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VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2014 - VfGBbg 35/13 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 9 Abs. 1
- StGB, § 63; StGB, § 67d
Schlagworte: - Maßregelvollzug
- Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
- Fortdauer der Unterbringung
- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
- Anforderungen an die Entscheidungsbegründung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2014 - VfGBbg 35/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 35/13




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

     K.,

 

                                          Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigte:  Rechtsanwältin B.,

                       

 

 

wegen des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 13. Dezem­ber 2012 (20 StVK 125/12) und des Beschlusses des Bran­­­­­den­bur­­­gi­schen Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2013 (1 Ws 60/13)

 

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

 

durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dre­sen,

Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

 

am 21. Februar 2014 

 

b e s c h l o s s e n:

 

 

     1.   Der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 13. Dez­em­         ber 2012 (20 StVK 125/12) und der Beschluss des Bran-       denburgischen Ober­landesgerichts vom 15. Mai 2013       (1 Ws 60/13) verletzen den Beschwerdeführer in seinem       Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 9 Abs. 1           der Landesverfassung. Die Beschlüsse werden aufge­ho­         ben und die Sache wird zur erneuten Entschei­­dung an          das nunmehr zuständige Landgericht Cottbus zurück­ver­        wie­sen.

    

     2.   Das Land hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen          Auslagen zu erstatten.

 

     3.   Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit         wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

 

 

 

 

G r ü n d e:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen gerichtliche Entschei­dun­­gen über die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psy­chi­­a­trischen Krankenhaus.

 

I.

1. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Potsdam vom  18. D­ez­em­ber 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen räuberi­scher Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Kör­per­ver­let­zung – began­­gen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit - zu einer Frei­­­­­heitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Daneben ord­ne­te das Land­­­gericht die Maßregel der Unterbringung in einem ps­y­ch­­ia­tri­schen Krankenhaus nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) an. Der Beschwerdeführer ist seit dem 7. März 2006 im Askle­pios Fach­kli­­­ni­kum Teupitz (im Folgenden: Klinik) unter­ge­bracht, zunächst auf­grund eines Unterbringungsbefehls, seit Ein­­tritt der Rechts­kraft des Urteils am 27. Februar 2007 in Voll­­zug der Maß­regel. Bereits im Jahre 2004 wurde ein gegen den Beschwerdeführer wegen Brandstiftung geführtes Ermitt­lungs­­­verfahren eingestellt.

 

2. Unter dem 16. Juni 2011 ordnete die Straf­voll­stre­ckungs­kam­mer des Landgerichts die Fortdauer der Unterbringung an. Zwar betrach­­­teten die behandelnden Ärzte die Gefahr körperlicher Angriffe des Beschwerdeführers auf andere nicht mehr als gege­ben, jedoch sei nicht auszuschließen, dass er exhibitio­ni­st­ische Delikte oder Brandstiftungen begehe. Die erste Begut­ach­tung des Beschwerdeführers durch einen kli­­­­­­­­­­­nik­­­externen Sach­ver­stän­digen erfolgte im Frühjahr des Jah­res 2012. Nach dessen Gut­­­achten vom 18. April 2012 leidet der Beschwerdeführer an einer dependenten Per­sön­lich­­­­­keitsstörung (ängstlich-abhängig, gehemmt mit Tendenz zur Über­­­an­­pas­­­sung), einer Störung der Im­puls­­­­­­kontrolle im Sinne des Brand­­­­­­­­­stiftens und einem Feti­schis­­mus. Auf dem Fetischismus beruhe die Anlasstat. Bezüglich der Brand­stiftung bestehe allen­­­falls ein geringes Rüc­k­fall­ri­siko. Was sexuell moti­vierte Delin­­quenz anbelange, falle eine sta­ti­st­ische Pro­gnose wegen Feh­­­lens spezifischer Vor­­­un­ter­suchungen schwer; inso­weit sei je­doch für die nächsten Jahre von einer Rück­­fall­­­wahr­schein­lich­keit von unter 10 % aus­zu­­gehen. Insge­samt er­schei­ne es der­­­zeit sehr unwahrscheinlich, dass der Beschwer­­de­füh­­rer zu­künf­­tig Gewaltdelikte nach Art der Anlass­­tat begehe.

 

3. In dem der Entscheidung des Landgerichts vom 13. Dezember 2012 vor­an­gegangenen Anhörungstermin erklärte der Beschwer­de­füh­rer u.a., er habe in der zweiten Hälfte des Jahres unter einem anderen Namen bei einem Tele­fon­sex-Anbieter angerufen. Die behandelnde Oberärztin der Klinik schilderte in dem Termin außerdem einen exhibitionistischen Vorfall. Die Verfah­rens­be­voll­­mäch­tigte des Beschwerdeführers vertrat im Rahmen der Anhö­rung die Ansicht, der Verurteilte sollte entlassen werden kön­nen, weil es sich bei den drohenden Straftaten nicht um erheb­liche han­dele.

 

Das Landgericht ordnete in dem angegriffenen Beschluss die Fort­­­­­­­­dauer der Unterbringung an. Der Behandlungs- und Locke­rungs­­­­­­­­­­­stand rechtfertige nicht die Annahme, der Beschwer­­­­de­füh­rer werde in Freiheit keine erheblichen rechts­wi­dri­gen Taten mehr begehen, wie sie für eine Aussetzung der Maß­­­­regel­voll­streck­ung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB erfor­der­lich sei. Nach den nachvollziehbaren Aus­füh­run­gen in dem Gut­achten vom 18. April 2012 sei die von dem Beschwer­de­­führer in Freiheit ausgehende Gefahr für die All­ge­mei­nheit weiterhin hoch; dies beziehe sich „ausdrücklich auch auf Risi­ko­­taten, die dem Anlassdelikt vergleichbar sind oder dieses im Schwere­grad übertreffen“. Die behandelnde Oberärztin habe in der Anhö­­rung deutlich gemacht, es sei nicht aus­zu­schließen, dass die jüngsten exhibitionistischen Hand­lungen des Beschwer­de­füh­rers Weiterungen bis hin zu dem Anlassdelikt ent­sprech­en­den Taten erfahren würden. Die Kammer folge den Ein­schät­zun­gen des Sach­verständigen und der Klinikärzte. Für eine bedingte Ent­las­­sung des seinen spontanen Eingebungen und Trie­ben folgenden Beschwerdeführers gebe es zu viele Unwäg­bar­kei­ten. Es könne nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt wer­den, dass die von ihm zu erwartenden Straftaten nur minder schweren Gra­des wären. Im Hinblick auf die bei einer Rück­fall­tat gefähr­de­ten Rechtsgüter sei der weitere Vollzug der Unter­brin­gung auch noch verhältnismäßig.

 

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 11. Februar 2013 legte der Beschwerdeführer unter dem 18. Februar 2013 sofortige Beschwerde ein und begründete diese. Mit dem ebenfalls ange­grif­­­­fenen Beschluss vom 15. Mai 2013 verwarf das Bran­den­bur­gi­sche Oberlandesgericht (Oberlandesgericht) das Rechtsmittel als unbegründet. Aus der Zusammenschau von Charakter der Anlass­­­tat und psychi­scher Störung des Beschwerdeführers ergebe sich die fortbestehende Gefahr sexuell motivierter Straftaten.  In Ansehung der vom Beschwerdeführer „begangenen gravierenden Straf­­­taten“ erweise sich die „Dauer der bisherigen Unter­brin­gung“ als verhältnismäßig. Der Beschluss ging der Ver­tei­di­ge­rin des Beschwerdeführers am 23. Mai 2013 zu.

 

II.

Mit der am 23. Juli 2013 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Frei­­­­­­­­­­­­­­heits­­grund­rechts aus Art. 9 Abs. 1 der Landesverfassung (LV).

