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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Dezember 2001 - VfGBbg 50/01 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 52 Abs. 4
- StPO, § 261
Schlagworte: - Willkür
- Strafprozeßrecht
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Strafrecht, materielles
amtlicher Leitsatz:
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Dezember 2001 - VfGBbg 50/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 50/01



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

H.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt M.,

gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 12. Juni 2001 und gegen den Beschluß des Landgerichts Potsdam vom 27. August 2001

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert,
Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr.Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 20. Dezember 2001

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.
I.

Die Beschwerdeführerin wurde durch das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 12. Juni 2001 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 160 DM verurteilt. Das Amtsgericht legte der Verurteilung zugrunde: Am 26. März 2000 seien um 01.18 Uhr zwei Polizeibeamte am Grundstück der Beschwerdeführerin erschienen, um eine von einem Nachbarn angezeigte Ruhestörung zu überprüfen. POM K., der Streifenführer, habe den Ehemann der Beschwerdeführerin aufgefordert, seinen Personalausweis vorzuzeigen, was dieser abgelehnt habe. Durch das lautstark geführte Gespräch aufmerksam geworden, habe sich die Beschwerdeführerin zum Eingangstor begeben. POM K. habe sie gebeten, sich nicht in das Gespräch einzumischen. Hierüber ungehalten habe die Beschwerdeführerin zu dem Beamten mit ausgestreckter Hand und direktem Blickkontakt gesagt: „Halts Maul und leck mir am Arsch!“. Der andere Polizeibeamte, PM S., habe den Vorfall beobachtet und die Schimpfworte mit angehört. Die Beschwerdeführerin legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein. Das Landgericht nahm die Berufung nicht an und verwarf sie mit Beschluß vom 27. August 2001 auf der Grundlage von § 313 Abs. 2 StPO als unzulässig. Das Urteil des Amtsgerichts sei sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden.

II.

Mit der am 26. Oktober 2001 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, des Willkürverbots und des Rechts auf ein faires Verfahren. Daß der Zeuge POM K. sie gebeten habe, sich nicht in das Gespräch einzumischen, lasse sich den im Protokoll festgehaltenen Zeugenaussagen nicht entnehmen. Gleiches gelte für die Feststellung, daß der Zeuge PM S. den Vorfall beobachtet habe. Die beiden Beamten hätten während des Disputs außerhalb des Grundstücks vor einem 1,60 m hohen blickdichten Eingangstor, sie, die Beschwerdeführerin, und ihr Ehemann dagegen hinter diesem Tor gestanden. Die Unzuverlässigkeit der Aussagen des Zeugen POM K. habe sich in zwei - inzwischen eingestellten - Verfahren wegen Ruhestörung gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin gezeigt. Die fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Amtsgericht sei unter Berücksichtigung der die Landesverfassung beherrschenden Grundsätze nicht mehr hinnehmbar. Es dränge sich der Schluß auf, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Das Verfahren sei unfair und willkürlich gewesen. Das Landgericht habe sich in seinem Beschluß nicht mit den in der Berufungsschrift aufgezeigten Widersprüchen und auch nicht damit auseinandergesetzt, daß der Vertreter der Staatsanwaltschaft einen Freispruch gefordert habe. Die Höhe der Geldstrafe sei willkürlich bemessen. Der zunächst gegen die Beschwerdeführerin ergangene Strafbefehl habe nur auf eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 50 DM gelautet.

III.

Staatsanwaltschaft, Amtsgericht und Landgericht hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.
I.

1. Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV) und auf ein faires Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 LV) rügt, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Die Beschwerdeführerin hatte ersichtlich Gelegenheit, sich in dem Strafverfahren zu äußern. Auch für eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren legt die Beschwerdeschrift nichts Einschlägiges dar: Die Beschwerdeführerin macht im Kern geltend, daß das Urteil falsch und nicht, daß es unfair zustande gekommen sei.

2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Willkürverbots rügt, gibt die Verfassungsbeschwerde Anlaß zur Überprüfung. Sie ist unter diesem Gesichtspunkt zulässig.

