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VerfGBbg, Beschluss vom 21. November 2014 - VfGBbg 17/14 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
- VwGO, § 47
Schlagworte: - Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen
- Rechtsverordnung
- Rechtswegerschöpfung
- Normenkontrollverfahren
- Vorabentscheidung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. November 2014 - VfGBbg 17/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 17/14




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

 

1. der Stadt Brandenburg an der Havel,
vertreten durch die Oberbürgermeisterin,
Altstädtischer Markt 10,
14770 Brandenburg an der Havel,

                                  

Beschwerdeführerin zu 1.,

 

2. des Landkreises Oberspreewald-Lausitz,
vertreten durch den Landrat,
Dubinaweg 1,
01968 Senftenberg,

 

                                 Beschwerdeführer zu 2.,

 

3. des Landkreises Spree-Neiße,
vertreten durch den Landrat,
Heinrich-Heine-Straße 1,
03149 Forst (Lausitz),

 

                                 Beschwerdeführer zu 3.,

 

Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführer zu 1. bis 3.:

 

                             Rechtsanwälte L.,

                            

 

gegen die Verordnung zur Verteilung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen 2005 vom 5. März 2013 (GVBl II Nr. 22)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 21. November 2014

 

b e s c h l o s s e n :

 

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Beschwerdeführer wenden sich mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen die vom Minister der Finanzen erlassene Verordnung zur Verteilung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen 2005 vom 5. März 2013 (GVBl II Nr. 22, nachfolgend: SoBEZ VertV 2005 n. F.), durch die die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für das Jahr 2005 neu verteilt werden.

 

I.

Das Land Brandenburg erhielt auf der Grundlage des § 11 Abs. 3a Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG) in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung für das Jahr 2005 eine Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisung in Höhe von 190.000.000 Euro. Diese Zuweisung diente dem Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und der daraus entstehenden überproportionalen Lasten bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige. Den genannten Zuweisungsbetrag stellte das Land gemäß § 15 Satz 1 Gesetz über den allgemeinen Finanzausgleich mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Land Brandenburg (Brandenburgisches Finanzausgleichsgesetz – BbgFAG) vom 29. Juni 2004 in der Fassung des Gesetzes zur Beseitigung des strukturellen Ungleichgewichts im Haushalt vom 24. Mai 2005 (GVBl I S. 196) den kommunalen Aufgabenträgern in voller Höhe zur Verfügung. Nach § 15 Satz 2 BbgFAG wurde das für Finanzen zuständige Mitglied der Landesregierung ermächtigt, die Verteilung der Mittel der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen entsprechend den Belastungen der Landkreise und kreisfreien Städte durch Rechtsverordnung zu regeln. Aufgrund dieser Verordnungsermächtigung erließ der Minister der Finanzen am 30. Mai 2005 die „Verordnung zur Verteilung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für das Jahr 2005“ (GVBl II S. 302, im Folgenden: SoBEZ VertV 2005 a. F.). Diese sah vor, dass 90% des Zuweisungsbetrages jeweils hälftig nach den Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) und nach der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt wurden (§ 1 Abs. 1 SoBEZ VertV 2005 a. F.). Der verbleibende Anteil von 10% (19.000.000 Euro) war nach § 1 Abs. 2 Satz 1 SoBEZ VertV 2005 a. F. „für den Ausgleich besonderer Belastungen i. S. d. § 15 Satz 2 des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes der kommunalen Aufgabenträger bestimmt(sog. Härtefallausgleich).

 

Nachfolgend setzte das Ministerium der Finanzen mit Bescheiden vom 15. Mai 2006 die Zuweisungen für das Jahr 2005 gegenüber den kommunalen Aufgabenträgern fest. Dabei erhielten zwei kreisfreie Städte und fünf Landkreise keinen Härtefallausgleich nach der oben genannten Bestimmung.

 

Auf die Klage eines dieser Landkreise hin wurde das Ministerium der Finanzen mit Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 24. Juni 2010 zur Neubescheidung verpflichtet. Für die Verteilung des 10%igen Anteils der Mittel bestehe derzeit keine Rechtsgrundlage, da § 1 Abs. 2 SoBEZ VertV 2005 a. F. gegen höherrangiges Recht verstoße und damit unwirksam sei. Diese Vorschrift sei nicht von der gesetzlichen Ermächtigung des § 15 Satz 2 BbgFAG gedeckt, weil sie keine inhaltliche Verteilungsregelung enthalte. Die Verordnungsvorschrift verweise  für die Verteilungskriterien auf die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zurück, durch die der Verordnungsgeber aber gerade mit der Aufstellung der Verteilungskriterien beauftragt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg lehnte mit Beschluss vom 27. März 2012 den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ab.

 

Unter Bezugnahme auf diese Gerichtsentscheidungen setzte das Ministerium der Finanzen die kreisfreien Städte und Landkreise mit Schreiben vom 3. Januar 2013 davon in Kenntnis, dass beabsichtigt sei, eine neue Verteilungsregelung für den streitigen Betrag des Härtefallausgleichs aus dem Jahr 2005 zu bestimmen. Die Neuregelung solle analog der Kriterien für die Verteilung der übrigen Mittel gemäß § 1 Abs. 1 SoBEZ VertV 2005 a. F. erfolgen.

 

Am 5. März 2013 erließ der Minister der Finanzen die verfahrensgegenständliche SoBEZ VertV 2005 n. F., die im Gesetz- und Verordnungsblatt Teil II Nr. 22 vom 7. März 2013 verkündet wurde. Die von den Beschwerdeführern angegriffenen §§ 1 und 2 dieser Verordnung haben – unter Berücksichtigung der im Gesetz- und Verordnungsblatt Teil II Nr. 33 vom 25. April 2013 erfolgten Berichtigung - folgenden Wortlaut:

 

§ 1 Verteilung

Die im Jahr 2005 zur Verfügung stehenden Mittel nach § 15 Satz 1 des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes werden in Höhe von 10 Prozent jeweils hälftig nach den Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und nach der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch auf die Landkreise und kreisfreien Städte aufgeteilt. Als Bemessungsgrundlage für die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften gelten die von der Bundesagentur für Arbeit nach § 53 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch veröffentlichten Statistiken. Dabei wird das arithmetische Mittel aus den Monatswerten des zweiten Halbjahres 2005 gebildet. Bei den Kosten der Unterkunft und Heizung wird auf die Daten vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2005 nach den Ergebnissen der Vierteljahresstatistik der Gemeindefinanzen abgestellt.

   

 

§ 2 Festsetzung und Auszahlung

Das Ministerium der Finanzen setzt die Zuweisungen nach § 1 für die kommunalen Aufgabenträger fest. Die bereits für den Ausgleich besonderer Belastungen in 2006 geleisteten Zahlungen werden mit der endgültigen Festsetzung nach dieser Verordnung verrechnet. Zu viel erhaltene Zahlungen werden mit der Festsetzung der Zuweisungen für das Jahr 2012 verrechnet. Zu wenig erhaltene Zahlungen werden mit den Zuweisungen für das Jahr 2012 ausgezahlt.

 

Mit Bescheiden vom 21. März 2013 hob das Ministerium der Finanzen die Zuwendungsbescheide vom 15. Mai 2006 hinsichtlich des dort festgesetzten Härtefallausgleichs nach § 1 Abs. 2 SoBEZ VertV 2005 a. F. auf. Zugleich wurde den Beschwerdeführern die Erstattung der insoweit gewährten Zuweisungen aufgegeben. Mit weiteren Bescheiden vom 19. April 2013 setzte das Ministerium der Finanzen den ursprünglich als Härtefallausgleich für das Jahr 2005 vorgesehenen Betrag i. H. v. 19.000.000 Euro gegenüber den Landkreisen und kreisfreien Städten nach dem Verteilungsmaßstab des § 1 Satz 1 SoBEZ VertV 2005 n. F. neu fest. Für die Beschwerdeführer ergeben sich hieraus erheblich geringere Zuweisungen als nach den Bescheiden vom 15. Mai 2006.

 

Nachfolgend haben die Beschwerdeführer gegen die Bescheide vom 21. März 2013 und 19. April 2013 Klagen bei den Verwaltungsgerichten Potsdam und Cottbus erhoben. Das Verwaltungsgericht Potsdam wies die Klage der Beschwerdeführerin zu 1. mit Urteil vom 15. Mai 2014 ab.

 

II.

Die Beschwerdeführer haben am 7. März 2014 kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die verfahrensgegenständliche Verordnung erhoben. Sie rügen die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts nach Art. 97 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) in seiner Ausprägung als Finanzhoheit. Diese sei tauglicher Anknüpfungspunkt für einen verfassungsrechtlichen Schutz der Gemeinden und Gemeindeverbände vor rückwirkenden Eingriffen des Landes. Durch die angegriffenen Bestimmungen der SoBEZ VertV 2005 n. F. würden finanzielle Mittel, die ihnen für das bereits abgeschlossene Haushaltsjahr 2005 gewährt und zweckentsprechend verwendet worden seien, nachträglich herabgesetzt. Dies stelle eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung dar. Im Übrigen erwiese sich die Verordnung auch bei Annahme einer unechten Rückwirkung als verfassungswidrig, weil sie gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Grundsatz gemeindefreundlichen Verhaltens verstoße. Im Hinblick auf die prekäre Haushaltssituation der Beschwerdeführer sei der Eingriff des Verordnungsgebers in ihre Finanzhoheit nicht zu rechtfertigen.

 

Das Gebot der Rechtswegerschöpfung stehe der Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde ungeachtet der Möglichkeit eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht entgegen. Im Rahmen eines solchen Normenkontrollverfahrens hätten sich dieselben verfassungsrechtlichen Fragen wie im vorliegenden Verfahren gestellt, ohne dass eine Vertiefung oder Verbreiterung des maßgeblichen rechtlichen oder tatsächlichen Materials zu erwarten gewesen wäre. Die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens vor Erhebung der kommunalen Verfassungsbeschwerde sei daher objektiv nicht geboten gewesen. Darüber hinaus bedürfe es auch deshalb keiner Rechtswegerschöpfung, weil die kommunale Verfassungsbeschwerde allgemeine Bedeutung i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) habe.

 

Die Beschwerdeführerinnen beantragen festzustellen,

 

dass § 1 und § 2 der Verordnung zur Verteilung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen 2005 vom 5. März 2013 (GVBl II Nr. 22) mit Art. 97 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 5 LV unvereinbar sind.

 

III.

Die Landesregierung hat zu der kommunalen Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Sie hält bereits die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer für zweifelhaft, da diese eine Verletzung des Anspruchs auf eine angemessene Finanzausstattung nicht hinreichend dargelegt hätten. Weiterhin erscheine es fraglich, ob das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung eingehalten worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stelle die Normenkontrolle nach § 47 VwGO einen Rechtsweg dar, der vor Erhebung einer Kommunalverfassungsbeschwerde erschöpft werden müsse. Die kommunale Verfassungsbeschwerde sei aber jedenfalls unbegründet.

 

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

 

Die Beschwerdeführer haben entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1     VerfGGBbg den Rechtsweg nicht erschöpft. Gegen die verfahrensgegenständliche Rechtsverordnung konnte gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz Brandenburg ein Normenkontrollverfahren beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingeleitet werden, in dessen Rahmen auch die Vereinbarkeit der angegriffenen Bestimmungen mit der Landesverfassung geprüft worden wäre (vgl. § 47 Abs. 3 VwGO). Damit stand den Beschwerdeführern eine fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung, die vor Erhebung der Kommunalverfassungsbeschwerde hätte wahrgenommen werden müssen (vgl. zur Normenkontrolle als Rechtsweg bei untergesetzlichen Rechtsnormen bereits ausdrücklich Beschluss vom 30. Juni 1999 – VfGBbg 50/98 -, LVerfGE 10, 213, 218; zum Bundesrecht vgl. BVerfGE 70, 35, 53 f; 76, 107, 114 f; BVerfGK 16, 396, 402). Die Beschreitung des aufgezeigten Rechtsweges war den Beschwerdeführern auch ohne weiteres zumutbar; die Jahresfrist des § 51 Abs. 2 VerfGGBbg beginnt grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges zu laufen, d. h. mit Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens (ebenso zu § 93 Abs. 3  BVerfGG: BVerfGE 76, 107, 116; BVerfGK 16, 396, 402).

 

Da die Beschwerdeführer – wie sie selbst vortragen - keinen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO gestellt haben, ist die kommunale Verfassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

 

Eine Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg, wonach das Verfassungsgericht im Ausnahmefall über eine vor Erschöpfung des Rechtsweges eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden kann, kommt nicht in Betracht. Die nach dieser Vorschrift mögliche Vorabentscheidung setzt voraus, dass der Rechtsweg entweder schon beschritten worden ist oder zumindest im Zeitpunkt der Entscheidung noch beschritten werden kann (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 11, 244; 22, 349, 354; 56, 54, 68 f; auch im Schrifttum ist dies – soweit ersichtlich – unbestritten, vgl. etwa Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Februar 2014, § 90 Rn. 397; Sperlich, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Auflage, § 90 Rn. 152; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Auflage, Rn. 586; missverständlich allerdings Lechner/Zuck, BVerfGG, 6. Auflage, § 90 Rn. 181). An dieser Möglichkeit fehlt es hier. Hinsichtlich der in Streit stehenden Rechtsverordnung ist die für das Normenkontrollverfahren gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltende Antragsfrist (ein Jahr nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift) inzwischen abgelaufen.

 

C.

Der Beschluss ist - auch hinsichtlich der Nichterforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung (§ 22 Abs. 1 Alt. 2      VerfGGBbg) – einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dielitz
   
Dresen Dr. Lammer
   
Dr. Fuchsloch Nitsche
   
Partikel Schmidt