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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 112/02 -

 

Verfahrensart: Organstreit
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 55 Abs. 2 Satz 2; LV, Art. 67 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 67 Abs. 1 Satz 3;
  LV, Art. 83 Abs. 1 Satz 2
- VerfGGBbg, § 36 Abs. 1; VerfGGBbg, § 36 Abs. 3
- GeschOLT, § 41 Abs. 1
Schlagworte: - Abgeordneter
- Antragsbefugnis
- Fraktion
- Opposition
- Parlamentsrecht
- Wahlrecht
nichtamtlicher Leitsatz: Zur Frage der Antragsbefugnis und des richtigen Antragsgegners für den Fall, daß ein Vorschlag für die Wahl des Ministerpräsidenten durch den Landtagspräsidenten zurückgewiesen wird.
Fundstellen: - LKV 2003, 371
- LVerfGE 14, 139
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 112/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 112/02



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

Fraktion der Deutschen Volksunion im Landtag Brandenburg,
vertreten durch die Vorsitzende Liane Hesselbarth,
Am Havelblick 8, 14473 Potsdam,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. S.,

gegen

den Landtag des Landes Brandenburg,
vertreten durch den Präsidenten,
Am Havelblick 8, 14473 Potsdam,

Antragsgegner,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. M. M. u.a.,

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 20. Februar 2003

b e s c h l o s s e n :

Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

G r ü n d e:

A.
I.

Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die durch den Präsidenten des Landtages ausgesprochene Zurückweisung eines Wahlvorschlages der antragstellenden Fraktion (DVU) im Zuge der Wahl des Ministerpräsidenten im Landtag.

Der damalige Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Dr. Manfred Stolpe, hatte für Mittwoch, 26. Juni 2002, seinen Rücktritt als Ministerpräsident des Landes angekündigt. Tagesordnungspunkt 2 der Landtagssitzung an diesem Tag war ein Antrag der SPD-Fraktion, Matthias Platzeck (SPD) zum Ministerpräsidenten zu wählen. Zu dieser Sitzung brachte die Antragstellerin beim Landtagspräsidenten schriftlich den Antrag ein, den brandenburgischen Innenminister und CDU-Landesvorsitzenden Jörg Schönbohm zum Ministerpräsidenten zu wählen. Dieser teilte jedoch auf Nachfrage des Präsidenten mit, er stehe als Kandidat für die Wahl nicht zur Verfügung. Unter Hinweis auf § 41 Abs. 1 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg (GOLT) - „Beratungsgegenstände der in § 40 bezeichneten Art soll der Präsident zurückweisen, wenn sie gegen die parlamentarische Ordnung verstoßen“ - wies der Landtagspräsident darauf noch vor Beginn der Sitzung den Antrag schriftlich zurück, weil es grundlegenden demokratischen und parlamentarischen Gepflogenheiten widerspreche, Personen gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen für eine Wahl vorzuschlagen. Nach Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes unterrichtete er das Plenum über seine Zurückweisung. Ein der Antragstellerin angehörender Abgeordneter schlug daraufhin erneut den Innenminister vor. Der Minister wiederholte im Plenum, daß er als Kandidat nicht zur Verfügung stehe, er halte den Antrag „geradezu für eine Sauerei, um es ganz einfach zu sagen, eine politische Unverschämtheit“. Dieser Vorgang ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Antragstellerin legte nach Durchführung der Wahl gegen die Zurückweisung ihres Wahlvorschlages Beschwerde beim Landtagspräsidenten ein (§ 41 Abs. 2 GOLT), über die nach Aktenlage bisher nicht entschieden ist.

II.

In dem am 20. Dezember 2002 eingeleiteten Organstreitverfahren macht die Antragstellerin geltend, die Zurückweisung ihres Wahlvorschlages durch den Präsidenten verletze ihr Vorschlagsrecht nach Art. 83 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) sowie ihr Recht als Opposition auf Chancengleichheit gemäß Art. 55 Abs. 2 Satz 2 LV. Zwar sei der Präsident formell zur Zurückweisung des Wahlvorschlages befugt gewesen. Ihm habe jedoch materiell keine Verwerfungskompetenz zugestanden. Eine Zustimmung des Kandidaten zur Kandidatur sei weder in der Landesverfassung noch im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen. Für das Recht des Bundespräsidenten, den Bundeskanzler vorzuschlagen (Art. 63 Abs. 1 Grundgesetz, GG), werde in angesehenen Kommentaren die Auffassung vertreten, das Einverständnis eines Kandidaten sei nicht erforderlich. Ein vergleichbarer Vorschlag eines Abgeordneten nach Art. 83 Abs. 1 LV könne deshalb schwerlich gegen die parlamentarische Ordnung verstoßen. Grenze des Vorschlagsrechtes sei allein ein sich aus dem Rechtsstaatsgebot ergebendes Mißbrauchsverbot, das aber bei dem Wahlvorschlag erkennbar nicht berührt sei. Es habe nicht ausgeschlossen werden können, daß bei einem - zugegeben wider Erwarten - erfolgreichen Wahlgang der Innenminister die Wahl angenommen hätte.

Die Antragstellerin beantragt festzustellen:

„Die Zurückweisung des Antrages und Wahlvorschlages der DVU Deutsche Volksunion, Fraktion im Landtag Brandenburg, durch den Präsidenten des Landtages Brandenburg, der Landtag möge beschließen, gemäß Art. 83 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf i.V.m. Art. 83 Abs. 1 Satz 1 BbgVerf Herrn Jörg Schönbohm, MdL, als Ministerpräsident des Landes Brandenburg zu wählen, verletzt diese in ihren ihr durch die Verfassung übertragenen Rechten.“

Der Antragsgegner hat innerhalb der dafür gesetzten Frist eine Stellungnahme nicht abgegeben.

III.

Die Landesregierung hat gemäß § 37 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) von dem Organstreitverfahren Kenntnis erhalten.

B.

Der Antrag der Antragstellerin ist nach dem Verfahrensgegenstand statthaft. Er zielt i.S. von Art. 113 Nr. 1 LV, § 12 Nr. 1 VerfGGBbg auf die Auslegung der Landesverfassung aus Anlaß einer Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten von Beteiligten, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Antragstellerin ist als Fraktion des Landtages gemäß Art. 67 LV und als Opposition gemäß Art. 55 Abs. 2 LV mit eigenen Rechten ausgestattet und damit zufolge § 35 i.V.m. § 12 Nr. 1 VerfGGBbg und Art. 113 Nr. 1 LV im Organstreitverfahren beteiligtenfähig. Der Antragsgegner ist als Verfassungsorgan ebenfalls beteiligtenfähig. Die sechsmonatige Antragsfrist nach § 36 Abs. 3 VerfGGBbg ist gewahrt.

Der Antrag bleibt indes ohne Erfolg. Er ist unzulässig. Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Rechtschutzbedürfnis besteht (nachfolgend zu 1.). Jedenfalls aber ist die Antragstellerin nicht antragsbefugt (nachfolgend zu 2.). Außerdem ist der Antrag nicht gegen den richtigen Antragsgegner gerichtet (nachfolgend zu 3.).

1. Es mag dahinstehen, ob das Rechtschutzbedürfnis gegeben ist. Die Zurückweisung des Wahlvorschlages der Antragstellerin zeitigt keine rechtsrelevanten Wirkungen mehr, nachdem mit der erforderlichen Mehrheit ein anderer als Ministerpräsident gewählt worden ist. Ein Feststellungsinteresse der Antragstellerin dahingehend, daß ihr Wahlvorschlag im Landtagsplenum zur Abstimmung zu stellen oder wenigstens zu behandeln gewesen wäre, ist jedenfalls zweifelhaft.

