VerfGBbg, Beschluss vom 22. Januar 2004 - VfGBbg 281/03 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV Art. 52 Abs. 3 - VerfGGBbg, § 45 Abs. 1 - ZPO, § 85 Abs. 2 |
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Schlagworte: | - Arbeitsrecht - Beschwerdebefugnis - Willkür - rechtliches Gehör - Bundesrecht - Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 22. Januar 2004 - VfGBbg 281/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 281/03

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In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren FC E. e. V., Beschwerdeführer, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwalt S., gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichtes
Brandenburg vom 11. September 2003 hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 22. Januar 2004 b e s c h l o s s e n : Die Verfassungsbeschwerde wird teilweise verworfen, im übrigen zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 11. September 2003, durch den der Sache nach eine Kündigungsschutzklage gegen den Beschwerdeführer im arbeitsgerichtlichen Verfahren als rechtzeitig erhoben angesehen wurde.
Der Beschwerdeführer ist Beklagter in einem Kündigungsschutzprozeß vor dem Arbeitsgericht Cottbus. Streitgegenstand war zunächst die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung vom 06. Dezember 2002. Der Beschwerdeführer sprach ferner unter dem 11. Dezember 2002 eine weitere fristlose außerordentliche Kündigung aus, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens ausweislich der Postzustellungsurkunde am 14. Dezember 2002 zugestellt wurde. Wegen einer Fehlinformation einer Angestellten des Beschwerdeführers führte dessen Prozeßbevollmächtigter durch Schriftsatz vom 16. Dezember 2002 die weitere Kündigung als auf den 10. Dezember 2002 datiert und am 16. Dezember 2002 zugestellt in den arbeitsgerichtlichen Prozeß ein. Hierauf erweiterte der Kläger seine Kündigungsschutzklage unter dem 30. Dezember 2002 auf die (vermeintliche) Kündigung vom 10. Dezember 2002. Der Kläger trug am 24. Januar 2003 im Gütetermin vor, daß er eine Kündigung mit Datum 11. Dezember 2002 nicht erhalten habe. Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2003 berichtigte der Kläger nach schriftsätzlicher Klarstellung durch den Beschwerdeführer seinen Vortrag dahingehend, daß mit der Klageerweiterung allein die Kündigung vom 11. Dezember 2002 gemeint sei und beantragte insoweit unter dem 06. März 2003 hilfsweise die nachträgliche Klagezulassung. Das Arbeitsgericht hielt die nachträgliche Klagezulassung durch Beschluß vom 28. März 2003 wegen Verfristung für unzulässig. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hob das Landesarbeitsgericht durch Beschluß vom 11. September 2003, dem Beschwerdeführer am 16. September 2003 zugestellt, den arbeitsgerichtlichen Beschluß auf. Es komme auf die nachträgliche Klagezulassung nicht an, da mit der Klageerweiterung vom 30. Dezember 2002 die Kündigung vom 11. Dezember 2002 gemeint gewesen sei. Habe das Arbeitsgericht daher zu Unrecht die Verspätung angenommen, sei der dahingehende Beschluß aufzuheben. Die datumsmäßige Fehlbezeichnung der Kündigung (10. statt 11. Dezember) stehe dem nicht entgegen. Es sei unstreitig, daß neben der Kündigung vom 06. Dezember 2002 eine weitere Kündigung, die bis zu diesem Zeitpunkt gerichtlich nicht angegriffen worden sei, existiere.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 14. November 2003 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Art. 52 Abs. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) - Gleichheit - und von Art. 52 Abs. 3 LV i.V.m. Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - rechtliches Gehör - sowie des Willkürverbotes. Der angegriffene Beschluß berücksichtige nicht hinreichend, daß die Fehlinformation über das Datum der Kündigung von einer nicht vertretungsberechtigten Angestellten des Beschwerdeführers stamme. Ferner sei die Entscheidung willkürlich, da die Grenzen der zulässigen Auslegung der Klageerweiterung vom 02. Januar 2003 überschritten worden seien. Die Klageerweiterung sei durch die genaue Bezeichnung des Datums der Kündigung individualisiert und einer Auslegung insoweit nicht zugänglich. Ferner habe der Kündigungsschutzkläger im Gütetermin vorgetragen, die zweite Kündigung nicht erhalten zu haben. Das Landesarbeitsgericht Brandenburg und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten wurden beigezogen.
Die Verfassungsbeschwerde ist nur zum Teil zulässig. 1. a) Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer auf einen Verstoß gegen das Berücksichtigungs- und Begründungsgebot als Ausfluß des Grundsatzes rechtlichen Gehörs (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV; allgemein zur entsprechenden Regelung auf Bundesebene Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Rn. 23 ff. zu Art. 103) wendet und auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG stützt. Insoweit fehlt es an der Beschwerdebefugnis (§ 45 Abs. 1 Verfassungsgerichtgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Das Landesarbeitsgericht hat auf den Einwand fehlender Vertretungsbefugnis der Angestellten des Beschwerdeführers - bereits nach einfachem Recht - zutreffend auf § 85 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) verwiesen, wenngleich die Norm nicht ausdrücklich genannt. Die Verletzung grundgesetzlicher Bestimmungen kann vor dem Landesverfassungsgericht nicht in zulässiger Weise gerügt werden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. Februar 2000 - VfGBbg 43/99 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 54, 58). b) Eine eigenständige, über einen möglichen Willkürverstoß hinausgehende Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes scheidet offensichtlich aus. 2. a) Soweit sich der Beschwerdeführer gegen eine zu weitgehende Auslegung der Klageerweiterung vom 02. Januar 2003 durch das Landesarbeitsgericht wendet, ist er aufgrund des Verbots willkürlicher Entscheidungen (Art. 52 Abs. 3 LV) beschwerdebefugt. b) Die Beschwerdefrist (§ 47 Abs. 1 VerfGGBbg) und das Gebot der vorherigen Erschöpfung fachgerichtlichen Rechtsschutzes (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg) sind gewahrt. c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß hier die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch das Arbeitsgerichtsgesetz - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff.; zuletzt Beschluß vom 20. November 2003 - VfGBbg 226/03 -) sind gegeben. Der Schutzbereich des Art. 52 Abs. 3 LV stimmt mit dem des Art. 103 Abs. 1 GG (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. März 2000 - VfGBbg 2/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 88, 92) insoweit überein. Selbiges gilt für das Willkürverbot (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 25. Oktober 2002 - VfGBbg 75/02 -, JR 2003, 101).
Der Beschluß des Landesarbeitsgerichtes verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot. Willkürlich ist eine Entscheidung erst dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. etwa Beschlüsse vom 17. September 1992 - VfGBbg 18/92 -, LVerfGE 9, 95, 100; vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 86 f. und vom 20. Januar 1997 - VfGBbg 45/96 -, NJ 1997, 307 m.w.N.; für die entsprechende Rechtslage nach Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 80, 48, 51). Die Entscheidung muß ganz und gar unverständlich erscheinen und das Recht in einer Weise falsch anwenden, die jeden Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschreitet (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 20. Dezember 2001 - VfGBbg 50/01 - und vom 14. August 1996 - VfGBbg 23/95 -, LVerfGE 5, 67, 72, m.w.N.). Ein derartiger Fall liegt nicht vor. Kerngesichtspunkt der durch das Landesarbeitsgericht
vorgenommenen Auslegung der Klageerweiterung vom 30. Dezember 2002 ist
der Empfängerhorizont des Beschwerdeführers: Weiß der
Beschwerdeführer, daß neben einer bereits gerichtlich anhängig
gemachten Kündigung nur noch genau eine weitere für das
Vertragsverhältnis
zum Kündigungsschutzkläger relevant sein kann, so wird er im
Zweifel - auch im Falle der Bezeichnung mit einem falschen Datum - davon
auszugehen haben, daß die bisher nicht streitgegenständliche
Kündigung mit dieser Klageerweiterung gemeint ist. Dies ist von Verfassungs
wegen nicht zu beanstanden. Nichts anderes ergibt sich aus dem Bestreiten
des Zugangs der Kündigung vom 11. Dezember 2002 durch den Kündigungsschutzkläger
im Gütetermin. Man mag darüber streiten, wie nach einfachem
Recht die Glaubwürdigkeit des Kündigungsschutzklägers zu
beurteilen ist und ob der „Wechsel“ der in Bezug genommenen
Daten der Kündigungserklärungen eine andere Auslegung der Klageerweiterung
nach einfachem Recht zur Folge haben kann. Jedenfalls war es im Rahmen
der Auslegung vertretbar, zu berücksichtigen, daß das zunächst
im Raum stehende - unzutreffende - Kündigungsdatum (10. Dezember
2002) durch den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers
in den Rechtsstreit eingebracht wurde und somit aus seiner Sphäre
stammt (vgl. auch § 85 Abs. 2 ZPO). Überdies hatte der Beschwerdeführer
angesichts der Postzustellungsurkunde vom 14. Dezember 2002 Gewißheit
über die Zustellung der Kündigung vom 11. Dezember 2002 (§§
415 ff. ZPO). |
Dr. Knippel | Prof. Dr. Dombert |
Prof. Dr. Harms-Ziegler | Havemann |
Dr. Jegutidse | Prof. Dr. Schröder |
Weisberg-Schwarz | Prof. Dr. Will |