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VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 2/11 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30; VerfGGBbg, § 47
Schlagworte: - Zulässigkeit der Hauptsache
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
- Motivirrtum
- Folgenabwägung
- Gemeinwohl
- Aussetzen eines Gesetzes
- Demokratieprinzip
- Rechtstaatsprinzip
- Rechtspflege
- Rechtssicherheit
amtlicher Leitsatz: Eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Aufhebung des gesetzlich angeordneten Eintritts in den Ruhestand als Richter ist nicht dringend geboten.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 2/11 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 2/11 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

 

   G.,

 

     Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin G.,                  

 

 

Land Brandenburg, vertreten durch das Ministerium der
Justiz,

 

Äußerungsberechtigter,

 

wegen Fortsetzung des aktiven Dienstverhältnisses als Richter

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz,
Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 21. Oktober 2011

 

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

 

G r ü n d e :

 

A.



I. Der Antragsteller wendet sich gegen die Ruhestandsregelung für Richter in § 4 Richtergesetz des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Richtergesetz - BbgRiG) in der Fassung bis zum 25. Juli 2011. Danach treten Richter auf Lebenszeit mit dem Ende des Monats in den Ruhestand, in dem sie das fünfundsechzigste Lebensjahr vollenden. Absatz 2 bestimmt, dass der Eintritt in den Ruhestand nicht hinausgeschoben werden kann.

 

Der am ... geborene Antragsteller übte seit dem Jahr 2000 das Amt eines Vorsitzenden Richters am Brandenburgischen Oberlandesgericht aus. Gem. § 4 BbgRiG a.F. ist er mit Ablauf des 30. Juni 2011 in den Ruhestand getreten. Die Planstelle des Antragstellers wurde im Justizministerialblatt vom 15. Februar 2011 (Nr. 1 aus 2011) ausgeschrieben; das Besetzungsverfahren hat begonnen.

 

Im März 2011 beantragte der Antragsteller, den Eintritt in den Ruhestand über das 65. Lebensjahr hinaus um zwei Jahre bis einschließlich den 30. Juni 2013 hinauszuschieben. Der Äußerungsberechtigte lehnte dies am 13. April 2011 mit der Begründung ab, die gesetzliche Regelung lasse Ausnahmen nicht zu. Der Widerspruch des Antragstellers wurde mit Bescheid vom 8. Juni 2011 zurückgewiesen. Am 20. Juni 2011 beantragte der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Potsdam eine einstweilige Anordnung mit dem Ziel, zunächst in seinem Amt als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht im aktiven Richterdienst belassen zu werden. Diesen Antrag wies das Verwaltungsgericht am selben Tag zurück. Die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und die nachfolgend eingereichte, mit einer Gegenvorstellung verbundene Anhörungsrüge, über die mit Beschluss vom 30. Juni 2011 entschieden wurde, blieben erfolglos.

 

Am 14. Juli 2011 hat der Antragsteller in der Hauptsache Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben, mit der er die Aufhebung der Bescheide des Äußerungsberechtigten vom 13. April und 8. Juni 2011 und die Feststellung begehrt, dass seine aktive Dienstzeit nicht mit Ablauf des Monats Juni 2011 geendet habe.

 

II. Der Antragsteller hat hier am 7. Juli 2011 beantragt, dem Äußerungsberechtigten im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn im Dienstverhältnis als Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht zu belassen. Er sieht sich durch die starre Altersgrenzenregelung des § 4 BbgRiG, die auf dieser Regelung beruhenden Bescheide des Äußerungsberechtigten sowie die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Potsdam und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in seinen Grundrechten aus Art. 49 Abs. 1 Landesverfassung – LV - (Berufsausübungsfreiheit), Art. 48 Abs. 1 LV (Recht, seinen Lebensunterhalt durch freigewählte Arbeit zu verdienen), Art. 48 Abs. 4 LV (Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer), Art. 12 Abs. 1 LV (Gleichheitsgebot), Art. 10 LV (freie Entfaltung der Persönlichkeit), Art. 5 Abs. 1 und 2 LV (Verhältnismäßigkeit) sowie in seinen Rechten aus der Richtlinie 2000/78 EG verletzt. Darüber hinaus ist er der Ansicht, die im verwaltungsgerichtliche Eilverfahren ergangenen Entscheidungen beeinträchtigten ihn in seinen Rechten aus Art. 52 Abs. 1 LV (gesetzlicher Richter), Art. 52 Abs. 2 LV (rechtliches Gehör) und Art. 52 Abs. 3 LV (faires Verfahren). 

 

1. Der Erlass der einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile geboten. Dass er als Richter auf Lebenszeit an der Ausübung seines Amtes gehindert werde, greife rechtswidrig in seine Berufsausübungsfreiheit ein. Ein milderes Mittel als die beantragte Anordnung sei nicht geeignet, seine Rechte zu sichern, weil er sein Amt ohne eine antragsgemäße Entscheidung zumindest zeitweilig, möglicherweise – bei einer längeren Verfahrensdauer des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens - auch dauernd nicht ausüben könne. Eine spätere Hauptsacheentscheidung zu seinen Gunsten könne den Verlust des aktiven Richterstatus nicht mehr ausgleichen. Der erlittene Nachteil würde durch die ihm gezahlte Pension nicht kompensiert, weil es ihm in erster Linie um die aktive Teilnahme am Erwerbsleben und um seinen Status als Richter gehe. Dass die Hauptsache durch die beantragte Entscheidung teilweise vorweggenommen werde, sei in Fällen der vorliegenden Art unvermeidlich, weil sonst ein temporärer, allerdings unwiederbringlicher Rechtsverlust drohe.

 

2. Die angekündigte Verfassungsbeschwerde sei weder offensichtlich unzulässig noch unbegründet. Die Ruhestandsregelung des § 4 BbgRiG sei bereits wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot verfassungswidrig. Zudem werde er ohne hinreichenden Grund in seinen Grundrechten eingeschränkt. Der Wertungs- bzw. Ermessensspielraum des Gesetzgebers werde durch die Grundrechte begrenzt. Plausibilitätsüberlegungen könnten Grundrechtseinschränkungen nicht rechtfertigen. Das Gesetz begründe die Notwendigkeit einer strikten Altersgrenze jedoch nicht und die vom Äußerungsberechtigten angeführten Gründe könnten die gesetzliche Regelung nicht rechtfertigen. Zwar könne dem Dienstherren wegen des Gebots der richterlichen Unabhängigkeit kein Ermessen hinsichtlich der Dauer der Dienstzeit eingeräumt werden, es sei jedoch verfassungsrechtlich zulässig, die Dienstzeitverlängerung auf Antrag eines Richters ohne weiteres zu genehmigen. 

 

3. § 4 BbgRiG verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und sei mit höherrangigem Recht der Europäischen Union (RL 2000­/78) nicht vereinbar. Diese Richtlinie gewähre ihm als Richter den Anspruch, vor ungerechtfertigten Benachteiligungen wegen Alters bewahrt zu werden. Auch die höherrangige Regelung des § 76 Abs. 1 DRiG gebiete keine Altersgrenze von 65 Lebensjahren. Im Übrigen werde die Bundesnorm durch die unionsrechtliche Regelungen überlagert.

 

4. Der Antragsteller rügt, die angerufenen Verwaltungsgerichte hätten seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, sie hätten sich mit zentralem Parteivortrag nicht oder nur am Rande befasst und den erbetenen rechtlichen Hinweis verweigert. Das Recht auf ein faires Verfahren sei berührt, weil auf seine Rechtsansichten wie auch auf Fragen von zentraler Bedeutung nicht eingegangen und das Recht offensichtlich fehlerhaft angewandt worden sei. Die Gerichte hätten außerdem gegen das Willkürverbot verstoßen, weil sie die auf europäischer Ebene ergangene Rechtsetzung und Rechtsprechung unbeachtet gelassen hätten.

 

5. Die im Rahmen von § 30 Verfassungsgerichtsgesetz Bran­denburg (VerfGGBbg) vorzunehmende Folgenabwägung führe zu einer für ihn günstigen Entscheidung: Werde die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen, müsse er täglich – wegen der zu erwartenden Länge des Gerichtsverfahrens voraussichtlich dauerhaft - auf seinen Status und sein Amt verzichten, dies sei verbunden mit einem entsprechend langen Einkommensreduzierung. Eine nachträgliche Durchsetzung seines Rechts sei erheblich gefährdet, wenn seine Planstelle anderweitig besetzt werde. Auch für den Äußerungsberechtigten entstünden in dieser Konstellation Nachteile, weil er trotz nachträglicher voller Gehaltszahlungspflicht die Richterkraft des Antragstellers nicht nutzen könne und der Äußerungsberechtigte im Ergebnis doppelte Bezüge zahlen müsse. Bei Erlass der einstweiligen Anordnung würde zwar die Planstelle später besetzt, dem Äußerungsberechtigten stünde jedoch die Richterkraft des Antragstellers zur Verfügung und er müsse dafür lediglich die Differenz zwischen seiner ohnehin anfallenden Pension und den ordentlichen Bezügen zahlen.

