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VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 34/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 41
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 S. 1 und 2
Schlagworte: - Subsidiarität
- Eilverfahren
- Dauer des Hauptsacheverfahrens
- Zumutbarkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 34/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 34/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

   J.

 

 

Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt N.

 

 

 

 

wegen der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. Januar 2011 (VG 10 L 247/10) und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Mai 2011 (OVG 1 S 31.11)

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 21. Oktober 2011

 

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

              Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

G r ü n d e :

 

A.

I.

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer mehrerer Grundstücke in der Stadt W., über welche ein Radweg gebaut worden ist. Die Grundstücke Flurstück 51 und 52 der Gemarkung W. Flur ... hatte der Beschwerdeführer mit Vertrag vom 22. Oktober 2008 gekauft, er war am 5. Mai 2009 in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen worden. Über das Flurstück 54 der Flur ... hatte der Beschwerdeführer am 11. Juni 2009 einen Kaufvertrag mit der K. mbH Berlin (i. F.: K) geschlossen, die seit dem 19. September 2003 Eigentümerin war. Nachdem im Grundbuch am 10. August 2009 eine Auflassungsvormerkung eingetragen worden war, ist der Beschwerdeführer seit dem 26. Mai 2011 Eigentümer. Nach einer Fortführungsmitteilung der Stadt W. ist das Flurstück 54 in die neuen Flurstücke 312 und 313 zerlegt; beide Flurstücke sind aber weiterhin unter einer laufenden Nummer im Grundbuch von W. eingetragen.

 

Die K. schloss nach Aktenlage mit der Stadt W. am 13. Februar 2003 einen Bauerlaubnisvertrag. Danach bewilligte die K. unwiderruflich, dass die Stadt für den Ausbau des Europaradweges eine Fläche von 228 m² des Flurstücks 54 in Besitz nehmen darf; nach Nummer 4 des Vertrages galt das Grundstück mit Baubeginn als übergeben.

 

Der Radweg wurde durch Allgemeinverfügung der Stadt W. vom 14. Mai 2010 dem öffentlichen Verkehr gewidmet, in Bezug auf den Beschwerdeführer sind die Flurstücke 51, 52 und 313 hiervon erfasst. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet. Wenig später erhob der Beschwerdeführer gegen die Widmung Widerspruch, ein Widerspruchsbescheid ist nach Aktenlage noch nicht ergangen.

 

Am 2. Juni 2010 wandte der Beschwerdeführer sich wegen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs an das Verwaltungsgericht, das den Antrag mit Beschluss vom 28. Januar 2011 - VG 10 L 274/10 - ablehnte. Die Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 20. Mai 2011 - OVG 1 S 31.11 – zurück. Die Würdigung des Verwaltungsgerichts, wonach die Widmungsverfügung nach summarischer Prüfung den Beschwerdeführer nicht in eigenen Rechten verletzen könne, stelle das Beschwerdevorbringen nicht in Frage. Rechtlicher Ausgangspunkt sei § 6 Abs. 3 Brandenburgisches Straßengesetz (BbgStrG). Hinsichtlich der Flurstücke 51 und 52 könne der Beschwerdeführer sich gegenüber der Stadt W. nach § 883 Abs. 2 BGB nicht auf sein Eigentum berufen, weil zum Zeitpunkt des Erwerbs eine Auflassungsvormerkung zu deren Gunsten bestanden habe. Hinsichtlich des Flurstücks 54 habe er im Zeitpunkt der Widmung zwar voraussichtlich bereits eine Anwartschaft erworben. Diese stehe der Widmung aber nicht entgegen, da die Eigentümerin durch Bauerlaubnisvertrag vom 13. Februar 2003 die Inbesitznahme einer Teilfläche für den Bau des Radweges unwiderruflich bewilligt habe. Es spreche alles dafür, dass der Beschwerdeführer das durch den Bauerlaubnisvertrag vermittelte dingliche Besitzrecht der Stadt W. hinzunehmen habe. Dass die K. ihrerseits bei dem Abschluss des Vertrages nicht schon als Eigentümerin eingetragen gewesen sei, stehe dem nicht entgegen. Denn zu Beginn der Bauausführung sei sie jedenfalls Eigentümerin gewesen. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 26. Mai 2011 zugegangen.

 

II.

Mit seiner am 26. Juli 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und macht eine Verletzung seines Grundrechtes auf Eigentum hinsichtlich des Grundstücks der Gemarkung W., Flur ..., Flurstück 54 geltend (Art. 41 Verfassung des Landes Brandenburg – LV -).

 

Vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch das Widerspruchsverfahren zu durchlaufen bzw. im Anschluss daran vor dem Verwaltungsgericht zu klagen, sei ihm, dem Beschwerdeführer, nicht zuzumuten. Dies ergebe sich aus der zu erwartenden Verfahrensdauer. Es sei für die Zukunft nicht sichergestellt, mit dem Widerspruch bzw. der Klage in angemessener Zeit die Grundrechtsverletzung korrigieren zu können. Die diesbezüglichen Versäumnisse der Landesregierung und des Präsidiums des Verwaltungsgerichts Potsdam habe das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg bereits in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (VfGBbg 30/09) festgestellt. Ohne Entscheidung des Verfassungsgerichts werde der rechtswidrige Eingriff in sein Eigentumsrecht für eine lange Dauer fortgeschrieben.

 

Der Widmung nach § 6 Abs. 3 BbgStrG hätte er zustimmen müssen. Denn diese sei erst nach Eintragung der Auflassungsvormerkung für ihn am 10. August 2009 erfolgt. Das Verwaltungsgericht Potsdam und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hätten verkannt, dass der zwischen der K. und der Stadt W. geschlossene Bauerlaubnisvertrag offensichtlich unwirksam sei und gegenüber dem Beschwerdeführer keine Wirkung entfalte. Die K. sei zum Zeitpunkt der Unterzeichnung noch nicht Eigentümerin des Grundstücks, die Stadt W. nicht Trägerin der Straßenbaulast gewesen. Die Übertragung der Straßenbaulast vom Landkreis auf die Stadt sei erst am 22. September 2009 erfolgt und könne ihm wegen der am 10. August 2009 eingetragenen Auflassungsvormerkung nach dem Rechtsgedanken des § 883 Abs. 2 BGB nicht entgegen gehalten werden. Der Vertrag sei zudem unbestimmt, da die Lage der Teilfläche von 228 m² nicht ersichtlich werde. Auch könne die in Nummer 5 des Vertrages vorgesehene Schaffung der Zufahrt tatsächlich nicht mehr erfolgen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig. Der Beschwerdeführer muss sich auf das Widerspruchsverfahren bzw. auf die verwaltungsgerichtliche Klage verweisen lassen.

Der in § 45 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichtes zu erwirken. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität auch dann unzulässig, wenn trotz Erschöpfung des Rechtswegs im einstweiligen fachgerichtlichen Verfahren in zumutbarer Weise Rechtschutz im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren erlangt werden kann (siehe etwa Beschluss vom 19. Juni 2003 - VfGBbg 1/03 -, LKV 2003, 469 m. w. N.; zum Bundesrecht vgl. BVerfGE 104, 65, 70 f. m. w. N.). Das ist hier der Fall.

1. Der Beschwerdeführer rügt, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft von den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 BbgStrG ausgegangen. Damit macht er eine Grundrechtsverletzung geltend, die sich nicht etwa auf die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auf die Widmung als solche bezieht. Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob der Beschwerdeführer die Beeinträchtigung seines Eigentumsrechts durch die Widmungsverfügung auf Grund von § 6 Abs. 3 BbgStrG zu dulden hat oder ob diese als rechtswidrig aufzuheben ist, wird im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu klären sein. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Abwägungsentscheidung lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorgenommen, die das Oberverwaltungsgericht nicht beanstandet hat. Das Hauptsacheverfahren zur Anfechtung der Allgemeinverfügung vom 14. Mai 2010, in welchem auch die aus Art. 41 LV folgenden Eigentumsrechte des Klägers geltend gemacht werden können, steht noch aus.

 

2. Hinreichende Gründe für eine Sofortentscheidung des Verfassungsgerichts in analoger Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg liegen nicht vor (zur analogen Anwendung der Vorschrift bei einer Verweisung auf den Hauptsacherechtsweg vgl. Beschluss vom 19. Juni 2003, a. a. O.). Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg kann das Verfassungsgericht im Ausnahmefall sofort entscheiden, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder dem Beschwerdeführer andernfalls ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, doch kommt eine derartige Entscheidung nur unter besonderen Umständen in Betracht. Die Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als Kann-Vorschrift macht nämlich deutlich, dass auch bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen eine Vorabentscheidung des Verfassungsgerichtes die Ausnahme bildet (LVerfGE 5, 112, 120). Sie setzt voraus, dass eine Grundrechtsverletzung im Raum steht, die auch nur zeitweise hinzunehmen ganz und gar unerträglich wäre (st. Rspr., vgl. etwa LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 204).

 

Diese Grenze ist hier nicht erreicht. Dass der Beschwerdeführer auf Grund der für sofort vollziehbar erklärten Widmung die Nutzung des bereits angelegten Radwegs für den öffentlichen Verkehr vorerst zu dulden hat, schließt die Nutzung seines Eigentums in dem betroffenen Teilbereich zwar nahezu vollständig aus. Dennoch ist nicht erkennbar, dass es ganz und gar unerträglich wäre, diese Beeinträchtigung auch nur zeitweise hinzunehmen. In welcher Weise sein Eigentumsrecht von der Nutzung des Radwegs durch den öffentlichen Verkehr betroffen ist, hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt. Auch sonst ist eine unzumutbare Beeinträchtigung nicht erkennbar. Aus den vom Beschwerdeführer eingereichten Grundbuchauszügen ergibt sich, dass es sich bei dem Flurstück 54 um Grünland handelte. Darüber hinaus wird aus den übrigen eingereichten Unterlagen, Zeichnungen und Kaufverträgen ersichtlich, dass der Beschwerdeführer neben dem genannten Grundstück Eigentümer erheblich größerer daran angrenzender und nahe gelegener Flächen sein dürfte (mehr als 25.000 m²), bei denen es sich überwiegend um landwirtschaftliche und unbebaute Flächen handelt. Anhaltspunkte dafür, dass die zeitweise fehlende Nutzungsmöglichkeit der ca. 211 m² großen betroffenen Teilfläche des Flurstücks 54 für den Beschwerdeführer unzumutbar sein könnte, ergeben sich daraus nicht.

 

Etwas anderes gilt auch nicht vor dem Hintergrund der voraussichtlichen Dauer eines Hauptsacheverfahrens. Dass sich dessen Länge für den Beschwerdeführer als unzumutbar erweisen wird, ist nicht ersichtlich. Die angemessene Verfahrensdauer lässt sich nicht generell und abstrakt, sondern nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles bemessen. Zu berücksichtigen sind neben dem prozessualen Verhalten des Beschwerdeführers und außerhalb der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen auch die Bedeutung der Angelegenheit für ihn (LVerfGE 14, 169, 172). Die in der vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 17. Dezember 2009 festgestellte unzumutbare Verfahrensdauer beruhte auf den konkreten Umständen des seinerzeit zugrundeliegenden Verfahrens. Daraus lässt sich nicht auch für den Beschwerdeführer ein Verstoß gegen das durch Art. 52 Abs. 4 LV gewährleistete Grundrecht auf ein zügiges Verfahren ableiten, zumal die Verwaltungsgerichte in Brandenburg im Anschluss an die vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Entscheidung personell in erheblichem Maße verstärkt worden sind.

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Möller
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt