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VerfGBbg, Urteil vom 21. März 1996 - VfGBbg 5/96 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Zivilrecht, materielles
amtlicher Leitsatz:
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 21. März 1996 - VfGBbg 5/96 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 5/96 EA



IM NAMEN DES VOLKES
U R T E I L

In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

der K.,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.,

Beistand: Herr J.,

wegen Wohnungsauflösung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Knippel, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg und Prof. Dr. Schröder

am 21. März 1996

für R e c h t erkannt:

Der Widerspruch wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin wendet sich - vor dem Hintergrund einer von ihr unter anderem gegen die Anordnung ihrer Betreuung erhobenen Verfassungsbeschwerde - im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die durch Ihren Betreuer betriebene Auflösung ihrer Wohnung. Ein hierzu bei dem Amtsgericht B. gestellter Antrag auf Einschreiten gegen den Betreuer sei ebenso ohne Erfolg geblieben wie das vor dem Landgericht F. durchgeführte Beschwerdeverfahren; über ihre darauf am 26. Februar 1996 bei dem Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde habe dieses bislang nicht entschieden. Die Wohnungsauflösung stehe unmittelbar bevor.

Durch Beschluß vom 7. März 1996 hat das Gericht den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Hiergegen hat der für das Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zugelassene Beistand der Antragstellerin am 8. März 1996 Widerspruch eingelegt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die von dem Gericht bei seiner Entscheidung vorzunehmende Folgenabwägung könne nach Lage der Dinge nur zugunsten der Antragstellerin ausfallen.

II.

Der Widerspruch war zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind nicht gegeben.

1. Eine einstweilige Anordnung kommt gemäß § 30 Abs. 1 VerfGGBbg nur in Betracht, wenn sie zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Es sind die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, das Verfahren in der Hauptsache aber Erfolg hat, gegen diejenigen Folgen, die eintreten wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird, der Antrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg bleibt. Dabei sind regelmäßig nur irreversible Nachteile einzustellen und müssen die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu vergegenwärtigen sind, im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlaß der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei begleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind (“schwerer Nachteil”) bzw. keinen gleichwertigen “anderen” Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Die Gründe, die in der Sache selbst für die Verfassungsrechtsverletzung sprechen, müssen in diesem Abwägungsprozeß grundsätzlich ebenso außer Betracht bleiben wie die Gegengründe, weil in dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung die Frage der Verfassungsmäßigkeit als solche noch nicht Prüfungsgegenstand ist, sondern der Hauptsacheentscheidung vorbehalten bleibt. Unbeschadet der nach diesen Vorgaben vorzunehmenden Folgenabwägung muß, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die einstweilige Anordnung “zum gemeinen Wohl” und “dringend” “geboten “ sein (vgl. zu alledem Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 30.11.1993 - VfGBbg 3/93 EA - OLG-NL 1994, 73, vom 22.12.1993 - VfGBbg 9/93 EA - OLG-NL 1994, 74 f. und vom 15.12.1994 - VfGBbg 14/94 EA - zur Veröffentlichung LVerfGE 2, Teil Brandenburg Nr. 18 vorgesehen).

2. Hiervon ausgehend hat das Gericht in seiner Entscheidung vom 7. März 1996 durchaus berücksichtigt, daß der Antragstellerin, wenn die von dem Betreuer in die Wege geleitete Wohnungsauflösung stattfindet, die von ihr bis November 1994 benutzte Wohnung künftig nicht mehr zur Verfügung steht. Es hat andererseits erwogen, daß die Antragstellerin nicht etwa in eine Situation gerät, in der sie “kein Dach über dem Kopf” hätte, vielmehr bereits seit November 1994 in einem Heim untergebracht ist, in welchem sie offenbar bleiben kann. Ergänzend - mehr am Rande - hat das Gericht einbezogen, daß für die Wohnung Kosten anfallen, die sich für den - immerhin denkbaren - Fall, daß die Antragstellerin zu Recht unter Betreuung gestellt worden ist und es bei ihrer Unterbringung im Heim verbleibt, als Belastung ihres Vermögens erweisen würden. Unter Abwägung alles dessen, so das Gericht in dem Beschluß vom 7. März 1996 zusammenfassend, seien die strengen Voraussetzungen, unter denen nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung ergehen könne, nicht zu bejahen.

3. Bei dieser Entscheidung hat es zu verbleiben. Die Ausführungen, mit denen der vorläufige Beistand der Antragstellerin den Widerspruch gegen den Beschluß vom 7. März 1996 schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung begründet hat, geben zu einer abweichenden Beurteilung im Ergebnis keinen Anlaß. Soweit diese Ausführungen die Niederschrift über die Anhörung der Antragstellerin im August 1994 und die ärztliche Begutachtung aus September 1994 betreffen, geht es erkennbar um das Betreuungsverfahren, welches den Gegenstand der Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren bildet. Vorliegend geht es demgegenüber allein um die Frage, ob die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung gegen die Wohnungsauflösung vorliegen. Soweit der vorläufige Beistand hierzu - und zwar erstmals in der Widerspruchsschrift (in den bei Erlaß des Beschlusses vom 7. März 1996 vorliegenden Schriftsätzen vom 27. Februar 1996 und 7. März 1996 war hiervon noch nicht die Rede) - geltend macht, daß die Antragstellerin “faktisch” die Miete bis an ihr Lebensende im voraus bezahlt habe, hat sich dieses Vorbringen in der mündlichen Verhandlung als juristisch nicht durchgreifend erwiesen und wird dadurch jedenfalls teilweise wieder entwertet, daß es andererseits heißt, die finanziellen Belastungen durch Nutzungsentgelt und Nebenkosten seien “vergleichsweise gering”. Soweit der vorläufige Beistand ferner behauptet, die Versorgung der Antragstellerin in dem Heim sei “sehr schlecht”, ist auch nach dem in der mündlichen Verhandlung entstandenen Bild nicht überzeugend dargetan, daß für sie - neunzigjährig und blind - außerhalb des Heims besser gesorgt wäre. Im übrigen entspricht die “Auflösung” der Wohnung insoweit der Rechtslage, als die Wohnung von dem Betreuer der Antragstellerin, zu dessen Aufgabenbereich nach der Bestallungsurkunde u.a. die Bestimmung des Aufenthalts sowie ausdrücklich die Entscheidung über die Wohnungsauflösung gehören, folglich mit rechtlicher Wirkung für die Antragstellerin gekündigt worden ist, so daß die Wohnung ohnehin an den Vermieter zurückzugeben ist. Insgesamt ist nicht zu erkennen, daß die Antragstellerin durch die Wohnungsauflösung in eine so unerträgliche Situation geriete, daß es im Sinne von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg zur Vermeidung schwerer Nachteile zum gemeinen Wohle dringend geboten wäre, die Wohnungsauflösung durch eine einstweilige Anordnung zu unterbinden.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Dr. Knippel
Prof. Dr. Mitzner Prof. Dr. Schöneburg
Prof. Dr. Schröder Weisberg-Schwarz