 

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

dem Äußerungsberechtigten aufzugeben, ihn einstweilen im aktiven Dienstverhältnis als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht rückwirkend zum 1. Juli 2011 zu belassen, hilfsweise, ihn ab sofort wieder in das aktive Dienstverhältnis als Vorsitzender Richter am Oberlandsgericht zu übernehmen,

 

und zwar vorläufig längstens für sechs Monate, jedoch vorher endend, falls der Bescheid des Äußerungsberechtigten vom 6. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2011 in Bestandskraft erwächst oder das Landesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren anders entscheidet,

 

hilfsweise, dem Äußerungsberechtigten zu untersagen, die ausgeschriebene Planstelle des Antragsstellers bzw. eine der derzeit ausgeschriebenen R3-Stellen am Brandenburgischen Oberlandesgericht, ggf. die letzte dieser Stellen, vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hilfsweise vor bestandskräftigem Abschluss dieses hier anhängigen Verfahrens, neu zu besetzen.

 

III.  Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2011 Verfassungsbeschwerde gegen die im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ergangenen Entscheidungen erhoben und gleichzeitig wegen der versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

 

IV. Der Äußerungsberechtigte und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 

1. Der Äußerungsberechtigte hält den Antrag für unzulässig, weil die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben könne. Das vom Antragsteller begehrte Hinausschieben des Ruhestandsalters sei mit den höherrangigen Vorgaben zur gesetzlichen Bestimmung einer festen Altersgrenze aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2, Art. 108 Abs. 1 LV, Art. 97 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und § 76 Abs. 1 Deutsches Richtergesetz (DRiG) nicht vereinbar. Im Übrigen fehle es an den Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg. Bei der Beurteilung, ob eine vorläufige Regelung durch das Verfassungsgericht dringend geboten sei, müsse ein strenger Maßstab angelegt werden, insbesondere dann, wenn der Antrag, wie hier, darauf abziele, den mit der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erstrebten Rechtszustand in vollem Umfang vorwegzunehmen und wenn eine von einer gesetzliche Regelung abweichende Regelung erstrebt werde.

 

2. § 4 BbgRiG a.F. verletze die Grundrechte des Beschwerdeführers nicht. Ein Verstoß gegen die in Art. 49 Abs. 1 Satz 1 LV garantierte Berufsfreiheit liege nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht habe anhand der zu Art. 12 GG entwickelten Kriterien gesetzliche Altersgrenzen für Notare, Vertrags(zahn)ärzte, Piloten und kommunale Wahlbeamte für verfassungsrechtlich zulässig erachtet. Die Regelung in § 4 BbgRiG diene überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern, nämlich dem Erhalt der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch leistungsfähige Richter, der optimalen Verteilung der Richterstellen auf die Generationen im Sinne eines durchmischten Altersaufbaus der Justiz zur möglichst effektiven Wahrnehmung ihrer Aufgabe und der von Art. 48 Abs. 1 LV geforderten Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung. Die Festlegung einer Altersgrenze durch den Gesetzgeber sei zur Sicherung dieser Ziele geeignet, erforderlich und zumutbar. Bei der gesetzlichen Bestimmung der konkreten Altersgrenze komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Deshalb könne er auf der Grundlage von Erfahrungswerten generalisierende Regelungen dazu treffen, bis zu welchem Zeitpunkt er die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der jeweiligen Beamtengruppe noch als gegeben ansehe. Wenn der Gesetzgeber vor dem Hintergrund, dass die Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter abnehme, die Altersgrenze für Richter allgemein auf das 65. Lebensjahr festsetze, stelle dies keine unverhältnismäßige Zulassungsbeschränkung dar, zumal der Eintritt in den Ruhestand bei Richtern nicht von der individuellen Dienstfähigkeit abhängig gemacht werden dürfe.

 

3. Es liege auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 12 Abs. 1 LV vor, denn die Festlegung der Altersgrenze sei durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt. Auch Art. 48 LV sei nicht verletzt, zumal bereits fraglich sei, ob aus dieser Bestimmung grundrechtliche Abwehr- oder Leistungsansprüche hergeleitet werden können.

 

4. Die vom Beschwerdeführer angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzten ihn nicht in seinen Grundrechten, insbesondere könne der Antragsteller sich nicht darauf berufen, dass die Gerichte § 4 BbgRiG wegen Verstoßes gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder wegen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht hätten anwenden dürfen. Die Lösung eines Normenkonflikts zwischen landes-, bundes- und unionsrechtlichen Regelungen sei der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz des zuständigen Fachgerichts überlassen und unterliege der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur insoweit, als der Entscheidung eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts oder ein Verstoß gegen das Willkürverbot zugrunde liege. Beides sei hier nicht erkennbar

 

V. Die Akten des Verwaltungsgerichts Potsdam VG 10 L 344/11 (OVG 4 RS 1.11) waren beigezogen.

 

B.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurückzuweisen.

I. Der Antrag ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und des Verwaltungsgerichts Potsdam im fachgerichtlichen Eilrechtschutzverfahren nicht fristgerecht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen hat. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt unter anderem voraus, dass eine in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde zulässig wäre. Denn eine einstweilige Anordnung hat allein die Funktion, die Effektivität des Rechtsschutzes in der zugehörigen Hauptsache zu sichern (vgl. zum Bundesrecht: Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2003 – 2 BvQ 37/03 -, zitiert nach juris). Zwar ist es nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nach § 30 VerfGGBbg bereits ein Verfahren in der Hauptsache anhängig ist (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 113, 114, 119). Folgt dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch nicht innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist die zugehörige Verfassungsbeschwerde, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mehr in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 2 BvQ 21/11 – zitiert nach juris). Die der einstweiligen Anordnung zugehörige Hauptsache ist hier das Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Verwaltungsgericht Potsdam und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ergangenen Entscheidungen. Die von dem Beschwerdeführer in seiner Antragsschrift bereits auch angekündigte Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen im Eilrechtsschutz, durch die er sich vornehmlich in seinen justiziellen Grundrechten verletzt sieht, ist nicht innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg eingegangen. Diese beginnt mit dem Zugang der letztinstanzlichen fachgerichtlichen Entscheidung, also hier des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Juni 2011, der dem Beschwerdeführer zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am selben Tag formlos übermittelt worden ist. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung datiert vom 6. Juli 2011. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte er also Kenntnis von dem unter dem 30. Juni 2011 ergangenen Beschluss.

 

Der hier am 7. Juli 2011 eingegangene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann nicht als gegen die verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidungen gerichtete Verfassungsbeschwerde ausgelegt werden, da deren Erhebung darin ausdrücklich erst in Aussicht gestellt wird. Die am 11. Oktober 2011 hier eingegangene Verfassungsbeschwerde (VfGBbg 51/11) ist verfristet. Gründe für die am selben Tag beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist liegen nicht vor. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist gem. § 47 Abs. 2 VerfGGBbg nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Beschwerdeführer ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Dies ist hier nicht erkennbar. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag wird als Grund für die Fristversäumnis geltend gemacht, dass der Antragsteller und dessen Verfahrensbevollmächtigte die noch mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 6. Juli 2011 angekündigte Verfassungsbeschwerde gegen die im Eilverfahren ergangen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen später für aussichtslos bzw. deren Erhebung für die Durchführung des Anordnungsverfahrens nicht mehr für erforderlich hielten. Die Frist wurde daher in Kenntnis aller Tatsachen durch die eigene Willensentscheidung des Antragstellers bzw. die ihm zuzurechnende seiner Verfahrensbevollmächtigten versäumt. Ein Irrtum des Beschwerdeführers über die Erforderlichkeit der Verfassungsbeschwerde kann aber als unbeachtlicher Motivirrtum die Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen (Umbach­/Cle­mens/­Dol­lin­ger, BVerfGG, Kommentar, 2. Auflage 2005, § 93 Rdnr. 55 m. w. N.). Der Beschwerdeführer hätte die Verfassungsbeschwerde notfalls vorsorglich einlegen müssen (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 2007 - VfGBbg 22/07-, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Ein Hinweis des Verfassungsgerichts auf die Erforderlichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Potsdam und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg war nach alldem nicht veranlasst.

 

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat der Eintritt in den Ruhestand hier auch keinen Einfluss auf die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die genannten Entscheidungen. Dem Verfassungsgericht obliegt die Disposition über die Anwendbarkeit der angegriffenen Norm.

 

II. Es verhilft dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch nicht zum Erfolg, wenn man ihn dahin versteht, dass er zur vorläufigen Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes in einem möglichen Verfassungsbeschwerde­ver­fahren gegen etwaige, dem Beschwerdeführer ungünstige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Potsdam und des
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren gestellt sein soll. So verstanden, ist er unbegründet.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Da dem Gericht im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig die Zeit zur umfassenden Prüfung der für die Entscheidung der Hauptsache erheblichen Rechtsfragen fehlt, bleiben die Gründe, die für eine Verfassungsrechtsverletzung sprechen, grundsätzlich ebenso außer Betracht wie die Gegengründe. Vielmehr ist, sofern sich der Antrag bzw. das Erstreben in der Hauptsache nicht von vornherein als unzulässig oder als offenkundig unbegründet erweist, als Maßstab für die Begründetheit des Eilantrags auf eine Folgenabwägung abzustellen. Eine einstweilige Anordnung kann danach ergehen, wenn die nachteiligen Folgen, mit denen - die einstweilige Anordnung hinweggedacht - für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu rechnen ist, im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind bzw. keinen gleichwertigen anderen Grund im Sinne des Gesetzes darstellen.

Unbeschadet der nach diesen Vorgaben vorzunehmenden Folgenabwägung muss, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl“ und „dringend“ geboten sein (st. Rspr., Beschluss vom 20. März 1997 – VfGBbg 4/97 –, www.verfassungsgericht.­bran­den­­burg.­de).

2. Daran fehlt es vorliegend. Zwar kann es im Einzelfall geboten sein, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein individuelles Grundrecht vorläufig zu sichern, um zu verhindern, dass dessen Verletzung einen später nicht mehr zu beseitigenden schweren Nachteil zur Folge hat (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 94, 166, 215). Vorliegend erscheint es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer durch § 4 BbgRiG a.F. jedenfalls in seinem Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 49 Abs. 1 LV) betroffen ist. § 30 VerfGGBbg verpflichtet das Verfassungsgericht jedoch nicht, in jedem Fall einzuschreiten, in dem eine Entscheidung, die mit einer möglichen Grundrechtsverletzung einhergeht, im Falle ihres Vollzuges vor einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Anderenfalls käme in der Praxis bereits dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine aufschiebende Wirkung zu, die ihm das Gesetz nicht eingeräumt hat. Die Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, das sich diesem ohne weiteres in gleicher Funktion anschließt. Sie ist vielmehr ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur prozessualen Durchsetzung der Grundrechte und führt als solcher in der Regel lediglich zur Feststellung der Verletzung eines Grundrechts und zur nachträglichen Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes (BVerfGE 94, 166, 212 ff.). Sie bietet dem Beschwerdeführer deshalb keine Gewähr, in jedem Fall von den tatsächlichen Auswirkungen des gerügten Grundrechtsverstoßes verschont zu bleiben.

Entsprechend ist das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 30 VerfGGBbg -  anders als der von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst einen lückenlosen Schutz vor dem Eintritt auch endgültiger Maßnahmen zu bieten. Vorläufiger Rechtsschutz ist äußerst zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs zu gewähren (BVerfGE 94, 166, 216 f.) und kann nur der Vorbeugung schwerer, nicht wiedergutzumachender Schäden dienen. Dazu gehören finanzielle Einbußen, wie sie der Antragsteller hier unter anderem auch geltend macht, solange sie nicht existenzbedrohend sind, nicht (Beschluss vom 20. März 1997, a.a.O.). Eine restriktive Anwendung ist umso mehr geboten, wenn es, wie hier, um die vorläufige Aussetzung der Geltung eines Gesetzes geht, weil hiermit stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verbunden ist (Beschluss vom 20. März 1997, a.a.O). Müssen schon im Regelfall die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, kann ein Anliegen, das dem erklärten Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft, auch im Hinblick auf das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsgebot nur aus besonders wichtigen Gründen des Gemeinwohls im Wege der einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden (LVerfGE 1, 205, 207). Ein Gesetz darf nur dann vorläufig außer Vollzug gesetzt werden, wenn die Nachteile, die nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit aufgrund seiner zeitweiligen Wirksamkeit zu Tage treten, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Aussetzung eines sich später als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes eintreten (BVerfGE 122, 63, 85 m.w.N.). Bei der Prüfung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind deshalb nicht nur die Interessen des Antragstellers, sondern auch die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen, alle in Frage kommenden Belange und widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (BVerfGE 121, 1, 17 f.).

3. Bei Anwendung dieser Kriterien streiten für die Rechte des Antragstellers, auch wenn eine Grundrechtsbetroffenheit möglich erscheint, keine Gründe des Gemeinwohls, die in diesem Sinne als überragend wichtig einzustufen wären.

a) In die Folgenabwägung ist zwar zu seinen Gunsten einzustellen, dass der von ihm beschrittene fachgerichtliche Rechtsschutz ineffektiv zu sein droht. Er begehrt eine Fortsetzung seiner Tätigkeit als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht befristet bis zur Vollendung seines 67. Lebensjahres. Das von ihm angestrebte Hauptsacheverfahren wird, gemessen an der gerichtsbekannten durchschnittlichen Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren an den betroffenen Gerichten, aller Voraussicht nach bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen sein. Es besteht mithin die konkrete Gefahr, dass der fachgerichtliche Rechtschutz keine rechtzeitige Abhilfe schaffen kann. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt am Brandenburgischen Oberlandesgericht vier Vorsitzendenstellen neu besetzt werden und nicht davon ausgegangen werden kann, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptsacheverfahrens und eines sich ggf. anschließenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens, ein für den Antragsteller positiver Ausgang unterstellt, unmittelbar eine Stelle für ihn bereit stünde. Dies sind jedoch Belange, die den Antragsteller allein als Individuum und nicht zugleich das Gemeinwohl betreffen.

b) Auf der anderen Seite besteht ein öffentliches Interesse an der Wirksamkeit der Regelung, die vom Gesetzgeber bei der Novellierung des Richtergesetzes des Landes Brandenburg mit dem Gesetz vom  12. Juli 2011 (GVBl. I Nr. 18,  S. 1) in § 3 inhaltsgleich wiederaufgenommen worden ist. Insbesondere das Gebot der Rechtssicherheit und das allgemeine Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand formell gültig erlassener Gesetze sprechen bereits gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung. Gäbe man dem Antrag statt, hätte dies zudem unmittelbar zur Folge, dass wegen der Weiterbeschäftigung des Antragstellers die Beförderung eines Nachfolgers um mindestens zwei Jahre aufgeschoben würde. Dies hätte Konsequenzen für die Umsetzung der mehrjährigen Personalplanung auch des nachgeordneten Richterbereichs am betroffenen Gericht. Sollte statt der antragsgemäßen, befristeten Beschäftigung des Antragstellers lediglich die Besetzung zumindest einer Vorsitzendenstelle am Brandenburgischen Oberlandegericht bis zum Abschluss des Verfahrens ausgesetzt werden, wäre für voraussichtlich mehrere Jahre mindestens ein Senat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht den Anforderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 122) entsprechend besetzt. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass die vom Antragsteller im Kern begehrte Aussetzung des § 4 BbgRiG aus Gründen der Wahrung der Chancengleichheit und aus praktischen Gründen in ihrer Wirkung nicht auf den Antragsteller beschränkt bleiben könnte. Vielmehr bestünde - jedenfalls bis zu einer fachgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache bzw. eines dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerdeverfahrens – für alle Richter des Landes die Möglichkeit, auch nach Erreichen der Lebensalterszeit auf eigenen Wunsch im Dienst zu verbleiben. Eine zeitliche Befristung dieser Verlängerungsmöglichkeit bestünde – zumindest in der Übergangszeit - nicht. Anders als im Fall des Antragstellers, der seinen Weiterbeschäftigungswunsch ausdrücklich auf die Zeit bis zur Vollendung seines 67. Lebensjahres beschränkt, wäre damit auf Jahre hinaus mit Anträgen auf herausgeschobenen Ruhestand zu rechnen. Dies würde letztlich einer geordneten Personalwirtschaft und zugleich der Steuerung der Altersstruktur in allen Gerichtszweigen auf geraume Zeit entgegen stehen und hätte auch zumindest mittelbar Einfluss auf die Motivation und Leistungsbereitschaft der im Ausgangsamt tätigen Richter und damit – unbeschadet der Leistungsfähigkeit der über die Regelaltersgrenze hinaus tätigen Richter – auch auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Möller
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt