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VerfGBbg, Beschluss vom 23. Mai 2000 - VfGBbg 13/00 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 9; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1
- StVollzG, § 109; StVollzG, § 110
Schlagworte: - Strafprozeßrecht
- Strafvollstreckungsrecht
- Rechtswegerschöpfung
- Strafvollzugsrecht
- Beschwerdebefugnis
- Begründungserfordernis
- Subsidarität
- Freiheit der Person
- Freiheitsentziehung
- Menschenwürde
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 23. Mai 2000 - VfGBbg 13/00 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 13/00



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

W.,

Beschwerdeführer,

gegen die Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Februar 2000 und 7. März 2000 betreffend die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung sowie gegen Maßnahmen der Leitung der Justizvollzugsanstalt Brandenburg a. d. Havel

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 23. Mai 2000

b e s c h l o s s e n:

Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Aussetzung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung.

I.

Der 1943 geborene Beschwerdeführer wurde am 3. Juli 1995 durch das Landgericht P. wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt. Zuvor war er bereits im Jahre 1972 wegen Unzucht mit einem Kinde in Tateinheit mit Unzucht mit einem Mann unter 21 Jahren zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Strafaussetzung zur Bewährung, im Jahre 1974 wegen homosexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und im Jahre 1989 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit homosexuellen Handlungen und wegen homosexueller Handlungen in zwei Fällen wiederum zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Am 4. Februar 2000 waren zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts P. vom 3. Juli 1995 vollstreckt.

Am 14. September 1999 wurde dem Beschwerdeführer eine Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt B. zur Frage der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgehändigt, in der u. a. ausgeführt wird, daß der Beschwerdeführer bis Februar 2000 begutachtet werden solle, um festzustellen, ob eine Verlegung in den offenen Vollzug und selbständige Vollzugslockerungen in Betracht kämen. Laut Psychologischem Dienst liege bei dem Beschwerdeführer eine verfestigte Pädophilie vor, die im Hinblick auf sein fortgeschrittenes Lebensalter keine gravierenden Änderungen mehr erwarten lasse. Im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit könne nicht verantwortet werden zu erproben, ob der Beschwerdeführer außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen werde.

Am 14. November 1999 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsanwalts von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts P. bei dem Amtsgericht B. angehört. Dabei wurde ihm die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft P. zur Kenntnis gebracht, die eine Strafaussetzung zur Bewährung unter Bezug auf die Einschätzung der Justizvollzugsanstalt nicht befürwortete. In der Anhörung erklärte der Beschwerdeführer ausweislich des Protokolls, daß er “die Pädophilie in einer Klinik in H. durch Hypnose heilen” wolle. Sein Rechtsanwalt regte die Einholung eines Gutachtens an.

Durch Beschluß vom 17. November 1999 lehnte die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ab, da eine bedingte Aussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne. Gleichzeitig stellte die Strafvollstreckungskammer fest, daß ein Antrag auf bedingte Aussetzung der Vollstreckung binnen 6 Monaten unzulässig sei.

Mit Schreiben vom 22. November 1999 bat der Beschwerdeführer die Strafvollstreckungskammer erneut, die Einholung eines Gutachtens anzuordnen. Die Psychologin der Vollzugsabteilung habe in der gesamten Zeit seines Aufenthalts kein Gespräch mit ihm geführt, obwohl er sie darum gebeten habe. Auch die wechselnden Betreuer könnten sich “kein glaubwürdiges Bild” über ihn machen. Die negative Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt hätten Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer ungeprüft übernommen. In den 5 Jahren seiner Inhaftierung habe er Zeit gehabt, über seine Taten nachzudenken und mit seiner Therapeutin darüber zu reden.

In der Folge ließ der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt, eingehend am 23. Dezember 1999, sofortige Beschwerde gegen den Beschluß der Vollstreckungskammer einlegen. Zur Begründung führte der Rechtsanwalt “nach Rücksprache mit dem Mandanten” aus: Die Persönlichkeit des Beschwerdeführers, sein Verhalten im Vollzug und die von der Aussetzung zu erwartenden Wirkungen seien nicht in gebotenem Maße berücksichtigt worden. Die Strafvollstreckungskammer gehe davon aus, daß aufgrund der attestierten verfestigten Pädophilie eine Straffälligkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Dabei bleibe jedoch unberücksichtigt, daß sich der Beschwerdeführer selbstkritisch mit den begangenen Straftaten auseinandersetze. Er habe mehrfach bekundet, daß er sich nach der Entlassung einer therapeutischen Behandlung unterziehen wolle. Die Gesamtbetrachtung der Umstände spreche für eine günstige Sozialprognose. Das Bestehen eines krankhaften Zustandes sei nicht gleichbedeutend mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die sofortige Beschwerde durch Beschluß vom 8. Februar 2000 als unbegründet. Die Aussetzung habe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden können. Gegen den Beschwerdeführer seien zwei einschlägige Vorverurteilungen ergangen. Einen Teil der Taten, deretwegen er vom Landgericht P. am 3. Juli 1995 verurteilt worden sei, habe er in der Bewährungszeit begangen. Der Psychologische Dienst der Justizvollzugsanstalt habe eine verfestigte Pädophilie festgestellt. Gegen eine günstige Prognose spreche auch, daß der Verurteilte bisher keine selbständigen Vollzugslockerungen, sondern allein Ausführungen erhalten habe. Erst im Februar des Jahres solle ein Gutachten erstellt werden, um festzustellen, ob er für eine Verlegung in den offenen Vollzug und für selbständige Vollzugslockerungen geeignet sei. Nach Lage des Falles sei die Bereitschaft des Beschwerdeführers, im Falle einer Entlassung eine Therapie zu beginnen und sich mit seinen Straftaten auseinanderzusetzen, zwar ein für ihn günstiger Anhaltspunkt, aber nicht ausreichend, um darauf eine positive Prognose zu stützen.

Gegen den Beschluß vom 8. Februar 2000 erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellungen, die das Oberlandesgericht durch Beschluß vom 7. März 2000 als unzulässig verworfen hat.

II.

Mit seiner am 21. März 2000 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß “gegen das Grundsatzurteil des BGH”. Jeder Inhaftierte habe das Recht, daß sein Verfahren gewissenhaft durchgeführt werde. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts sowie das Oberlandesgericht seien nicht gewillt, seine Gegendarstellung zu den Ausführungen der in der Justizvollzugsanstalt tätigen Psychologin sowie seine Bemühungen, nach seiner Entlassung ein straffreies Leben zu führen, in den Beschluß einzubringen. Die Psychologin der Justizvollzugsanstalt habe niemals ein persönliches Gespräch mit ihm geführt. Zu ihrer Stellungnahme sei er auch nicht persönlich befragt worden. Das Oberlandesgericht habe auch die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts nicht berücksichtigt, daß es zu den sexuellen Übergriffen nur in Verbindung mit seiner Tätigkeit als Übungsleiter gekommen sei. Ebensowenig sei berücksichtigt worden, daß er bereits seit über 2 Jahren mit einem Sozialarbeiter vom Diakonischen Amt des Ev.-Luth. Kirchenkreises in Briefkontakt stehe und beabsichtige, sich bei einer vorzeitigen Entlassung in der Uni-Klinik K. in hypnotische Behandlung zu begeben.

Mit einer gleichzeitig eingegangenen “Beschwerde” wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine Verfügung der Leitung der Justizvollzugsanstalt, derzufolge Gefangene nach Arzt- oder anderen Besuchen nicht mehr zur Arbeit gelassen würden. Hierdurch gehe ein ganzer Tag Verdienst verloren. Die Anstaltsärzte seien nicht bereit, für die arbeitenden Gefangenen nachmittags eine Sprechstunde einzurichten. Seitens des Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten sei ihm mitgeteilt worden, daß er als Gefangener kein Recht habe, nachmittags zur Arztsprechstunde zu gehen. Hierdurch würden seine Grundrechte verletzt.

III.

Der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im übrigen jedenfalls unbegründet.

I.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen organisatorische Maßnahmen der Leitung der Justizvollzugsanstalt im Zusammenhang mit der Durchführung von Arzt- und Laborbesuchen während der Arbeitszeit richtet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da zufolge § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zunächst der Rechtsweg auszuschöpfen ist. Gegen Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges kann aber nach

§ 109 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) gerichtliche Entscheidung beantragt werden, für die nach § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer zuständig ist.

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß vom 7. März 2000 richtet, mit dem das Brandenburgische Oberlandesgericht die Gegenvorstellungen des Beschwerdeführers gegen den Beschluß vom 8. Februar 2000 als unzulässig zurückgewiesen hat, ist der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß der Beschwerdeführer durch die allein auf verfahrensrechtliche Gesichtspunkte gestützte Entscheidung über die Gegenvorstellung in Grundrechten der Landesverfassung verletzt wird (vgl. zu einem vergleichbaren Fall - Gegenvorstellung gegen unanfechtbares Urteil - BVerfG NJW 1995, 3248).

3. Auch soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Februar 2000 wendet, bestehen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde.

a) Allerdings genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde noch den Anforderungen des § 46 VerfGGBbg. Zwar hat der Beschwerdeführer kein Grundrecht der Landesverfassung genannt, das verletzt sein soll, sondern lediglich einen Verstoß gegen “das Grundsatzurteil des BGH” gerügt und darauf verwiesen, daß jeder Inhaftierte das Recht habe, “daß sein Verfahren gewissenhaft durchgeführt wird”. Indes darf das formale Begründungserfordernis jedenfalls in Fällen, in denen es wie hier um das elementare Menschenrecht der persönlichen Freiheit geht und der erkennbar rechtsunkundige Beschwerdeführer anwaltlich nicht vertreten ist, nicht überspannt werden. Da aus dem Vortrag des Beschwerdeführers eine Bezugnahme auf das Freiheitsgrundrecht des Art. 9 LV sowie die Grundrechte auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV) und auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV) herausgelesen werden kann, sieht das erkennende Gericht die Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde hier noch als gewahrt an.

b) Der Rechtsweg als solcher ist ausgeschöpft. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist nach § 304 Abs. 4 Strafprozeßordnung (StPO) ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.

Unbeschadet dessen erscheint zweifelhaft, ob die Verfassungsbeschwerde nicht unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig ist. Hiernach muß der Beschwerdeführer vor der Anrufung des Verfassungsgerichts alles in seinen Möglichkeiten Stehende unternommen haben, um einer etwaigen Grundrechtsverletzung bereits im fachgerichtlichen Rechtszug entgegenzuwirken. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher regelmäßig auch dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer zwar den Rechtsweg ausgeschöpft hat, er dort jedoch Einwände und Gesichtspunkte, die im späteren Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgetragen werden, nicht geltend gemacht hat (st. Rspr. des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. Beschluß vom 21.08.1997 - VfGBbg 13/97 -, LVerfGE 7, 112, 114 m.w.N.). So liegt es hier, jedenfalls bei formaler Betrachtungsweise, insofern, als der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde - auch - beanstandet, daß er zu der Einschätzung der Psychologin der Justizvollzugsanstalt nicht angehört und seine externe Therapeutin nicht einbezogen worden sei. Diese Gesichtspunkte tauchen in der von dem Verteidiger “nach Rücksprache mit dem Mandanten” abgegebenen schriftsätzlichen Begründung der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht auf. Dort heißt es vielmehr lediglich, daß die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Verhalten im Vollzug und die Wirkungen einer Aussetzung des Strafrests nicht in gebotenem Maße berücksichtigt worden seien und daß die Sozialprognose im Gegensatz zur Bewertung der Strafvollstreckungskammer nach den Gesamtumständen als günstig einzuschätzen sei. Daß der Beschwerdeführer selbst zuvor, und zwar erkennbar vor Erhalt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, in einem Schreiben an die Strafvollstreckungskammer vom 22.11.1999 im Anschluß an die vorangegangene Anhörung nochmals gebeten hatte, ein Gutachten anzuordnen, und in diesem Zusammenhange erwähnt hatte, daß die Psychologin der Justizvollzugsanstalt mit ihm nicht gesprochen habe, “die wechselnden Betreuer” sich “kein glaubwürdiges Bild” von ihm machen könnten und er Gelegenheit gehabt habe, über das “Warum” mit “seiner” (also einer anderen) Therapeutin zu sprechen, diente ersichtlich dem Versuch, noch auf die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer einzuwirken, betraf also noch nicht die Anfechtung der Strafvollstreckungskammer im Wege der sofortigen Beschwerde. Eine solche liegt erst mit dem Schriftsatz des Verteidigers vom 22. Dezember 1999 vor und ist ebenso wie die “nach Rücksprache mit dem Mandanten” mit Schriftsatz vom 13. Januar 2000 abgegebene Begründung, welche auf die hier angesprochenen Gesichtspunkte nicht eingeht, allein von dem Verteidiger zu verantworten. Es versteht sich unter diesen Umständen mindestens nicht von selbst, daß die Ausführungen in dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 22. November 1999 in die - erst anschließend eingelegte - sofortige Beschwerde herüberzuziehen sind.

Die Frage, ob der - hierbei anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer von dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde umsichtig genug Gebrauch gemacht hat, mag aber letztlich dahinstehen, weil die Verfassungsbeschwerde aus den nachfolgenden Gründen jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat.

II.

Die Entscheidung, die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, hält der verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Es kann keine Abstriche davon geben, daß gerichtliche Entscheidungen, die die persönliche Freiheit betreffen, eine der Freiheitsgarantie entsprechende hinreichende tatsächliche Grundlage haben müssen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. Februar 2000 - VfGBbg 39/99 -, zum Abdruck vorgesehen in NStZ-RR 2000, unter Bezugnahme auf BVerfGE 70, 297, 308 und 86, 288, 326 jeweils zu Art. 2 Abs. 2 GG). Unter Einbeziehung der Grundrechte auf Schutz der Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen, die an eine Entscheidung über die Aussetzung einer restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung für den Fall des § 57 a StGB - Aussetzung des Strafrests bei lebenslager Freiheitsstrafe - zu stellen sind, in einem Kammerbeschluß wie folgt zusammengefaßt (Beschluß vom 22.03.1998 - 2 BvR 77/97 - NJW 1998, 2202 f.):

Der Schutz der Menschenwürde setzt auch bei dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten dem effektiven Entzug der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2, 104 GG) Grenzen. Der Schutz der Menschenwürde verpflichtet darüber hinaus die Gemeinschaft, für die Vorbereitung des Verurteilten auf die Entlassung Sorge zu tragen, so daß er nach langem Freiheitsentzug wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben suchen und finden kann (Resozialisierung; Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Begrenzung des Freiheitsentzugs und die Gewährung einer Chance zur Resozialisierung gehören untrennbar zusammen.

Ob im Einzelfall die weitere Vollstreckung einer rechtskräftig ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57 a StGB zur Bewährung auszusetzen ist, ist zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts. Die dem Strafvollstreckungsrichter vor allem abverlangte prognostische Bewertung (§ 57 a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) ist eine ureigene richterliche Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht prüft diese Entscheidung nicht in jeder Hinsicht nach. Es hat jedoch einzugreifen, wenn das zuständige Fachgericht bei der Sachverhaltsfeststellung und -würdigung die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde, der freien menschlichen Persönlichkeit und ihres grundsätzlichen Freiheitsanspruches verkannt hat. ...

Da es sich um Mord (§ 211 StGB) handelt, ist auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit hoch zu veranschlagen. ... Gleichwohl gilt, daß die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren ist; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Vollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, daß der Verurteilte ein neues schweres Verbrechen begehen werde, so kommt eine Aussetzung nicht in Betracht. Umgekehrt schließt die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung “unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit” (§ 57 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB neu) ... es mit ein, daß ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird (...).

Die gebotene prognostische Bewertung verlangt vom Richter eine besonders sorgfältige und eingehende Prüfung aller relevanten Umstände. Das kann nach langjähriger Haft außerordentlich schwierig sein. Je nach den Umständen können Erkenntnisquellen durch die Einholung zusätzlicher ärztlicher Gutachten oder die Befragung des den Verurteilten betreuenden Anstaltspersonals und auch der Seelsorger erschlossen werden. Schließlich vermittelt die persönliche Anhörung dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck. Wie das BVerfG bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat, kommt dem verfahrensrechtlichen Gebot einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung in einem solchen Falle die Bedeutung eines Verfassungsgebotes zu (vgl. BVerfGE 58, 208, 222 f.; 70, 297, 308 ff.).

Diese Grundsätze sind auf die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe (§ 57 StGB) entsprechend anwendbar. Auch hier ist unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde in dem durch das Strafrecht gezogenen Rahmen (hier: § 57 StGB) eine Begrenzung des Freiheitsentzuges im Interesse der Resozialisierung ein Gebot der Verfassung. Berücksichtigung verdient allerdings, daß in den Fällen der lebenslangen Freiheitsstrafe vielfach - so auch in dem Fall, zu dem sich das Bundesverfassungsgericht in der wiedergegebenen Weise geäußert hat (Mord in Tateinheit mit versuchter Notzucht) - eine einmalige und gewissermaßen unwiederholbare

schwere Straftat zugrundeliegen wird, während in den Fällen einer zeitigen Freiheitsstrafe eher in Betracht kommt, daß der Täter wegen gleichartiger Straftaten schon früher Freiheitsstrafen verbüßt hat und sich schon hieraus Rückschlüsse darauf ergeben können, ob - wie es § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB für alle Fälle der §§ 57, 57 a StGB voraussetzt - eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung “unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann”.

2. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts beziehungsweise der deren Entscheidung bestätigende Strafsenat des Oberlandesgerichts begründet die Einschätzung, daß eine Aussetzung des Strafrests unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten sei und deshalb (derzeit) gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu unterbleiben habe, im wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer sei kein “Erstverbüßer”. Er habe bereits früher eine Freiheitsstrafe verbüßt und sei erheblich, insbesondere auch einschlägig, vorbestraft. Einschlägig seien Vorverurteilungen aus dem Jahre 1974 und aus dem Jahre 1989 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Jahres 1989 sei zur Bewährung ausgesetzt und schließlich 1993 erlassen worden. Die der jetzigen Strafverbüßung zugrundeliegenden Straftaten bzw. - wie das Oberlandesgericht korrigiert hat - einen Teil dieser Straftaten habe der Beschwerdeführer noch vor dem Straferlaß begangen. Bei den hier in Frage stehenden Straftaten - sexueller Mißbrauch von Kindern - sei das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit hoch anzusetzen, so daß es einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit bedürfe, daß der Verurteilte nicht erneut straffällig werde. Eine solche Wahrscheinlichkeit sei nicht gegeben, weil der Beschwerdeführer in der Vergangenheit erheblich, einschlägig und mit hoher Rückfallgeschwindigkeit straffällig geworden sei. Es zeichne sich eine verfestigte Neigung zur Begehung einschlägiger Delikte ab. Eine Pädophilie, wie sie der Psychologische Dienst der Justizvollzugsanstalt attestiert habe, habe der Beschwerdeführer seinerseits bestätigt, indem er mitgeteilt habe, daß er sich nach der Entlassung therapieren lassen wolle. Die Bereitschaft hierzu reiche aber, wie das Oberlandesgericht hinzugefügt hat, nicht aus, eine (hinreichend) günstige Prognose zu stützen.

Diese Erwägungen sind nach Lage des Falles, wie ihn das Verfassungsgericht anhand der Straf- und Strafvollstreckungsakten überprüft hat, im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie halten sich - unbeschadet dessen, daß das zusätzliche Abstellen ("zudem") auf die gutachtlich nicht abgesicherte Äußerung des Psychologischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt für sich allein gesehen auf Bedenken stößt - in noch vertretbarer Weise im Rahmen der von dem Strafvollstreckungsrichter als - wie das Bundesverfassungsgericht (s. o.) formuliert - “ureigene richterliche Aufgabe” zu treffenden prognostischen Bewertung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Die einschlägigen Vorverurteilungen, die insgesamt mehr als 25 einschlägige Straftaten betreffen, liefern in der Tat ein Indiz für eine Pädophilie im Sinne einer Neigung zur sexuellen Betätigung an Kindern, die der Beschwerdeführer selbst auch gar nicht in Abrede nimmt, wie sich daraus ergibt, daß er sich nach seiner Entlassung dieserhalb einer Therapie unterziehen will. Von daher besteht - bis zum Abschluß einer erfolgreichen Therapie (wie sie in Form einer Sexual- und Verhaltenstherapie auch der Gutachter in dem zugrundeliegenden Strafprozeß für erforderlich gehalten hat) die hinreichend bestimmte Gefahr, daß der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht erneut der Versuchung zu einschlägigen Straftaten erliegt. Es kommt hinzu, daß der Beschwerdeführer einen Teil der der jetzigen Verurteilung zugrundeliegenden einschlägigen Straftaten in einem Zeitraum begangen hat, in dem er nach einer Verurteilung zu entsprechenden Straftaten unter Bewährung stand, sich also selbst unter dem Druck eines Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nicht straffrei zu führen vermocht hat. An die seinerzeitigen Bewährungsauflagen hat er sich auch insoweit nicht gehalten, als er sich auflagenwidrig durch die abermalige Betätigung als “Trainer” einer Kinderfußballmannschaft wieder mit Kindern in Kontakt gebracht hat. Im übrigen ist es aber auch nicht etwa so, daß die pädophilen Straftaten des Beschwerdeführers - wie er, einen Teilkomplex in bedenklicher Weise verdrängend, geltend macht - allein mit seiner Tätigkeit als Betreuer einer Kinderfußballmannschaft zusammengehangen hätten. Vielmehr betrafen ausweislich des zugrundeliegenden Urteils des Landgerichts P. etwa die Hälfte der ausgeurteilten 21 Straftaten unzüchtige Handlungen an dem (damals) elfjährigen Kind derjenigen Familie, in der der Beschwerdeführer Aufnahme gefunden hatte.

Insbesondere angesichts der Vielzahl und sich über Jahre hinweg wiederholender einschlägiger Straftaten, die sich der Beschwerdeführer in der Vergangenheit hat zuschulden kommen lassen, erscheint die von dem Strafsenat des Oberlandesgerichts bestätigte Einschätzung der Strafvollstreckungskammer, daß eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung jedenfalls derzeit “unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann” (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB), hinreichend abgesichert. Es kommt hinzu, daß eine Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren wegen in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneter Straftaten - nämlich wegen

§ 176 Abs. 1 StGB - zugrundeliegt. Für diese Straftaten hat der Gesetzgeber durch § 66 Abs. 3 Satz 1 zum Ausdruck gebracht, daß ein erhöhtes Sicherheitsinteresse besteht. In diesen Fällen wird daher eine Aussetzung des Strafrests im allgemeinen schon dann ausscheiden, wenn nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen, es sei denn ein Sachverständigengutachten ergibt, daß bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß seine in der Tat zutagegetretene Gefährlichkeit andauert. Damit ist selbst bei positiver Sozialprognose - wie sie hier derzeit nicht gegeben ist (s. o.) - praktisch kein Spielraum für eine vorzeitige Entlassung ohne entsprechendes Sachverständigengutachten (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. Rn. 13 a a.E. sowie OLG Frankfurt/Main StV 1998, 500 f.). Da ein dahingehendes Sachverständigengutachten nicht vorlag, ergibt sich auch von daher, daß vorliegendenfalls eine Aussetzung des Strafrests nach Verbüßung von _ der Strafe - hier: zum 4. Februar 2000 - nicht erfolgen konnte.

Soweit das Oberlandesgericht g e g e n eine g ü n s t i g e Prognose ergänzend darauf abstellt, daß der Beschwerdeführer bisher noch keine selbständigen Vollzugslockerungen erhalten habe, ist auch das nicht zu beanstanden. Zwar darf es sich nicht zulasten des Verurteilten auswirken, daß ihm - womöglich zu Unrecht - keine Vollzugslockerungen gewährt worden sind (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. Rn. 6). Jedoch entgehen ihm gegebenenfalls Erkenntnisse, die nach erfolgreichen Vollzugslockerungen f ü r eine günstige Sozialprognose sprechen können. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu in der oben bereits zitierten Entscheidung im Anschluß an die wiedergegebene Passage aus:

Für den Richter erweitert sich die Basis der prognostischen Beurteilung, wenn dem Gefangenen Vollzugslockerungen gewährt worden sind. Dieser erhält Gelegenheit, sich in der Wahrnehmung der gewährten Vollzugslockerungen zu bewähren; sein hierbei an den Tag gelegtes Verhalten ist “Verhalten im Strafvollzug” i.S. des § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Vollzugslockerungen machen es dem Gefangenen darüber hinaus möglich, nach langem Freiheitsentzug wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben zu suchen und zu finden. Je nach dem Erfolg dieser Orientierungssuche stellen sich die Lebensverhältnisse des Gefangenen und die von der Aussetzung der Strafvollstreckung für ihn zu erwartenden Wirkungen günstiger oder ungünstiger dar.

3. Die Strafvollstreckungskammer wird im weiteren Verlauf erneut zu prüfen haben, ob nicht doch Anlaß besteht, sich gutachtlich, gegebenenfalls auch unter Einholung einer Auskunft der von dem Beschwerdeführer offenbar zugezogenen externen Therapeutin, dazu beraten zu lassen, ob dem Beschwerdeführer unter dem Eindruck des Vollzuges einschließlich etwaiger Vollzugslockerungen und gegebenenfalls als Ergebnis eines Prozesses von Einsicht und Verarbeitung zu einem späteren Zeitpunkt ein Teil der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Frist, für die die Strafvollstreckungskammer einen Antrag auf bedingte Aussetzung der Vollstreckung für unzulässig erklärt hat, ist inzwischen abgelaufen.

III.

Eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe erübrigt sich.

IV.

Die Entscheidung ist mit 7 gegen 1 Stimme ergangen.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Will