3. Der Anrufung des Landesverfassungsgerichts steht nicht entgegen, daß die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - hier: durch die Strafprozeßordnung - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 330, 371 ff.) sind hier gegeben. Das als verletzt gerügte landesrechtliche Willkürverbot, abzuleiten aus Art. 52 Abs. 3 LV, ist inhaltsgleich mit dem entsprechenden Grundrecht des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Eine Rechtsschutzalternative zu der Verfassungsbeschwerde steht nicht zur Verfügung, der Beschluß des Landgerichts ist unanfechtbar (vgl. § 322a Satz 2 StPO). Ein Bundesgericht war nicht befaßt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde bleibt indes in der Sache selbst ohne Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts vom 12. Juni 2001 und der Beschluß des Landgerichts vom 27. August 2001 verstoßen nicht gegen das Willkürverbot.
Willkürlich ist eine Entscheidung erst dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. etwa Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 86 f.; Beschluß vom 20. Januar 1997 - VfGBbg 45/96 -, NJ 1997, 307 m.w.N.; für die entsprechende Rechtslage nach Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 80, 48, 51). Die Entscheidung muß - jenseits der richtigen Anwendung des einfachen Rechts - ganz und gar unverständlich erscheinen und das Recht in einer Weise falsch anwenden, die jeden Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschreitet (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 14. August 1996 - VfGBbg 23/95 -, LVerfGE 5, 67, 72, m.w.N.).

Hiervon ausgehend ist ein Verstoß gegen das Willkürverbot nicht zu erkennen. Der Strafrichter entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung (§ 261 StPO). Die hier von der Strafrichterin gewonnene Überzeugung, daß die Beschwerdeführerin den Zeugen POM Küpper in der beschriebenen Weise beleidigt habe, läßt sich anhand der Verfahrensakten, die das erkennende Gericht beigezogen hat, und des Protokolls der Hauptverhandlung nachvollziehen. Es ist nicht erkennbar, daß die Verurteilung auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Zeuge POM K. hat bei seiner Zeugenvernehmung die Beleidigung bestätigt. Der Zeuge PM S. konnte sich in der Hauptverhandlung zwar zunächst nicht mehr daran erinnern, was die Beschwerdeführerin gesagt hat. Zu dem Einsatzbericht vom 26. März 2001 hat er dann aber laut Hauptverhandlungsprotokoll bekundet: „Herr K. hat nur unterschrieben. Herr K. war der Streifenführer und ich der Streifenbedienstete. Der Bericht wurde von mir durchgelesen. Das war auch so. Ich kann mich bloß heute nicht mehr genau erinnern.“ Daß die Strafrichterin die Passage „Das war auch so. Ich kann mich bloß heute nicht mehr genau erinnern.“ auf das Geschehene und nicht - wie es die Beschwerdeführerin eingeordnet sehen will - auf das Durchlesen des Protokolls bezogen hat, ist durchaus naheliegend, mindestens aber vertretbar. Dann aber stimmen die Aussagen POM K. und PM S. im Kern überein und belegen den Vorwurf einer Beleidigung des Zeugen POM K.. Auf die örtlichen Gegebenheiten kommt es insoweit nicht ausschlaggebend an. Die Angaben der Beschwerdeführerin selbst haben im übrigen gewechselt. In einer - in der Hauptverhandlung verlesenen - früheren schriftlichen Stellungnahme hat sie zunächst eingeräumt, sich in der wiedergegebenen Weise geäußert zu haben, allerdings nicht an den Zeugen POM K. gerichtet, sondern in Bezug auf ihren Ehemann. Erst später hat sie dann bestritten, sich überhaupt in dieser Art ausgedrückt zu haben. Insgesamt gesehen erscheint jedenfalls die auf die Aussagen der beiden Polizeibeamten gestützte Überzeugungsbildung der Amtsrichterin keineswegs unverständlich oder gar willkürlich. Damit erweist sich die Verfassungsbeschwerde als unbegründet. Eine über die Kontrolle am Maßstab der Grundrechte - hier: am Maßstab des Willkürverbots - hinausgehende Überprüfung ist dem Verfassungsgericht verwehrt; es ist keine weitere Fachinstanz.

Auch die Höhe der ausgeurteilten Geldstrafe läßt keine willkürliche Sachbehandlung weder zur Anzahl noch zur Höhe erkennen. Daß das Amtsgericht Potsdam in seinem Strafbefehl vom 10. Oktober 2000 und in seinem Urteil vom 12. Juni 2001 gleichermaßen eine Verurteilung zu 15 Tagessätzen für schuldangemessen hielt, ist, da es jeweils um denselben Vorwurf und dasselbe Tatgeschehen geht, nicht zu beanstanden. Die abweichende Höhe des einzelnen Tagessatzes läßt sich zwanglos mit der in der Hauptverhandlung erörterten Höhe des Einkommens der Beschwerdeführerin erklären.

Ebensowenig wie das Urteil des Amtsgerichts verstößt die die Berufung hiergegen verwerfende Entscheidung des Landgerichts gegen das Willkürverbot.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
Weisberg-SchwarzProf. Dr. Will