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VerfGBbg, Beschluss vom 19. September 2014 - VfGBbg 18/14 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1
- OWiG, § 79
- StPO, § 356a
Schlagworte: - Anspruch auf rechtsliches Gehör
- Anspruch auf ein faires Verfahren
- Rechtswegerschöpfung
- Subsidiarität
- Ordnungswidrigkeit
- Rechtsbeschwerde
- Anhörungsrüge
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. September 2014 - VfGBbg 18/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 18/14




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

     E.,

 

                                        Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt E.,

                           

 

 

wegen des Urteils des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. Juli 2013 - 13 b OWi 381 Js-OWi 1288/12 (484/12) - und des Be­schlus­­ses des Brandenbur­gi­schen Oberlandesge­richts vom      30. Dezem­ber 2013 – (1 B) 53 Ss-OWi 509/13 (331/13) -

 

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche und Partikel

 

am 19. September 2014

 

b e s c h l o s s e n:

 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

G r ü n d e:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung wegen einer Verkehrsordnungswidrig­keit.

 

I.

1. Mit Urteil des Amtsgericht Oranienburg vom 3. Juli 2013 wurde der als Rechtsanwalt tätige Beschwerdeführer wegen Über­schrei­tens der zulässigen Höchst­­­ge­schwin­­dig­keit von 30 km/h um 32 km/h (Tattag: 19. August 2011) zu einer Geld­buße in Höhe von 160,00 Euro ver­ur­teilt; zugleich verhängte das Amts­­gericht ein einmonatiges Fahr­­verbot.

 

Der Beschwerdeführer legte hiergegen gemäß § 79 Abs. 1 Ord­nungs­­­widrigkeitengesetz (OWiG) Rechtsbeschwerde zum Bran­­­­den­­burgischen Oberlandesgericht (Oberlandesgericht) ein. Mit der Ver­fahrensrüge machte er u. a. einen Verstoß des Amts­ge­­­­richts gegen § 261 Strafprozessordnung (StPO) i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG geltend. Das Gericht habe seine Über­­­zeugung nicht aus dem Inbegriff der Haupt­­­ver­hand­lung gewon­nen. Es stelle in seinem Urteil auf die Beweis­­mit­tel Mess­­­­pro­to­koll, Eichschein und Messfotos ab; diese seien im Ver­­­handlungstermin jedoch nicht ver­le­sen bzw. in Augen­­­schein genommen oder anderweitig zum Gegenstand der Haupt­­­­­ver­hand­­lung gemacht worden, wie sich aus dem - nach § 274 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG - insoweit mit nega­tiver Beweis­­kraft versehenen – Ver­­hand­lungs­­pro­­­tokoll er­ge­be, das diese Vorgänge nicht dokumentiere. Ferner habe das Ge­richt seine Aufklärungs­pflicht ver­letzt, indem es seine im Ver­­­­­hand­­­lungstermin ge­stell­ten Anträge zurück­­gewiesen habe, die Be­hörde anzu­­weisen, die Bedie­nungs­an­lei­tung und die sog. Le­bens­­akte des Mess­geräts zu übersenden.

 

2. Mit Beschluss vom 30. Dezember 2013 – dem Beschwerdeführer sei­­nem Vortrag zufolge am 10. Januar 2014 zugegangen - verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als offensichtlich un­be­­­­gründet. Die Beiziehung von Lebensakte und Bedienungs­an­lei­­­tung habe das Gericht allenfalls bei kon­kreten Anhalts­punk­ten für eine technische Fehlfunktion des Messgerätes erwägen müs­­­­sen; solche Anhaltspunkte habe der Beschwerdeführer jedoch nicht vor­­­getragen. Zudem sei den Urteilsgründen ausreichend zu ent­­­­neh­­men, dass Messprotokoll, Messfoto und Eichschein Gegen­stand der Hauptverhandlung gewesen seien.

 

II.

1. Der Beschwerdeführer hat am 7. März 2014 Verfassungs­be­schwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen eingelegt und diese mit einem Antrag auf Erlass einer einst­weili­gen Anordnung ver­bun­den. Mit dieser strebte er an, dass das spä­­te­st­ens am 10. Mai 2014 wirksam werdende Fahrverbot bis zur Ent­­schei­­dung über die Ver­fassungsbeschwerde aufgeschoben wird. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wies das Ver­fassungsgericht mit Beschluss vom 21. März 2014 zurück (VfGBbg 2/14 EA).

 

Der Beschwerdeführer rügt Verstöße gegen seine Grundrechte auf ein faires Ver­fah­ren (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 Lan­des­ver­fas­sung – LV -), aus Art. 12 Abs. 1 LV (Gleich­heit vor dem Gesetz), aus Art. 52 Abs. 3 LV (Gleichheit vor dem Gericht und Anspruch auf rechtliches Gehör) sowie aus Art 49 Abs. 1 LV (Berufs­­­freiheit). Die Gerichte hätten mit der Verwertung der nicht verlesenen Urkun­den und nicht in Augenschein genommenen Mess­­fotos sein Grundrecht auf ein fai­res Ver­­­fah­ren verletzt; das Ober­­landesgericht habe inso­weit einen ab­so­­luten Revi­sions­grund annehmen und das Urteil des Amts­ge­richts aufheben müs­sen. Zudem habe sich das Ober­lan­des­ge­richt mit sei­nem dies­be­züg­­li­chen Vortrag aus der Rechts­be­schwer­­­de­schrift in keiner Weise aus­­einan­der­ge­setzt. Sein Anspruch auf ein faires Ver­fah­rens sei zudem durch die Zurück­weisung seines Antrags auf Bei­zie­­hung der Lebensakte und der Bedie­­nungs­an­lei­tung beein­träch­tigt. Ein stan­dar­di­sier­tes Mess­ver­­fah­ren liege nur bei Ver­wen­dung des Messgerätes gemäß der Bedie­nungs­an­lei­tung vor. Um dies beurteilen zu kön­nen, habe er die Bedie­nungs­­­anleitung ken­­­nen müs­sen. Schließ­lich ergebe sich eine Ver­­­­let­zung seiner Berufs­­­frei­­heit daraus, dass er zur Aus­­ü­bung sei­­ner Anwalts­­tä­tig­­keit auf die Benutzung sei­nes Kraft­fahr­zeugs ange­wie­­sen sei.