 

Für die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychia­tri­schen Kran­­­­­­­­­­kenhaus habe es keine Rechtfertigung gegeben. Mit der Annahme, deren Voraussetzungen lägen vor, hätten die Gerichte Bedeu­tung und Tragweite seines Frei­heits­­grund­rechts ver­­kannt. Die ange­­­­­­­griffenen Entscheidungen ließen eine hin­rei­ch­­­ende rich­ter­li­­che Sachaufklärung vermissen und hätten in tat­­­­säch­li­cher Hin­­­­­­sicht keine ausreichende Grundlage. Die behan­­­deln­den Kli­nik­ärzte und der Sachverständige schlössen aus, dass er künftig der Anlass­tat vergleichbare Delikte bege­hen werde. Etwaige exhibi­ti­o­ni­st­­ische Handlungen wären jeden­falls keine erheblichen Straf­taten. Das Landgericht habe zudem nicht die für eine Unter­brin­gung erforderliche Wahr­schein­lich­keit künf­tiger Delinquenz festgestellt. Ferner sei die nunmehr sie­­ben Jahre währende Unterbringung gemessen an den allenfalls von ihm drohenden Straftaten minderer Schwere unverhältnis­mäßig. Um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen, gebe es mildere Mittel wie Führungsaufsicht oder Be­wäh­­­­­rungs­­auflagen, welche die Gerichte nicht einmal in Erwä­gung gezogen hätten. Schließ­lich hät­ten die für die Fortdauer der Unterbringung angeführten Argumente der Klinik einer be­son­­­­­­ders gründlichen Kon­trolle bedurft, weil diese ein pri­vat­­wirt­­schaft­lich geführ­tes Unter­nehmen sei.

 

III.

Die Präsidenten des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sowie die Staatsanwaltschaft Potsdam hat­­­­ten Gele­gen­heit zur Stel­­­lung­nahme. Die Akten des Ausgangs­ver­­­fah­rens und das Voll­stre­ck­­ungs­heft wur­den beigezogen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

 

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Einer Sachentscheidung des Ver­fas­sungs­ge­richts steht nicht entgegen, dass die Ver­­­let­zung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bun­des­recht­­lich geord­neten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erfor­der­li­chen Vor­aus­setzungen sind gegeben; insbesondere besteht Inhalts­gleich­heit zwischen dem Frei­heits­grund­recht aus Art. 9 Abs. 1 LV einerseits und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) ande­­rer­seits (vgl. Beschluss vom 18. September 2003 – VfGBbg 178/03 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Ent­­­­­­­scheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grund­recht aus Art. 9 Abs. 1 LV.

 

