VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2020 - VfGBbg 50/20 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - SARS-CoV-2-EindV - IfSG, § 32; IfSG, § 28 - VerfGGBbg, § 13; VerfGGBbg, § 20; VerfGGBbg, § 21 Satz 1 - VwGO, § 82 Abs. 1 Satz 1 |
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Schlagworte: | - Corona - Impfpflicht - keine Prozessstandschaft - Schriftform - Unterschrift - unzureichende Begründung - Rechtswegerschöpfung - Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle - Verfassungsbeschwerde unzulässig - schwerer und unabwendbarer Nachteil (verneint) - Vorabentscheidung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2020 - VfGBbg 50/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 50/20
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
VfGBbg 50/20
VfGBbg 10/20 EA
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
T.,
Beschwerdeführer,
Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV‑2-Eindämmungsverordnung - SARS-CoV‑2-EindV) der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz vom 8. Mai 2020 (GVBl. II/20, [Nr. 30]) zuletzt geändert durch Verordnung vom 27. Mai 2020 (GVBl. II/20, [Nr. 43])
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 19. Juni 2020
durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich im Wege der Verfassungsbeschwerde im eigenen Namen und „zugleich im Namen und Auftrage unzähliger ungenannter Menschen“ in Brandenburg gegen die Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-EindV) der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz in der Fassung vom 27. Mai 2020. Er rügt die Verletzung folgender Artikel der Landesverfassung (LV): Art. 5 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 und 3, Art. 9 Abs. 1, Art. 10, Art. 13 Abs. 1, Art. 17, Art. 19, Art. 23, sowie zahlreicher Artikel des Grundgesetzes (GG).
Im Wesentlichen beanstandet er, eine Impfpflicht drohe zu Unrecht angeordnet zu werden; die den Landesregierungen durch § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zugestandene Verordnungskompetenz sei eine Fehlkonstruktion. Es sei im Übrigen vom Verordnungsgeber nicht hinreichend dargelegt, dass tatsächlich eine gesundheitsgefährdende Lage durch eine Pandemie vorliege. Auch seien die Verordnungen der Länder nicht dazu geeignet, eine Übertragung von Viren zu verhindern, und nicht erforderlich, weil die Überlegungen nicht nach geographischen Gebieten und Risikogruppen differenziert würden. Die Regelungen seien auch unverhältnismäßig, u. a. weil sie eine soziale Isolation in der Bevölkerung steigerten.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die „angegriffene Verordnungsermächtigung“ in seinen genannten Grundrechten verletzt. §§ 28, 32 IfSG seien ferner nicht hinreichend bestimmt. Auch sei das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, da alle Bundesländer auf der Grundlage von § 32 IfSG Verordnungen erlassen hätten, die in Grundrechte eingriffen, die nicht in § 32 IfSG zitiert seien, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG.
Er beantragt ferner, im Wege einer einstweiligen Anordnung die Regelungen der SARS-CoV 2-EindV bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Vollzug zu setzen. Die Eingriffe in seine Menschenwürde und sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit seien im Falle des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde nicht rückgängig zu machen. Ihm könne nicht zugemutet werden, mit einer verpflichtenden Impfung seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Da nicht absehbar sei, wie kurzfristig ein Verordnungsgeber von der Ermächtigungskompetenz nach § 32 oder § 20 Abs. 6 und 7 IfSG Gebrauch machen könnte, sei ihm eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht zuzumuten. Dass eine Impfpflicht möglich sei, stelle eine abstrakte Gefahr dar, die sich jederzeit realisieren könne. Die angegriffene Verordnung sei zudem offensichtlich rechtsfehlerhaft.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.
1. Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde auch im Namen nicht genannter weiterer Personen erheben will, ist dies unzulässig. Da die Beschwerdebefugnis die Möglichkeit voraussetzt, selbst, unmittelbar und gegenwärtig in einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition beeinträchtigt zu sein, ist eine Prozessstandschaft, d. h. die Möglichkeit, die Verletzung von Grundrechten eines Dritten im eigenen Namen geltend zu machen, im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen (Beschluss vom 15. November 2019 ‑ VfGBbg 17/19 ‑, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Auch ist die anonyme Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ohne die namentliche Nennung der Beschwerdeführer nicht möglich, § 13 Abs. 1 VerfGGBbg i. V. m. § 82 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO; vgl. Beschluss vom 17. April 2020 ‑ VfGBbg 87/19 ‑, Rn. 16, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).
