VerfGBbg, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - VfGBbg 22/95 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | ||
Schlagworte: | - Strafprozeßrecht - Haftbefehl - Rechtskraft - Rechtsschutzbedürfnis - Erledigung der Hauptsache |
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amtlicher Leitsatz: | ||
Fundstellen: | - LVerfGE 5, 130 | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - VfGBbg 22/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 22/95

B E S C H L U S S | ||||||||||||||||||
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde S., Beschwerdeführer, gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 20.9.1994, neu gefaßt durch Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20.2.1995, erweitert durch Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17.1.1996 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 1.3.1996 hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 19. Dezember 1996 b e s c h l o s s e n : Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. G r ü n d e : A. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Dauer der von ihm erlittenen Untersuchungshaft. I. Der Beschwerdeführer befand sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 20. September 1994, erweitert und neu gefaßt durch Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Februar 1995, seit dem 25. Oktober 1994 bis zu seinem Entweichen aus der Justizvollzugsanstalt am 13. August 1995 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 29. August 1995 wurde er in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit erneut in Untersuchungshaft genommen. Grundlage dafür war ein Haftbefehl des Landgerichts Berlin; wegen des fortbestehenden Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) wurde Überhaft notiert. Zwischenzeitlich hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen der Taten, für die der als Überhaft notierte Haftbefehl bestand, beschlossen. Mit Blick auf dieses Verfahren stellte das Landgericht Berlin durch Beschluß vom 4. Dezember 1995 das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren gemäß § 154 Abs. 2 Strafprozeßordnung (StPO) vorläufig ein und hob den darauf bezogenen Haftbefehl auf. Der Beschwerdeführer blieb aufgrund des ursprünglichen, später erweiterten und neu gefaßten Haftbefehls des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 20. September 1994, durch Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Januar 1996 abermals erweitert, weiterhin in Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 1. März 1996 verurteilte das Landgericht Frankfurt (Oder) den Beschwerdeführer - u.a. wegen gewerbsmäßiger Banden- hehlerei - zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten und beschloß zugleich, den Haftbefehl aufrechtzuerhalten. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Verteidiger des Beschwerdeführers am selben Tage Revision zum Bundesgerichtshof ein, die der Beschwerdeführer persönlich, ohne vorher mit seinem Verteidiger gesprochen zu haben, am 20. März 1996 wieder zurücknahm. Der Verteidiger griff die seitens seines Mandanten erklärte Rücknahme der Revision mit der Beschwerde zum Bundesgerichtshof an. Mit Beschluß vom 21. August 1996 entschied dieser, daß die Revision wirksam zurückgenommen worden sei. Das Urteil ist seit dem 21. März 1996 rechtskräftig. Der Beschwerdeführer verbüßt nunmehr seine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt (Oder). II. Der Beschwerdeführer hatte bereits am 23. Juni 1995 den Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt in der Fassung des Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20.2.1995 beim Verfassungsgericht des Landes angegriffen und eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 52 Abs. 4 Landesverfassung (LV) wegen der Länge seiner Untersuchungshaft gerügt. Das Gericht hat diese Verfassungsbeschwerde mit Beschluß vom 12. Oktober 1995 verworfen, weil die Inhaftierung nicht mehr auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt bzw. Frankfurt (Oder) beruhe, sondern auf dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin, welcher damit den Beschwerdeführer allein beschwere. Der Haftbefehl des Landgerichts Berlin sei aber mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen worden und könne, da es sich um einen Akt der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin handele, auch nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gemacht werden. III. Mit seiner am 13. Dezember 1995 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer erneut eine Verletzung seines Grundrechts auf ein zügiges Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 LV. Er beantragt die Aufhebung des Haftbefehls. Zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerde trägt er im wesentlichen vor, die Dauer der Untersuchungshaft sei allein durch das Landgericht Frankfurt (Oder) zu verantworten, welches das Verfahren nur zögerlich bearbeitet. Die Länge der Untersuchungshaft habe ihn auch physisch und persönlich übermäßig schwer getroffen. Der Beschwerdeführer macht im übrigen seine Verfassungsbeschwerde vom 23. Juni 1995 auch “zum Gegenstand” dieser Verfassungsbeschwerde. IV. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat von der Gelegenheit zur Äußerung Gebrauch gemacht. Es führt aus, das Verfahren hätte aufgrund des Entweichens des Beschwerdeführers aus der Justizvollzugsanstalt nicht - wie ursprünglich vorgesehen - Anfang September 1995 durchgeführt werden können. Daß die Hauptverhandlung erst im Februar 1996 habe durchgeführt werden können, habe sich der Beschwerdeführer daher selbst zuzuschreiben. B. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. 1. Der Verfassungsbeschwerde steht nicht die Rechtskraft der Entscheidung des Gerichts vom 12. Oktober 1995 (VfGBbg 14/95, zur Veröffentlichung in LVerfGE 3 Nr. 9 vorgesehen) entgegen. Im Rahmen dieser Entscheidung hatte sich das Gericht zwar auch schon mit der - hier erneut aufgeworfenen - Frage zu befassen, ob die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wegen der dem Haftbefehl der Amtsgerichte Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder) zugrundeliegenden Taten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 52 Abs. 4 LV verletzt. Die Rechtskraft dieser Entscheidung bezieht sich jedoch nur auf den den Zeitpunkt der Entscheidung betreffenden Lebenssachverhalt. Von der Rechtskraft nicht umfaßt werden dagegen Veränderungen durch nachträglich eintretende Umstände (vgl. bereits Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 14. August 1996 - VfGBbg 23/95 - S. 6 des amtlichen Umdrucks, zur Veröffentlichung in LVerfGE 4 Nr. 13 vorgesehen; auch etwa BVerfGE 70, 242, 249 f.; 33, 199, 203 f.). Eine solche Veränderung liegt hier vor. Das Gericht hat seinerzeit die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, weil der Beschwerdeführer damals aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Berlin einsaß und durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt und des Amtsgerichts Frankfurt (Oder), der (lediglich) als Überhaft notiert war, nicht gegenwärtig beschwert war (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 12. Oktober 1995 - VfGBbg 14/95 - S. 3 des amtlichen Umdrucks). Mit der Aufhebung des Haftbefehls durch das Landgericht Berlin ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt nicht (mehr) unzulässig.2. Es fehlt jedoch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Entscheidung des Gerichts. Die Verfassungsbeschwerde ist mit der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers am 21. März 1996 gegenstandslos geworden. Mit Eintritt der Rechtskraft eines strafgerichtlichen Urteils geht die gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft unmittelbar in die zu verbüßende Strafhaft über (vgl. BGH NStZ 1991, 605; NStZ 1993, 31). Damit hat sich zugleich der hier angegriffene Haftbefehl erledigt (vgl. hierzu auch BVerfGE 9, 160, 161; aus dem neueren Schrifttum etwa KK-Boujong, StPO, 3. Aufl., § 120 Rdn. 22; Wendisch, Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 120 Rdn. 135 jeweils mit weiteren Nachweisen). Für die vom Beschwerdeführer begehrte Aufhebung des Haftbefehls bleibt bei dieser Sachlage kein Raum. 3. Aus demselben Grunde besteht auch kein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß die Untersuchungshaft zu lange gedauert habe, weil das Strafverfahren damals nicht zügig genug bearbeitet worden sei. Das Strafverfahren hat zu einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe geführt, auf welche die Untersuchungshaft anzurechnen ist (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB), die sich damit als teilweise Verbüßung der Strafe darstellt (BGH StV 1990, 303) und damit die Untersuchungshaft auffängt (s. Tröndle, LK-StGB, 10. Aufl., § 51 Rdnr. 13; vgl. auch BVerfGE 9, 89, 94). Die Dauer der Freiheitsentziehung wäre bei zügigerer Durchführung des Strafverfahrens im Ergebnis gleichgeblieben. Es ist nicht ersichtlich, daß die Untersuchungshaft insgesamt belastender als die allgemeine Strafverbüßung wäre; das Gesetz wertet beide Formen der Freiheitsentziehung, wie aus § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB ersichtlich, gleich. | ||||||||||||||||||
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