem Kreistag dieses Landkreises angehören dürfen. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, daß die in § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG angeordnete Inkompatibilität gegen Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV verstoße. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG beinhalte darüber hinaus eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Beamten und Angestellten der kommunalen Körperschaften einerseits und Arbeitern und kommunalen Wahlbeamten andererseits. Hinzu trete eine Ungleichbehandlung der beamteten und angestellten Bediensteten der Kommunen gegenüber Beschäftigten der privaten Wirtschaft. Jedenfalls die Ungleichbehandlung der Angestellten verstoße insoweit gegen Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV, als dort jedem Bürger nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Wählbarkeit zu den kommunalen Vertretungskörperschaften eingeräumt werde. Die Landesverfassung habe damit der grundgesetzlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt. Dies stelle keinen Verstoß gegen die Vorgaben des Grundgesetzes dar, an die der Landesgesetzgeber, vermittelt durch die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, gebunden sei. Denn aufgrund des Wortlautes des Art. 137 Abs. 1 GG sei der Gesetzgeber nicht gezwungen, sondern lediglich berechtigt, Einschränkungen des passiven Wahlrechts vorzunehmen. Die Beschränkbarkeit des passiven Wahlrechts im Land Brandenburg lasse sich auch nicht aus anderen Verfassungsgütern ableiten. Zwar sei denkbar, daß bestimmte kollidierende Verfassungsgüter eine - ausnahmsweise - Abweichung vom strikt formulierten Wortlaut ("Jeder Bürger") des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV rechtfertigen könnten. Doch erforderten weder das Demokratie- noch das Rechtsstaatsprinzip bzw. der ihnen entnehmbare Grundsatz der Gewaltenteilung zwingend die vom Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung des passiven Wahlrechts. Mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung sei es zwar nicht ohne weiteres vereinbar, daß die den verschiedenen Organen der Selbstverwaltungskörperschaften übertragenen Aufgaben von denselben Funktionsträgern wahrgenommen werden. Der zur Verwirklichung dieser Funktionstrennung geschaffene § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG werde diesem Zweck jedoch nicht gerecht. Der Gesetzgeber habe dabei die ihm grundsätzlich zustehende Befugnis zur Typisierung und Generalisierung überschritten und - systemwidrig - das von ihm selbstgewählte Regelungssystem verlassen. Er habe nämlich die Hauptverwaltungsbeamten, die gemäß §§ 28 Abs. 1 Landkreisordnung, 34 Abs. 1 Gemeindeordnung stimmenberechtigte Mitglieder der Vertretung seien, von der Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG ausgenommen. Halte sich der Gesetzgeber grundlos nicht an sein eigenes Regelungssystem, liege darin ein Indiz für einen Gleichheitsverstoß. III. 1. Die Landesregierung ist den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Potsdam entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG sei von der Ermächtigungsnorm des Art. 137 GG gedeckt. Bezogen auf den konkreten Sachverhalt des Ausgangsfalles sei die fragliche Norm gerechtfertigt, um den direkten und unabsehbaren Einwirkungsmöglichkeiten der Vertretungskörperschaft auf die Beschäftigungsstelle und auf das Beschäftigungsverhältnis der "eigenen" Beamten und Angestellten vorzubeugen. In der gesetzlichen Regelung liege auch unter Berücksichtigung des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV kein rechtserheblicher Eingriff in das passive Wahlrecht. Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV statuiere keine Einschränkung des Eingriffsvorbehalts des Art. 137 Abs. 1 GG. Deshalb könne der Brandenburgische Landesgesetzgeber unmittelbar von der Ermächtigung des Art. 137 GG Gebrauch machen. Wegen des Eingriffsvorbehaltes in Art. 137 GG hätten die Verfassungsausschüsse zu Recht keine Notwendigkeit gesehen, eine die Inkompatibilitäten regelnde Vorschrift in der Landesverfassung vorzusehen. Auch wenn der Verfassungsgeber von dem Bestreben geleitet worden sei, die politischen Gestaltungsrechte bestimmt und möglichst einschränkungslos zu umschreiben, habe er gleichwohl nicht die im Grundgesetz festgeschriebene Rechte erweitern wollen. Auch die Formulierung "jeder Bürger" erlaube keinen Schluß auf einen strikt formalisierten Gleichheitsgehalt des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV. Dieses Tatbestandsmerkmal diene allein zur Klarstellung, daß von dieser Regelung nur das Brandenburgische Staatsvolk i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 LV erfaßt sein solle. Auch das Fehlen eines Gesetzesvorbehaltes in Art. 22 Abs. 1 LV bedeute keine Einschränkung der Befugnis des Landesgesetzgebers, Inkompatibilitätsregelungen zu schaffen. Wenn der Verfassungsgeber dies gewollt hätte, müsse das in der Entstehungsgeschichte der Landesverfassung nachweisbar sein. Das sei jedoch nicht der Fall. Die von der Landesverfassung angestrebte Stärkung der Elemente der direkten Demokratie erforderten es nicht, auf Inkompatibilitätsregelungen zu verzichten. Hierbei gehe es nur um die Neugestaltung der Bereiche, in denen Widersprüche zwischen dem Volk und den verfaßten Staatsgewalten auftreten könnten, nicht hingegen um Interessenkonflikte im innerstaatlichen Bereich. Unzutreffend sei ferner die Auffassung des Verwaltungsgerichts Potsdam, die Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG sei deshalb verfassungswidrig, weil sie Oberbürgermeistern und Landräten, anders als den anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die Zugehörigkeit in den Vertretungskörperschaften einräume. Diese Regelung sei sachlich gerechtfertigt, weil der hauptamtliche Leiter der kommunalen Verwaltung gleichzeitig Vertreter und Repräsentant der betreffenden Gebietskörperschaft sei. Er nehme also eine "Scharnierfunktion" zwischen Verwaltung und Kommunalvertretung ein, die volle Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte in der Vertretungskörperschaft rechtfertigten. 2. Die Kläger des Ausgangsverfahrens halten die Vorlage für berechtigt. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG sei mit Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV unvereinbar. B. Die Vorlage ist zulässig. 1. Die Vorlage genügt in formeller Hinsicht den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG, Art. 113 Nr. 3 LV, § 42 Abs. 1 und 2 VerfGGBbg. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß im Tenor des Beschlusses ein Hinweis darauf fehlt, welche Vorschrift der Landesverfassung vom Verwaltungsgericht als verletzt angesehen wird. Ein Verstoß gegen § 42 Abs. 2 VerfGGBbg liegt darin nicht. Es reicht aus, wenn - wie hier auf Seite 11 des Entscheidungsumdrucks - das Gericht im Rahmen der Begründung zu erkennen gibt, welche Vorschrift der Landesverfassung von ihm für verletzt gehalten wird (hier: Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV). 2. Die Vorlage genügt auch dem § 42 Abs. 1 VerfGGBbg. Das Verwaltungsgericht macht hinreichend deutlich, weshalb es nach seiner Rechtsauffassung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt. Es legt ausführlich seine - offenkundig vertretbare - Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG dar. Danach wäre der Kläger des Ausgangsverfahrens, gäbe es die genannte Norm nicht, ohne weiteres berechtigt, Mitglied des Kreistages zu sein. Das Verwaltungsgericht hat bei der Formulierung seiner Vorlage auch beachtet, daß diese auf den entscheidungserheblichen Teil zu beschränken ist. Deshalb muß, wenn eine im Wortlaut generell gefaßte Norm im Einzelfall nur eine nicht ausdrücklich benannte, jedoch mitumfaßte und abgrenzbare Personengruppe betrifft, die Vorlagefrage auf diese beschränkt werden (vgl. BVerfGE 75, 246, 260). Das ist hier, bezogen auf den Personenkreis der angestellen Ärzte, welche in nichtselbständigen Einrichtungen des Kreises in nichtleitender Funktion ärztlich tätig sind, geschehen. C. Den von dem Verwaltungsgericht Potsdam gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 BbgKWahlG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken ist jedenfalls in dem durch den Vorlagebeschluß begrenzten Rahmen beizupflichten. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG ist insoweit mit der Landesverfassung unvereinbar, als danach angestellte Ärzte, welche in nichtselbständigen Einrichtungen eines Landkreises in nichtleitender Funktion ärztlich tätig sind, nicht dem Kreistag desselben Landkreises angehören dürfen. Die Regelung des § 12 Abs. 1 BbgKWahlG beeinträchtigt insoweit den Schutzbereich des Art. 22 Abs. 1 LV (I.), ohne daß dafür eine Rechtfertigung vorhanden ist, die vor der Landesverfassung Bestand hat (II.). I. 1. Die Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 1 BbgKWahlG, daß u.a. Angestellte eines Landkreises (hier: im Kreiskrankenhaus angestellte Ärzte ohne Leitungsfunktion) nicht gleichzeitig der Vertretung ihrer Anstellungskörperschaft angehören können, beeinträchtigt den Schutzbereich des Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV. Art. 22 Abs. 1 LV - aber auch Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV - beziehen sich nicht nur auf den Wahlakt als solchen. Vielmehr wird davon auch die Wählbarkeit im weiteren Sinne erfaßt. Ein Wahlbewerber muß nicht nur die Möglichkeit haben, ein Mandat durch Wahl zu erwerben, sondern auch, es während der Legislaturperiode innezuhaben und tatsächlich auszuüben (vgl. BVerfGE 38, 326, 337). Eine Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 22 Abs. 1 LV auf den Wahlakt als solchen würde dazu führen, daß dem durch die Wahl demokratisch legitimierten Volksvertreter die Ausübung des Mandates vorenthalten werden könnte. Damit würde die Wahl des Bewerbers entwertet. Daspassive Wahlrecht verwirklicht sich erst darin, daß der Gewählte die ihm durch die Wahl übertragene Funktion als Vertreter des Volkes auch tatsächlich ausüben kann. 2. Umfaßt demnach der Schutzbereich des Art. 22 Abs. 1 LV auch die Möglichkeit, das Mandat innezuhaben und auszuüben, scheidet aus, diese Norm als bloßes Verbot einer - allein auf den eigentlichen Wahlakt bezogenen - Ineligibilität zu verstehen. Einem solchen Verständnis stünde auch entgegen, daß Art. 22 Abs. 1 LV in dieser Hinsicht einen eigenständigen Anwendungsbereich verlöre, weil ein genereller Ausschluß der Wählbarkeit, also das gesetzliche Verbot zu kandidieren, schon kraft Bundesverfassungsrechts untersagt ist. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muß das Volk in den Gemeinden, aber auch in den Kreisen (vgl. dazu BVerfGE 12, 73, 77), eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes in Form von Ineligibilitätsregelungen ist selbst nach der grundgesetzlichen Sonderregelung in Art. 137 Abs. 1 GG ausgeschlossen, weil diese Regelung allein zu einer Beschränkung, nicht aber zu einem Ausschluß von der Wählbarkeit ermächtigt (BVerfGE 57, 43, 67). 