VerfGBbg, Beschluss vom 21. März 2014 - VfGBbg 2/14 EA -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 - VerfGGBbg, § 30 Abs.1 |
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Schlagworte: | - Folgenabwägung - schwerer Nachteil - gemeines Wohl - Einzelfall - Fahrverbot |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 21. März 2014 - VfGBbg 2/14 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 2/14 EA
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
E.,
Antragsteller,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt E.,
wegen des Urteils des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. Juli 2013 - 13 b OWi 381 Js-OWi 1288/12 (484/12) - und des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30. Dezember 2013 – (1 B) 53 Ss-OWi 509/13 (331/13) –
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 21. März 2014
b e s c h l o s s e n:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
A.
Der Antragsteller will mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass ein gegen ihn verhängtes Fahrverbot nicht vor der Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde wirksam wird.
I.
1. Mit Urteil des Amtsgericht Oranienburg vom 3. Juli 2013 wurde der als Rechtsanwalt tätige Antragsteller wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 32 km/h (Tattag: 19. August 2011) zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro verurteilt; zugleich verhängte das Amtsgericht ein einmonatiges Fahrverbot.
Der Antragsteller legte hiergegen Rechtsbeschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht (Oberlandesgericht) ein. Mit der Verfahrensrüge machte er u. a. einen Verstoß des Amtsgerichts gegen § 261 Strafprozessordnung (StPO) geltend. Das Gericht habe seine Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen. Es stelle in seinem Urteil auf die Beweismittel Messprotokoll, Eichschein und Messfotos ab; diese seien im Verhandlungstermin jedoch nicht verlesen bzw. in Augenschein genommen oder anderweitig zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden, wie sich aus dem - nach § 274 StPO insoweit mit negativer Beweiskraft versehenen – Verhandlungsprotokoll ergebe, das diese Vorgänge nicht dokumentiere. Ferner habe das Gericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es seine im Verhandlungstermin gestellten Anträge zurückgewiesen habe, die Behörde anzuweisen, die Bedienungsanleitung und die sog. Lebensakte des Messgeräts zu übersenden.
2. Mit Beschluss vom 30. Dezember 2013 – dem Antragsteller seinem Vortrag zufolge am 10. Januar 2014 zugegangen - verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet. Die Beiziehung von Lebensakte und Bedienungsanleitung habe das Gericht allenfalls bei konkreten Anhaltspunkten für eine technische Fehlfunktion des Messgerätes erwägen müssen; solche Anhaltspunkte habe der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgetragen. Zudem sei den Urteilsgründen ausreichend zu entnehmen, dass Messprotokoll, Messfoto und Eichschein Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen seien.
II.
Der Antragsteller hat am 7. März 2014 Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen eingelegt (VfGBbg 18/14) und diese mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden. Mit dieser strebt er an, dass das spätestens am 10. Mai 2014 wirksam werdende Fahrverbot bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde aufgeschoben wird.
Der Antragsteller rügt Verstöße gegen seine Grundrechte auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 Landesverfassung – LV -), auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 12 Abs. 1 LV), aus Art. 52 Abs. 3 LV sowie aus Art 49 Abs. 1 LV (Berufsfreiheit). Die Gerichte hätten mit der Verwertung der nicht verlesenen Urkunden und nicht in Augenschein genommenen Messfotos sein einfachrechtlich in § 261 StPO zum Ausdruck kommendes Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt; das Oberlandesgericht habe insoweit einen absoluten Revisionsgrund annehmen und das Urteil des Amtsgerichts aufheben müssen. Zudem habe sich das Oberlandesgericht mit seinem Vortrag aus der Rechtsbeschwerdeschrift in keiner Weise auseinandergesetzt. Sein Anspruch auf ein faires Verfahrens sei zudem durch die Zurückweisung seines Antrags auf Beiziehung der Lebensakte und der Bedienungsanleitung beeinträchtigt. Ein standardisiertes Messverfahren liege nur bei Verwendung des Messgerätes gemäß der Bedienungsanleitung vor. Um dies beurteilen zu können, habe er die Bedienungsanleitung kennen müssen. Schließlich ergebe sich eine Verletzung seiner Berufsfreiheit daraus, dass er zur Ausübung seiner Anwaltstätigkeit auf die Benutzung seines Kraftfahrzeugs angewiesen sei.
B.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist als unbegründet zurückzuweisen.
I.
Gemäß § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist grundsätzlich nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu beurteilen. In deren Rahmen sind die nachteiligen Wirkungen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, mit den nachteiligen Wirkungen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, zu vergleichen und zu bewerten. Dabei ist in Anbetracht der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung und vor dem Hintergrund, dass die Verfassungsbeschwerde eine aufschiebende Wirkung nicht entfaltet, sondern sich für gewöhnlich auf die nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Hoheitsaktes beschränkt, ein strenger Maßstab anzulegen (Beschluss vom 21. Oktober 2011 – VfGBbg 3/11 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Daher sind in die Folgenabwägung auf Seiten des Antragstellers regelmäßig nur gravierende und irreversible Nachteile einzustellen (st. Rechtsprechung: Beschlüsse vom 21. Oktober 2011, a. a. O., vom 17. August 2012 – VfGBbg 6/12 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de und zuletzt vom 19. Juni 2013 – VfGBbg 3/13 EA -, NVwZ 2013, 1149 f). Diese müssen zudem in Ausmaß und Schwere deutlich ausgeprägter sein als die Nachteile, die bei Erlass der einstweiligen Anordnung und Erfolglosigkeit der Hauptsache eintreten können. Schließlich muss im Sinne einer weiteren Voraussetzung für ihren Erlass die einstweilige Anordnung nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg zum „gemeinen Wohl“ „dringend geboten“ sein (Beschlüsse vom 17. August 2012, a. a. O., und vom 17. Mai 2013 – VfGBbg 4/13 EA – www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
II.
Hiernach kann der Antrag keinen Erfolg haben.
Dem Antragsteller droht bereits kein schwerer Nachteil für den Fall, dass die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergeht und Geldbuße sowie Fahrverbot vor einer Entscheidung in der Hauptsache vollstreckt werden sollten. Der Geldbetrag würde dem Antragsteller nach einem Obsiegen mit der Verfassungsbeschwerde und in dem sich anschließenden gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren erstattet werden. Das Fahrverbot ist auf den überschaubaren Zeitraum von einem Monat beschränkt. Dass mit ihm gravierende oder auch nur erhebliche Einbußen wirtschaftlich-existentieller oder sonstiger Art verbunden wären, legt der Antragsteller nicht dar; insbesondere ist schon nicht ersichtlich, dass er während der Dauer des Fahrverbotes in seiner Anwaltstätigkeit überhaupt in nennenswertem Umfang beeinträchtigt sein könnte, zumal er über den Beginn des Verbots disponieren kann. Unabhängig davon gebietet auch das gemeine Wohl nicht das sofortige Einschreiten des Verfassungsgerichts durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Es handelt sich um einen Einzelfall aus dem Bereich des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts; Auswirkungen dieser Entscheidung auf das gemeine Wohl sind nicht zu erwarten.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |