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VerfGBbg, Beschluss vom 24. Juni 2004 - VfGBbg 20/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 2 Satz 3
- VerfGGBbg, § 41 Satz 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsrefom
- Anhörung
Fundstellen: - GVBl 2004 I, 274 (nur Entscheidungsformel)
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 24. Juni 2004 - VfGBbg 20/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 20/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Wernsdorf,
vertreten durch das Amt Unteres Dahmeland,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Fürstenwalder Weg 11,
15711 Königs Wusterhausen,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingemeindung der Gemeinde Wernsdorf (Amt Unteres Dahmeland) in die Stadt Königs Wusterhausen

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 24. Juni 2004

b e s c h l o s s e n:

1. a) Die Eingliederung der Gemeinde Wernsdorf in die Stadt Königs Wusterhausen nach § 9 Abs. 1 des Sechsten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 93) verletzt die Gemeinde Wernsdorf in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Die Regelung ist mit der Landesverfassung unvereinbar.
   
  b) Die weitergehende kommunale Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
   
2. Der Landesgesetzgeber hat bei Vermeidung der Nichtigkeit der Regelung spätestens mit Wirkung ab 1. Januar 2006 eine Neuregelung zu treffen.
   
3. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin 4/5 der notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 25.000 € zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Unteres Dahmeland angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die Stadt Königs Wusterhausen.

I.

Die Beschwerdeführerin liegt ca. 13 km nordöstlich der Stadt Königs Wusterhausen im Landkreis Dahme-Spreewald. Im Westen des Gemeindegebietes befindet sich der Krossinsee, an dessen gegenüberliegendem Ufer bereits Berlin beginnt. Nördlich grenzt die Beschwerdeführerin an die Gemeinde Neu Zittau (Amt Spreenhagen, Landkreis Oder-Spree), nächstfolgender Ort ist Erkner. In den sechs Gemeinden des Amtes Unteres Dahmeland, nämlich Wernsdorf, Zernsdorf, Senzig, Niederlehme, Kablow und Zeesen, leben (mit steigender Tendenz) ca. 14.300 Einwohner, davon auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin ungefähr 1400 (einschließlich Ziegenhals und Gräbchen). Die Stadt Königs Wusterhausen hat 17.300 Einwohner.

Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Inneren Anhörungsunterlagen zu der beabsichtigten Einbeziehung der Beschwerdeführerin in eine aus den Gemeinden des Amtes gebildete amtsfreie Gemeinde Unteres Dahmeland für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat, die in der Folge, u.a. im Amtsgebäude, für die Dauer eines Monats ausgelegt wurden. Die Bevölkerung der Stadt Königs Wusterhausen wurde nicht angehört.

Im September desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 9 des Entwurfes des Sechsten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree und Spree-Neiße (6. GemGebRefGBbg) sah nicht mehr die Bildung einer amtsfreien Gemeinde aus den Gemeinden des Amtes, sondern die Eingliederung dieser Gemeinden einschließlich der Beschwerdeführerin in die Stadt Königs Wusterhausen vor. Das Gesetz wurde im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 9 des 6. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 93), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. Art. 6 Satz 1 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße sowie zur Auflösung der Gemeinden Diepensee und Haidemühl und zur Änderung des Gesetzes zur Auflösung der Gemeinde Horno und zur Eingliederung ihres Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde sowie zur Änderung der Amtsordnung vom 24. März 2003 [GVBl I S. 93]), lautet:

§ 9
Verwaltungseinheit Amt Unteres Dahmeland und Stadt Königs Wusterhausen

(1) Die Gemeinden Kablow, Niederlehme, Senzig, Wernsdorf, Zeesen und Zernsdorf werden in die Stadt Königs Wusterhausen eingegliedert.

(2) Das Amt Unteres Dahmeland wird aufgelöst.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 29. April 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht u.a. geltend, ihre Eingliederung in die Stadt Königs Wusterhausen sei schon deshalb verfassungswidrig, weil die durchgeführte Anhörung nicht ordnungsgemäß gewesen sei.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

Art. 1 § 9, 31 bis 44 sowie Art. 6 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform sind mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und daher nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Königs Wusterhausen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Landesregierung hat mitgeteilt, daß die Bevölkerungsanhörung auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin in derselben Weise stattgefunden haben dürfte, die das Landesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 95/03 und VfGBbg 96/03 - beanstandet hatte. Ein neues Gesetzgebungsverfahren sei bereits eingeleitet.

B.

I.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist insofern unzulässig, als sie sich auch gegen die in §§ 9 Abs. 2, 31 bis 44 des 6. GemGebRefGBbg bestimmte Auflösung des bisherigen Amtes, gegen – im Rahmen von § 9 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg – die Auflösung der anderen Gemeinden des früheren Amtes in die Stadt Königs Wusterhausen sowie gegen allgemeine Regelungen des Gemeindegebietsreformgesetzes richten soll, denn die Beschwerdeführerin hat ihre Beschwerdebefugnis insoweit nicht dargelegt. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Die Mitteilung der Landesregierung, sie strebe die Einbringung eines Gesetzentwurfes in den Landtag ein, der die verfahrensgegenständliche Neugliederungsentscheidung ersetzen solle, läßt das Rechtschutzbedürfnis jedenfalls solange nicht entfallen, bis eine derartige Neugliederung im Gesetzblatt verkündet ist. Dies ist bisher nicht erfolgt.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hat, soweit sie zulässig ist, in der Sache selbst Erfolg. Ihre Eingliederung in die Stadt Königs Wusterhausen nach § 9 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg ist unter Verletzung der Landesverfassung zustande gekommen.

1. Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV, der zu den Verfassungsbestimmungen mit Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung gehört (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 67/03 -, LKV 2004, 123), schreibt vor, daß vor einer Änderung des Gemeindegebiets die Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete gehört werden muß. Die Vorschrift erfaßt auch die Auflösung einer Gemeinde unter (gänzlichem) Wegfall eines eigenen Gemeindegebietes.

2. Die hier erfolgte Anhörung der Bevölkerung entsprach, soweit es um die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Königs Wusterhausen geht, nicht den Anforderungen, die an eine Anhörung nach Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV zu stellen sind. Eine solche Anhörung setzt mindestens voraus, daß die Bürger des unmittelbar betroffenen Gebietes förmlich Gelegenheit erhalten, sich zu einer konkret vorgesehenen Gebietsänderung oder auch zu mehreren alternativ ins Auge gefaßten Gebietsänderungen zu äußern. Vorliegend ist jedoch zum Thema Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Königs Wusterhausen keine Anhörung der Bevölkerung erfolgt.

Nach den Anhörungsmaterialien zu der örtlichen Neugliederung ging es jedenfalls aus der Sicht der Anhörungsberechtigten - und auf ihre Sicht kommt es an - um die Einbeziehung der Beschwerdeführerin in die seinerzeit angestrebte amtsfreie Gemeinde Unteres Dahmeland.

In der vorangestellten Erläuterung heißt es, Gegenstand der Anhörung sei der Anhörungsentwurf des Innenministeriums „zu dem konkreten Neugliederungsvorschlag“. Mögliche Alternativen waren danach, anders als die Landesregierung in ihrer Stellungnahme anführt, also nicht „Gegenstand“ der Anhörung. Der in den Anhörungsmaterialien auf der zweiten Seite wiedergegebene Text des damaligen Gesetzentwurfes, d.h. der konkrete Neugliederungsvorschlag, stellt ausdrücklich nur eine Regelung vor, nämlich die, welche die Bildung einer amtsfreien Gemeinde „Unteres Dahmeland“ unter Einbeziehung aller dem bislang gleichnamigen Amt angehörenden Gemeinden beinhaltet.

