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VerfGBbg, Beschluss vom 21. Januar 2011 - VfGBbg 28/10 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
- VwVfG, § 51
Schlagworte: - Subsidiarität
- Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens
amtlicher Leitsatz: Eine Verfassungsbeschwerde ist nach dem in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg verankerten Prinzip der Subsidiarität unzulässig, wenn es objektiv möglich und dem Beschwerdeführer wegen hinreichender Erfolgsaussicht zumutbar ist, zunächst bei der Behörde das Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens zwecks Änderung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Verwaltungsaktes zu beantragen.
Fundstellen: NVwZ 16/2011, S. 997
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Januar 2011 - VfGBbg 28/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 28/10




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

    R.

 

 

Beschwerdeführer,

 Verfahrensbevollmächtigte:  D.

 

wegen der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. März 2010 (Az.: 2 Ws <Reha> 46/09) und des Landgerichts Potsdam vom 28. August 2009 (Az.: BRH <OP> 20/09) sowie des Bescheides des Präsidenten des Landgerichts Potsdam vom 11. März 2009 (Az.: 4220E-1110 <OP> und 44 BRH 6712/93)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Prof. Dawin, Dielitz, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt

am 21. Januar 2011

b e s c h l o s s e n :

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

G r ü n d e:

  A.

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Rücknahme von Zuwendungsbescheiden und die Rückforderung ausge-zahlter Beträge im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Rehabilitierung des Beschwerdeführers.

I.

Der Beschwerdeführer befand sich aufgrund von Urteilen des Kreisgerichts Zossen vom 18. Mai 1966 und des Kreisgerichts Königs Wusterhausen vom 24. Juli 1973 in der Zeit von 1965 bis 1968 und von 1973 bis 1975 in Haft. Mit Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 5. Juli 1995 wurden Teile dieser Urteile nach den Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes für rechtstaatswidrig erklärt und aufgehoben sowie festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich in der Zeit vom 20. Oktober 1965 bis zum 19. Juni 1968 für die Zeit von zwei Jahren und zwei Monaten sowie vom 16. Juli 1973 bis zum 29. April 1975 zu Unrecht in Haft befunden hatte. Auf der Grundlage dieser Entscheidung beantragte der Beschwerdeführer unter dem 3. August 1995 eine Kapitalentschädigung nach § 17 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sowie unter dem 30. August 2007 die Gewährung einer besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG. Die Antragsformulare enthielten u.a. folgende Hinweise:

„ 5. Nach § 16 Absatz 2 StrRehaG werden soziale Ausgleichsleistungen (z.B. Haftentschädigungen) nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.’

Ferner waren im Antragsformular folgende Erklärungen vorformuliert, die sich der Beschwerdeführer durch Unterzeichnung zu eigen gemacht hat:

Umstände, die einen Ausschluß der Leistungen gemäß der vorgenannten Vorschrift rechtfertigen, sind mir nicht bekannt.“ (Antrag vom 3. August 1995)

         sowie

 

         „ 6.3. Ausschließungsgründe

Ich versichere nach bestem Wissen und Gewissen, dass ich nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit   oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen, dem damaligen herrschenden System keinen erheblichen Vorschub geleistet oder meine Stellung nicht in schwerwiegendem Maße zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe.

Außerdem erkläre ich, dass ich mich weder mündlich noch schriftlich gegenüber dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit, dem Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei oder ähnlichen Organisationen zur Mitarbeit verpflichtet habe und zu keiner Zeit für eine dieser Organisationen tätig gewesen bin. In den Jahren der SED-Herrschaft gehörte ich nicht dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit als inoffizielle(r), offizielle(r) oder andere(r) Mitarbeiter(in) an. ...

Hinweis: Der Bescheid über die Bewilligung der besonderen Zuwendung kann zurückgenommen und die gewährten Leistungen zurückgefordert werden, wenn Sie unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben. Eine Berufung auf Vertrauensschutz ist in diesem Fall nicht möglich.“ (Antrag vom 30. August 2007)

Nach Einholung einer Auskunft bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), aus der sich keine Hinweise auf das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG ergaben (Blatt 22 der Rehabilitierungsakte 4220 E-<OP>), bewilligte der Präsident des Landgerichts Potsdam dem Beschwerdeführer mit Bescheiden vom 25. September 1995 und vom 23. März 2001 für  48 Monate Freiheitsentziehung eine Kapitalentschädigung in Höhe von insgesamt 28.800,00 DM sowie mit Bescheid vom 7. Januar 2008 eine besondere Zuwendung für Haftopfer in Höhe von monatlich 250,00 €.

Nachdem der Präsident des Landgerichts Potsdam durch Schreiben der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 30. April 2008 Kenntnis von neu erschlossenen Unterlagen erlangt hatte, teilte er dem Beschwerdeführer mit, es bestünden erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass dieser entgegen seinen Angaben in den Anträgen auf Ausgleichsleistungen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Aus einem Treffbericht vom 8. Januar 1969 folge, dass er anlässlich eines Kontaktgesprächs mit dem Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) am 7. Januar 1969 mündlich über die beabsichtigte Republikflucht eines Jugendlichen berichtet habe. Dabei habe es sich um eine politisch erhebliche Tatsache gehandelt, die geeignet gewesen sei, diesen Dritten einer Verfolgung durch das MfS auszusetzen. Es kämen daher die Rücknahme der Bewilligungsbescheide und die Rückforderung der ausgezahlten Leistungen in Betracht. Die damalige Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers bestritt die Angaben in dem Treffbericht. Mit Bescheid vom 11. März 2009 hob der Präsident des Landgerichts Potsdam die Bewilligungsbescheide vom 25. September 1995, 23. März 2001 sowie vom 7. Januar 2008 jeweils rückwirkend auf den Zeitpunkt ihres Erlasses auf und forderte die gezahlten Beträge zurück. Die Bewilligungen seien rechtswidrig, da die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 16 Abs. 2 StrRehaG wegen des Berichts über die beabsichtigte Republikflucht eines Jugendlichen vorgelegen hätten. Die Rücknahme der Bescheide und Rückforderung der ausgezahlten Beträge seien auch unter Berücksichtigung der erlittenen Haftzeit gerechtfertigt, da die Informationen nach der ersten eigenen Haftzeit weitergegeben worden seien. Ein schutzwürdiges Vertrauen am Bestand der Bescheide liege wegen seiner Angaben in den Anträgen nicht vor. Der Beschwerdeführer habe das Vorliegen eines Ausschlussgrundes und damit die Rechtswidrigkeit der Bescheide aufgrund seiner Zusammenarbeit mit dem MfS kennen müssen.

Den dagegen gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 28. August 2009 (Az.: BRH <OP> 20/09) als unbegründet zurück und führte u.a. aus, die Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit dem MfS habe ein Ausmaß an Verwerflichkeit erreicht, das seine durch die rechtsstaatswidrige Haft von zwei Jahren und zwei Monaten erlittenen eigenen Schäden überwiege. Das Brandenburgische Oberlandesgericht zog im anschließenden Beschwerdeverfahren zur Identitätsklärung der im Treffbericht bezeichneten Personen die ungeschwärzte Fassung der BStU-Unterlagen bei und verwarf sodann die Beschwerde mit Beschluss vom 23. März 2010 (Az.: 2 Ws <Reha> 46/09). Der an die damalige Bevollmächtigte des Beschwerdeführers am 14. April 2010 abgesandte Beschluss nahm im Wesentlichen Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.

 

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die am 16. Juni 2010 bei dem Verfassungsgericht eingegangen ist, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 10 Verfassung des Landes Brandenburg – LV -), der Grundrechte auf Gleichheit vor dem Gericht (Art. 52 Abs. 3 LV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 11 LV) sowie des Eigentumsrechts nach Art. 41 Abs. 1 LV. Der Beschwerdeführer macht geltend, die angegriffenen Hoheitsakte verletzten Art. 10 LV, weil Fragen nach einer vor dem Jahr 1970 abgeschlossenen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) der  Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge wegen Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht unzulässig seien und etwaige Antworten daher nicht verwertet werden dürften. Dieser Grundsatz gelte nicht nur bezogen auf die Sonderkündigungstatbestände des Einigungsvertrages, sondern als Folge des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch im Bereich der strafrechtlichen Rehabilitierung. Behörde und Gerichte hätten daher berücksichtigen müssen, dass der dem Beschwerdeführer angelastete Vorgang im Jahr 1969 beendet gewesen sei. Zudem habe das – bestrittene - Geschehen kein Ausmaß erreicht, das ein Zurücktreten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei nicht als Mitarbeiter für das MfS tätig gewesen; die diesbezügliche Versicherung in seinem Antrag auf Opferrente sei daher – entgegen der Wertung der Gerichte – zutreffend. Gegen Art. 10 LV verstießen die Entscheidungen auch deswegen, weil sie für den Beschwerdeführer aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse eine unzumutbare Härte darstellten. Wegen der Missachtung der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zugleich Art. 52 Abs. 3 LV verletzt. Die Entscheidungen seien im Übrigen unverständlich, da selbst im Jahr 1969 begangene schwere Verbrechen inzwischen strafrechtlich verjährt seien. Der angegriffene Bescheid und die ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen verletzten Art. 11 LV, weil sie auf der – vermeintlich - wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS beruhten, für die es an der nach Art. 11 Abs. 2 LV erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehle. Da der Beschwerdeführer Anspruch auf die gewährten Leistungen habe und diese somit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz unterlägen, griffen die rechtswidrigen Hoheitsakte schließlich in sein Eigentumsrecht ein. 

