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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 1/03 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Schulrecht
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 1/03 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 1/03 EA



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

S. S.,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. L. R.,

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 20. Februar 2003

b e s c h l o s s e n :

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A
I.

Die Antragstellerin beantragte im Oktober 2001, daß ihre Tochter, die gegenwärtig die 5. Klasse einer Grundschule in E. besucht, weltanschaulichen Unterricht durch den Humanistischen Verband Berlin/Brandenburg e.V. erhält. Dies lehnte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg im Januar 2002 ab. Ende Februar 2002 erhob die Antragstellerin am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Verpflichtungsklage gegen das vorgenannte Ministerium mit dem Ziel, die Erteilung des von ihr angestrebten Unterrichtes für ihre Tochter zu erreichen. Über die Klage ist noch nicht entschieden. Zugleich suchte sie bei dem Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nach, um das Ministerium im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache das Fach unterrichten zu lassen. Dies wurde mit Beschluß vom 15. August 2002 durch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg mit Beschluß vom 18. Dezember 2002 zurück. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liege kein Anordnungsanspruch vor. Es gebe keinen oder jedenfalls keinen ausdrücklichen Anspruch der Erziehungsberechtigten und der Kinder auf eine Bekenntniserziehung an öffentlichen Schulen. § 9 Abs. 2 Satz 1 Brandenburgisches Schulgesetz nenne allein Religionsgemeinschaften. Selbst wenn wegen des Gleichbehandlungsgebotes und wegen Art. 36 Abs. 5 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) - „Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung werden den Religionsgemeinschaften gleichgestellt“ - eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift vorzunehmen sein sollte, könne daraus allenfalls der Humanistische Verband, nicht aber die Antragstellerin als Erziehungsberechtigte Rechte ableiten. Auch aus Art. 6 Abs. 2, Art. 4 und Art. 3 Grundgesetz könne die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch nicht ableiten. Die Vorschriften vermittelten kein subjektiv-öffentliches Recht auf die von der Antragstellerin angestrebte Erweiterung des Unterrichtsangebotes. Abzustellen sei vielmehr allein auf die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Ob dem humanistischen Verband ein Anspruch auf Zulassung des Faches „Humanistische Lebenskunde“ zukomme, müsse dieser in einem eigenen Verfahren klären, wie es auch schon beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig sei. Letztlich ließen sich die grundlegenden verfassungsrechtlichen Rechtsfragen nur in dem Hauptsacheverfahren der Antragstellerin klären; von einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Klage sei jedenfalls nicht auszugehen. Selbst bei einer reinen Interessenabwägung könne der Antrag keinen Erfolg haben, da die Antragstellerin selbst als Lehrerin für das erstrebte Unterrichtsfach tätig sei und von daher bis zu Entscheidung des Klageverfahrens das Ausbleiben eines humanistischen Weltanschauungsunterrichtes kompensieren könne.

II.

Am 21. Januar 2003 hat die Beschwerdeführerin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die Voraussetzungen des Eilrechtsschutzes gemäß § 30 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) seien erfüllt. „Den davon abweichenden Überlegungen der Instanzgerichte“ könne nicht gefolgt werden. Mit der am selben Tag erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art.6, Art 12 und Art. 13 LV.

Die Antragstellerin beantragt, durch einstweilige Anordnung nach § 30 VerfGGBbg dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg aufzugeben, vorläufig an der Grundschule E.-M. Weltanschauungsunterricht durch den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg zu ermöglichen.

III.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Brandenburg und das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hält die Antragstellerin bereits für nicht beschwerdebefugt. Die Bestimmung des Unterrichtsstoffes in der Schule obliege allein dem Staat. Der Gesetzgeber habe bewußt Weltanschauungsgemeinschaften kein Recht auf Erteilung eines entsprechenden Unterrichtes eingeräumt. Ob dies zulässig sei, müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Unbeschadet dessen seien die gesetzlichen Voraussetzungen für verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nicht gegeben.

B.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob der Antrag hinreichend substantiiert begründet worden ist (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG Kommentar, Stand 21. Ergänzungslieferung Juli 2002, § 32 Rn. 45). Jedenfalls sind die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.

Nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist hier - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 15. Januar 2003 – 1 BvQ 53/02 -, vom 17. Juli 2002 – 2 BvR 1027/02 -, NJW 2002, 2458 und vom 8. Januar 2002 – 1 BvR 2069/01 -, NVwZ 2002, 847) - ein strenger Maßstab anzulegen. Es sind die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, das Verfahren in der Hauptsache aber Erfolg hat, gegen diejenigen Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird, der Antrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg bleibt. Dabei sind regelmäßig nur irreversible Nachteile in die Abwägung einzustellen und müssen die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu vergegenwärtigen sind, im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlaß der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind (“schwerer Nachteil”) bzw. keinen gleichwertigen - der Abwendung schwerer Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt vergleichbaren - “anderen” Grund im Sinne des Gesetzes darstellen (grundlegend Beschluß vom 7. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA - LVerfGE 4, 109, 111; seither st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluß vom 8. November 2002 - VfGBbg 106/02 EA -).

Vorliegend sind keine Gründe von derartiger Tragweite und Dringlichkeit zu erkennen, daß ein sofortiges Eingreifen des Landesverfassungsgerichtes veranlaßt wäre. Der Antragstellerin ist zuzumuten, den Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens in der Hauptsache abzuwarten. Daß für den Fall des Durchdringens der Verfassungsbeschwerde ein erst dann einsetzender humanistischer Weltanschauungsunterricht in der Schule unwiederbringlich zu spät käme, ist nicht dargelegt und nicht auszumachen.

Unbeschadet dessen muß, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die einstweilige Anordnung "zum gemeinen Wohl" und "dringend geboten" sein (vgl. Beschlüsse vom 20. Januar 2000 – VfGBbg 43/99 EA und vom 7. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 111 f. m.w.N.). Auch das ist nicht zu erkennen. Es geht der Antragstellerin bei dem Antrag auf Erlaß der einstweiligen Anordnung des Landesverfassungsgerichtes allein um die Zeit bis zur Entscheidung der Verfassungsbeschwerde. Dieser Zeitraum ist überschaubar. Auswirkungen auf das „gemeine Wohl“ aufgrund der Entscheidung in diesem Einzelfall stehen nicht zu erwarten.

Dr. Macke Dr. Dombert
Havemann Dr. Jegutidse
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
Prof. Dr. Will