 

2. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Ver­fas­sungs­ge­richts­­gesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu ver­wer­fen.

 

Sie ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer das Gebot der Rechts­­­­­wegerschöpfung aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg bzw. den hier­­­­aus abgeleiteten Subsidiaritätsgrundsatz nicht beachtet hat. Nach diesem Grundsatz muss der Beschwerdeführer über die Er­­schöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Mög­lich­kei­ten zur Korrektur der behaupteten Grund­rechtsverletzung er­grei­fen (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 15. Mai 2014 – VfGBbg 61/13 -, www.verfassungsge­richt.bran­den­­burg.de).

 

I.

Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht ausgeschöpft, indem er es unterlassen hat, gegen den Beschluss des Ober­lan­des­­gerichts vom 30. Dezember 2013 Anhörungsrüge nach § 356a StPO zu erheben. § 356a StPO zählt zu den Vorschriften der Strafprozessordnung über die Revision; diese gelten gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG im Rechtsbeschwerdeverfahren ent­spre­chend (vgl. zur Anwendbarkeit von § 356a StPO im Rechts­be­schwer­deverfahren Seitz, in: Göhler, Kommentar zum OWiG, 16. Auf­l., § 79 Rn. 36).

 

Die Anhörungsrüge gehört zum Rechtsweg im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (auch) die Verletzung des Anspruchs auf recht­liches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ist. Dies ist auch der Fall wenn sich eine solche Rüge aus dem Vorbrin­gen des Beschwer­de­füh­rers objektiv ergibt; denn maßgeblich ist nicht, welches Grund­­­recht der Beschwerdeführer ausdrücklich benennt oder zum Bezugs­rah­men sei­ner verfassungsrechtlichen Aus­­­füh­run­gen macht, sondern wel­­che grundrechtliche Gewährleistung mit der Beschwer­de­schrift der Sache nach als verletzt gerügt wird (Beschluss vom 24. Ja­n­­u­­­ar 2014 – VfGBbg 21/13 -, www.verfas­sungs­ge­richt.bran­den­­burg.de; zum Bun­­­desrecht vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, 3506 f und vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, BVerfGK 19, 23, 24).

 

Der Beschwerdeführer hat in der Verfassungsbeschwerde den An­spruch auf rechtliches Gehör zwar nicht wörtlich bezeichnet; er hat jedoch aus­drück­­lich eine Verletzung des diesen Anspruch ver­­­bürgenden Art. 52 Abs. 3 LV geltend gemacht. Vor allem aber trägt er in der Beschwerdeschrift Umstände vor, aus denen sich ob­­jektiv der Sache nach (auch) die Rüge eines Gehörsverstoßes ergibt. So bemängelt er, dass sich das Oberlandesgericht in kei­­­­ner Weise mit seinem – den Schwerpunkt der Rechtsbeschwerde bil­­­­­denden - Vorbringen ausein­an­der­ge­setzt habe, Eichschein, Mess­­­­­pro­­­tokoll und Messfoto hätten nicht verwertet werden dür­fen, weil das Amtsgericht sie nicht in die Hauptverhandlung ein­­­­ge­führt habe, wovon nach dem Inhalt des Ver­hand­lungs­pro­to­kolls ausgegangen werden müsse. Damit beanstandet der Be­schwer­­­de­führer einen Verstoß gegen die Pflicht der Gerichte aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, den Vortrag der Verf­ah­rens­be­tei­lig­­ten ein­­schließ­lich der wesentlichen Rechtsausführungen zur Kennt­­nis zu neh­men und bei der Entscheidung ernsthaft in Erwägung zu zie­hen (vgl. in diesem Zusammenhang auch Beschluss vom 25. Ja­n­uar 2013 – VfGBbg 16/12 -, www.verfassungsgericht.branden­burg.de; zum Bun­des­recht vgl. BVerfGE 86, 133, 144).

 

Die Erschöpfung des Rechtswegs war auch nicht ausnahmsweise ent­behr­­­lich bzw. unzu­mut­bar. Insbesondere kann nicht ange­nom­men wer­­­­­den, dass die Erhebung der Anhörungsrüge offensichtlich aus­­­­­­­­­sichtslos gewesen wäre. Schließlich geht der ange­grif­fene Beschluss nicht auf die vom Be­schwer­­deführer auf­­­­­­ge­worfene entschei­dungs­erhebliche Frage ein, ob das Verhand­lungs­pro­­­to­koll zu der Fest­stel­lung zwinge, Messfoto, Messprotokoll und Eich­schein seien – anders als vom Oberlandesgericht ohne Begründung ange­nom­men - gerade nicht Gegenstand der mündlichen Ver­hand­lung vor dem Amtsgericht gewesen.

 

II.

Die unterbliebene Erhebung der statthaften Anhörungsrüge hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern – nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - insgesamt unzulässig ist (st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 21. März 2014 – VfGBbg 43/13 -, www.ver­fas­sungs­gericht.brandenburg.de).

 

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel