VerfGBbg, Beschluss vom 21. September 2018 - VfGBbg 90/17 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 51 Abs. 1 Satz 2 - ZPO, § 45 Abs. 1 - SGG, § 60 Abs. 1 |
|
Schlagworte: | - Stattgabe - gesetzlicher Richter - Ablehnungsgesuch - Entscheidung durch abgelehnten Richter - Ausnahmecharakter der Selbstentscheidung |
|
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 21. September 2018 - VfGBbg 90/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 90/17
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
N.
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt L.
wegen Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2016 (S 30 SF 2936/16 E und S 30 SF 3118/16 AB)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 21. September 2018
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt
beschlossen:
Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2016 (S 30 SF 2936/16 E und S 30 SF 3118/16 AB) verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV). Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und die Erinnerung vom 6. September 2017 an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.
Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus über ein Ablehnungsgesuch und eine Erinnerung im Verfahren zur Festsetzung ihrer erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten.
Die Beschwerdeführerin betrieb gegen das Jobcenter des Landkreises Oberspreewald-Lausitz (im Folgenden: Beklagter) ein Untätigkeitsklageverfahren (S 36 AS 6524/12), das durch übereinstimmende Erledigungserklärung endete. Mit Schriftsatz vom 9. April 2013 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin die Festsetzung der außergerichtlichen Kosten in Höhe von insgesamt 285,60 Euro. Der Beklagte nahm dazu in der Weise Stellung, dass nur eine Erstattung von 57,12 Euro angemessen sei.
Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 setzte die Urkundsbeamtin des Sozialgerichts die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 57,12 Euro fest. Die Beschwerdeführerin legte hiergegen Erinnerung ein und lehnte zugleich den für die Erinnerungsentscheidung zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Hierzu machte sie geltend, dass der Richter vom Beklagten im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit für sog. Inhouse-Seminare zum Gebührenrecht bezahlt werde. Er sei somit nicht in der Lage, in Kostensachen unvoreingenommen zu entscheiden, weil er damit rechnen müsse, bei Entscheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten. Zudem beuge der abgelehnte Richter willentlich das geltende Prozessrecht.
Mit Beschluss des abgelehnten Richters vom 21. September 2016 (S 30 SF 3118/16 AB) verwarf das Sozialgericht Cottbus das Ablehnungsgesuch als unzulässig, denn es sei rechtsmissbräuchlich. Das Gesuch stelle auf Ablehnungsgründe ab, die wiederholt Gegenstand von Befangenheitsverfahren gewesen seien und bereits mehrfach durch verschiedene Kammern als unzureichender Grund für die Besorgnis einer Befangenheit eingestuft worden seien. Die Wiederholung gleicher Befangenheitsgründe, deren Unbeachtlichkeit bereits mehrfach festgestellt worden sei, werde nicht mehr vom Rechtsschutzbedürfnis gedeckt. Aufgrund der offensichtlichen Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs dürfe der abgelehnte Richter hierüber selbst entscheiden.
Mit weiterem Beschluss des abgelehnten Richters vom gleichen Tag (S 30 SF 2936/16 E) wies das Sozialgericht Cottbus sodann die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurück. Die Gebühren seien rechtmäßig festgesetzt worden. Die Beschlüsse wurden dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin jeweils am 25. September 2017 zugestellt.
II.
Mit der am 26. Oktober 2017 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) und Art. 52 Abs. 1 und 4 LV.
Der Beschluss über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs sei mit Art. 52 Abs. 1 LV unvereinbar. Denn über das Gesuch sei willkürlich und entgegen den einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften durch den abgelehnten Richter selbst entschieden worden. Eine offensichtliche Unzulässigkeit eines Befangenheitsgesuches lasse sich nicht mit dem bloßen Verweis auf nicht näher bezeichnete Entscheidungen anderer Kammern des Sozialgerichts begründen. Das Gericht habe bei einem Befangenheitsantrag stets die Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Damit sei ein Verweis auf andere Entscheidungen, die nicht sie - die Beschwerdeführerin - beträfen, nicht zu vereinbaren. Eine Abweichung vom ausdrücklich geregelten Grundsatz, dass die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu erfolgen habe, könne allenfalls in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Daran fehle es hier ersichtlich.
Die Entscheidung über die Erinnerung sei willkürlich. Es begegne bereits Bedenken, wenn das Sozialgericht statt den Beschluss selbst zu begründen auf § 136 Abs. 3 SGG verweise. Zudem liege ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens vor. Das Gericht hätte sie darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgehe, dass die Ausführungen des Beklagten substantiiert seien, und ihr Gelegenheit für eine weitere Stellungnahme geben müssen.
III.
Das Sozialgericht Cottbus erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Die Beschwerdeführerin hat entsprechend § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) bezüglich beider angefochtenen Beschlüsse den Rechtsweg erschöpft. Soweit es die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch (S 30 SF 3118/16 AB) betrifft, war die Beschwerde nach § 172 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Sozialgerichts über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin (S 30 SF 2936/16 E) stand der Beschwerdeführerin aufgrund der Bestimmung des § 197 Abs. 2 SGG nicht zur Verfügung.
2. Der Zulässigkeit steht bezüglich des Beschlusses über das Ablehnungsgesuch der aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg folgende Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen, auch wenn diese angegriffene Entscheidung in einem der Sachentscheidung vorangehenden Zwischenverfahren ergangen ist. Eine Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist zwar grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können. Der Grund für den Ausschluss fehlt allerdings, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann. Entscheidungen der Fachgerichte über Ablehnungsgesuche können zu solchen bleibenden rechtlichen Nachteilen führen und daher als Zwischenentscheidungen selbständig angreifbar sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 24, 56, 60 f; BVerfG NJW-RR 2007, 409, 410; BVerfGK 15, 18, 20).
Bei dem Richterablehnungsverfahren im Rahmen der sozialgerichtlichen Kostenerinnerung nach § 197 Abs. 2 SGG handelt es sich um ein selbständiges Zwischenverfahren, dessen abschließende Entscheidungen mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden können. Denn diese Entscheidungen sind für das weitere Erinnerungsverfahren bindend. Sie können angesichts der Unanfechtbarkeit des Beschlusses über die Erinnerung im Falle der Verfassungswidrigkeit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs dazu führen, dass ein Beschwerdeführer hinnehmen müsste, dass das weitere Verfahren vor dem Sozialgericht von einem Richter betrieben würde, der nicht der gesetzliche im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV wäre. Es besteht deshalb ein Rechtsschutzinteresse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die in diesem Zwischenverfahren getroffenen Entscheidungen.
3. Da die Verfassungsbeschwerde ausschließlich die Verletzung des Gleichheitssatzes in Form des Willkürverbots sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter und auf ein faires Verfahren zum Gegenstand hat, nicht jedoch ein Gehörsverstoß geltend gemacht wird, kommt es unter dem Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg) auf die Durchführung des Anhörungsrügeverfahrens gemäß § 178a SGG nicht an (vgl. Beschlüsse vom 18. März 2010 - VfGBbg 46/09 - und vom 24. März 2017 - VfGBbg 48/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
4. Die Beschwerdeführerin ist beschwerdebefugt. Sie hat hinreichend substantiiert und schlüssig einen Sachverhalt unterbreitet, der hinsichtlich beider Beschlüsse jedenfalls zu dem behaupteten Verstoß gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV führen kann. Die Beschwerdebegründung genügt auch im Übrigen den Begründungsanforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg.
5. Die Verfassungsbeschwerde ist auch innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg nach Zustellung der angegriffenen Beschlüsse erhoben worden.
6. Schließlich steht der Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass die Beschlüsse, gegen die sie sich richtet, auf der Grundlage von Verfahrensrecht des Bundes ergangen sind. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen sind erfüllt (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2016 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV.
1. Mit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig hat der abgelehnte Richter die Beschwerdeführerin im Ablehnungsverfahren ihrem gesetzlichen Richter entzogen.
a. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV, der wörtlich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht und denselben Schutz gewährt, gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte. Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322, 327). Darüber hinaus garantiert Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie im Einzelfall vor einem Richter stehen, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 2016 - VfGBbg 18/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.; s. auch BVerfGE 89, 28, 36; BVerfGK 20, 164, 167).
Eine „Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt. Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. Beschlüsse vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 54/14, VfGBbg 9/14 EA - und vom 15. April 2016 - VfGBbg 78/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 82, 286, 299).