1. Das Freiheitsgrundrecht darf wegen seines hohen Rangs nur aus beson­­ders wichtigen Grün­­­­­­­­den ein­ge­schränkt wer­den. Zu die­sen zählt der Schutz der All­­­­­­gemeinheit, wie er durch das Straf- und das Straf­ver­fah­rens­­­recht bezweckt wird (vgl. zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­­­richt – BVerfG - E 58, 208, 224 f). Ent­scheidun­gen über die An­ord­­­­­­nung und Fort­dauer einer Unter­brin­­gung im psychi­a­tri­schen Kran­­­­­­ken­haus nach § 63, § 67d Abs. 2 StGB betreffen die Frei­­heits­­­­­­­­­­ent­zie­hung und berüh­­­ren damit das Frei­heits­grund­­recht unmi­t­­­telbar (Beschlüsse vom 18. Sep­tember 2003, a. a. O., und vom 19. Oktober 2013    – VfGBbg 72/12 -, www.verfas­sungs­ge­richt.bran­­den­­burg.de). Sie bedür­­fen daher zurei­­chender rich­terlicher Sach­­­­auf­­­klä­­rung und einer in tat­säch­­licher Hin­sicht genügenden Grund­­­­lage (BVerfGE 58, 208, 222, 230; Beschluss vom 19. Juni 2012 – 2 BvR 2521/11 -, NStZ 2013, 116, 117 f). Hierzu gehört regel­­mäßig die Ein­ho­lung sach­ver­stän­di­­ger, vom Gericht selb­stän­­dig zu würdigender Ein­­schät­­zun­gen, soweit in Prog­­­no­se­­ent­­schei­­­dun­gen – wie vor­­­lie­gend hin­sicht­lich künftiger Straf­fäl­ligkeit des Beschwer­­­de­füh­rers nach § 67d Abs. 2, 6 StGB – gei­stige oder see­lische Ano­ma­lien zu beur­tei­len sind (BVerfGE 70, 297, 309 f; BVerfG, Beschluss vom 26. August 2013 – 2 BvR 371/12 -, zitiert nach juris Rn. 42). Solche Entscheidungen müs­­­sen zudem den Grund­satz der Ver­hält­­nis­­­mäßigkeit beach­ten, indem sie den – mit zunehmender Dauer der Unter­bringung bedeut­­­­­­­samer wer­den­den – Frei­heits­an­­spruch des Unter­­gebrachten und das Schutz­be­dürf­­­nis der All­ge­­mein­­heit, ausgedrückt durch das Maß der vom Unter­­­­­gebrachten aus­gehenden Gefahr, gegen­ein­an­der abwä­gen (BVerfGE 70, 297, 311 ff). Dabei darf in die Abwä­­gung nur die Gefahr solcher rechts­­­wi­dri­gen Taten ein­ge­­stellt werden, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach auch die Anordnung der Unter­brin­­gung nach § 63 StGB recht­fertigen kön­nen; ferner ist der Grad der Wahr­schein­lichkeit zu bestimmen, dass sich diese Gefahr reali­siert (BVerfG, Beschlüsse vom 26. August 2013, a. a. O., zitiert nach juris Rn. 44 f und vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 -, zitiert nach juris Rn. 26 f). Mit der Dauer der Unter­bringung erhöhen sich zudem die ver­­fas­sungs­ge­richt­­liche Kon­troll­dichte und infolgedessen auch die Anfor­­­­derungen, die an eine Ent­schei­­dungs­­begründung zu stel­len sind, mit der im Ra­­­h­men der Ver­­­­hält­nismäßigkeits­prü­fung dem Schutz der All­­­­ge­­mein­­heit der Vorrang vor dem Frei­heits­­anspruch ein­ge­räumt und die Aus­s­et­zung der Maß­re­gel­­voll­zie­hung nach § 67 d Abs. 2 StGB abge­lehnt werden (BVerfGE 70, 297, 315 f). In der Anord­nung der Unter­­bringungs­fort­dauer ohne eine diese Anfor­­­­de­run­gen erfül­­­­­­­­­lende Begründung manifestiert sich eine Verkennung der Trag­weite des Freiheitsgrundrechts und des Grundsatzes der Ver­hältnismäßigkeit. Eine solche Anordnung rechtfertigt eine weitere Frei­heits­ent­zie­­­­hung nicht und ver­letzt den Unter­ge­brach­ten in sei­nem Frei­heits­­­­grund­recht (BVerfGE 70, 297, 314 f, 316 f; BVerfG, Beschluss vom 26. August 2013, a. a. O., Rn. 48 f).

 

2. Die angegriffenen Entscheidungen werden den vorstehend auf­ge­­zeigten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht und verstoßen daher gegen das Grund­­­­recht des Beschwer­de­füh­rers aus Art. 9 Abs. 1 LV.

 

a. Das Landgericht hat seine für den Beschwerdeführer nach­­tei­­­lige Gefahrenprognose u. a. auf das externe Sach­ver­stän­­di­­gen­gutachten vom 18. April 2012 gestützt. Aus diesem Gutachten ergibt sich aber gerade nicht, dass vom Beschwerdeführer in Frei­heit die Ausübung erheblicher Straf­­­taten zu erwarten sei. Das Risi­ko künf­ti­ger Brand­stif­tungs­­­delikte, mit dem das Land­ge­richt noch im Beschluss vom 16. Juni 2011 die Unter­brin­gungs­fort­­­­­dauer begrün­det hatte, bezeich­net der Sachverständige als allen­­falls gering; die Bege­­­­hung von der Anlasstat ver­gleich­ba­ren Gewalthandlungen als sehr unwahrscheinlich. Zwar empfiehlt er mit Blick auf die teil­­­­­­­­­weise labilen Bedingungen für die vom Beschwer­­deführer er­ziel­­­­­­ten Fortschritte (noch) keine Lang­zeit­be­ur­laubung, stellt dies jedoch in keinen Zusam­menhang mit der Einschätzung von des­­­sen Gefährlichkeit nach einer etwaigen Entlassung. Wohl kann das Gericht kraft seiner allei­nigen Befugnis, die erfor­der­­­liche Prognoseentscheidung zu treffen, von dem Sach­ver­stän­di­­­­­­gengut­achten abweichen; regel­mäßig muss es eine solche Abwei­­chung jedoch sorgfältig begrün­den, um der Bedeu­tung des Frei­­­­­­­heitsgrundrechts Rech­nung zu tra­gen (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 5. Juli 2013, a. a. O., Rn. 32, 35). Dem wird die Entscheidung des Landgerichts vorliegend schon deshalb nicht in der von Verfassungs wegen gebotenen Weise gerecht, weil sie - unzu­tref­­­­fend - davon aus­ging, ihre Prognose stimme mit den sach­ver­stän­digen Bewertungen über­ein.

 

Die Stellungnahme der behandelnden Oberärztin im Anhö­rungs­­ter­min war ebenfalls keine die Anordnung der Unter­brin­gungs­­fort­dau­­er tragende Grundlage. In deren Rahmen berichtete die Ärz­tin von einer exhibitionistischen Handlung des Be­schwer­­de­füh­rers auf dem Klinikgelände. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine dem Anlassdelikt vergleichbare oder noch schwe­rer wiegende Straftat, auf die das Landgericht für seine Ge­fah­­­­­­­­renprognose abgestellt hat. Zudem sind exhi­bit­io­ni­st­ische oder sexuelle Handlungen im Sinne von § 183, § 183a StGB nicht ohne weiteres dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzu­ord­nen­ und mit einer schweren Störung des Rechtsfriedens ver­bun­den, wie dies für das Vorliegen erheblicher Straftaten im Sinne von § 63 StGB mindestens erforderlich ist (vgl. Fischer, Kom­­men­tar zum StGB, 61. Aufl. 2014, § 63 Rn. 16, 17, 18). Dass, wie die Ärztin wei­ter aus­­­­­­­­ge­führt hat, eine Entwicklung des von ihr beschriebenen exhibitionistischen Verhaltens bis hin zu dem Anlass­delikt ent­spre­chenden Taten nicht aus­ge­schlos­­­­­sen wer­­­­­­­­den könne, beschreibt lediglich die Mög­lich­­­keit wei­ter­ge­hen­der Delikte des Beschwer­de­füh­rers; eine sol­­che ver­mag die weitere Maß­regelvollstreckung indes nicht zu recht­fer­ti­gen (vgl. BVerfGE 70, 297, 313).

 

b. Das Landgericht hat darüber hinaus nicht – wie ver­fas­sungs­recht­lich geboten - das Maß der vom Be­schwer­deführer ausge­hen­den Gefahr bestimmt. Hierzu wäre es er­for­derlich gewesen, die Art der vom Beschwerdeführer dro­hen­den erheblichen Straftaten (den Deliktstypus) und den Grad der Wahrscheinlichkeit zu kon­­kre­tisieren, dass er sie in Freiheit begin­ge; insoweit bedarf es zur Rechtfertigung der (Fortdauer der) Unterbringung einer Wahr­scheinlichkeit höheren Grades (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013, a. a. O., Rn. 42; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09 -, NStZ-RR 2009, 306, 307). Demgegenüber hat die Kammer mit dem Abheben auf dem Anlass­de­likt vergleichbare oder noch schwerere Straftaten die not­wen­dige Klarstellung nicht getroffen, welche Straftaten genau vom Beschwer­de­füh­rer zu erwarten seien. Ferner hat sie es unter­las­­­sen, die erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades fest­­­­­zustellen und diese ausreichend von der – eine Unter­brin­gungs­­anordnung nicht tragenden - bloßen Möglichkeit weiterer erhe­blicher Straf­ta­ten abzugrenzen. In ihrer Ein­schät­­zung der gut­­achterlichen und ärztlichen Stellungnahmen führt sie in Ver­­kennung des verfas­sungs­recht­lich zwingenden Ansatzes ledig­­lich aus, es könne derzeit nicht mit aus­rei­ch­en­­der Sich­er­heit ge­sagt werden, der Beschwer­de­füh­rer werde künftig nur min­der schwere Straftaten begehen.

 

c. Schließlich verhält sich der landgerichtliche Beschluss nicht zu der Frage, ob die Sicherheitsinteressen der All­ge­mein­heit nicht durch Maßnahmen der Führungsaufsicht (§ 68a,   § 68b StGB – etwa ambulante psychotherapeutische Behand­lung) gewahrt werden können, die im Falle einer Aus­­set­zung des Maß­re­gel­­vollzugs zur Bewährung kraft Gesetzes ein­tritt (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB). Dies erscheint mit Blick auf die ärzt­li­cher­­seits festgestellte geringe Gefährlichkeit des Beschwer­­deführers, seine Be­schäf­­­tigung in einer LKW-Wasch­an­lage, die posi­­tive Entwicklung des Beschwerdeführers in der Unter­brin­gung und seine im Anhö­rungs­ter­min durch seine Ver­­teidigerin sig­­nalisierte Bereitschaft, sich ambulant weiter the­rapieren zu lassen, jeden­falls nicht von vornherein aus­ge­schlos­­sen. Unter dem Gesichtspunkt der Verh­ältnismäßigkeit der Unter­brin­gungs­­­fort­dauer hätte sich das Land­gericht mit dieser Möglich­keit aus­ein­­­­an­­­der­setzen müssen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom  26. Au­­gust 2013, a. a. O., Rn. 46, 58 und vom 5. Juli 2013, a. a. O., Rn. 43).

 

d. Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2013 ver­letzt den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht. Soweit das Oberlandesgericht zur Begründung seiner Beschwer­de­ent­­­schei­dung auf den Beschluss des Landgerichts Bezug nimmt, ergibt sich dies aus den vorstehenden Ausführungen. Darüber hin­aus enthält auch die weitergehende Feststellung des Ober­lan­­­­des­ge­richts, die Gefahr sexuell motivierter oder aus­ge­lö­ster erheb­­li­cher Straf­ta­ten bestehe fort, nicht die ver­­fas­sungs­­recht­lich gebotene Kon­­­kretisierung der Art der vom Beschwer­­de­füh­rer dro­hen­den De­likte und des Grades der Wahr­schein­lich­keit, dass er sie in Frei­­­heit ausüben werde. Zudem ver­fehlt das Ober­­­landesgericht die ver­fas­­sungs­recht­­li­ch gebo­te­nen Begründungsanfor­de­­­run­­gen, indem es auf die Ver­hält­nis­mäßig­keit „der bisherigen Unter­­bringung“ ab­stellt statt auf deren in dem angegriffenen Beschluss des Land­­­­­gerichts angeord­nete Fortdauer.

 

C.

Danach sind die Beschlüsse vom 13. Dezember 2012 und 15. Mai 2013 auf­­­z­u­­he­­ben. Die Sache wird zur erneu­­ten Ent­schei­­­­­dung an das Landgericht Cottbus zurück­­­­­ver­­­­wie­sen. Nach § 50 Abs. 3 Halbsatz 2 Ver­fas­sungs­­­gerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) ver­weist das Ver­­fas­sungsgericht die Sache an „ein“ zuständiges Ge­richt zurück. Im Rahmen des hierdurch eingeräumten Ermes­sens hält das Ver­fas­sungs­gericht eine Zurückverweisung an das Land­ge­­richt für angemessen, weil dieses am 10. Dezember 2013 bereits eine erneute Begutachtung des Beschwerdeführers ange­ord­­net hat. Angesichts der Bedeutung des verletzten Grund­rechts geht das Verfassungsgericht von einer zeitnahen Ent­schei­dung aus.

 

Die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg. Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37  Abs. 2 Satz 2 Rechts­­­­an­waltsvergütungsgesetz auf 10.000,00 € festzu­set­­­zen.

 

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dresen Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Partikel
   
Schmidt