VerfGBbg, Urteil vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -
Verfahrensart: |
Organstreit Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 56 Abs. 3; LV, Art. 56 Abs. 4; LV, Art. 2 Abs. 2 Satz 5; LV, Art. 11 - VerfGGBbg, § 32 Abs. 7; VerfGGBbg, § 32 Abs. 1 |
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Schlagworte: | - Abgeordneter - Aktenvorlagerecht - Akteneinsichtsrecht - Parlamentsrecht - Datenschutz - Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Auslagenerstattung |
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amtlicher Leitsatz: | ||
Fundstellen: | - LVerfGE 4, 179 | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Urteil vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 3/96
U R T E I L | ||||||||||||||
In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren Dr. Peter Wagner, MdL, Antragsteller, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt P., g e g e n Regierung des Landes Brandenburg, Antragsgegnerin, betreffend die Vorlage von Unterlagen gemäß Art. 56 Abs. 3 und 4 Landesverfassung hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 1996 für R e c h t erkannt:
G r ü n d e : A. Der Antragsteller ist Mitglied des Landtages. Er begehrte ursprünglich die Vorlage sämtlicher Verträge, die das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) zur Durchführung des Landes-Altenpflegeheim-Bauprogramms (LAB) bzw. des Investitionsprogramms Pflege (IVP) abgeschlossen hatte, sowie eine Vielzahl weiterer damit zusammenhängender Unterlagen. Der Antragsteller vermutet, es seien die gleichen Personen mehrfach mit der in den Programmen vorgesehenen Tätigkeit eines sogenannten Dienstleisters beauftragt worden, so daß das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen für dieselbe Tätigkeit - teilweise an dieselbe Person - mehrfach gezahlt habe bzw. noch zahle. Um die Vertragsbeziehungen nachvollziehen zu können, forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin erstmalig am 27. und 28. Oktober 1995 auf, ihm zum Teil näher bezeichnete Unterlagen, darüber hinaus auch sämtliche Verträge, die mit dem Vorgang “in direktem Zusammenhang” stünden, vorzulegen. Mit Schreiben vom 7. Februar 1996 kündigte die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen auf der Grundlage eines Kabinettsbeschlusses vom 6. Februar 1996 die Möglichkeit an, den Antragsteller in einige der Unterlagen Einsicht nehmen zu lassen. Das Einsichtsrecht wurde durch Kabinettsbeschluß vom 20. Februar 1996 auf weitere Unterlagen ausgedehnt. Der Antragsteller nahm am 21. Februar 1996 in einen Teil und am 20. März 1996 in die übrigen der bereitgestellten Unterlagen Einsicht. In den Unterlagen waren die Namen der an den Vorgängen Beteiligten teilweise abgedeckt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich sämtlicher Unterlagen, die vollständig - d.h. ohne Abdeckung von Angaben - vorgelegt worden sind, für erledigt erklärt. Der Antragsteller begehrt nunmehr Einsicht in die nicht anonymisierten Unterlagen. Er trägt vor, die Abdeckungen der Namen in den Unterlagen machten es ihm unmöglich, seine Vermutung einer doppelten Beauftragung zu überprüfen. Nach Art. 56 Abs. 3 und 4 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) habe die Vorlage vollständig zu erfolgen. Art. 56 Abs. 3 LV solle dem Abgeordneten ein “kleines Enqueterecht” gewähren; das Kontrollrecht gegenüber der Ministerialbürokratie solle dabei zu einer “Rebalancierung” der Gewalten führen. Mit der Aufdeckung der Namen der an den Vorgängen Beteiligten gehe es ihm nicht um persönliche Merkmale der in den Unterlagen aufgeführten Personen; es gehe ihm lediglich um die Aufdeckung eines Netzes von Beziehungen, Vertragsverbindungen und gegebenenfalls um die Aufdeckung von Korruption und Veruntreuung. Dieses Interesse rechtfertige die Offenlegung der abgedeckten Namen. Selbst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führe das allgemeine Persönlichkeitsrecht angesichts der Bedeutung des parlamentarischen Kontrollrechts zu keiner Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Der Antragsteller beantragt, festzustellen, daß die Antragsgegnerin gegen Art. 56 Abs. 3 und 4 LV verstoßen hat, indem sie nachfolgend aufgeführte Unterlagen nur unvollständig, das heißt hier, unter Abdeckung der Namen, vorgelegt hat: 1.5 Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen an Herrn K. vom 26.08.19932.4 Beratungs- und Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und Auftragnehmer (geschwärzt) vom 10. Oktober 1992 2.5 Zweiter Entwurf eines Vertrages zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und Auftragnehmer (geschwärzt) vom 11. Februar 1993 2.6 Werkvertrag zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und Auftragnehmer (geschwärzt) vom 26. August 1993 2.7 Vertrag zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und dem Auftragnehmer (geschwärzt) vom 1. April 1993 2.8 Beratungsvertrag zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und dem Auftragnehmer (geschwärzt), Vertragsbeginn 1. Juli 1993 2.9 Vertrag zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen und Auftragnehmer (geschwärzt) vom 20. April 1994 2.10 Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen an Adressat (geschwärzt) betreffend die Verlängerung des Beratervertrages vom 22. Dezember 1994. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie meint, dem Recht des Abgeordneten auf vollständige Vorlage der Unterlagen stehe das im konkreten Fall vorrangige Grundrecht des Einzelnen auf Datenschutz aus Art. 11 LV gegenüber. Die insoweit betroffenen Dritten hätten der Preisgabe ihrer Namen widersprochen. Nach Art. 56 Abs. 4 LV habe sie daher eine Abwägung der Privatinteressen der Betroffenen mit dem Aktenvorlageanspruch des Antragstellers aus Art. 56 Abs. 3 LV vornehmen müssen. Um dem Verlangen des Antragstellers weitest möglich Rechnung zu tragen, seien die Unterlagen unter Abdeckung der Namen vorgelegt worden. Der Informationsanspruch des Antragstellers habe hierdurch keine wesentlichen Einbußen erfahren, da die betreffenden personenbezogenen Daten für die politische Kontrolle des Handelns der Exekutive nicht von Belang seien. B. Der Antrag ist nach Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 12 Nr. 1, 35 ff. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zulässig. Der Antragsteller ist als Abgeordneter nach § 35 i.V.m § 12 Nr. 1 VerfGGBbg beteiligtenfähig. Er ist gemäß § 36 Abs. 1 VerfGGBbg antragsbefugt; er macht geltend, durch die Weigerung der Antragsgegnerin, ihm die hier in Rede stehenden Unterlagen vollständig, d.h. unter Offenlegung der Namen der an den Vorgängen Beteiligten vorzulegen, in seinem Aktenvorlagerecht nach Art. 56 Abs.3 LV verletzt zu sein. Der Antrag ist begründet. Die Landesregierung verstößt durch ihre Weigerung, die im Antrag genannten Unterlagen mit Namensnennung der an den Vorgängen Beteiligten vorzulegen, gegen Art. 56 Abs.3 i.V.m. Abs.4 LV. I. Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV bestimmt, daß Behörden und Dienststellen des Landes den Abgeordneten auf Verlangen u.a. Akten und sonstige amtliche Unterlagen vorzulegen haben. Satz 3 regelt, daß das Verlangen an die Landesregierung oder, sofern es ihn betrifft, an den Landesrechnungshof zu richten ist. Satz 4 des Art. 56 Abs. 3 LV sieht ergänzend vor, daß die Vorlage der Akten und sonstigen amtlichen Unterlagen unverzüglich und vollständig zu erfolgen hat. 1. Das Begehren des Antragstellers unterfällt dem gegenständlichen Anwendungsbereich des Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV. Es betrifft bereits abgeschlossene Vorgänge, für welche die Verfassung des Landes Brandenburg dem Landtag eine Kontrollkompetenz einräumt. Daß die hier zu beurteilenden Vereinbarungen zu dem einer parlamentarischen Ausforschung nicht zugänglichen sogenannten “Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung” (dazu BVerfGE 67, 100, 139) gehören, ist weder von der Antragsgegnerin vorgetragen worden noch sonst für das Verfassungsgericht erkennbar.2. Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen ist eine Behörde im Sinne des Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV. Dem steht nicht entgegen, daß in einem Ministerium in Unterstützung des Ministers auch Regierungsgeschäfte erledigt werden. Der Begriff “Behörde” ist auslegungsbedürftig: Er wird sowohl in einem weiten, Verfassungsorgane einschließenden, als auch in einem engeren organisationsrechtlichen, die Gerichts- und Verwaltungsbehörden unter Ausschluß der Verfassungsorgane bezeichnenden Sinne gebraucht. Bei der Auslegung des Behördenbegriffs einer Verfassungsnorm ist auf den konkreten Begriffsgehalt und das Regelungsziel der betreffenden Norm abzustellen (vgl. Brem. StGH, NVwZ 89, 953, 954). Der Anspruch auf Vorlage von Akten und Unterlagen in Art. 56 Abs.3 LV soll dem einzelnen Abgeordneten die Informationen sichern, die er zur effektiven Mitwirkung an den Aufgaben des Parlaments - unter anderem der Beratung, der Beschlußfassung und der Kontrolle der Exekutive - bedarf. Geht es um die Ausübung parlamentarischer Kontrolle, kommt der Aufklärung von in den Verantwortungsbereich der Regierung fallenden Vorgängen, die auf Mißstände hinweisen können, besondere Bedeutung zu (BVerfGE 49, 70, 85; 77, 1, 43). Soll daher das von der Norm bezweckte Ziel einer Mitwirkung an der dem Parlament obliegenden Kontrolle erreicht werden, muß der Abgeordnete grundsätzlich auch in Vorgänge im Zusammenhang mit Regierungsgeschäften Einblick nehmen können. Die Erwägungen des Verfassungsgesetzgebers bestätigen dieses Ergebnis: Der insoweit zuständige Verfassungsausschuß - der Unterausschuß II - wollte zwar nicht ausdrücklich für den Vorlageanspruch, dafür aber für den im gleichen Satz geregelten Auskunftsanspruch des Abgeordneten eine Verpflichtung auch der Regierung begründen (Protokoll der 12. Sitzung des Verfassungsausschusses UA II vom 12.11.1991, Dokumentation zur Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 977). Daß dem Behördenbegriff für den Vorlageanspruch ein anderer Sinngehalt als für den Auskunftsanspruch zukommen sollte, kann nicht angenommen werden. 3. Die Antragsgegnerin hat die Akten nicht “vollständig” i.S.v. Art. 56 Abs. 3 Satz 4 LV vorgelegt. Vollständigkeit bedeutet schon nach dem Wortlaut dieser Verfassungsnorm, daß zunächst weder Bestandteile der Akten oder Unterlagen entfernt noch einzelne Angaben unkenntlich gemacht werden dürfen. Unabhängig davon soll das Aktenvorlagerecht nach Art. 56 Abs. 3 LV dem Abgeordneten ermöglichen, sich selbst ein Bild von dem ihn interessierenden Vorgang zu verschaffen; es führt seinem Wesen nach zu einer Selbstinformation (vgl. Breidenbach/Kneifel-Haverkamp, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 21, Rdn. 30 mit Fn. 64; Neßler, LKV 1995, 12, 13). Anders als bei einer Fremdinformation - etwa bei dem in Art. 56 Abs. 2 LV geregelten Fragerecht - kann es nicht etwa der Bewertung der verantwortlichen Landesregierung obliegen, in welcher Weise - vor allem wie detailliert - sie dem Vollständigkeitsgebot nachkommen will. 4. Einem Anspruch eines Abgeordneten aus Art. 56 Abs. 3 LV steht nicht von vornherein entgegen, daß eine vollständige Vorlage von Akten grundsätzlich in Rechtspositionen Dritter - hier insbesondere in das durch Art. 11 Abs. 1 Satz 1 LV gewährleistete Recht, über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten selbst zu bestimmen - eingreifen und insoweit Exekutivbefugnisse verleihen kann. Denn Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV stellt eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage jedenfalls für mittelbare Grundrechtseingriffe dieser Art dar. Dies ergibt sich bereits aus der Zusammenschau der Absätze 3 und 4 des Art. 56 LV. Während Art. 56 Abs. 3 Satz 1 und 2 LV den Anspruch auf Aktenvorlage begründet, bestimmt Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV, daß die Erteilung von Auskünften oder die Vorlage von Akten und sonstigen amtlichen Unterlagen nur abgelehnt werden darf, wenn überwiegende öffentliche oder private Interessen an der Geheimhaltung dies zwingend erfordern. Art. 56 Abs. 4 LV stellt damit eine Norm dar, die - auf Verfassungsebene - für einen Ausgleich zwischen dem Vorlagerecht des Abgeordneten und den mit ihr mit dem Begriff des “öffentlichen oder privaten Interesses an der Geheimhaltung” in Bezug genommenen kollidierenden Verfassungsgütern und Grundrechten Dritter sorgt. Führt nach dieser Vorschrift nicht jedes öffentliche oder private Interesse an der Geheimhaltung - und damit nicht schon jede aus dem Datenschutz resultierende Position - zu einer Ablehnung der Vorlage, bringt die Verfassung zugleich zum Ausdruck, daß der in Abs. 3 der Norm enthaltene Vorlageanspruch des Abgeordneten nicht schon von vornherein an den Grundrechten Dritter seine Grenze findet. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß Art. 56 Abs. 3 LV als Adressaten der Vorlagepflicht nur die Landesregierung bzw. die entsprechenden Behörden und Dienststellen des Landes nennt. Diese Norm erlaubt deswegen nur insoweit (mittelbar) einen Eingriff in Rechte Dritter, als dies dazu dient, unmittelbar - als “Hauptsache” - ein eventuell gegebenes staatliches Fehlverhalten aufzudecken, also staatliche Vorgänge aufzuklären. Einen unmittelbaren Eingriff in Rechte Dritter ließe Art. 56 Abs. 3 LV dagegen nicht zu. Die Befugnis des Abgeordneten, bei dem Bemühen um die Aufklärung staatlicher Vorgänge mittelbar auch in datenschutzrechtliche Positionen Dritter einzugreifen, rechtfertigt sich zudem aus der mit Art. 56 Abs. 3 LV beabsichtigten Durchsetzung der gebotenen parlamentarischen Kontrolle. Die Kontrollfunktion eines Parlaments, deren Mitglied der Abgeordnete ist, ist für ein parlamentarisches Regierungssystem wesentlich. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu - bezogen auf das Grundgesetz - ausgeführt: “Der Grundsatz der Gewaltenteilung, der zu den tragenden Organisationsprinzipien des Grundgesetzes gehört und dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsgewalt liegt ..., gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung, eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, daß parlamentarische Kontrolle wirksam sein kann” (vgl. BVerfGE 67, 100, 130). Es entspricht zunächst einer sinnvollen und wirksamen Funktionengliederung, in erster Linie Exekutive und Justiz mit Exekutivbefugnissen gegenüber dem Bürger auszustatten; eigene Aufklärungsrechte eines Parlaments sind insoweit nicht erforderlich. Geht es aber um eine Gesetzmäßigkeitskontrolle staatlichen Handelns, ist dies anders. Hier ist ein eigenes Instrumentarium des Parlaments erforderlich, denn als Kontrollorgan ist das Parlament unmittelbarer Widerpart der anderen Gewalten und kann insofern nicht auf deren Befugnisse verwiesen werden. Soll eine Kontrolle der Exekutive durch das Parlament wirksam sein können, muß es rechtlich in der Lage sein, sich auch ohne deren Willen Informationen zu verschaffen. Dieser Gedanke kann ausnahmsweise die Zuerkennung parlamentarischer Exekutivbefugnisse auch mittelbar gegenüber dem Bürger rechtfertigen (vgl. Masing, Der Staat 27 - 1988 -, S. 273, 282 f.). II. Eine Einschränkung des Aktenvorlageanspruchs des Antragstellers ergibt sich hier nicht aus Art. 56 Abs. 4 LV. Überwiegende öffentliche oder private Interessen an der Geheimhaltung im Sinne des Art. 56 Abs.4 LV, die es zwingend erforderten, die Akten nur anonymisiert vorzulegen, sind nicht ersichtlich. 1. Ein Geheimhaltungsinteresse kann sich nicht aus den Regelungen über das Brandenburgische Datenschutzgesetz vom 20. Januar 1992 (GVBl. S. 2 - BbgDSG -) ergeben. Denn der Verfassungsgesetzgeber hat mit dem Begriff des “privaten Interesses an der Geheimhaltung” jedenfalls für solche Daten Privater, die im Zusammenhang mit einem Auskunfts- oder Aktenvorlageanspruch eines Abgeordneten gegenüber Behörden und Dienststellen des Landes an diesen im Rahmen der Wahrnehmung seiner Kontrollbefugnis weitergegeben werden, eine verfassungsrechtliche Regelung getroffen, die insoweit den Anwendungsbereich des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes verdrängt. Der Verfassungsgesetzgeber hat in diesem Bereich mit seiner Entscheidung,daß die Vorlage der Akten nur abgelehnt werden darf, wenn Geheimhaltungsinteressen überwiegen und diese die Ablehnung zwingend erfordern, den Konflikt zwischen Aktenvorlageanspruch und Belangen des Datenschutzes abschließend geregelt. Es wäre mit dem Grundsatz vom Vorrang der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 5 LV) nicht vereinbar, neben den Vorgaben des Art. 56 Abs. 4 LV zusätzlich die im Brandenburgischen Datenschutzgesetz vorgesehenen Beschränkungen für eine Weitergabe personenbezogener Daten anzuwenden. Dies hieße, eine von Verfassungs wegen getroffene Entscheidung im Falle des Normenkonflikts einfachgesetzlich zu verschieben und so die Verfassung nach Maßgabe einfachen Gesetzesrechts auszulegen.2. Mit dem Begriff der “privaten Interessen an der Geheimhaltung” nimmt der Verfassungsgesetzgeber die Grundrechtsverbürgung des Art. 11 LV in Bezug. Würde das Verlangen des Antragstellers, die Namen der an den Vorgängen Beteiligten zu erfahren, deren Grundrechte aus Art. 11 LV verletzen, ließe sich die Vorlage der Akten nicht rechtfertigen. Eine solche Verletzung ist aber nicht festzustellen. Zwar greift die Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen unter Offenlegung der Namen in den Schutzbereich des Art. 11 LV ein (a.). Dieser Eingriff ist jedoch durch Art. 56 Abs.4 LV gerechtfertigt (b.). a. Nach Art. 11 Abs. 1 S. 1 LV hat jeder das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen, auf Auskunft über die Speicherung seiner persönlichen Daten und auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen, soweit sie ihn betreffen und Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Nach Satz 2 dürfen personenbezogene Daten nur mit freiwilliger und ausdrücklicher Zustimmung des Berechtigten erhoben, gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder sonst verwendet werden. Nicht nur dieser Wortlaut, sondern auch die Entstehungsgeschichte dieses Grundrechts zeigen, daß der Verfassungsgesetzgeber des Landes Brandenburg insoweit an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten informationellen Selbstbestimmungsrecht anknüpfen wollte (vgl. Protokoll der 5. Sitzung des UA I, Dokumentation zur Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 505). Dieses auf der Ebene des Grundgesetzes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete - zum Teil annähernd wortgleich mit dem jetzigen Art. 11 Abs. 1 Satz 1 LV - Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1983 wie folgt umrissen:
Gibt es hiernach keine “belanglosen” Daten mehr (BVerfGE 65, 1,45), fällt schon die Offenlegung der Namen der an den hier in Rede stehenden Vorgängen Beteiligten unter Art. 11 Abs. 1 LV. Dem steht - soweit es um die thematische Betroffenheit des Grundrechts auf Datenschutz geht - nicht entgegen, daß die hier in Rede stehenden Verträge teilweise mit einem Ministerium abgeschlossen wurden, das selbst stärker im Lichte der Öffentlichkeit steht als andere Vertragspartner. Eine Differenzierung nach Sphären, die in verschiedener Weise unter dem Schutz des Art. 11 LV stünden, läßt dieses Grundrecht nicht zu. Kernaussage des Art. 11 LV ist: “Jeder hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen”. Zwar ist die Preisgabe der Namen für den Antragsteller, dem es in erster Linie um Vorgänge im staatlichen Bereich geht, nur “Nebensache”. Dennoch liegt darin nach dem insoweit unmißverständlichen Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Satz 1 LV schon eine “Verwendung” “persönlicher Daten”, der die Betroffenen hier widersprochen haben (vgl. auch Richter, Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsauschuß, 1991, S. 65 ff.). b. Dieser Eingriff findet indes seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in Art. 56 Abs. 4 LV. Diese Vorschrift stellt eine verfassungsunmittelbare Einschränkung des in Art. 11 LV gewährleisteten Rechts auf Datenschutz dar, und zwar unabhängig von dem in Absatz 2 vorgesehenen Gesetzesvorbehalt, wonach Einschränkungen nur im überwiegenden Allgemeininteresse durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes im Rahmen der darin festgelegten Zwecke zulässig sind. Das Gericht hat keinen Anlaß zur Prüfung der im rechtswissenschaftlichen Schrifttum streitigen Frage, ob ein solcher Gesetzesvorbehalt zusätzlich Einschränkungen des Grundrechts durch sogenannte verfassungsimmanente Schranken zuläßt (vgl. zu dieser Frage einerseits z.B. Schoch, DVBl. 1991, 667, 671; andererseits z.B. Lerche, Handbuch des Staatsrechts, Band V, 1992, § 122, Rdnr. 14, 23f.), für Grundrechte aus der Brandenburgischen Verfassung zu entscheiden ist. Hat der Verfassungsgesetzgeber - wie hier - unmißverständlich eine verfassungsunmittelbare Schranke in den Text der Verfassung selbst aufgenommen, so tritt diese zulässigerweise neben die dem einfachen Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, das Grundrecht durch ein einfaches Gesetz zu beschränken. Das Gericht läßt offen, ob private oder öffentliche Interessen im Sinne des Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV eine Ablehnung der Aktenvorlage “zwingend erfordern”. Denn bei der im Rahmen des Art. 56 Abs. 4 LV anzustellenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Abgeordneten und dem in Art. 11 LV verbürgten Grundrecht auf Datenschutz stellt sich das private Interesse an der Geheimhaltung schon nicht als “überwiegend” dar. Dem Informationsanspruch des Abgeordneten kommt im konkreten Fall ein besonderes Gewicht zu, weil die Kenntnis von personenbezogenen Daten für die Wahrnehmung seiner parlamentarischen Kontrollkompetenz als erforderlich erscheint. Der Antragsteller hat hierzu in ausreichender Weise dargetan, daß er ohne Kenntnis der von der Antragsgegnerin abgedeckten Namen seinem Kontrollauftrag nicht in wirksamer Weise nachkommen kann. Es liegt auf der Hand, daß er seiner Vermutung,die Antragsgegnerin habe Dienstleistungsaufträge mehrfach an dieselbe Person vergeben und entsprechend vergütet, ohne diese Information nicht weiter nachgehen kann. Ein überwiegendes Interesses an der Geheimhaltung wäre demgegenüber dann denkbar, wenn es sich bei den Namen um Daten handelte, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar oder wenn der Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz unverhältnismäßig wäre. Auch ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit Vorkehrungen für einen Geheimschutz zwischen dem Abgeordneten und der Landesregierung getroffen werden können. Eine solche unzumutbare oder unverhältnismäßige Belastung der Namensträger durch die Preisgabe ihrer Namen liegt hier indes nicht vor. Zunächst kann das Gericht nicht erkennen, daß den hier Betroffenen die Offenlegung der Namen nicht zumutbar sein sollte. Der hier zu entscheidende Interessenkonflikt findet nicht in einem sozialen Bereich statt, der etwa jener unantastbaren Sphäre privater Lebensgestaltung vergleichbar wäre, die von vornherein jeglicher Einwirkung der öffentlichen Hand entzogen wäre. Die hier Betroffenen haben sich an Verträgen mit einem im Lichte der Öffentlichkeit stehenden Ministerium beteiligt. Sie haben sich damit selbst einer Situation ausgesetzt, die in besonderem Maße die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit erweckt. Dieser Bereich muß, soweit hier Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive entstehen, parlamentarischer Kontrolle zugänglich sein. Daß die Offenlegung der Namen mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang stünde, vermag das Gericht hier ebenfalls nicht zu sehen. Der Eingriff in die Grundrechtsposition der jeweiligen Betroffenen aus Art. 11 LV wiegt nicht übermäßig schwer. Es geht hier nicht darum, die Namen etwa einem größeren Personenkreis oder gar der Presse zugänglich zu machen. Die Namen werden lediglich einem einzelnen Abgeordneten zugänglich gemacht. In einer solchen Situation hat die Landesregierung regelmäßig abzuwägen, ob anstelle einer Ablehnung der Vorlage dem Geheimhaltungsinteresse eines Dritten in ausreichender Weise durch die Anwendung der Verschlußsachenordnung des Landtages Brandenburg (Anlage 5 zur Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg vom 11. Oktober 1994 - GVBl. I S. 414, 433 -) Rechnung getragen werden kann. Verschlußsachen sind gemäß § 1 Abs.2 dieser Ordnung Angelegenheiten aller Art, die Unbefugten nicht mitgeteilt werden dürfen und die durch besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen die Kenntnis durch Unbefugte geschützt werden müssen. Zu solchen Angelegenheiten zählen nicht nur staatliche, sondern insbesondere private Geheimhaltungsinteressen, die Vorrang vor den parlamentarischen Prinzipien der Öffentlichkeit und Transparenz haben. Die Verschlußsachenordnung hat gemäß ihrem § 1 Abs. 1 Geltung auch für solche Verschlußsachen, die dem Landtag, seinen Ausschüssen oder Mitgliedern des Landtages zugeleitet wurden. Den Geheimhaltungsgrad einer solchen Verschlußsache bestimmt gemäß § 4 Abs. 4 der Ordnung die das Schriftstück herausgebende Stelle, hier also gegebenenfalls das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Die Heranziehung dieser Möglichkeit hat die Antragsgegnerin ersichtlich nicht erwogen. Nach diesen Grundsätzen hat die Antragsgegnerin im konkreten Fall durch ihre Weigerung, die vom Antragsteller angeforderten Unterlagen vollständig vorzulegen, gegen Art. 56 Abs. 3 und 4 LV verstoßen. Die Berufung auf Datenschutzrechte Dritter und die fehlende Einwilligung der Betroffenen genügt im Hinblick auf den mit Verfassungsrang versehenen Aktenvorlageanspruch eines Abgeordneten nicht. III. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der Erstattung seiner Auslagen hat keinen Erfolg. Es bedarf keiner Entscheidung, ob in einem Organstreitverfahren eine Auslagenerstattung schon deshalb außer Betracht bleiben muß, weil die Beteiligten derselben Rechtsperson angehören (s. dazu bereits Beschluß des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 23.5.1996 - VfGBbg 23/96 - S.8 des Entscheidungsumdrucks). Denn besondere Billigkeitsgründe, die nach § 32 Abs. 7 VerfGGBbg eine Anordnung der Auslagenerstattung zuließen, sind nicht erkennbar. Eine Auslagenerstattung kommt angesichts der Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 32 Abs. 1 VerfGGBbg) und des fehlenden Anwaltszwangs nur ausnahmsweise in Betracht. Das Obsiegen des Antragstellers für sich allein rechtfertigt eine Anordnung der Erstattung der Auslagen nicht. § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg ordnet eine solche nur bei gänzlich oder teilweise erfolgreicher Verfassungsbeschwerde zwingend an. Hinreichende Gründe, die eine Auslagenerstattung vorliegendenfalls ausnahmsweise billig erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. | ||||||||||||||
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