3. Der Auffassung der Landesregierung, das Tatbestandsmerkmal "Jeder Bürger" in Art. 22 Abs. 1 LV betreffe ausschließlich die Abgrenzung zwischen den wahlberechtigten "Bürgern" und den nichtwahlberechtigten "Einwohnern", vermag das Gericht nicht beizutreten. Zwar trifft zu, daß durch die Verwendung des Begriffs "Bürger" der Kreis der Träger des aktiven und passiven Wahlrechts auf alle Deutschen mit ständigem Wohnsitz im Land Brandenburg beschränkt wird (Art. 3 Abs. 1 LV). Gleichzeitig ergibt aber das Wort "jeder" nach seinem landläufigen Aussagegehalt, daß darüberhinausgehende Ausgrenzungen aus dem Personenkreis der Wahlberechtigten nicht zulässig sein sollen. Dieses Verständnis wird durch Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV gestützt. Wenn dort die Gleichheit der Wahl verfassungsrechtlich garantiert wird, so heißt das ebenfalls, daß prinzipiell "jeder" an dieser Wahl soll teilnehmen können. Jenes "jeder" in Art. 22 Abs. 1 LV korrespondiert in diesem Sinne mit der Gleichheit der Wahl in Art. 22 Abs. 3 LV. Freiheit und Gleichheit sind "zwei Seiten ein und derselben Sache" (zu diesem Zusammenhang ausführlich: Kriele, Einführung in die Staatslehre, 5. Auflage, 1994, S. 207). Das gilt in besonderer Weise im Wahlrecht, weil dort der Gleichheitssatz einen formal-egalitären Charakter besitzt und seine Ausgestaltung deshalb in "formal möglichst gleicher Weise" zu erfolgen hat (vgl. BVerfGE 57, 43, 56). II. Ist danach durch Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 LV gewährleistet, daß grundsätzlich jeder Bürger des Landes Brandenburg (ab 18 Jahren) das Recht hat, sich in dem Landkreis, in dem er seinen Wohnsitz hat, in den Kreistag wählen zu lassen, stellt die Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG für den Personenkreis, zu dem der Kläger des Ausgangsverfahrens gehört, eine Beschränkung des passiven Wahlrechts dar. Diese Einschränkung wäre nur zulässig, wenn es hierfür, sei es in der Landesverfassung, sei es kraft Bundes(verfassungs)rechts, eine Ermächtigung oder einen einschlägigen Gesetzesvorbehalt gäbe. Das ist indes nicht der Fall. Freilich schließt die Verwendung einer apodiktischen Formulierung wie "Jeder Bürger" im Verfassungstext nicht bereits eo ipso aus, daß die Verfassungsordnung, was oft noch innerhalb desselben Verfassungartikels, manchmal auch an anderer Stelle geschieht, eine Einschränkung oder einen Vorbehalt vorsieht. In dieser Weise verhält es sich etwa im Grundgesetz bei der für die Wahlen auf Bundesebene der Sache nach mit Art. 22 Abs. 1 LV korrespondierenden Regelung des Art. 38 GG, die, an dieser Stelle uneingeschränkt, den Grundsatz der Gleichheit der Wahl aufstellt, während Art. 137 GG dies abschwächend die Möglichkeit eröffnet, für Angehörige des öffentlichen Dienstes gesetzlich Inkompatibilitätsregelungen zu treffen, und zwar sowohl für die Wahlen auf Bundesebene (durch Bundesgesetz) als auch, insofern zugleich die Grundsatzaussage des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG für (u.a.) "gleiche" Wahlen auch auf Landes- und kommunaler Ebene berührend, für die Wahlen zu den Landtagen und kommunalen Vertretungskörperschaften (durch den für diese Bereiche zuständigen Landesgesetzgeber). Ein Vorbehalt dieses Inhalts gilt jedoch im Land Brandenburg, jedenfalls für die kommunalen Vertretungskörperschaften, nicht. Er ergibt sich nicht aus der eigenen Verfassungsordnung des Landes Brandenburg (1.). Art. 137 GG selbst wird im Land Brandenburg eben durch Art. 22 Abs. 1 LV jedenfalls für den Bereich der kommunalen Vertretungskörperschaften in dem Sinne "verdrängt", daß die darin liegende Ermächtigung zu Inkompatibilitätsregelungen in zulässiger Weise und für das Land Brandenburg verbindlich gerade nicht in Anspruch genommen wird (2.). 1.a) Art. 137 Abs. 1 GG ist nicht zugleich Bestandteil auch der Landesverfassung Brandenburg, so daß sich der einfache Landesgesetzgeber nicht etwa unmittelbar auf diese Norm des Grundgesetzes als "ungeschriebene" Landesverfassungsnorm stützen kann. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, daß sowohl der Bund als auch die Gliedstaaten "in je eigener Verantwortung ihre Staatsfundamentalnormen artikulieren"; jedes Land besitze seine eigene, von ihm selbst bestimmte Verfassung (BVerfGE 36, 342, 361). Mit diesem Grundsatz der getrennten Verfassungsräume geriete es in Widerstreit, wenn Art. 137 GG gleichzeitig als Norm der Landesverfassung angesehen würde. Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV läßt ein grundsätzlich gegenteiliges Verständnis des Landesverfassungsgebers erkennen. Die Bestimmungen des Grundgesetzes gehen danach der Landesverfassung vor. Sie sind also im Zweifel nicht selbst deren Bestandteil. Mit dieser Ausgangslage würde es sich nicht vertragen, Art. 137 GG als eine Art "Gesetzesvorbehalt" in Art. 22 Abs. 1 LV hineinzulesen. Auch das Bundesverfassungsgericht versteht Art. 137 GG nicht in diesem Sinne, überläßt vielmehr das "Ob" und "Wie" einer gesetzlichen Inkompatibilitätsregelung dem jeweils z u s t ä n d i g e n Gesetzgeber (BVerfGE 57, 43, 57). b) Eine verfassungsunmittelbare Inkompatibilität von Amt und Mandat ergibt sich jedenfalls für den hier in Frage stehenden kommunalen Bereich, in dem die Grenzen zwischen Kommunal"verwaltung" und Mitwirkung der kommunalen Vertretung ohnehin fließend sind, auch nicht gleichsam von selbst aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz (ebenso sogar für den staatlichen Bereich: Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof, NJW 1970, 892, 894). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß Art. 137 GG die einzige mögliche Durchbrechung des Prinzips der gleichen Wählbarkeit eröffnet (BVerfGE 57, 43, 57). Die Annahme, daß der Gewaltenteilungsgrundsatz zwingend und aus sich selbst heraus zu Einschränkungen der Wählbarkeit führt, wäre mit dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar. 2. Die Ermächtigung des Art. 137 GG wird durch Art. 22 LV in dem dargelegten Sinne dahin verbraucht, daß im Land Brandenburg für Inkompatibilitätsregelungen im Kommunalwahlrecht kein Raum bleibt. a) Art. 137 GG stellt es dem Landesgesetzgeber frei, ob und inwieweit er für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat bestimmt, stellt also lediglich eine Ermächtigung dar, von der das jeweilige Bundesland Gebrauch machen kann, aber nicht muß. Macht der zuständige (Landes-)Gesetzgeber von der Ermächtigung keinen Gebrauch, sind Mandat und Beschäftigung im öffentlichen Dienst miteinander vereinbar (so ausdrücklich Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof, NJW 1970, 892). Das gilt jedenfalls für den Bereich der Kommunalwahlvertretungen, in dem der zugrundeliegende Fall angesiedelt ist. Ob Gleiches einschränkungslos auch für die Zugehörigkeit zum Landtag gelten kann, läßt das Gericht ausdrücklich offen. Hier können weitere Verfassungsgüter ins Spiel kommen, insbesondere der Grundsatz der Gewaltenteilung in seiner Ausprägung in der Brandenburgischen Landesverfassung, welcher bei den kommunalen Vertretungskörperschaften, die keine echte Legislative, sondern Gremien kommunaler Selbst"verwaltung" sind, keine zentrale Rolle spielt. In Erinnerung zu bringen ist in diesem Zusammenhange auch der Grundsatz, daß niemand mit abstimmen darf, der in eigenen Angelegenheiten berührt wird und sich deshalb in einer Interessenkollision befindet. Diese "goldene Regel" hat im Land Brandenburg in § 28 Gemeindeordnung sowie in § 24 Abs. 2 Landkreisordnung i.V.m. § 28 Gemeindeordnung ihren gesetzlichen Ausdruck gefunden. b) Der Formulierung in Art. 137 Abs. 1 GG, wonach die Wählbarkeit "gesetzlich" beschränkt werden könne, läßt sich nicht entnehmen, daß damit nur der einfache Landesgesetzgeber gemeint und der Landesverfassungsgeber von der Regelung dieser Frage ausgeschlossen wäre. Auch die Verfassungsgebung ist eine Form der Gesetzgebung (Sachs in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 3 Rdn. 12). Die Regelung in Art. 22 Abs. 1 LV stellt deshalb ebenfalls eine "gesetzliche" Regelung i.S.d. Art. 137 GG dar. Im übrigen würde es dem bereits erwähnten Grundsatz der getrennten Verfassungsräume widersprechen, wenn das Grundgesetz im Bereich des kommunalen Wahlrechts, das kompetenzmäßig Sache der Länder ist (BVerfGE 58, 177, 191 f.), den Landesverfassungsgeber entmachten und ihm diesen Regelungsbereich entziehen wollte, um ihn dem einfachen Landesgesetzgeber anzuvertrauen. Dafür, daß ein solcher Eingriff in die innerstaatliche Kompetenzordnung beabsichtigt gewesen sei, gibt es keine Anhaltspunkte. c) Der Landesgesetzgeber kann freilich Einschränkungen der Wählbarkeit unmittelbar aufgrund der Ermächtigung des Art. 137 GG auch dann bestimmen, wenn die Landesverfassung hierzu keine eigenständige Ermächtigung vorsieht. Der Rückgriff auf die Ermächtigung des Art. 137 GG durch den Landesgesetzgeber setzt allerdings voraus, daß die Landesverfassung einen solchen Rückgriff auf Art. 137 GG nicht ausschließt. Dies aber ist hier der Fall. Art. 22 Abs. 1 LV schließt Inkompatibilitätsregelungen jedenfalls in dem hier in Frage stehenden Bereich aus und besagt, daß von der Ermächtigung des Art. 137 GG im Lande Brandenburg kein Gebrauch gemacht werden soll. Dies ergibt - wie nachfolgend dargelegt - die Auslegung des Art. 22 Abs. 1 LV. aa) Der brandenburgische Landesverfassungsgeber fand die Ermächtigung zu Inkompatibilitätsregelungen in Art. 137 GG vor. Wenn er gleichwohl in Art. 22 Abs. 1 LV bestimmte, daß "jeder" Bürger (ab 18 Jahre) wählbar sei, spricht schon dieser Befund dafür, daß er sich dafür entschieden hat, von der Ermächtigung des Art. 137 GG keinen Gebrauch zu machen. bb) Hierfür streitet weiter der Grundsatz, daß eine "Vollverfassung" wie die brandenburgische um ihrer eigenen Verständlichkeit willen und entsprechend ihrem Selbstverständnis als "geschlossenes System" nach Möglichkeit aus sich selbst heraus zu interpretieren ist. Das legt es mindestens nahe, Einschränkungen eines in der Verfassung gewährten Grund- bzw. politischen Mitwirkungsrechts in der Verfassungsurkunde selbst vorzunehmen. In dieser Weise verfährt gerade in der hier interessierenden Frage das Grundgesetz, indem es nämlich den die Gleichheit der Wahl gewährleistenden Bestimmungen der Art. 38 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz 2 GG die Ermächtigung zu Beschränkungen in Art. 137 GG gegenüberstellt. Ähnlich verfahren auch andere nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene, d.h. den Art. 137 GG bereits vorfindende Landesverfassungen. Daß selbst ein Ausgestaltungsvorbehalt, wie ihn die übrigen Landesverfassungen mit Ausnahme des Saarlandes vorsehen (zu den verschiedenen möglichen Bedeutungsgehalten der Ausgestaltungsvorbehalte s. BVerfGE 15, 126, 138, zuletzt Sächsischer Verfassungsgerichtshof, LKV 95, 399, 400), die Ermächtigung an den Gesetzgeber enthalten kann, auch Beschränkungen der Wählbarkeit vorzunehmen, führt Art. 39 Abs. 5 der neuen Verfassung von Berlin vom 22. Oktober 1995 vor Augen, wo den näheren, vom Gesetzgeber zu treffenden Regelungen gerade auch Beschränkungen des Wahlrechts und der Wählbarkeit vorbehalten werden. Die Landesverfassungen von Nordrhein-Westfalen (Art. 46 Abs. 3), Niedersachsen (Art. 61) und Sachsen-Anhalt (Art. 91 Abs. 2) sehen speziell die Beschränkung der Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor. Die Verfassungsgeber dieser Länder haben es demnach für angebracht gehalten, eine Ermächtigung für Wählbarkeitsbeschränkungen für Angehörige des öffentlichen Dienstes in die eigenen Verfassungen aufzunehmen. Der Grundsatz der Interpretation einer Vollverfassung wie der brandenburgischen nach Möglichkeit aus sich selbst heraus und die vorgefundene - dem brandenburgischen Verfassungsgeber natürlich bewußte - Behandlung des hier interessierenden Regelungsgegenstandes in anderen deutschen Verfassungsurkunden steht somit der Annahme, Art 22 Abs. 1 LV lasse die Ermächtigung nach Art. 137 GG unverändert bestehen, entgegen. Hätte der brandenburgische Verfassungsgeber Inkompatibilitätsregelungen durch Landesgesetz nach Art des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG offenhalten wollen, hätte er dies unter den dargelegten Umständen in Art. 22 LV oder an anderer Stelle der Verfassung in geeigneter Weise zum Ausdruck bringen müssen. Da das nicht geschehen ist, gilt Art. 22 Abs. 1 LV jedenfalls für die kommunalen Vertretungskörperschaften vorbehaltlos. cc) Soweit das Bundesverfassungsgericht mehrfach Inkompatibilitätsregelungen der Länder für mit Art. 137 GG vereinbar gehalten hat, ergibt sich zu dem hier gefundenen Ergebnis kein Widerspruch. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert unter einem anderen Blickwinkel. Es hatte in den ihm vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren naturgemäß a l l e i n die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Rechtsnormen mit dem Grundgesetz, also in erster Linie mit Art. 137 GG selbst, zu überprüfen. Hingegen ist dem Bundesverfassungsgericht die Überprüfung einer Landesrechtsnorm auf ihre Vereinbarkeit mit der jeweiligen Landesverfassung grundsätzlich verwehrt (BVerfGE 41, 88, 118 ff.; 45, 400, 413). Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit von Inkompatibilitätsnormen erlauben deshalb keine Rückschlüsse auf die Frage der Vereinbarkeit des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG mit Art. 22 LV. dd) Auch in den Verfassungsmaterialien findet sich im übrigen, wie abschließend angemerkt sei, keinerlei Hinweis darauf, daß bei der Schaffung des Art. 22 Abs. 1 LV die Vorstellung bestanden habe, Inkompatibilitätsregelungen nach Art des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG blieben möglich. Die in der Zeit der Wende und nach der Wende vorherrschende politische Stimmung ging eher dahin, bei den politischen Mitgestaltungsrechten Einschränkungen irgendwelcher Art grundsätzlich nicht mehr gelten zu lassen. In diesem Zusammenhange ist zu berücksichtigen, daß bei den Beratungen der Landesverfassung die am Runden Tisch angestellten Überlegungen über eine künftige Verfassung der DDR eine große Rolle gespielt haben (Franke/Kneifel-Haverkamp in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg 1994, Rdn. 2 zu § 2). Gerade der vom Runden Tisch verabschiedete Entwurf einer DDR-Verfassung vom 4. April 1990 enthält aber keine Inkompatibiltätsregelungen. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 des Verfassungsentwurfs räumt ohne jede Einschränkung - und Art. 137 GG schied als Ermächtigung naturgemäß aus - jedem Bürger nach Vollendung des 18. Lebensjahres das Recht ein, an allgemeinen, gleichen, freien, geheimen und direkten Wahlen zur Volkskammer, zu den Landtagen und den Kommunalvertretungen teilzunehmen und in sie gewählt zu werden. Damit ist Art. 22 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg weitgehend der in dem Entwurf der DDR-Verfassung konzipierten Regelung nachgebildet, die, wie gesagt, Inkompatibilitätsvorschriften nicht vorsah. Bezeichnend erscheint im übrigen, daß es auch in dem Kommunalwahlgesetz der DDR aus dem Jahre 1990 keine Inkompatibilitätsregelungen gab (Bönninger, Kommunalwahlrecht in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, 1990, S. 5). Lediglich die DDR-Kommunalverfassung aus dem gleichen Jahre enthält eine, allerdings nur punktuelle und damit die Annahme eines übergreifenden Grundsatzes verbietende Inkompatibilitätsregelung (für leitende Bedienstete der Kommunalverwaltung mit Ausnahme der Bürgermeister und Beigeordneten). Ebenso bezeichnend sind Inkompatibilitätsregelungen weder im Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer vom 20. Februar 1990 (GBl. I S. 60) noch im Länderwahlgesetz vom 22. Juli 1990 (GBl. I S. 960), das die ersten Wahlen zu den Landtagen der neuen Länder regelte, enthalten. Fand mithin der Verfassungsgeber des Landes Brandenburg Regelungen vor, die mit einer geringfügigen Ausnahme keine Inkompatibilitäten kannten, hätte er um so mehr Anlaß gehabt, Inkompatibilitätsregelungen für den kommunalen Bereich ausdrücklich vorzusehen, wenn diese fortan möglich sein sollten. Selbst wenn aber bei den Verfassungsberatungen die Vorstellung geäußert worden wäre, Inkompatibilitätsregelungen offen zu halten, hat dies jedenfalls im Verfassungstext keinen Niederschlag gefunden. Jede Auslegung findet ihre Grenze am klaren und unmißverständlichen Wortlaut und Sinn einer Vorschrift (BVerfGE 54, 277, 299). Die Formulierung "Jeder Bürger hat nach Vollendung des 18. Lebensjahres das Recht, ... zu den kommunalen Vertretungskörperschaften zu wählen und in diese gewählt zu werden", ist aber klar und unmißverständlich. Anders als im Grundgesetz und in anderen Landesverfassungen ist eine Einschränkung oder ein Ausgestaltungsvorbehalt, wie ausgeführt, gerade nicht gemacht worden. Damit gibt es an der Formulierung "Jeder Bürger" hat ... das Recht, ... zu den kommunalen Vertretungskörperschaften ... gewählt zu werden" aus der Landesverfassung heraus nichts zu deuteln und liefe insoweit eine landesgesetzliche Inkompatibilitätsregelung auf eine Verkürzung dessen hinaus, was die Landesverfassung in Art. 22 Abs. 1 dem klaren Wortlaut nach gewährleistet. "Jeder" hieße nicht mehr "jeder". Das Gericht hielte dies nicht nur aus rechtsmethodischen Gründen für nicht angängig, sondern sähe damit auch die Gefahr verbunden, daß das Vertrauen der Bevölkerung auf den Aussagegehalt der Verfassung Schaden nähme. III. Das Gericht ist sich bewußt, daß es gewichtige Gründe gibt, die Vereinbarkeit von Amt und Mandat bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor allem für den Landtag, aber auch für die kommunalen Vertretungskörperschaften zu beschränken. Das gilt in besonderem Maße, soweit es um die Zugehörigkeit von Beamten und Angestellten zu Vertretungskörperschaften der eigenen Anstellungsbehörde geht. Für das erkennende Gericht ist jedoch allein die geltende Verfassungsrechtslage maßgeblich (vgl. hierzu auch Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof, NJW 1970, 892, 894; in gleicher Richtung bereits VfGBbg, Urteil vom 15. September 1994 - VfGBbg 2/93 - LKV 1995, 221, 222). Sie ist angesichts des vorbehaltlos ausgestalteten und die Ermächtigung des Art. 137 GG verbrauchenden Art. 22 LV jedenfalls für die kommunale Ebene eindeutig. Daher muß gegebenenfalls die Verfassungsrechtslage, sofern sie heute als verfassungspolitisch unbefriedigend empfunden wird, durch Einfügung eines geeigneten Inkompatibilitätsvorbehalts durch den Verfassungsgeber selbst in Ordnung gebracht werden. IV. Das Gericht sieht keinen Anlaß, die Frage der Vereinbarkeit des 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG mit der Landesverfassung über den Rahmen der Vorlage des Verwaltungsgerichts Potsdam hinaus zu untersuchen. Die "Befriedungsfunktion" der Normenkontrollentscheidung (dazu: BVerfGE 62, 354, 364) gebietet dies nicht. Es ist nicht erkennbar, daß es weitere Fälle gibt, in denen die Mitgliedschaft von Kreistagsangehörigen aus der Kommunalwahl 1993 noch nicht bestandskräftig geklärt ist. V. Die Entscheidung ist mit sechs gegen zwei Stimmen ergangen.
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