VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2003 - VfGBbg 7/03 EA -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 - BRAGO, § 113 Abs. 2 Satz 3 |
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Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform - Gegenstandswert - Auslagenerstattung |
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nichtamtlicher Leitsatz: | Nach Lage des Falles keine Aussetzung des Inkrafttretens einer eine Gemeinde auflösenden Gesetzesbestimmung im Wege der einstweiligen Anordnung. Unbeschadet dessen Vorkehrungen gegen die zwischenzeitliche Schaffung unumkehrbarer Verhältnisse. | |
Fundstellen: | - LKV 2003, 515 - NJ 2003, 473 (nur LS) - LVerfGE 14, 175 |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2003 - VfGBbg 7/03 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 7/03 EA

B E S C H L U S S | ||||||||||||||
In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Gemeinde Waltersdorf, Antragstellerin, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte G., L. u.a.,
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 19. Juni 2003 b e s c h l o s s e n : 1. Der Antrag, das Inkrafttreten von Art. 1 § 8 6. Gemeindegebietsreformgesetz Brandenburg bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, wird zurückgewiesen.2. Für die Zeit bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin wird angeordnet: a) Das Land Brandenburg und die am Tag der nächsten landesweiten Kommunalwahlen entstehende Gemeinde Schönefeld werden verpflichtet, keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden; insbesondere darf über bisher der Antragstellerin gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften nicht verfügt werden. Maßnahmen oder Entscheidungen mit Zustimmung des Ortsbeirates bzw. des Ortsbürgermeisters bleiben zulässig. b) Der am Tag der nächsten landesweiten Kommunalwahlen entstehenden Gemeinde Schönefeld wird aufgegeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist. 3. Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin 10 % der im einstweiligen Anordnungsverfahren entstehenden notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 € zu erstatten. G r ü n d e : I. Die Antragstellerin, eine amtsangehörige Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch die in Art. 1 § 8 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oderspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße sowie zur Auflösung der Gemeinden Diepensee und Haidemühl und zur Änderung des Gesetzes zur Auflösung der Gemeinde Horno und zur Eingliederung ihres Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde sowie zur Änderung der Amtsordnung vom 24. März 2003 (6. Gemeindegebietsreformgesetz Brandenburg - 6. GemGebRefGBbg - GVBl I S. 93) vorgesehene Zusammenlegung mit weiteren amtsangehörigen Gemeinden zu einer neuen amtsfreien Gemeinde namens Schönefeld mit dem Tage der nächsten landesweiten Kommunalwahlen. Als Wahltag ist der 26. Oktober 2003 festgesetzt. Die Antragstellerin beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung zu bestimmen, daß Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg bis zur Entscheidung über ihre kommunale Verfassungsbeschwerde nicht in Kraft tritt. Der Antrag zielt u.a. darauf ab, die Kommunalwahl in diesem Bereich nicht in den durch das Gemeindegebietsreformgesetz bestimmten Strukturen stattfinden zu lassen. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung und der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung und der Städte- und Gemeindebund haben davon Gebrauch gemacht. II. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, hat jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg. Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hiernach war wie aus dem Beschlußtenor ersichtlich zu entscheiden. a) Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie schon der Wortlaut des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausweist, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt in noch verstärktem Maße, wenn der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wie hier, darauf abzielt, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verschieben (vgl. Urteile vom 30. November 1993 - VfgBbg 3/93 EA -, LVerfGE 1, 205, 206 f. und vom 22. Dezember 1993 - VfgBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216; s. BVerfG, Beschluß vom 26. März 2003 - 1 BvR 112/03 -, zuvor etwa BVerfGE 104, 51, 55; 104, 23, 27; 99, 57, 66; 96, 120, 129; 94, 334, 347; 93, 181, 186), und zwar auch dann, wenn das Gesetz nicht abstrakt-genereller Natur ist, sondern eine konkrete Neugliederungsmaßnahme betrifft (s. bereits Urteil vom 30. November 1993 a.a.O.; vgl. weiter BVerfGE 91, 70, 75; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 378; 6, 381, 385). Ein Gesetz ist grundsätzlich so lange als wirksam anzusehen, bis seine Verfassungswidrigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt ist. Hiervon ausgehend ist die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich unabhängig vom Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache - anhand einer Folgenabwägung zu treffen, bei der die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegenüber denjenigen Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg versagt bleibt. Als schwerer Nachteil ist nur ein Nachteil anzusehen, der endgültig und nicht wiedergutzumachen, also irreparabel ist (s. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 217 f.). b) Hiernach sieht es das Gericht nicht als zur Abwehr schwerer Nachteile zum gemeinen Wohl dringend geboten an, das Inkrafttreten von Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin auszusetzen. Bei einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache erweist sich ihre Einbeziehung in die Gemeinde Schönefeld als unwirksam und behält sie ihre rechtliche Selbständigkeit. Daß sie in der Zwischenzeit (ab dem 26. Oktober 2003) nicht über eine eigene Gemeindevertretung verfügt hätte und an einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der kommunalen Selbstverwaltung gehindert gewesen wäre, ist gemessen daran, daß bei einem Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache das Gemeindegebietsreformgesetz eine Zeitlang leergelaufen wäre und in dem betreffenden Gebiet keine Kommunalwahlen in den gesetzlich festgelegten Strukturen stattgefunden hätten, ein zwar gewichtiger, aber kein auf Dauer irreversibler Nachteil. Er würde durch einen Erfolg in der Hauptsache weitgehend wiedergutgemacht. Auch eine Verwaltung wäre wieder verfügbar zu machen. Wenn die Antragstellerin in der Hauptsache Erfolg hat und sie als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht, hat sie Anspruch zwar nicht auf die bisherige, wohl aber auf irgendeine geeignete (Amts-) Verwaltung (vgl. Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfgBbg 51/01 - , LKV 2002, 515). Daß bei einem Erfolg der Antragstellerin in der Hauptsache die Kommunalwahlen in den dann kommunalpolitisch anders gearteten Strukturen zu wiederholen wären, kann eine das Inkrafttreten von Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg bis zur Hauptsacheentscheidung aussetzende einstweilige Anordnung nicht rechtfertigen. Zwar ist es in der Tat gerade auch unter Demokratiegesichtspunkten ungut, wenn bei einer Wahl die Gefahr der Wiederholung besteht (vgl. auch Urteil vom 30. November 1993 - VfgBbg 3/93 EA -, a.a.O., S. 209). Andererseits ist ein legitimes gesetzgeberisches Interesse an landesweit gleichzeitigen und unter landesweit gleichen gesamtpolitischen Rahmenbedingungen stattfindenden Kommunalwahlen anzuerkennen (vgl. a.a.O.). Im übrigen besteht die Gefahr einer Wahlwiederholung so oder so, weil bei einer Aussetzung des Inkrafttretens von Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg die Kommunalwahlen in den bisherigen Strukturen durchzuführen, bei einem Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache aber hinfällig wären und in der Gemeinde Schönefeld deshalb unter Beteiligung der Einwohner von Waltersdorf neu gewählt werden müßte. Das Landesverfassungsgericht hat auch die anderen von der Antragstellerin für die vorläufige Aussetzung des Inkrafttretens von Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg geltend gemachten Gesichtpunkte geprüft und in seine Abwägung einbezogen, hält sie aber ebenfalls - sowohl je für sich als auch im Zusammenwirken - für eine derart weitreichende einstweilige Anordnung nicht für schwerwiegend genug. Dies gilt namentlich auch für die jetzt mit dem Gesetzesvollzug und die gegebenenfalls mit der späteren Rückabwicklung verbundenen Vollzugsfolgen, deren Stellenwert für die hier zu treffende Entscheidung dadurch relativiert wird, daß jedenfalls bloße Vollzugsfolgen nicht dazu führen dürfen, daß die vorläufige Aussetzung eines Gesetzes zum Regelfall wird (vgl. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 207 f.). c) Unbeschadet der Zurückweisung des Antrags auf vorläufige Aussetzung des Inkrafttretens von Art. 1 § 8 des 6. GemGebRefGBbg hält es indes das Landesverfassungsgericht, das im Verfahren der einstweiligen Anordnung an die gestellten Anträge nicht gebunden ist (vgl. BVerfGE 86, 46, 48; 81, 53, 57; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethke, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand Juli 2002, § 32 Rn. 115, 158), für veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, daß bis zu der Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden. Dem dient die einstweilige Anordnung zu Ziffer 2 a der Entscheidungsformel (ebenso BVerfGE 91, 70, 72; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; SächsVerfGH LKV 2000, 23, 25; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279; s. auch Brinktrine/Unnerstall, LKV 2000, 330, 334 ff.). Sie hält die entstehende Gemeinde Schönefeld für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache, um unumkehrbare Verhältnisse zu vermeiden, zur Zurückhaltung gegenüber den Belangen der für ihre Selbständigkeit eintretenden Antragstellerin an. Als nicht abschließendes Beispiel hat das Gericht hervorgehoben, daß nicht über Grundvermögen der Antragstellerin und etwaiger Eigengesellschaften verfügt werden darf. Dies soll freilich Entscheidungen und Maßnahmen aller Art nicht im Wege stehen, die im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin liegen. Solche erfordern jedoch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes die Zustimmung des Ortsbeirates bzw., wo ein solcher nicht gebildet wird, des Ortsbürgermeisters. Darüber hinaus gibt das Landesverfassungsgericht aus Gründen der Transparenz der entstehenden Gemeinde auf, bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist (ebenso BVerfGE 91, 70, 73; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279). III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg und § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. | ||||||||||||||
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