Auch für Organstreitverfahren gilt der allgemeine Prozeßgrundsatz, daß die Anrufung des Gerichts ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 2 BvE 2/00 -, http://www.bverfg.de, Abs. 83 und Beschluß vom 14. Oktober 1992 - 2 BvE 14/90 - BVerfGE 87, 207, 209; Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar, 1992, § 63, 64 Rn. 169 ff.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG Kommentar, Stand 21. Ergänzungslieferung Juli 2002, § 64 Rn. 94 ff.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 1033). Allerdings wird man für das Organstreitverfahren das Interesse an einer grundsätzlichen verfassungsgerichtlichen Klärung ausreichen lassen müssen, wenn weitere Fälle dieser Art nicht nur theoretisch in Betracht kommen (BVerfGE 87, 207, 209; 83, 175, 181; 24, 299, 300; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 7 Rn. 40). Ein objektiviertes grundsätzliches Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung der hier zugrundeliegenden Konstellation für künftige Fälle dieser Art ist hier eher zu verneinen. Ein vergleichbarer Wahlvorschlag für das Amt eines Regierungschefs ist in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, soweit ersichtlich, noch nicht vorgekommen und auch in Zukunft in dieser Form nicht zu erwarten. Freilich bleibt es der Opposition unbenommen, für die Wahl des Ministerpräsidenten einen Kandidaten zu präsentieren, der die Regierungsparteien in Verlegenheit bringt und ihr Abstimmungsverhalten auf die Probe stellt. Der vorliegende Fall wird jedoch zusätzlich dadurch geprägt, daß der von der Antragstellerin Vorgeschlagene für das Amt oder auch nur für die Kandidatur erklärtermaßen und glaubhaft gar nicht zur Verfügung stand. In dieser Ausprägung ist der zugrundeliegende Fall „einmalig“ und liegt ein Wiederholungsfall fern.

2. Jedenfalls ist der Antrag unzulässig, weil die Antragstellerin als Fraktion nicht antragsbefugt ist. Es scheidet von vornherein aus, daß hier die Fraktion in eigenen Rechten aus der Landesverfassung verletzt worden ist. Sie kann sich als Fraktion wegen der Zurückweisung ihres Wahlvorschlages weder auf Art. 83 Abs. 1 Satz 2 noch auf Art. 55 Abs. 2 LV berufen. Im Einzelnen:

a) Die Antragsbefugnis im Organstreitverfahren ist nicht gegeben, wenn von vornherein ausgeschlossen ist, daß der Antragsgegner Rechte des Antragstellers, die gerade im Verhältnis zum Antragsgegner bestehen (BVerfGE 100, 266, 268 f.; 98, 1, 69 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2002, Art. 93 Rn. 8), durch die beanstandete Maßnahme verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. Mai 2001 - 2 BvE 1, 2, 3/99 -, BVerfGE 104, 14, 19 = NVwZ 2002, 70 = DVBl 2001, 1665; BVerfGE 96, 264, 276; 94, 351, 362; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 1015). Im Organstreitverfahren ist kein objektiver, sondern ein subjektiv-rechtlicher Prüfungsmaßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1995 - 2 BvE 5/94 -, BVerfGE 92, 74, 79 = NVwZ 1995, 888; Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar, 1992, §§ 63, 64 Rn. 90); das Organstreitverfahren dient der Klärung der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander und nicht etwa einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl. BVerfGE 68, 1, 73).

