Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2020 - VfGBbg 49/18 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
- SGG, § 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- Prozesskostenhilfe
- Sozialgericht
- Rechtswegerschöpfung
- Subsidiarität
- Anhörungsrüge
- rechtliches Gehör
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2020 - VfGBbg 49/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 49/18




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 49/18

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

Z.,

 

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt L.,

 

 

wegen

Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 4. Juli 2018 (S 43 AS 1329/17 WA)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 21. Februar 2020

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

 

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Cottbus.

I.

Die Beschwerdeführerin beantragte 2014 die Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides des Jobcenters aus dem Jahr 2007, mit dem ein Leistungsbescheid nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Januar 2007 rückwirkend in Höhe von 126,54 Euro aufgehoben und dieser Betrag zur Erstattung festgesetzt worden war. Das Jobcenter lehnte die beantragte Überprüfung des Bescheides ohne Sach- und Rechtsprüfung am 8. Januar 2015 ab, da der Antrag außerhalb der Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F. i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X gestellt worden sei. Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Beschwerdeführerin am 19. März 2015 Klage beim Sozialgericht Cottbus und beantragte, ihr hierfür Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das Gericht forderte den Prozessbevollmächtigten zuletzt am 2. Juli 2018 gemäß § 117 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) auf, den Originalvordruck eines Prozesskostenhilfeformulars ausgefüllt und mit Originalunterschrift der Beschwerdeführerin einzureichen. Dem kam der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin nicht nach. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2018 erklärte der Prozessbevollmächtigte nicht aufzutreten, da keine Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, und setzte sich in den Zuschauerraum. In der Verhandlung wurde die durch den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 4. Juli 2018 per Fax an das Sozialgericht Cottbus übermittelte Entscheidung des Sozialgerichts Mainz vom 16. April 2018 (S 11 AS 467/17), die die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Sinne der Beschwerdeführerin bejahte, zur Akte genommen. Nach einer Zwischenberatung lehnte das Sozialgericht Cottbus den Prozesskostenhilfeantrag mit dem angegriffenen Beschluss ab, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Entscheidung des Sozialgerichts Mainz habe die Kammer nach intensiver Prüfung nicht vom Gegenteil zu überzeugen vermocht. Nach weiterer Beratung wurde die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 3. September 2018 Verfassungsbeschwerde erhoben und rügt, dass die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags sie in ihren Rechten aus Art. 52 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) sowie Art. 6 Abs. 1 LV und Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV verletze. Um die Situation von Unbemittelten und Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, sei es nach den Grundsätzen des Willkürverbots in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip geboten, bei einer schwierigen offenen Rechtsfrage Prozesskostenhilfe zu gewähren, sofern die Erfolgschance der Klage nicht nur eine entfernte sei. Es sei bereits nicht erkennbar, dass sich das Sozialgericht Cottbus mit den Ausführungen der vorgelegten Entscheidung des Sozialgerichts Mainz, die mit der Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz am 15. August 2018 (L 6 AS 152/18) bestätigt worden sei, überhaupt ernsthaft auseinandergesetzt habe.

III.

Der Präsident des Sozialgerichts Cottbus hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin den nach § 45 Abs. 2 VerfGGBbg vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zu beschreitenden Rechtsweg nicht erschöpft hat. Die Beschwerdeführerin hat von der Möglichkeit, gegen den angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts eine Anhörungsrüge gemäß § 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erheben, keinen Gebrauch gemacht und daher dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht genügt (vgl. Beschluss vom 26. Dezember 2016 - VfGBbg 30/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Wird mit der Verfassungsbeschwerde auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, gehört die in der jeweiligen Verfahrensordnung verankerte Anhörungs- oder Gehörsrüge zum Rechtsweg (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 24. März 2017 - VfGBbg 27/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.; vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2014 - 1 BvR 1443/12 -, Juris, Rn. 9). Dies gilt auch für Prozesskostenhilfe ablehnende Beschlüsse (vgl. Beschluss vom 10. Mai 2019 - VfGBbg 41/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2, § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht statthaft. Die Beschwerdeführerin macht jedoch inhaltlich auch eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV geltend. Sie trägt in ihrer Verfassungsbeschwerde vor, dass aus dem Beschluss nicht erkennbar sei, dass sich das Sozialgericht Cottbus überhaupt ernsthaft mit den Ausführungen des Sozialgerichts Mainz und dessen Nachweisen auseinandergesetzt habe. Sie behauptet damit der Sache nach eine Verletzung der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgenden Verpflichtung der Gerichte, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschlüsse vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 21/13 - und vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, https://verfassungsgericht.branden-burg.de). Bei dieser Sachlage bedarf es zur Erschöpfung des Rechtswegs der Erhebung der Anhörungsrüge vor dem zuständigen Fachgericht (vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 30/16 - und vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 21/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.; zum Bundesrecht vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 914/16 -, Juris). Die gemäß § 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte Anhörungsrüge war auch nicht offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise ohne Aussicht auf Erfolg und daher nicht unzumutbar (vgl. Beschlüsse vom 17. August 2012 - VfGBbg 36/12 - und vom 6. Januar 2016 - VfGBbg 88/15 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Es kann in der Regel gerade nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörungsrüge zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts und im Ergebnis zu einer günstigeren Entscheidung führt (vgl. Beschluss vom 6. Januar 2016 - VfGBbg 88/15 -, https://verfassungs-gericht.brandenburg.de). Nur wenn sich die angegriffene Entscheidung mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs selbst schon auseinandergesetzt hat, was hier nicht der Fall ist, erscheint eine Anhörungsrüge offensichtlich aussichtslos und unzumutbar (vgl. Beschluss vom 30. September 2010 - VfGBbg 23/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Die unterbliebene Erhebung der statthaften Anhörungsrüge hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 30/16 -, vom 6. Januar 2016 - VfGBbg 88/15 -, vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 21/13 - und vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 33/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, Juris, Rn. 7). Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gebietet, dass der Beschwerdeführer alle nach der Lage der Sache zur Verfügung stehenden zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnäheren Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 24. März 2017 - VfGBbg 27/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Grundsätzlich sind daher alle gerügten Grundrechtsverletzungen, die sich mit einem Gehörsverstoß in Zusammenhang bringen und vortragen lassen, zunächst vollständig mit der Anhörungs- oder Gehörsrüge vorzubringen, um vorrangig im fachgerichtlichen Verfahren Abhilfe zu erreichen (vgl. Beschlüsse vom 15. Februar 2019 - VfGBbg 4/19 - und vom 22. März 2019 - VfGBbg 1/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, Juris, Rn. 6).

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Becker

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Dr. Lammer

Sokoll

Dr. Strauß