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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Juli 2018 - VfGBbg 135/17 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3
- VerfGGBbg, § 47 Abs. 1 Satz 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- Beschwerdefrist
- Anhörungsrüge
- fehlendes Rechtsschutzinteresse
- materielle Subsidiarität
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Juli 2018 - VfGBbg 135/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 135/17




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

D.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:             Rechtsanwalt L.,

 

wegen           

Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 9. August 2016 (S 30 SF 1304/16 E und S 30 SF 1847/16 AB) und vom 29. September 2017 (S 30 SF 3778/17 E RG)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 20. Juli 2018

durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dresen, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

 

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine sozialgerichtliche Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren.

I.

Nach Abschluss eines sozialgerichtlichen Verfahrens setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Cottbus mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Dezember 2012 (S 32 AS 3609/12) die der Beschwerdeführerin vom Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 85,68 Euro fest.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss legte die Beschwerdeführerin Erinnerung ein und lehnte zugleich den für die Erinnerungsentscheidung zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Mit Beschluss des abgelehnten Richters vom 9. August 2016 (S 30 SF 1847/16 AB) verwarf das Sozialgericht das Ablehnungsgesuch als unzulässig. Mit weiterem Beschluss des abgelehnten Richters vom selben Tage (S 30 SF 1304/16 E) wies das Sozialgericht sodann die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss als unbegründet zurück. Die Beschlüsse wurden dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 4. Oktober 2016 zugestellt.

Gegen den Beschluss über die Kostenerinnerung erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge. Hiermit machte sie geltend, dass das Sozialgericht seine Entscheidung nicht begründet habe. Die in dem Beschluss enthaltenen Ausführungen seien nur eine Wiederholung der Entscheidung selbst und ließen nicht erkennen, dass sich der entscheidende Richter mit dem Vortrag im Erinnerungsschreiben auseinandergesetzt habe. Die Anhörungsrüge verwarf das Sozialgericht mit Beschluss vom 29. September 2017 (S 30 SF 3778/17 E RG) als unzulässig. Aus der Rüge sei lediglich erkennbar, dass der Bevollmächtigte sich ausschließlich auf die Begründung des Beschlusses des Gerichts beziehe. Das Fehlen des rechtlichen Gehörs werde hingegen nicht substantiiert dargelegt. Dies sei jedoch Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anhörungsrüge. Die Gehörsrüge diene nicht der nochmaligen Überprüfung der Entscheidung, sondern schaffe allein die Möglichkeit, rechtliches Gehör im Falle dessen Verletzung zu gewähren. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 6. Oktober 2017 zugestellt.

Ferner legte die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss über das Ablehnungsgesuch Beschwerde ein. Diese verwarf das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 8. Dezember 2017 (L 14 SF 270/17 B AB) als unzulässig, da Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen gemäß § 172 Abs. 2 SGG nicht mit der Beschwerde angefochten werden könnten.

II.

Mit der am 20. November 2017 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 und Art. 52 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV).

Der Beschluss über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs sei mit Art. 52 Abs. 1 LV unvereinbar. Denn über das Gesuch sei willkürlich und entgegen den einschlägi­gen verfahrensrechtlichen Vorschriften durch den abgelehnten Richter selbst ent­schieden worden. Eine offensichtliche Unzulässigkeit eines Befangenheitsgesuches lasse sich nicht mit dem bloßen Verweis auf nicht näher bezeichnete Entscheidungen anderer Kammern des Sozialgerichts begründen. Das Gericht habe bei einem Befangenheitsantrag stets die Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Damit sei ein Verweis auf andere Entscheidungen, die nicht sie - die Beschwerdeführerin - beträfen, nicht zu vereinbaren. Eine Abweichung vom ausdrücklich geregelten Grundsatz, dass die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu erfolgen habe, könne allenfalls in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Daran fehle es hier ersichtlich.

Dieser Verstoß wirke sich auch auf die Beschlüsse über die Erinnerung und die Anhörungsrüge aus.

Zudem habe das Sozialgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt. In der Anhörungsrüge sei es nicht allein um die Begründung des angefochtenen Beschlusses gegangen. Das Sozialgericht habe die Ausführungen des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen. Hierfür spreche nicht nur, dass jegliche Auseinandersetzung hiermit unterblieben sei, sondern auch, dass das Sozialgericht diverse Beschlüsse mit identischem Inhalt erlassen habe, nach welchen die Erinnerung jeweils unabhängig vom Vorbringen im Erinnerungsschreiben unter pauschaler Bezugnahme auf die Ausführungen in dem Kostenfestsetzungsbeschluss zurück gewiesen worden sei.

III.

Das Sozialgericht Cottbus erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verfahrensakten S 32 AS 3609/12, S 30 SF 1304/16 E, S 30 SF 1847/16 AB und S 30 SF 3778/17 E RG wurden beigezogen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

I.

1. Bezüglich der Beschlüsse des Sozialgerichts über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs und die Zurückweisung der Erinnerung der Beschwerdeführerin wahrt die Verfassungsbeschwerde nicht die Beschwerdefrist von zwei Monaten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 VerfGGBbg). Die Frist beginnt mit der Zustellung, Verkündung oder Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung, hier die jeweils mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Beschlüsse des Sozialgerichts vom 9. August 2016 (vgl. § 172 Abs. 2, § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Diese Beschlüsse sind dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin bereits am 4. Oktober 2016 zugegangen sind, also mehr als ein Jahr vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde.

Die gegen den Beschluss über die Erinnerung erhobene Anhörungsrüge hatte keine Auswirkung auf die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde (vgl. Beschluss vom 20. November 2015 - VfGBbg 71/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 122, 190, 197). Sie war offensichtlich aussichtslos (vgl. Beschluss vom 16. August 2013 - VfGBbg 24/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 und vom 14. Mai 2007 - 1 BvR 730/07 -). Mit ihr trägt die Beschwerdeführerin keinen Sachverhalt vor, der dem Schutzbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör unterfällt. Sie bemängelt einzig, dem angegriffenen Beschluss fehle es an einer Begründung, obwohl das Sozialgericht ausdrücklich auf § 136 Abs. 3 SGG Bezug genommen und sich die Begründung des angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlusses zu eigen gemacht hatte. Die Anhörungsrüge dient jedoch nicht dazu, das Gericht unabhängig vom Vorliegen eines Gehörsverstoßes zu einer wiederholenden Darstellung der dem Betreffenden bereits bekannten Entscheidungsgründe zu veranlassen (vgl. Beschluss vom 18. Mai 2018 - VfGBbg 91/17 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

Ebenso war die Beschwerde gegen den Beschluss über das Ablehnungsgesuch nicht geeignet, diesbezüglich die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten. Die Beschwerde gehörte ebenfalls nicht zum Rechtsweg. Sie war offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise unzulässig (vgl. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Nach § 172 Abs. 2 SGG können Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den verwerfenden Beschluss über die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin richtet, ist sie jedenfalls wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht nicht (vgl. Beschlüsse vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 39/15 -, vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 23/14 - und vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

Dass vorliegend ein Ausnahmefall einer eigenständigen, in der Zurückweisung der Anhörungsrüge liegenden verfassungsrechtlich erheblichen Beschwer gegeben ist (vgl. hierzu Beschlüsse vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 - und vom 16. Februar 2018 - VfGBbg 66/17 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, jeweils m. w. N.), legt die Beschwerdeführerin nicht ansatzweise dar.

 

Im Übrigen steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde auch der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen. Dieser Grundsatz besagt, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergriffen haben muss, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beheben (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 24. März 2017 - VfGBbg 68/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Dem ist die Beschwerdeführerin insoweit nicht gerecht geworden, wie sie mit der Anhörungsrüge gegen den Beschluss über die Erinnerung - über die Rüge der vermeintlich fehlenden Begründung des Beschlusses über die Erinnerung hinaus - nicht auch bereits eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch die fehlende Auseinandersetzung des Sozialgerichts mit den Ausführungen in der Erinnerungsschrift geltend gemacht hat. Hiermit hat sie sich der Möglichkeit begeben, diesen Verstoß mit der Verfassungsbeschwerde als Grundrechtsverletzung geltend zu machen.

II.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dresen Dr. Lammer
   
Partikel Schmidt