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VerfGBbg, Beschluss vom 23. Mai 1996 - VfGBbg 9/95 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 41 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2;
- GG, Art. 14
Schlagworte: - Begründungserfordernis
- Subsidiarität
- Zivilprozeßrecht
amtlicher Leitsatz:
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 23. Mai 1996 - VfGBbg 9/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 9/95



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

S.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin R.,

betreffend die Zurückweisung der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens durch Beschluß des Amtsgerichts Potsdam vom 18. Januar 1995 und des Landgerichts Potsdam vom 3. April 1995

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Knippel, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg, Prof. Dr. Schröder und Weisberg-Schwarz

am 23. Mai 1996

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

G r ü n d e :

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung eines Antrages auf Durchführung eines selbständigenBeweisverfahrens.

I.

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der Grundstücke S.-Straße 35, 37 und 39 in F. Die Grundstücke wurden bis 1992 in Abwesenheitspflegschaft von der Gemeinnützigen Gebäudewirtschaft F. GmbH verwaltet.

Auf dem Grundstück S.-Straße 39 befindet sich - mindestens seit 1983 - u.a. ein Trafohaus, das eine Grundfläche von ca. 10 qm einnimmt; Betreiber ist die M.-AG.

Nachdem die Beschwerdeführerin zunächst ohne Erfolg versucht hatte, von der M.-AG Unterlagen über eine Genehmigung für den Betrieb des Trafohauses sowie Lagepläne über etwaige, über ihr Grundstück verlaufende Leitungen und Kabel zu erhalten, erhob sie gegen diese im Februar 1994 Klage auf Beseitigung des Trafohauses vor dem Amtsgericht Potsdam. Die beklagte M.-AG wies in ihrer damaligen Klageerwiderung auf § 9 Abs. 1 S. 1 des Grundbuchbereinigungsgesetzes (Art. 2 des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.12.1993, BGBl. I S. 2182, 2192 - GBBerG -) hin und vertrat dazu die Auffassung, aus dieser Vorschrift ergebe sich die Pflicht der Beschwerdeführerin und damaligen Klägerin, das Trafohaus zu dulden. Im anschließenden Termin zur mündlichen Verhandlung nahm die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Klage vor dem Amtsgericht zurück, da sie nicht habe “nachweisen“ können, “daß eine Duldungspflicht nicht besteht“.

In der Folgezeit forderte die Beschwerdeführerin die M.-AG abermals vergeblich auf, ihr u.a. den Zeitpunkt der Errichtung des Trafohauses, die Anschlußnehmer und den Verlauf der entsprechenden Leitungen mitzuteilen. Im Dezember 1994 stellte sie sodann bei dem Amtsgericht Potsdam Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die M.-AG und machte dabei im wesentlichen die zuvor an die M.-AG gerichteten Fragen - teilweise erweitert und vertieft - zum Gegenstand des Beweisantrages. Das Amtsgericht Potsdam wies den Antrag durch Beschluß vom 18. Januar 1995 zurück. Das Begehren sei nicht zulässig, da weder ein Beweissicherungsinteresse noch ein sonstiges rechtliches Interesse der Antragstellerin erkennbar sei. Der Antrag laufe lediglich auf eine Ausforschung hinaus. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht Potsdam durch Beschluß vom 3. April 1995 zurück. Es stützte seine Entscheidung im wesentlichen darauf, daß eine Gefahr, ein Beweismittel zu verlieren, nicht bestehe, und daß die von ihr aufgestellten Beweisfragen auch im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens auf Räumung des Grundstücks geklärt werden könnten, ohne daß die Antragstellerin hierdurch Nachteile erleide.

II.

Mit ihrer am 23. Mai 1995 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres “Eigentumsrecht(s) gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes“.

Sie ist der Auffassung, nach den zurückweisenden Beschlüssen sei sie rechtlich nicht in der Lage, einer etwaigen unzulässigen Nutzung ihres Grundstücks entgegenzutreten. Sie könne nun über die Frage, ob ihr Eigentum berechtigt oder unberechtigt genutzt werde, keine Beweise mehr erlangen. Hieraus ergebe sich ein entsprechendes, aus ihrem Eigentumsgrundrecht fließendes rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Ein solches rechtliches Interesse folge zudem aus dem Umstand, daß sie ohne fehlende Kenntnis von Anzahl und Lage der im einzelnen verlegten Leitungen den Beleihungswert ihres Grundstückes nicht ermitteln könne.

Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Präsident des Landgerichts Potsdam Stellung genommen. Eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin sei in der hier erfolgten Anwendung des § 485 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht zu sehen. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens seien nicht gegeben.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

I.

Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres aus Art. 14 Grundgesetz (GG) fließenden Eigentumsgrundrechts beanstandet, hat die Verfassungsbeschwerde schon deswegen keinen Erfolg, weil eine Verletzung von Normen des Bundesverfassungsrechts vor dem Verfassungsgericht des Landes nicht rügefähig ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht des Landes ist nach § 45 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg), daß sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Verletzung eines ‘in der Verfassung gewährleisteten“ Grundrechtes richtet (vgl. Beschluß des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 -‚ NJW 1995, 1018, 1019, zur Veröffentlichung in LVerfGE 2, Teil Brandenburg Nr. 12 vorgesehen).

Der Sachvortrag der Beschwerdeführerin trifft thematisch allerdings (auch) das in der Brandenburgischen Verfassung gewährleistete Grundrecht auf Eigentum aus Art. 41 Abs. 1 Landesverfassung (LV). Daß die Beschwerdeführerin diesen Artikel der Landesverfassung nicht ausdrücklich genannt hat, steht einer Sachentscheidung des Landesverfassungsgerichts nicht entgegen, weil ihre Ausführungen ergeben, daß sie sich in dieser Hinsicht in ihren Rechten verletzt fühlt. Dies reicht für die Erfüllung der formalen Erfordernisse des § 46 VerfGGBbg, wonach u.a. das als verletzt angesehene Grundrecht anzugeben ist, noch aus (vgl. schon Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 21. August 1995 - VfGBbg 8/95 -‚ Seite 4f. des Umdrucks).

II.

Soweit der Sachvortrag den formalen Anforderungen genügt, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde indes der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Zwar hat die Beschwerdeführerin den Rechtsweg im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 1 VerfGGBbg erschöpft, da gegen die hier mit angegriffene Entscheidung des Landgerichts vom 3. April 1995 im selbständigen Beweisverfahren ein (weiteres) Rechtsmittel nicht gegeben ist (vgl. § 567 Abs. 3 S. 1 ZPO) . Der ebenfalls in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg verankerte Grundsatz der Subsidiarität verlangt allerdings von einem Beschwerdeführer, daß dieser - über eine bloße Rechtswegerschöpfung im bereits durchgeführten Verfahren hinaus - alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder zu verhindern. Er muß daher vor Anrufung des Verfassungsgerichts nicht nur im strengen Sinne den Rechtsweg ausschöpfen, sondern alle nach Lage der Dinge ihm gegebenenfalls zur Verfügung stehenden - insbesondere prozessualen - Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung ergreifen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. März 1994 - VfGBbg 11/93 -‚ 5. 4 des Umdrucks, zur Veröffentlichung in LVerfGE 2, Teil Brandenburg Nr. 1 vorgesehen; Beschluß vom 16. November 1995 - VfGBbg 15/95 -‚ 5. 4 des Umdrucks). Der Subsidiaritätsgrundsatz dient einer sachgerechten Aufgabenverteilung zwischen dem Verfassungsgericht und den Fachgerichten. Demnach obliegt es vorrangig den Fachgerichten, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen und die zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermittlungen sowie die Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. Beschluß vom 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/94 -‚ GewArch 1995, 414, 415; Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 -‚ UPR 1995, 353; Beschluß vom 16. November 1995 - VfGBbg 15/95 -, a.a.O.). Nach diesen Grundsätzen kann sich die Beschwerdeführerin vorliegendenfalls nicht in zulässiger Weise an das Verfassungsgericht wenden. Sie kann ihre Rechtsschutzziele - nämlich letztlich Beseitigung des Trafohauses (dazu unter 1.), gegebenenfalls auch unabhängig davon Auskunft über den Umfang der Inanspruchnahme ihres Grundstücks durch Leitungen oder Kabel (dazu unter 2.) - nach wie vor in zumutbarer Weise vor den ordentlichen Gerichten verfolgen.

1. Die Beschwerdeführerin kann zunächst (erneut) Klage gegen die M.-AG auf Beseitigung des Trafohauses vor dem zuständigen Amtsgericht erheben. Die erstmalige Klage in dem Verfahren 21 C 114/94 stünde dem nicht entgegen, da die Beschwerdeführerin diese seinerzeit zurückgenommen hat. Bei einer Klagerücknahme gilt die Sache rückwirkend als nicht anhängig geworden; die Dinge sind so zu sehen, als hätte die Beschwerdeführerin eine entsprechende Klage (noch) nicht erhoben (vgl. dazu u.a. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl. 1996, § 269 ZPO, Rdn. 32). Die rechtliche Grundlage für den von der Beschwerdeführerin geltend zu machenden prozessualen Anspruch auf Beseitigung ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - (vgl. grundlegend BGHZ 66, 37, 39 sowie für vergleichbare Fälle OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, 1208; OLG Köln, NJW-RR 1991, 99). Anders als die Beschwerdeführerin meint, hätte sie im Rahmen eines solchen Prozesses allerdings keinesfalls darzutun und - im Bestreitensfalle - etwa zu beweisen, daß sie nicht verpflichtet sei, das Trafohaus gegebenenfalls zu dulden. Eine Duldungspflicht findet ihre Grundlage in § 1004 Abs. 2 BGB. Hierbei entspricht es annähernd einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, daß die Beweislast - und damit auch die Darlegungslast - für die eine solche Duldungspflicht ergebenden Umstände der Störer, also der Beklagte einer actio negatoria - hier die M.-AG - trägt (vgl. bereits RGZ 144, 268, 271, 273, davor schon RG Wann 1908 Nr. 641 und SeuffA 90 - 1936 - Nr. 8; nunmehr BGH NJW 1989, 1032; aus der Literatur statt vieler Staudinger, Kommentar zum BGB, Drittes Buch, 12. Auflage 1989, § 1004 BGB, Rdn. 174; Medicus, in: Münchener Kommentar, Sachenrecht, 2. Auflage 1986, § 1004 BGB, Rdn. 88; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band 2, 1985, § 1004, Rdn. 26). Damit wäre es Sache der M.-AG, im Rahmen des den Zivilprozeß beherrschenden Beibringungsgrundsatzes diejenigen Umstände - quasi “zu ihrer Verteidigung“ - (substantiiert) vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich eine Pflicht zur Duldung des Trafohauses herleiten ließe; dies betrifft zumindest teilweise Umstände, um deren Ermittlung sich die Beschwerde-führerin hier im Wege des selbständigen Beweisverfahrens bemüht hat.

Bei einer solchen Klage wird das Amtsgericht - je nach Sachvortrag der Parteien, hier insbesondere dem der M.-AG - gegebenenfalls auch zu prüfen haben, welche Norm Grundlage für eine entsprechende Duldungspflicht sein kann. Neben dem seinerzeit von der M.-AG angeführten § 9 Abs. 1 Satz 1 GBBerG, der für gewisse Energiefortleitungsanlagen die kraft Gesetzes bewirkte Entstehung beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten vorsieht, wird das Amtsgericht mit Blick auf die in § 9 Abs. 2 GBBerG vorgenommene Abgrenzung zu Duldungspflichten aus der Verordnung über All-gemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden - AVBEltV - vom 21. Juni 1979 (BGB1. 1 S. 684) gegebenenfalls auch die Anwendbarkeit dieses Regelungswerkes zu überprüfen haben. Gegenstand gerade einer fach-gerichtlichen Klärung ist hierbei auch die Frage, ob eine Duldungspflicht auch angenommen werden kann, wenn - wie die Beschwerdeführerin seinerzeit vorgetragen hat - das Trafohaus zu Zeiten der ehemaligen DDR ohne die erforderlichen Genehmigungen errichtet worden ist.

2. Soweit die Beschwerdeführerin mit dem selbständigen Beweisantrag Fragen aufgeworfen hat, deren Gegenstand in einem auf Beseitigung des Trafohauses gerichteten Prozeß möglicherweise keine Rolle spielen - zu denken ist etwa an die Frage nach dem Verlauf einzelner Leitungen oder Kabel -‚kann sie diese gegebenenfalls im Wege einer eigenständigen Klage auf Erteilung von Auskunft gegen die M.-AG geltend machen. Bei der etwaigen Erhebung einer hierauf gerichtete Klage wird das anzurufende Fachgericht zu klären haben, mit welchem Ziel die Auskunftserteilung letztlich geltend gemacht wird. Hiernach wird es in Erwägung ziehen, ob das Begehren nach den Grundsätzen über den präparatorischen Auskunftsanspruch - zur Vorbereitung einer entsprechenden Beseitigungsklage - zu behandeln ist (dazu RGZ 158, 377, 379; BGH DB 1972, 621, 622; umfassend zu den Grundlagen und Voraussetzungen eines solchen Anspruchs Winkler von Mohrenfels, Abgeleitete Informationspflichten im deutschen Zivilrecht, 1986, 30 ff.) oder jedenfalls (sonst) auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242 BGB) Erfolg haben kann; an das Bestehen einer Auskunftspflicht ist hiernach zu denken, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, daß der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der Verpflichtete die entsprechende Auskunft unschwer erteilen kann (vgl. BGHZ 10, 385, 387; 81, 21, 24; BGH NJW 1995, 386, 387; zur Auskunftspflicht eines Energieversorgungsunternehmens in diesem Zusammenhang auch LG Berlin, NJW 1982, 2782).

Dr. Knippel Dr. Dombert
Prof. Dr Harms-Ziegler Prof. Dr. Mitzner
Prof. Dr. Schöneburg Prof. Dr. Schröder
Weisberg-Schwarz