b) aa) Aus Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV kann die Antragstellerin als Fraktion nichts herleiten. Nach dieser Verfassungsbestimmung ist für die Wahl des Ministerpräsidenten vorschlagsberechtigt „jeder Abgeordnete“. Damit steht das Vorschlagsrecht allein den einzelnen Abgeordneten zu. Eine Auslegung, nach der das Vorschlagsrecht zusätzlich auch den Fraktionen zusteht, verbietet sich. Der Wortlaut ist eindeutig. Das Vorschlagsrecht der Abgeordneten wurde bei den Beratungen im Verfassungsausschuß des Landtages „ohne Diskussion mit großer Mehrheit angenommen“ (Ausschußprotokoll Unterausschuß II vom 10. April 1991, Dokumentation Verfassung des Landes Brandenburg Band 2, S. 844). In den weiteren Beratungen wurde im Zusammenhang mit der Wahl des Ministerpräsidenten lediglich noch erörtert, ob, wie in Anlehnung an die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zunächst vorgeschlagen, der Ministerpräsident vom Landtag „aus seiner Mitte“ zu wählen sei (Ausschußprotokoll Unterausschuß II vom 14. Januar 1992, Dokumentation Verfassung des Landes Brandenburg Band 2, S. 1001). Die Frage, ob auch Fraktionen berechtigt sein sollten, Vorschläge bei der Wahl des Ministerpräsidenten zu machen, ist, soweit ersichtlich, nicht zur Sprache gekommen. Auch eine systematische Auslegung spricht dafür, daß das Vorschlagsrecht für die Wahl des Ministerpräsidenten allein bei den einzelnen Abgeordneten liegt. Die Landesverfassung nimmt die Fraktionen - anders als z.B. das Grundgesetz - ausdrücklich zur Kenntnis (vgl. etwa Art. 67 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LV). Hiervon unabhängig werden in der Landesverfassung die Rechte der Abgeordneten festgelegt, die allein ihnen und nicht etwa auch zugleich den Fraktionen zustehen (vgl. etwa Art. 56 bis 60 LV). Ferner läßt die Landesverfassung bei Wahlen im parlamentarischen Raum teils offen, wem das Vorschlagsrecht zusteht, teils trifft sie hierzu eine präzise Regelung. So bleibt für die Wahl des Landesbeauftragten für Datenschutz und weiterer Beauftragter (Art. 74 Abs. 1 und 2 LV), für die Wahl der Mitglieder des Landesrechnungshofes (Art. 107 Abs. 2) und für die Wahl der Verfassungsrichter (Art. 112 Abs. 4 LV) offen, wer aus dem Landtag heraus den Wahlvorschlag unterbreitet. Demgegenüber werden nach Art. 109 Abs. 2 LV die Präsidenten der oberen Landesgerichte vom parlamentarischen Richterwahlausschuß „auf Vorschlag der Landesregierung“ gewählt. Auch von daher ist es wörtlich zu nehmen, daß für die Wahl des Ministerpräsidenten „jeder Abgeordnete“ - und nur jeder Abgeordnete - vorschlagsberechtigt ist. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen dafür, daß die Landesverfassung das Vorschlagsrecht ausschließlich den Abgeordneten zuweist. Die Vorschrift berührt das Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit des Abgeordnetenmandates und der Einordnung in die Fraktionsdisziplin (vgl. BVerfGE 102, 224, 239). Ein Vorschlagsrecht der Fraktion neben dem des einzelnen Abgeordneten würde in diesem Verhältnis mit dem freien Abgeordnetenstatus in Konflikt geraten (vgl. etwa: Arndt, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 21 Rn. 37). Vor diesem Hintergrund erscheint Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV als Ausprägung des freien Abgeordnetenmandates.

Die hier vorgenommene Beurteilung gerät nicht in Widerspruch dazu, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Eigenschaft als Verfassungsgericht des Landes Schleswig-Holstein (vgl. Art. 99 GG) für die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung den Landtagsfraktionen eigene Rechte nach der dortigen LV bei der Wahl des Ministerpräsidenten zuerkannt hat (vgl. BVerfGE 27, 44, 51). Die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung kennt - wie auch die Verfassungen anderer deutscher Länder - keine Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV entsprechende Bestimmung.