III.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht, das Landgericht Potsdam sowie der Präsident des Landgerichts Potsdam haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Verwaltungsvorgang sowie die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz ihrer Subsidiarität ergeben. Das in § 45 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) verankerte Prinzip der Subsidiarität verlangt von einem Beschwerdeführer, dass dieser - über eine bloße Rechtswegerschöpfung im bereits durchgeführten Verfahren hinaus - alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder von vornherein zu verhindern; vor Anrufung des Verfassungsgerichts muss er alle ihm gegebenenfalls zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung ergreifen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, s. Beschluss vom 17. September 2009 – VfGBbg 22/08 -, www.verfassungsge-richt.brandenburg.de). Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer nicht gerecht geworden. Er hat es versäumt, bei dem Präsidenten des Landgerichts Potsdam einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens zu stellen, um so die Korrektur des angegriffenen Bescheides vom 11. März 2009 durch die nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG zuständige Behörde zu erwirken.

Zwar ergeben sich aus dem Vortrag des Beschwerdeführers keine zwingenden Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 51 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Dem gegenüber ermächtigt § 51 Abs. 5 VwVfG die Behörden aber, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren unabhängig vom Vorliegen solcher Gründe nach Ermessen wieder aufzugreifen, und ermöglicht damit auch bei Verwaltungsakten, die – wie hier – rechtskräftig bestätigt sind, die nachträgliche  Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne; vgl. BVerfGK 12, 227, 232; Bundesverwaltungsgericht – BVerwG -, Urteil vom 22. Oktober 2009 – BVerwG 1 C 26.08 -, BVerwGE 135, 137). Damit verfügt der Beschwerdeführer über eine vorrangig zu nutzende Rechtsschutzmöglichkeit, um die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen zu beseitigen. Dem steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens ebenso wie die sich gegebenenfalls anschließende erneute Sachentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht (vgl. BVerfGK 12, 227, 232 mwN). Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist von einer Ermessensverdichtung zugunsten des Betroffenen auszugehen, wenn die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Bescheides schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – BVerwG 1 C 26.08 -, aaO). Dies würde der Fall sein, wenn sich die Rücknahmeentscheidung vom 11. März 2009 als unvereinbar mit der Landesverfassung erwiese. Die vorherige Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens ist vorliegend auch deswegen sachgerecht und dem Beschwerdeführer zuzumuten, weil die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Argumente zur Verfassungswidrigkeit einer Rücknahme der Rehabilitierungsentscheidungen nicht Gegenstand des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens waren und daher in diesem Verfahren von der Behörde nicht berücksichtigt werden konnten. Bei einer erneuten Sachentscheidung hätte der Präsident des Landgerichts Potsdam im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung zwischen dem als verwerflich angesehenen Handeln des Beschwerdeführers und dem Ausmaß des diesem selbst zugefügten gravierenden Unrechts eine Haftzeit von drei Jahren und elf Monaten zu beachten. Soweit das Landgericht Potsdam in seiner Entscheidung vom 28. August 2009 (amtl. Abdruck S. 6) lediglich eine Haftzeit von zwei Jahren und zwei Monaten in die Abwägung eingestellt hat, ist offensichtlich die vom Rehabilitierungsbeschluss umfasste Haftzeit vom 16. Juli 1973 bis zum 29. April 1975 unbeachtet geblieben.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Prof. Dawin
   
Dielitz Dr. Lammer
   
Möller Nietsche
   
Partikel Schmidt