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VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2003 - VfGBbg 226/03 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 6 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1
Schlagworte: - Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Arbeitsrecht
- Rechtschutzgarantie
- Beschwerdebefugnis
- Rechtswegerschöpfung
- Tenor
Fundstellen: - NJ 2004, 22
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2003 - VfGBbg 226/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 226/03



IM NAMEN DES VOLKES
 
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

H.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt D.,

gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 21. Februar 2003

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 20. November 2003

b e s c h l o s s e n :

1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 21. Februar 2003 verletzt den Beschwerdeführer wegen der verspäteten Absetzung der Urteilsgründe in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg und wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Brandenburg zurückverwiesen.

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich wegen verspäteter Absetzung der Urteilsgründe gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 21. Februar 2003. Seine gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung wurde nach mündlicher Verhandlung am 21. Februar 2003 durch Urteil vom selben Tag unter Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Tenor der Entscheidung wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 26. Februar 2003 zugestellt. Die mit Tatbestand und Urteilsgründen abgefaßte Entscheidung ging bei der Geschäftsstelle der Kammer am 06. Oktober 2003 ein und wurde den Beteiligten des Ausgangsverfahrens anschließend zugestellt.

Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 11. September 2003 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Rechte aus Art. 10 Verfassung des Landes Brandenburg - LV - (freie Entfaltung der Persönlichkeit) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 LV (zügiges Verfahren vor Gericht). Ein nach über fünf Monaten nicht in vollständig abgefaßter Form vorliegendes Urteil beeinträchtige ihn unzumutbar in seinen Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde sei ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht möglich. Eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine nicht vollständig mit Tatbestand und Urteilsgründen abgefaßte Entscheidung sei unzulässig.

Das Landesarbeitsgericht Brandenburg hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, da der Beschwerdeführer Nichtzulassungsbeschwerde und - isoliert oder ergänzend - Gegenvorstellung hätte erheben können. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Die Beschwerdebefugnis ergibt sich aus dem - der Sache nach mitgerügten - Art. 6 Abs. 1 LV. Die Rechtsweggarantie nach dieser Verfassungsbestimmung schließt ein, daß der Zugang zu einer dem Rechtssuchenden durch die einschlägige Verfahrensordnung offenstehenden weiteren Instanz nicht unzumutbar erschwert werden darf (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. September 1998 - VfGBbg 17/98 -, LVerfGE 9, 88, 93 f.). Art. 6 Abs. 1 LV gewährleistet - ebenso wie der allgemeine Justizgewährungsanspruch des Grundgesetzes (vgl. hierzu BVerfG Plenum NJW 2003, 1924, 1926 ff.) - den Rechtsschutz auch gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. Ob hier die Beschwerdebefugnis zugleich unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf ein faires und zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 LV) gegeben ist, kann dahinstehen.

2. Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Arbeitsgerichtsgesetz) steht dem Beschwerdeführer nicht offen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist eine auf einen Verfahrensmangel - auch eine auf die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts - gestützte Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig (BAG NJW 2001, 3142), wie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG NJW 2001, 2161, 2163). Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen werden, daß er zwischenzeitlich bei dem Landesarbeitsgericht hätte vorstellig werden müssen.

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß hier die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch das Arbeitsgerichtsgesetz - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff.; zuletzt Beschluß vom 20. März 2003 - VfGBbg 108/02 -) sind gegeben. Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 LV stimmt mit dem des vom Bundesverfassungsgericht in vergleichbaren Fällen als entscheidungserheblich erachteten Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 2001, 2161, 2162 m. w. N.; NJW 1996, 245; NJW 1994, 719) bzw. des Justizgewährungsanspruchs (vgl. BVerfG Plenum NJW 2003, 1924, 1926 ff.) überein.

4. Die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde (§ 47 Abs. 1 VerfGGBbg) ist hier - gleich wie man hier rechnet -, gewahrt.

II.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichtes verletzt den Beschwerdeführer wegen der verspäteten Absetzung der Entscheidungsgründe in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 LV.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ähnlich gelagerten Fall - aufgreifend, daß nach einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (NJW 1993, 2603) ein nicht innerhalb von fünf Monaten seit der Verkündung in vollständiger Form der Geschäftsstelle übergebenes Urteil als nicht mit Gründen versehen gilt - ausgeführt:

„Eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind ..., kann keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein, um das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt, erschwert damit für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise.“ (NJW 2001, 2161, 2162).

Das erkennende Gericht schließt sich dem an und sieht den Beschwerdeführer dementsprechend in dem Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 LV verletzt. Darauf, ob zugleich der Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor Gericht verletzt ist, kommt es für die hier zu treffende Entscheidung nicht an.

III.

Gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg ist das angegriffene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Für die von dem Beschwerdeführer angeregte Verweisung an einen anderen Spruchkörper sieht das Verfassungsgericht keine hinreichende Veranlassung.

C.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.


 
Dr. Macke Prof. Dr. Dombert
   
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
 
Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Will