bb) Die Antragstellerin handelt hier auch nicht etwa mit Wirkung für ihre Mitglieder. Die Regelung des § 36 Abs.1 VerfGGBbg, derzufolge ein Antragsteller auch geltend machen kann, daß das Organ, dem er angehört, in bestimmten Rechten verletzt ist, läßt sich nicht dahin verkehren, daß ein Organ des Landtages (hier: die Fraktion) auch die Rechte geltend machen kann, die die Landesverfassung ihren Mitgliedern als Abgeordneten zuweist (VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 31. Oktober 2002 - 2 Lv 2/02 -, NVwZ-RR 2003, 81). Die Abgeordneten der Antragstellerin müssen deshalb eine etwaige Verletzung ihres Rechtes aus Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV jeweils für sich im Wege einer Organklage geltend machen. Eine gewillkürte Prozeßstandschaft, aufgrund derer es der einzelne Abgeordnete seiner Fraktion überlassen würde, die ihm als Abgeordnetem zustehenden Rechte wahrzunehmen, sieht das Brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz nicht vor (vgl. zur Problematik Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 93 Rn. 11 a.E.). Unbeschadet der von der Rechtslehre nicht abschließend geklärten Rechtsnatur der Fraktion (vgl. Zeh, in: HbStR II, 2. Aufl. 1998, § 42 Rn. 8; Schönberger, Die Rechtsstellung der Parlamentsfraktionen, 1990, S. 187: „juristisch exakte Festlegung nicht möglich“, S. 226: „körperschaftlich organisierte Personenvereinigung“) können Fraktionen allein eigene Rechte sowie Rechte des Parlamentes wahrnehmen. Sachwalter der Rechte der einzelnen ihr angehörenden Abgeordneten sind sie nicht. Sofern die Geschäftsordnung der Antragstellerin eine Ermächtigung zur Wahrnehmung der Abgeordnetenrechte enthalten sollte, wäre dies in dem vorliegenden Verfahren unbeachtlich. Nach § 36 Abs. 1 VerfGGBbg geht es im Organstreitverfahren allein um die dem Beteiligten „durch die Verfassung“ übertragenen Rechte und Pflichten (vgl. auch BVerfGE 84, 290, 297; 60, 374, 379; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 8, 18; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 7 Rn. 13).

cc) Auch eine Auslegung des Antrages als Antrag einzelner Abgeordneter scheidet aus. In der Antragsschrift der - anwaltlich vertreten - Antragstellerin wird eindeutig nur von der Fraktion als Antragstellerin gesprochen. Die Fraktion war es auch, die im Landtag den in Rede stehenden Antrag eingebracht hat.

dd) Soweit nach der parlamentarischen Praxis das Vorschlagsrecht bislang nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern von Fraktionen ausgeübt worden sein sollte, könnte dies nichts daran ändern, daß das Vorschlagsrecht für die Wahl des Ministerpräsidenten nach der Landesverfassung allein den einzelnen Abgeordneten zusteht.

c) Soweit die Antragstellerin auch das Recht auf Chancengleichheit der Opposition (Art. 55 Abs. 2 Satz 2 LV) verletzt sieht, kommt diesem Recht gegenüber dem Recht aus Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV keine weitergehende Bedeutung zu. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten hat jeder Abgeordnete gleichermaßen und unabhängig von Partei- oder Fraktionszugehörigkeit das Recht, Kandidaten für die Wahl vorzuschlagen. Der allgemeine Grundsatz der Chancengleichheit und des Schutzes der parlamentarischen Minderheit wird hier durch die spezielle Vorschrift des Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV sichergestellt.

3. Der Antrag ist ferner ersichtlich gegen den falschen Antragsgegner gerichtet. Da eine Maßnahme des Parlamentspräsidenten in Frage steht, hätte das Organstreitverfahren gegen diesen gerichtet werden müssen und nicht gegen den Landtag als Ganzen gerichtet werden dürfen.

a) Gegen wen die Organklage zu richten ist, hängt davon ab, wer für die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung die „rechtliche Verantwortung“ (BVerfGE 67, 100, 126) trägt. Ob der Beteiligte seinerseits in Wahrnehmung ihm von der Verfassung zugewiesener eigener Befugnisse oder als Hilfs- oder Unterorgan eines „Gesamtorgans“ – etwa des Parlaments – tätig geworden ist, spielt dabei keine Rolle (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. April 2002 – 2 BvE 2/01 -, http://www.bverfg.de, Abs. 95, 97). Es kommt allein darauf an, wer die beanstandete Maßnahme selbst zu verantworten hat. Wenn das Parlament bestimmte Aufgaben auf parlamentarische Institutionen - wie hier mit § 41 Abs. 1 Nr. 1 GOLT die Zurückweisung von Beratungsgegenständen (wegen Verstoßes gegen die parlamentarische Ordnung) auf den Landtagspräsidenten - überträgt, begründet es eine „neue, eigene Zuständigkeit des Delegatars“ (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 40 Rn. 102). Kraft der Übertragung übt das Unterorgan die Kompetenz unabhängig und in eigener Verantwortung aus (Klein, a.a.O.; Schneider, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2 S. 635). Folglich ist, wenn eine Maßnahme des Landtagspräsidenten beanstandet wird, das Organstreitverfahren gegen ihn und nicht gegen den Landtag zu richten (BVerfGE 60, 374, 379; Klein, a.a.O., Rn. 104). Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob es im Rahmen einer gegen den Landtag gerichteten Organklage dem Landtag zuzurechnen ist, wenn der Landtagspräsident nicht tätig geworden ist (so der vom VerfGH des Landes Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 19. August 2002 entschiedene Fall, in: NVwZ 2003, 75).

b) Hiernach scheidet nach Lage des Falles eine Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten durch den von ihr als Antragsgegner in Anspruch genommenen Landtag Brandenburg offensichtlich aus. Der Antrag richtet sich unumdeutbar gegen „den Landtag Brandenburg vertreten durch den Präsidenten“. Tätig geworden ist jedoch nicht der Landtag als Ganzer, sondern der Präsident des Landtages. Eine Abstimmung im Plenum oder eine Befassung des Plenums hat gerade nicht stattgefunden. Ob sich das Plenum mit der Sache befassen solle, ist im Parlament nicht erörtert worden. Die Antragstellerin geht auch ihrerseits davon aus, daß allein der Landtagspräsident und daß er formell in eigener Zuständigkeit in Erscheinung getreten ist.

c) Eine Berichtigung des Passivrubrums von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Die Bezeichnung des Antragsgegners ist eindeutig und nicht auslegungsfähig. Das Gericht darf einen klar bezeichneten Antragsgegner nicht gegen einen anderen austauschen. Daß die Antragstellerin versehentlich den Landtag statt des Landtagspräsidenten benannt hat, scheidet aus. In einem anderen, vor nicht allzu langer Zeit entschiedenen Organstreitverfahren (VfGBbg 46/00, Urteil vom 28. März 2001, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 9) hat sie zwischen Landtag und Präsidenten sehr wohl unterschieden. Eine Prozeßstandschaft käme allein auf Seiten des Antragstellers, nicht jedoch auf Seiten des Antragsgegners in Betracht (vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge, BVerfGG Kommentar, Stand 21. Ergänzungslieferung Juli 2002, § 64 Rn. 93).

C.

Das Landesverfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich gehalten (vgl. § 22 Abs. 1 VerfGGBbg). Eines Hinweises auf die Gründe für die Verwerfung des Antrages unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs bedurfte es nicht. Sie liegen auf der Hand. Der letztlich ausschlaggebende Gesichtpunkt, daß eine Rechtsverletzung der Antragstellerin als Fraktion ausscheidet, weil nach Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV das Vorschlagsrecht für die Wahl des Ministerpräsidenten allein bei den einzelnen Abgeordneten liegt, wird bereits - wenn auch mit anderer Tendenz - in der Antragsschrift selbst angesprochen, indem es dort heißt, es sei „für die Antragsbefugnis unerheblich“, daß Art. 83 Abs. 1 Satz 2 LV „wörtlich nur von einem Vorschlagsrecht jedes Abgeordneten“ spreche. Für eine Umstellung des Antrages auf den richtigen Antragsgegner ist es - und war es schon wenige Tage nach Eingang des Antrages am 20. Dezember 2002 - wegen Ablaufs der 6-Monats-Frist des § 36 Abs. 3 VerfGGBbg am 27. Dezember 2002 zu spät.

Für die von dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners erbetene Bewilligung einer weiteren Frist zur Stellungnahme hat das Landesverfassungsgericht keinen Anlaß gesehen.

Dr. Macke Dr. Dombert
Havemann Dr. Jegutidse
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
Prof. Dr. Will