2. Aber auch soweit der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde in eigenem Namen erhoben hat, erweist sie sich aus mehreren Gründen als unzulässig.
a. Entgegen § 20 VerfGGBbg wurde die Verfassungsbeschwerde nicht schriftlich beim Verfassungsgericht eingereicht. Die Schriftform setzt grundsätzlich die eigenhändige Namensunterschrift auf dem Schriftstück voraus (Beschluss vom 21. Juni 2019 ‑ VfGBbg 42/19 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die in Papierform übersandte Beschwerdeschrift war jedoch nicht unterschrieben. Die computerschriftliche Nennung des Namens am Ende der Beschwerdeschrift sowie die auf den Rückseiten der Blätter und auf dem Briefumschlag vorhandenen Namensstempel genügen jedenfalls nicht, um die Herkunft des Schreibens vom benannten Aussteller selbst sicherzustellen. Dieser Zweck liegt jedoch dem Schriftformerfordernis zugrunde.
b. Ferner genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, die schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen müssen nachvollziehbar dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen (st. Rspr., vgl. jüngst Beschluss vom 17. Januar 2020 ‑ VfGBbg 82/19 ‑, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer wendet sich zwar ausweislich seines Antrags gegen die SARS-CoV-2-EindV, bei der es sich um Landesrecht und damit als Akt der öffentlichen Gewalt des Landes Brandenburg (Art. 6 Abs. 2 LV, § 45 Abs. 1 VerfGGBbg) um einen zulässigen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde handelt. Er legt auch umfangreich seine Bewertungen zur Verbreitung der Virusinfektion dar, seine Ausführungen zu der angegriffenen Verordnung selbst bleiben aber pauschal. Sie setzen sich nicht mit den einzelnen Regelungsinhalten und den damit aus seiner Sicht einhergehenden konkreten Grundrechtsverletzungen auseinander. In der Sache wendet sich der Beschwerdeführer vielmehr (auch) gegen Vorschriften der §§ 28, 32 und § 20 Abs. 6 und 7 IfSG. Diese sind als Bundesrecht jedoch kein statthafter Prüfungsgegenstand der Landesverfassungsbeschwerde. Soweit er befürchtet, auf ihrer Grundlage könne der Verordnungsgeber eine Impfpflicht einführen, ist der Beschwerdeführer bisher nicht gegenwärtig beschwert. Das Verfassungsgericht überprüft nicht eine bloß denkbare, künftige, zumal gänzlich unabsehbare und unkonkret umrissene Regelung.
c. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer entgegen § 45 Abs. 2 VerfGGBbg auch den Rechtsweg nicht erschöpft. Er hat die ihm offen stehende Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch eine Normenkontrolle gemäß § 4 Abs. 1 Brandenburgisches Verwaltungsgerichtsgesetz (BbgVwGG) i. V. m. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und ein entsprechendes Eilrechtsschutzverfahren gemäß § 47 Abs. 6 VwGO zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nicht ergriffen. Die Anrufung des Fachgerichts ist auch nicht von vornherein aussichtslos (Beschluss vom 5. Mai 2020 ‑ VfGBbg 5/20 EA ‑, Rn. 5, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).
Eine Entscheidung ist auch nicht ausnahmsweise gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg vor Erschöpfung des Rechtswegs geboten, denn es ist nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen dieser Norm gegeben wären (vgl. dazu Beschluss vom 5. Mai 2020 ‑ VfGBbg 5/20 EA ‑, Rn. 7, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Weder ist eine Vorabentscheidung des Verfassungsgerichts unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Bedeutung angezeigt, noch ist ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer durch das Erfordernis, zunächst das Oberverwaltungsgericht anrufen zu müssen, ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstehen könnte. Soweit er befürchtet, eine Impfpflicht könne jederzeit und kurzfristig eingeführt werden, ist schon nicht erkennbar, warum er vor einer tatsächlichen Durchführung der Impfung nicht kurzfristig anderweitigen Rechtsschutz erlangen können sollte.
C.
Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
D.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller |
Dr. Becker |
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Dresen |
Dr. Finck |
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Heinrich-Reichow |
Kirbach
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Dr. Lammer |
Sokoll |
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Dr. Strauß |
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