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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2012 - VfGBbg 55/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 45
Schlagworte: - Rechtswegerschöpfung
- Zumutbarkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2012 - VfGBbg 55/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 55/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

   des minderjährigen P.,
   vertreten durch die Eltern,

 

 

 

Beschwerdeführer,

 

 

 

wegen der Verbreitung von Daten bei einer Kreistagssitzung und Veröffentlichung auf der Internetplattform „direkt zu“

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 20. Januar 2012

 

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

         Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

G r ü n d e :

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die im Vorfeld und im Rahmen von Ausschusssitzungen des Kreistages des Landkreises A. erfolgte Bekanntgabe von Daten, die ein beim Landkreis geführtes Verwaltungsverfahren betreffen.

 

I.

Die Eltern des Beschwerdeführers beantragten für diesen im Jahr 2007 die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Der Antrag wurde vom Landrat des Landkreises A. abgelehnt, ein verwaltungsgerichtliches Verfahren ist hierzu anhängig. Die Mutter des Beschwerdeführers rügte mit Schreiben vom 22. Juni 2011 gegenüber dem Kreistagsvorsitzenden des Landkreises A., dass der Fachplan „Hilfen zur Erziehung 2009 – 2013“ gegen Art. 97 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verstoße. Die „gesteuerte Hilfeverweigerung“ auf Grund des Fachplans stelle eine Grundrechtsverletzung dar. Die Eingabe wurde als Petition behandelt und war Gegenstand der Sitzungen des Jugendhilfeausschusses vom 22. August 2011 und des Kreisausschusses vom 25. August 2011. Die Beschlussvorlage enthielt neben dem Schreiben vom 22. Juni 2011 eine zeitliche Darstellung des Verwaltungsverfahrens zur für den Beschwerdeführer beantragten Hilfegewährung sowie Schriftverkehr aus dem Verwaltungsverfahren und die bis dahin ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen.

 

Die Mutter des Beschwerdeführers hatte sich zudem mit einer Frage auf der - mit dem Internetauftritt der Landesregierung „Landesportal Brandenburg“ verknüpften - Internetplattform „direkt zu“ an den Ministerpräsidenten von Brandenburg gewandt. Die auf dieser Internetseite zunächst veröffentlichte Antwort nahm auf das vom Beschwerdeführer geführte Verfahren zur Hilfegewährung Bezug. Die Antwort ist auf der Internetplattform „direkt zu“ nicht mehr abrufbar.

 

II.

Mit der am 18. Oktober 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf Datenschutz aus Art. 11 LV geltend. Die Darstellung der Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens des Beschwerdeführers sei für die Behandlung der allgemein gehaltenen Eingabe seiner Mutter bei den Ausschusssitzungen nicht erforderlich gewesen, sie diene vielmehr dem gezielten Mobbing. Ebenso sei eine Einbeziehung seines Verwaltungsverfahrens bei der Antwort des Ministerpräsidenten nicht erforderlich gewesen.

 

Die vorherige Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei ihm wegen dessen voraussichtlicher Verfahrensdauer nicht zumutbar. Der Landrat des Landkreises A. habe das Verhalten mit einem Schreiben vom 5. Dezember 2011 gerechtfertigt. Nach Meinung des Beschwerdeführers habe der Landkreis die Daten bewusst veröffentlicht, um seine Eltern von weiterer Kritikausübung abzuhalten. Das Vorgehen diene der Einschüchterung. Es sei nicht auszuschließen, dass bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts weitere Datenschutzverletzungen erfolgten. Insbesondere sei bei einem Unterliegen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht zur Hilfegewährung damit zu rechnen, dass wiederholt Daten veröffentlicht werden. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass die Daten weiter verbreitet würden, da sie sich bereits bei - dem Beschwerdeführer unbekannten - Personen in Umlauf befänden. Da die Verfassungsbeschwerden deutlich schneller als verwaltungsgerichtliche Verfahren und Strafverfahren bearbeitet würden, könne eine erneute Datenweitergabe und Denunzierung schneller und effektiver unterbunden werden.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen, nachdem der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22. November 2011 und 9. Dezember 2011 auf Bedenken gegen ihre Zulässigkeit hingewiesen worden ist und diese Bedenken nicht ausgeräumt hat.

 

Der Beschwerdeführer hat den nach § 45 Abs. 2 VerfGGBbg vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zu beschreitenden Rechtsweg nicht erschöpft. Er hat von der Möglichkeit, wegen des beanstandeten Verhaltens der Kreisverwaltung und des Ministerpräsidenten eine Klage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben, keinen Gebrauch gemacht. Der Beschwerdeführer ist verpflichtet, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Dinge ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu ergreifen, insbesondere den fachgerichtlichen Rechtsweg auszuschöpfen (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 21. Januar 2011 – VfGBbg 63/10 –, www.verfassungs­gericht.branden­burg.de). Die Feststellung der Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens des Landrats des Landkreises A. sowie des Ministerpräsidenten von Brandenburg kann vor den Verwaltungsgerichten begehrt werden. Zur Feststellung von Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen durch die öffentliche Gewalt ist eine Klage vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich statthaft (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 1997 – 1 C 25/95 -, zitiert nach juris).

 

Hinreichende Gründe für eine Sofortentscheidung des Verfassungsgerichts gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg liegen nicht vor. Danach kann das Verfassungsgericht im Ausnahmefall sofort entscheiden, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder dem Beschwerdeführer andernfalls ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, doch kommt eine derartige Entscheidung nur unter besonderen Umständen in Betracht. Die Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als Kann-Vorschrift macht nämlich deutlich, dass auch bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen eine Vorabentscheidung des Verfassungsgerichtes die Ausnahme bildet (LVerfGE 5, 112, 120). Sie setzt voraus, dass eine Grundrechtsverletzung im Raum steht, die auch nur zeitweise hinzunehmen ganz und gar unerträglich wäre (st. Rspr., vgl. LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 204 und Beschluss vom 21. Oktober 2011 – VfGBbg 34/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

Der Verweis des Beschwerdeführers auf die von ihm befürchtete Verfahrensdauer vermag eine Unzumutbarkeit der Beschreitung des Verwaltungsrechtsweg nicht zu begründen. Seine Prognose, dass die Verfahrensdauer beim Verfassungsgericht geringer als bei den Verwaltungsgerichten und in Strafverfahren sei und durch eine verfassungsgerichtliche Entscheidung die erneute Datenweitergabe effektiver und schneller unterbunden werden könne, genügt für die Annahme eines solchen Ausnahmefalles nicht. Die Weitergabe von Daten des Beschwerdeführers durch die Beschlussvorlagen und die Internetveröffentlichung ist erfolgt und nicht mehr rückgängig zu machen. Aktuell werden – soweit aus der Verfassungsbeschwerde ersichtlich – keine Daten des Beschwerdeführers verbreitet. Es könnte daher (nur) die Feststellung erreicht werden, dass die Weitergabe der Daten im Rahmen der Beschlussvorlage und des Internetauftritts verfassungswidrig gewesen sei. Soweit der Beschwerdeführer in der Zukunft – wie im Falle des Unterliegens im Rechtsmittelverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht - konkret die erneute Veröffentlichung von Daten befürchtet, stünde ihm ebenfalls der Verwaltungsrechtsweg, gegebenenfalls im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, offen. Daneben ist nicht ersichtlich, dass sich die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für den Beschwerdeführer selbst als unzumutbar erweisen würde. Die angemessene Verfahrensdauer lässt sich nicht generell und abstrakt, sondern nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles bemessen (LVerfGE 14, 169, 172). Es verbietet sich, bereits im Vorhinein von einem verfassungswidrigen überlangen Verfahren durch das erkennende Gericht auszugehen (vgl. Beschluss vom 24. Juni 2004 – VfGBbg 28/04 -, www.verfassungs­gericht.brandenburg.de).

 

Der Sache kommt auch keine allgemeine Bedeutung i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg zu. Die – hier durchaus denkbare - Verletzung von Art. 11 Abs. 1 LV verschafft der Sache keine fallübergreifende Bedeutung. Sie kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht daraus, wer für den behaupteten Grundrechtsverstoß verantwortlich sein soll (Auszubildender oder Geschäftsbereichsleiter), abgeleitet werden.

 

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Dr. Becker
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Möller Nitsche
   
Partikel Schmidt