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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Dezember 2001 - VfGBbg 44/01 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2
- BbgBO, § 38 Abs. 4
- BGB, § 542; BGB, § 544
Schlagworte: - gestzlicher Richter
- Zivilprozeßrecht
- Willkür
- Bundesrecht
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Dezember 2001 - VfGBbg 44/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 44/01



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. & R.,

gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2001

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Havemann, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz undProf. Dr. Will

am 20. Dezember 2001

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin mietete von den Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Dachgeschoßwohnung, an deren innenliegender Treppe und Galerie das Geländer fehlte. Nach Darstellung der Beschwerdeführerin erklärten die Vermieter sich nach mehrfacher Mahnung bereit, das Geländer bis Ende Februar 1999 anzubringen. Nachdem die Stadt F. als untere Bauaufsichtsbehörde auf Betreiben der Beschwerdeführerin den Beklagten die Nutzung der 2. Ebene der Wohnung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt hatte, weil für diesen Bereich der 2. Rettungsweg gemäß § 38 Abs. 4 BbgBO nicht gegeben sei und die Nutzung der Abstellfläche als Wohnbereich sowie die Nutzung der Treppe eine nicht vertretbare Gefährdung für die Mieter bedeuteten, kündigte die Beschwerdeführerin das Mietverhältnis fristlos und gab die Wohnung Ende März 1999 zurück. Ihre hierauf wegen der Umzugs- und Möbelunterstellungskosten erhobene Schadensersatzklage hat das Amtsgericht mit Urteil vom 12. Januar 2001 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Berechtigung zur fristlosen Kündigung folge nicht aus § 542 Abs. 1 BGB, da dem Vermieter keine Frist gesetzt worden sei, um Abhilfe – hier: durch Anbringung eines fehlenden Treppengeländers - zu schaffen. Das Verstreichen einer von dem Schuldner selbst gesetzten Frist reiche insoweit nicht aus. Ein Recht zur fristlosen Kündigung folge auch nicht aus § 554 a BGB. Soweit die Stadt F. den Beklagten die Nutzung der Wohnung untersagt habe, betreffe dies zunächst nicht die Beschwerdeführerin selbst. Die Berufung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht durch Urteil vom 20. Juli 2001 „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils“ zurückgewiesen.

Mit ihrer am 8. Oktober 2001 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Landesverfassung (LV). Da das Landgericht entgegen § 541 Abs. 1 ZPO keinen Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts herbeigeführt habe, sei ihr der gesetzliche Richter entzogen worden. Die Rechtsauffassung, wonach eine wirksame Kündigung eine Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels mit Androhung der Kündigung erfordere, weiche von obergerichtlicher Rechtsprechung ab. Das Oberlandesgericht habe am 26. Februar 1997 entschieden, daß es einer Fristsetzung nicht bedürfe, wenn Abhilfe nicht oder nur unter Bedingungen möglich sei, die dem Mieter nicht zuzumuten seien. So liege der Fall hier, da die behördliche Nutzungsuntersagungsverfügung und die Anordnung der sofortigen Vollziehung vor allem darauf beruhten, daß der 2. Rettungsweg gem. § 38 Abs. 4 Brandenburgische Bauordnung nicht gegeben gewesen sei. Es hätte massiver Umbauarbeiten bedurft, die die Wohnung über einen nicht absehbaren Zeitraum unbewohnbar und zu einer Baustelle gemacht hätten. In einer Entscheidung vom 10. April 1996 habe das Oberlandesgericht zudem eine fristlose Kündigung bei Vorliegen einer die Nutzung untersagenden Ordnungsverfügung angenommen. Auch das Oberlandesgericht D. und das Oberlandesgericht K. seien in verschiedenen Entscheidungen anderer Auffassung als das Landgericht gewesen.

Die Beklagten des Ausgangsverfahrens halten die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Sie hätten der Beschwerdeführerin eine Kostenübernahme für das Treppengeländer angeboten. Das Landgericht hat von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil des Landgerichts verletzt nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter.

Die in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV in Übereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist verletzt, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht willkürlich außer acht läßt (vgl. BVerfGE 76, 93, 96; 87, 282, 284 f.), hier also, wenn das Landgericht zur Vorlage an das im Rechtszug übergeordnete Brandenburgischen Oberlandesgerichts gemäß

§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO verpflichtet gewesen wäre und dies willkürlich unterlassen hätte. Das war jedoch nicht der Fall.

Die Voraussetzungen einer Vorlage nach § 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO lagen im Ausgangsverfahren nicht vor. Nach dieser Bestimmung hat das Landgericht, will es als Berufungsgericht bei der Entscheidung einer Rechtsfrage, die sich aus einem Mietverhältnis über Wohnraum ergibt oder den Bestand eines solchen Mietvertragsverhältnisses betrifft, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder eines Oberlandesgerichts abweichen, vorab die Entscheidung des übergeordneten Oberlandesgerichts über die Rechtsfrage (Rechtsentscheid) herbeizuführen. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin weicht die hier von dem Landgericht vertretene Auffassung, daß eine wirksame fristlose Kündigung des Mieters eine Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels der Mietsache unter Androhung der Kündigung erfordere, von obergerichtlicher Rechtsprechung ab. Ob die Vorlage-Rechtsfrage damit hinreichend umschrieben ist, ist bereits nicht unzweifelhaft. Jedenfalls aber fehlt es an einer für die Feststellung einer Entscheidungsdivergenz erforderlichen Vergleichbarkeit der Fälle.

Dem Urteil des Oberlandesgerichts vom 26. Februar 1997, NJWE-MietR 1997, 224, lag ein Einzelfall zugrunde, in dem es um die umfängliche Sanierung und Umwandlung eines über 100 Jahre alten und seitdem unrenoviert gebliebenen Gebäudes in einen modernen Bürobau ging. Das Oberlandesgericht hat vor diesem Hintergrund angenommen, daß es einer Fristsetzung zur Abstellung der Gebrauchsentziehung i.S. von § 542 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht bedürfe, wenn Abhilfe nicht oder nur unter Bedingungen möglich ist, die dem Mieter nicht zumutbar sind (vgl. NJWE-MietR 1997, 224, 225). Im Vergleich dazu liegt der hier zugrundeliegende Fall - Fehlen eines innenliegenden Treppengeländers bzw. Schaffung eines Rettungsweges im Sinne des § 38 Abs. 4 BbgBO – wesentlich anders und weniger einschneidend. Ähnliches gilt im Vergleich zu dem von der Beschwerdeführerin ebenfalls genannten Urteil des Oberlandesgerichts vom 10. April 1996 – 3 U 162/95 –, OLG-Report 1998, 411. Nach dieser Entscheidung kann dahinstehen, ob die in § 542 BGB vorgesehene Fristsetzung zur Mängelbeseitigung erfolgt ist, wenn jedenfalls ein fristloses Kündigungsrecht aus § 544 BGB aufgrund einer Ordnungsverfügung gegeben ist, aus der sich eindeutig ergibt, daß sich die vermieteten Räumlichkeiten in einem baurechtswidrigen Zustand befanden, der mit einer Gefahr für Leib und Leben der Benutzer verbunden war (vgl. OLG-Report 1998, 411, 413 f.). In dem vom Oberlandesgericht entschiedenen Fall war durch Ordnungsverfügung des Bauaufsichtsamtes die Nutzung einer Gaststätte untersagt worden, nachdem ohne Baugenehmigung im Schankbereich ein Rundbogen in die tragende Wand gestemmt und damit eine statische Veränderung vorgenommen worden und zudem festgestellt worden war, daß die vorhandene Decke über dem Gastraum die Feuersicherheitsbestimmungen nicht erfüllte (vgl. a.a.O., S. 412). Hiermit ist das Ausgangsverfahren nicht vergleichbar. Zwar hatte die untere Bauaufsichtsbehörde durch Bescheid vom 22. März 1999 die Nutzung des in der Baugenehmigung als Abstellfläche ausgewiesenen Raumes der 2. Dachebene zu Wohnzwecken unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt und zur Begründung ausgeführt, daß für diesen Bereich der 2. Rettungsweg gemäß § 38 Abs. 4 BbgBO nicht gegeben sei und die Nutzung der Abstellfläche als Wohnbereich sowie die Nutzung der Treppe eine nicht vertretbare Gefährdung für die Mieter bedeuteten. Die Nutzungsuntersagung betraf indes nicht – wie im Falle der Gaststätte – eine unbestimmte Anzahl von Menschen und auch nicht die gesamte Wohnung, sondern nur einen abgrenzbaren Bereich. Zudem ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, daß – im Unterschied zu Mängeln im Bereich der Statik oder der Feuerbeständigkeit – der baurechtswidrige Zustand im vorliegenden Fall durch Einbau des Treppengeländers und die Schaffung eines Rettungsweges im Sinne des § 38 Abs. 4 BbgBO durch Vergrößerung oder veränderte Anordnung einer Öffnung mit vergleichsweise geringerem Aufwand beseitigt werden konnte. Angesichts dieser Unterschiede fehlt es auch hier an der Vergleichbarkeit der Fälle. Soweit die Beschwerdeführerin weiterhin Rechtsprechung des Oberlandesgerichts D. und das Oberlandesgericht K. zitiert, wonach es einer Fristsetzung nach § 542 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht bedürfe, wenn die Beseitigung der Mängel binnen angemessener Frist dem Mieter unmöglich erscheinen muß, lag auch ein solcher Fall hier offensichtlich nicht vor.

Hiervon abgesehen war die Nichtvorlage jedenfalls nicht willkürlich. Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV reicht nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen aus. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die – fehlerhafte – Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich ist (vgl. BVerfGE 87, 282, 284 f., zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das gilt auch für eine etwaige Verletzung der Vorlagepflicht an ein anderes Gericht. Eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters durch eine richterliche Zuständigkeitsentscheidung liegt erst vor, wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE, a.a.O. S. 285). Hiervon ausgehend ist das angegriffene Urteil des Landgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, ob eine Fristsetzung i.S.d. § 542 Abs. 1 Satz 2 BGB ausnahmsweise nicht erforderlich war, wurde im Berufungsverfahren zunächst unter dem Gesichtspunkt des fruchtlosen Ablaufs einer von den Beklagten (als Vermietern) selbst genannten Frist erörtert. Erst mit Schriftsatz vom 17. Juli 2001 ließ die Beschwerdeführerin zur Entbehrlichkeit der vorherigen Fristsetzung ergänzend vortragen, daß die erfolgte Nutzungsuntersagung endgültig und nicht absehbar gewesen sei, ob die 2. Dachebene überhaupt jemals als Wohnraum hätte genutzt werden können, und daß es hierzu der Herstellung eines 2. Rettungsweges bedurft hätte, was umfangreiche und der Beschwerdeführerin nicht zumutbare Umbauarbeiten am Haus einschließlich der Fassade erforderlich gemacht hätte. Zum tatsächlichen Umfang der – über die Anbringung des Treppengeländers hinaus - erforderlichen Baumaßnahmen in Teilen der Wohnung und den damit verbundenen Gebrauchsbeeinträchtigungen hatte die Beschwerdeführerin aber keine substantiellen Angaben gemacht, sondern Unzumutbarkeit lediglich pauschal behauptet. Sie hatte auch weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2001 auf die ihrer Auffassung nach abweichenden obergerichtlichen Entscheidungen hingewiesen. Unter diesen Umständen mußte sich das Landgericht mit der Frage einer Vorlage wegen Abweichung von Entscheidungen eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs nicht auseinandersetzen oder erscheint es jedenfalls nicht geradezu willkürlich, daß dies unterblieben ist, und kann folglich aus dem Fehlen entsprechender Ausführungen in dem angegriffenen Urteil nicht – wie es für die Annahme von Willkür erforderlich wäre – geschlossen werden, daß sich das Landgericht etwa im Bewußtsein abweichender höchst- und obergerichtlicher Entscheidungen über die Vorlagepflicht hinweggesetzt hat. Allenfalls mag dem Landgericht nach Lage des Falles ein Fehler bei der Sammlung der von ihm bei der Rechtsfindung zu beachtenden Rechtsprechung unterlaufen sein (vgl. BVerfGE 87, 282, 286). Dies würde jedoch für eine willkürliche Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV nicht ausreichen.

Dr. Macke Havemann
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Will