Für das sozialgerichtliche Verfahren enthalten § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 44 ff Zivilprozessordnung (ZPO) Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (vgl. BVerfGK 11, 434, 441; 13, 72, 78; BVerfG NJW 2011, 2191, 2192; BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris Rn. 15).
In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings - ebenso wie für den Zivil- oder den Verwaltungsprozess - anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen namentlich gänzlich untaugliche oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche (vgl. BSG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 68/09 B -, juris Rn. 9 f, vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 32/09 B -, juris Rn. 9 f und vom 9. April 2014 - B 14 AS 363/13 B -, juris Rn. 4; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 60 Rn. 10b ff). Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung trägt die sozialgerichtliche Rechtsprechung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden; in diesem Fall entfällt ein gesondertes Zwischenverfahren. Bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs gerät eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist. Ein solcherart vereinfachtes Ablehnungsverfahren ermöglicht nur echte Formalentscheidungen und soll offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern. Dies gebietet eine enge Auslegung der Voraussetzungen. Völlige Ungeeignetheit ist demnach anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Entscheidung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.).
b. Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2016 (S 30 SF 3118/16 AB) die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig durch den abgelehnten Richter zeigt, dass das Sozialgericht den Gewährleistungsgehalt des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkannt hat.
Das Sozialgericht begründet die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs damit, dass dieses offensichtlich unzulässig sei, da es auf Ablehnungsgründe abstelle, die wiederholt Gegenstand von Befangenheitsverfahren gewesen seien und die bereits mehrfach, durch verschiedene Kammern, als unzureichender Grund für die Besorgnis einer Befangenheit eingestuft worden seien. Das „ständige Wiederholen gleicher Befangenheitsgründe", deren Unbeachtlichkeit bereits mehrfach festgestellt worden sei, werde nicht mehr vom Rechtsschutzbedürfnis gedeckt.
Diese Erwägungen werfen bereits erhebliche Zweifel auf, ob das Sozialgericht das Ablehnungsgesuch überhaupt zutreffend erfasst hat. Denn die unter dem Gliederungspunkt I. der Beschlussgründe wiedergegebene Begründung der Ablehnung - „der abgelehnte Richter habe Geld vom Jobcenter OSL angenommen und habe daher ganz allgemein den Eindruck erweckt, seine Entscheidungen seien insgesamt käuflich" - deckt sich nicht mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin stellt maßgeblich darauf ab, dass der abgelehnte Richter einer gewerblichen Nebentätigkeit zu Sachthemen nachgehe, die Gegenstand des zu entscheidenden Verfahrens seien, und in diesem Rahmen eine Geschäftsbeziehung zu gegnerischen Behörden pflege, die die Gefahr einer wirtschaftlichen Abhängigkeit berge und eine unvoreingenommene Entscheidung in Kostensachen ausschließe. Die vorgetragenen Ablehnungsgründe gehen demnach in ihrer spezifischen Kombination deutlich über das im Beschluss niedergelegte hinaus. Der Vorhalt, die Ablehnungsgründe seien bereits mehrfach beschieden worden, erscheint schon deshalb nicht überzeugend. Denn im Rahmen der Anwendung der Maßstäbe eines unzulässigen Ablehnungsgesuchs im Wege der Selbstentscheidung ist das Gericht von Verfassungs wegen in besonderem Maße verpflichtet, das Gesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Vor allem aber wird die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin den Anforderungen einer strikten Anwendung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen der Entscheidung durch einen anderen Richter einerseits und der Befugnis zur Selbstentscheidung andererseits nicht gerecht. Letzteres fordert eine strenge Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Mitwirkung des abgelehnten Richters, weil nur so die Beachtung der Garantie auf den gesetzlichen Richter gewährleistet ist. Denn ein Rechtsmissbrauch des Ablehnungsrechts, auf den im angefochtenen Beschluss entscheidungserheblich abgestellt wird, ist nicht in einer der verfassungsgerichtlichen Prüfung genügenden Weise dokumentiert. Ein „Wiederholen gleicher Befangenheitsgründe" ist vorliegend weder im Beschluss mit Tatsachen untersetzt noch aus der Akte zu entnehmen. In den Fällen, in denen ein abgelehnter Richter das Befangenheitsgesuch mangels Rechtsschutzbedürfnisses selbst ablehnt, bedarf es aber einer qualifizierten Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit und der Berücksichtigung aller zur Begründung der Ablehnung vorgetragenen Umstände (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Zwar ist anerkannt, dass die erneute Ablehnung eines Richters durch eine Partei im selben Verfahren nach Bescheidung eines früheren Ablehnungsgesuchs ein unzulässiges und auch rechtsmissbräuchliches Gesuch darstellen kann, wenn die Ablehnung nicht auf neue oder ergänzte Gründe gestützt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - IV B 76/98, IV B 77/98, IV B 78/98, IV B 79/98 -, juris Rn. 34 ff; KG, Beschluss vom 11. Juni 1986 - 18 Abl 2638/86 -, FamRZ 1986, 1022, 1023; BbgOLG, Beschluss vom 19. April 2013 - 13 WF 24/13, 13 WF 25/13 -, FamRZ 2013, 1600; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. 2017, § 42 Rn. 7; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 42 Rn. 17; Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 54 Rn. 63; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 60 Rn. 10b; Günther NJW 1986, 281, 284, 286). Ähnliches mag gelten, wenn ein Verfahrensbeteiligter denselben Richter in parallelen Gerichtsverfahren in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang wiederholt trotz erfolgter zurückweisender Bescheidung mit unveränderten Argumenten ablehnt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2013 - BVerwG 2 AV 4/13, BVerwG 2 PKH 4/13 -, juris Rn. 5). Anhaltspunkte hierfür sind jedoch nicht ersichtlich. Ein vorangegangenes Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin gegen denselben Richter im Erinnerungsverfahren S 30 SF 2936/16 E ist nicht ersichtlich. Auch dass in anderen Verfahren gegen diesen Richter eingereichte, identisch begründete Ablehnungsgesuche der Beschwerdeführerin am 6. September 2016 bereits negativ beschieden worden waren, lässt sich nicht erkennen. Insbesondere verhält sich der Beschluss vom 21. September 2016 hierzu nicht.
2. Der Beschluss vom 21. September 2016 über die Erinnerung der Beschwerdeführerin (S 30 SF 2936/16 E) verstößt danach schon gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter. Er ist mit den Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV nicht zu vereinbaren. Denn zu dem Zeitpunkt, als die Erinnerung zurückgewiesen wurde, war der entscheidende Richter nicht befugt, den Befangenheitsantrag zu verwerfen.
In der Konsequenz der in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV verbürgten Garantie, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität mangelt, liegt es auch, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, über dessen Ablehnung unter Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV entschieden worden ist. Die hinter dem Ablehnungsgesuch stehende Partei kann so lange nicht davon ausgehen, dass sie dem gesetzlichen Richter gegenübersteht, bis diese Frage von dem zuständigen Gericht ohne Beteiligung der möglicherweise befangenen Richter geklärt ist. Sie muss im Falle einer nach den dargelegten Kriterien unzulässigen Selbstentscheidung befürchten, dass die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch maßgeblich von Richtern beeinflusst ist, die der Sache nicht mit der notwendigen Distanz und Neutralität gegenüberstehen und dass sich diese Voreingenommenheit auch in der anschließend zu treffenden Sachentscheidung fortsetzt. Aus den genannten Gründen ist immer dann, wenn ein Fall unzulässiger Selbstentscheidung vorliegt, davon auszugehen, dass auch die dem Ablehnungsgesuch folgende Sachentscheidung nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen wird. Andernfalls hätte es ein die Grenzen der Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs verkennendes Gericht in der Hand, durch eine gleichzeitig mit der Verwerfung eines Befangenheitsantrags getroffene nicht anfechtbare Sachentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.).
Nach alledem kommt es nicht auf die Frage an, ob eine Kostenfestsetzung gegen das Willkürverbot oder das Grundrecht auf ein faires Verfahren verstößt.
C.
Die Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2016 sind hiernach gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben; die Sache selbst ist an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.
Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entsprechend der ständigen Praxis des Gerichts in erfolgreichen Verfahren über Individualverfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen auf 10.000,00 Euro festzusetzen.
D.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Partikel | Schmidt |