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VerfGBbg, Beschluss vom 22. März 2019 - VfGBbg 3/19 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 12 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1
- ZPO, § 406 Abs. 1; ZPO, § 42 Abs. 2

Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unbegründet
- Ablehnung wegen Befangenheit
- Sachverständiger
- Willkür
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 22. März 2019 - VfGBbg 3/19 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 3/19




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

1.      B.,

2.      B.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter              Rechtsanwalt N.,

 

wegen Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 17. Dezember 2018 (2 T 109/18); Zwangsversteigerungsverfahren bei dem Amtsgericht Neuruppin (7 K 125/10)

           

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 22. März 2019

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Kirbach, Partikel und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen Sachverständigen.

 

A.

I.

Die Beschwerdeführer sind an einem im Landgerichtsbezirk Neuruppin belegenen Grundstück erbbauberechtigt. In das Erbbaurecht wird seit dem Jahr 2010 die Zwangsvollstreckung betrieben. Die Beschwerdeführer beantragten zuletzt mehrfach erfolglos Vollstreckungsschutz wegen erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin zu 1. Hierzu holte das Amtsgericht im Laufe des Verfahrens bereits Sachverständigengutachten ein.

 

Das Amtsgericht Neuruppin wies im Mai 2017 einen weiteren Vollstreckungsschutzantrag (§ 765a ZPO) der Beschwerdeführer zurück. Die geltend gemachte Gefährdung von Gesundheit und Leben der Beschwerdeführerin zu 1. sei allein durch die Fortführung des Verfahrens noch nicht gegeben. Eine erneute ärztliche Untersuchung der Beschwerdeführerin zu 1. sei entbehrlich.

 

Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer hob das Landgericht Neuruppin diese Entscheidung im Oktober 2017 auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zurück. Ohne die erneute Einholung eines Sachverständigengutachtens könne nicht ausgeschlossen werden, dass schon die bloße Fortsetzung des Verfahrens eine konkrete Gefahr für das Leben der Beschwerdeführerin zu 1. darstelle.

 

Den daraufhin durch das Amtsgericht beauftragten Sachverständigen lehnten die Beschwerdeführer erstmals schon vor der Begutachtung der Beschwerdeführerin zu 1. erfolglos ab. Der Sachverständige erstattete auf Grundlage einer am 27. Juni 2018 durchgeführten Untersuchung der Beschwerdeführerin zu 1. und diverser medizinischer Unterlagen unter dem 17. Juli 2018 ein neurologisch-psychologisches Gutachten. Daraufhin lehnten die Beschwerdeführer den Sachverständigen mit Schriftsatz vom 31. August 2018 erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab und widersprachen der Verwertbarkeit des Gutachtens. Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs führten sie unter anderem folgende Passage aus dem Gutachten zum psychiatrischen Befund der Beschwerdeführerin zu 1. an (dort S. 9 f.): „Es bestehen jedoch inhaltliche Denkstörungen mit Vorstellungen dass Untersucher wie auch Richter gegen sie voreingenommen seien (siehe auch die Befangenheitsanträgen) und willkürlich erscheinenden Zusammenhangssetzungen. Ein Wahnsystem ist allerdings nicht erkennbar.“ Bei einem Sachverständigen, der einen Befangenheitsantrag als Folge einer inhaltlichen Denkstörung ansehe, bestehe die Besorgnis der Voreingenommenheit. Dies ergebe sich auch selbständig daraus, dass der Sachverständige die Beschwerdeführerin zu 1. bei der Untersuchung mit seiner Erwartungshaltung bedrängt habe, ein Umzug in eine andere Wohnung oder in ein Heim stelle eine Lösung dar.

 

Das Amtsgericht Neuruppin wies das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 4. Oktober 2018 nach Anhörung des Sachverständigen als unbegründet zurück.

 

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht Neuruppin mit Beschluss vom 17. Dezember 2018 (2 T 109/18) zurück und ließ die Rechtsbeschwerde nicht zu. Dies begründete das Landgericht im Wesentlichen wie folgt: Das Ablehnungsgesuch sei verfristet, soweit es sich auf das Verhalten des Sachverständigen während des Explorationsgesprächs beziehe, da die Ablehnungsgründe nicht unverzüglich vorgetragen worden seien, zudem aber unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Sachverständigen auch unbegründet. Es sei nicht ersichtlich, dass die von den Beschwerdeführern möglicherweise als provokant empfundenen Fragen des Sachverständigen für die gutachterliche Beurteilung wertlos gewesen seien, um die Reaktion der Beschwerdeführerin zu 1. hierauf festzustellen. In Bezug auf den gegen ihn gestellten früheren Befangenheitsantrag bringe er lediglich zum Ausdruck, dass das subjektive Empfinden der Beschwerdeführerin nicht im Einklang mit dem Ergebnis stehe, welches sich gemäß der aus der Akte ergebenden Beschlusslage bzw. der sonstigen Sachlage zeige. Dass der Sachverständige darauf in seiner ergänzenden Stellungnahme nicht eingegangen sei, begründe die Besorgnis der Befangenheit nicht.

 

Das Amtsgericht Neuruppin wies daraufhin den Vollstreckungsschutzantrag der Beschwerdeführer am 25. Januar 2019 erneut als unbegründet zurück. Über die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde ist noch nicht entschieden.

 

II.

Am 30. Januar 2019 haben die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 17. Dezember 2018 Verfassungsbeschwerde erhoben und zudem im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens beantragt. Sie rügen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 LV und Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV.

 

Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend: Die Ausführungen des Sachverständigen auf S. 9 des Gutachtens könnten auch von einer ruhig und vernünftig denkenden Partei dahingehend verstanden werden, dass dem Gutachten die Vorstellung zugrunde liege, ein zulässig gestellter Befangenheitsantrag lasse den Schluss auf eine inhaltliche Denkstörung zu. Unabhängig davon ergebe sich die Voreingenommenheit des Sachverständigen aus dessen dem Gutachten zugrunde gelegter Erwartungshaltung, die Beschwerdeführerin zu 1. solle von sich aus nach einer anderen Wohnung oder einem Heimplatz suchen. Hiermit habe der Sachverständige die Beschwerdeführerin zu 1. im Verlauf der Untersuchung wiederholt bedrängt. Die Ansicht des Landgerichts, die beanstandeten Fragen könnten sich unter Umständen für die gutachtliche Beurteilung als wertvoll erweisen, verkenne den anzuwendenden Prüfungsmaßstab.

 

III.

Das Amtsgericht Neuruppin, das Landgericht Neuruppin und der Gläubiger des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrens-akten sind beigezogen worden.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet, sodass es keiner Entscheidung bedarf, ob die Beschwerdeschrift noch den sich aus § 20 Abs. 1, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) ergebenden Anforderungen an die Begründung genügt (vgl. dazu Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

 

Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Neuruppin verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Gleichheit vor Gericht in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV), wobei diese Norm im Verhältnis zu dem ebenfalls als verletzt bezeichneten allgemeinen Willkürverbot des Art. 12 Abs. 1 LV für das gerichtliche Verfahren spezieller und damit vorrangig ist (vgl. hierzu Beschluss vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 33/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

I.

Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und daher der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot in Betracht. Eine gerichtliche Entscheidung verstößt jedoch nicht bereits bei jeder fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts gegen das Willkürverbot, sondern erst, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar und damit schlechthin unhaltbar ist. Sie muss Ausdruck einer objektiv falschen Rechtsanwendung sein, die jeden Auslegungs- und Beurteilungsspielraum außer Acht lässt und ganz und gar unverständlich erscheint. Diese Voraussetzungen liegen unter anderem dann vor, wenn sich ein Gericht mit seiner rechtlichen Beurteilung ohne nachvollziehbare Begründung in Widerspruch zu einer durch Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Rechtslage setzt oder das Gericht den Inhalt einer Norm krass missdeutet, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht. Von einer willkürlichen Missdeutung kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn sich das Gericht eingehend mit der Rechtslage auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 20. Oktober 2017 - VfGBbg 20/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

 

II.

Ausgehend von diesem Maßstab ist der Beschluss des Landgerichts über die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht willkürlich. Die angegriffene Entscheidung erweist sich hinsichtlich der beiden mit der Verfassungsbeschwerde in Bezug genommenen Ablehnungsgründe als nicht unvertretbar.

 

1. Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Ein Richter kann nach § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden als Ablehnungsgrund aus. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt der „böse Schein“, d. h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 2016 - VfGBbg 18/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BayVerfGH, Entscheidung vom 13. August 1992 - Vf. 105-VI-91 -, juris; BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2017 - VI ZB 31/16 -, Rn. 8, juris, und vom 14. März 2003 - IXa ZB 27/03 -, NJW-RR 2003, 1220).

 

2. Dass das Landgericht dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht gefolgt ist, die Befangenheit des Sachverständigen ergebe sich bereits aus dessen bei der Untersuchung zu Tage getretenen Erwartungshaltung , die Beschwerdeführerin zu 1. solle umziehen, ist frei von Willkür. Die vom Landgericht gegebene tragende Begründung, der Befangenheitsantrag sei verspätet, soweit er an das Verhalten des Sachverständigen während der Untersuchung der Beschwerdeführerin zu 1. anknüpft, steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Danach ist ein sich aus einer ärztlichen Untersuchung ergebender Befangenheitsgrund entsprechend § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB - nicht erst nach Bekanntgabe des schriftlichen Gutachtens - geltend zu machen (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juni 2013 - 10 W 29/13 (Abl) -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Juni 2012 - 7 W 48/12 -; Bayerisches LSG, Beschlüsse vom 1. Februar 2010 - L 2 R 663/09 B -, vom 10. März 2010 - L 2 VS 14/09 B - und vom 22. November 2010 - L 2 SF 271/10 B -, juris; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. November 2009 - L 12 B 57/09 SO -, Rn. 28, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 23. Februar 2009 - 11 B 07.30511 -, Rn. 9, juris; offen gelassen: OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Februar 2010 - 8 W 7/10 -, Rn. 8, juris). Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Sachverständige die von den Beschwerdeführern beanstandeten Aussagen im Gutachten wiedergibt.

 

3. Ebenso wenig erweist sich als willkürlich, dass das Landgericht in der Bezugnahme des Sachverständigen auf Befangenheitsanträge keinen Ablehnungsgrund zu erkennen vermochte.

 

Das Landgericht entnimmt dem Sachverständigengutachten (dort S. 9) in Bezug auf die beanstandete Textpassage die Aussage, das subjektive Empfinden der Beschwerdeführerin zu 1. stehe nicht im Einklang mit dem Ergebnis, welches sich in der aus der Akte ergebenden Beschlusslage bzw. der sonstigen Sachlage zeige. Diese Auslegung des Gutachtentextes erscheint mindestens vertretbar. Bei kontextbezogener Betrachtung der dem Ablehnungsgesuch zugrunde gelegten Textpassage tritt deutlich hervor, dass der Sachverständige den psychiatrischen Befund, die Beschwerdeführerin leide an einer inhaltlichen Denkstörung, aus den im Rahmen der Begutachtung der Beschwerdeführerin zu 1. gewonnenen Erkenntnissen - nicht aber aus einem oder mehreren Befangenheitsanträgen - hergeleitet hat. Der in Klammern eingefügte Verweis auf Befangenheitsanträge stellt sich lediglich als erläuternder Zusatz dar, wonach solche Anhaltspunkte für eine Denkstörung bieten könnten, ohne dass bei der Beschwerdeführerin ein Wahnsystem erkennbar sei. Die demgegenüber von den Beschwerdeführern vorgenommene Interpretation, das Anbringen eines erfolglosen Ablehnungsgesuchs begründe nach Auffassung des Sachverständigen eine Denkstörung, verkürzt den objektiven Aussagegehalt des Sachverständigengutachtens. Begegnet das Textverständnis des Landgerichts demnach keinen durchgreifenden Bedenken, erscheint auch seine Schlussfolgerung nachvollziehbar, es liege keine Besorgnis der Befangenheit vor.

 

C.

Mit der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dresen Dr. Finck
   
Kirbach Partikel
   
Dr. Strauß