In Teil B der Anhörungsmaterialien („Einzelbegründungen für den konkreten Neugliederungsvorschlag“) ist wiederum für die Beschwerdeführerin als „Neugliederungsvorschlag der Landesregierung“ allein die Einbeziehung in die Gemeinde Unteres Dahmeland genannt. Soweit es dann ganz am Ende des Anhörungsmaterials heißt, daß der Fortbestand des Amts ausscheidet und daß für alle amtsangehörigen Gemeinden des Amtes Unteres Dahmeland „auch die Eingliederung ... in die Stadt Königs Wusterhausen in Betracht“ „kam“, gewinnt dies jedenfalls deshalb keine Bedeutung, weil die Prüfung dieser Variante als abgeschlossen dargestellt und ergänzend verworfen wird, weil der „Abwägungsprozess kein Ergebnis ergibt“, das auf die Eingliederung aller Gemeinden des Amtes in die Stadt Königs Wusterhausen „hindeutet“; u.a. sei raumplanerisch die Bildung der Gemeinde Unteres Dahmeland vorzugswürdig, weil ansonsten der bisher auf eine Nord-Süd-Achse Richtung Wildau ausgerichteten Entwicklung der Stadt Königs Wusterhausen eine nordöstliche Entwicklungsachse vorgegeben würde. Daß nach dem Anhörungsentwurf die Eingliederung aller Gemeinden des Amtes nach Königs Wusterhausen keine realistische Möglichkeit mehr war, zeigt sich auch darin, daß hinsichtlich einer anderen Alternativlösung - die allerdings später nicht Gesetz wurde - ausdrücklich im Anhörungsentwurf mitgeteilt wird, hierfür sei die Prüfung „noch nicht abgeschlossen“; sodann wird unter Hervorhebung im Druckbild der vollständige Wortlaut der für das weitere Gesetzgebungsverfahren im übrigen auch ausdrücklich vorbehaltenen Regelung wiedergegeben. Die Anhörungsberechtigten können aus dieser unterschiedlichen Darstellung der beiden Varianten nur den Schluß gezogen haben, daß zwar mit der Alternativlösung noch gerechnet werden könne, aber die verworfene Variante gerade nicht mehr in Betracht kam. Nachdem das Neugliederungsprojekt in Bezug auf die Beschwerdeführerin eine so wesentliche Änderung (Eingemeindung nach Königs Wusterhausen statt Einbeziehung in eine amtsfreie Gemeinde) erfahren hat, wäre eine erneute Anhörung der Bevölkerung erforderlich gewesen. Davon gehen letztlich auch Landtag und Landesregierung aus, da sie innerhalb eines neuerlichen Gesetzgebungsverfahrens die in Rede stehende Anhörung nochmals durchführen.

Schon aus diesem Grunde erweist sich § 9 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg in Bezug auf die Beschwerdeführerin als verfassungswidrig. Auf Kausalitätsfragen kommt es insoweit nicht an (Beschluß vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 67/03 -, LKV 2004, 123; vgl. auch: StGH BW, DÖV 1976, 245, 246 f).

III.

Das Landesverfassungsgericht hat davon abgesehen, § 9 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg für nichtig zu erklären. Mit der Feststellung der Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung wird dem Gesetzgeber Gelegenheit gegeben, eine Neuregelung zu treffen. Das Gericht hat hierfür eine Frist bestimmt. Für die Übergangszeit bleibt § 9 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg in Geltung. Dabei hat das Gericht gesehen, daß der Gesetzgeber -unabhängig davon, wann das Verfassungsgericht über die kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die hier verfahrensgegenständliche Norm sowie in vergleichbaren Fällen entschieden hat oder entscheidet (vgl. LT-Drucksache 3/7445, S. 2 der Begründung, Allgemeiner Teil) - eine Neuregelung infolge des Landtagsbeschlusses vom 16. Juni 2004 zu einem „Gesetz zur Bestätigung der landesweiten Gemeindegebietsreform nach weiterer Bevölkerungsanhörung“ bereits sehr bald in Kraft zu setzen beabsichtigt und im Hinblick auf die Kürze der Übergangszeit für diese nähere Vollstreckungsanordnungen nicht für erforderlich erachtet.

IV.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg und § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Bei der Entscheidung über die Erstattung der Auslagen war zu berücksichtigen, daß die kommunale Verfassungsbeschwerde teilweise als unzulässig zu verwerfen war.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 Alt. 2 VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
 
Prof. Dr. Will