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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2003 - VfGBbg 1/03 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 6 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 19 Abs. 1; VerfGGBbg, § 19 Abs. 3; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
Schlagworte: - Subsidiarität
- Rechtsschutzgarantie
- Verwaltungsprozeßrecht
- Beistand
Fundstellen: - LKV 2003, 469
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2003 - VfGBbg 1/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 1/03



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S. S.,

Beschwerdeführerin,

Beistand: Prof. Dr. L. R.,

gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 18. Dezember 2002

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 19. Juni 2003

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.
I.

Die Beschwerdeführerin beantragte im Oktober 2001 bei dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, daß ihre Tochter - sie besucht gegenwärtig die 5. Klasse einer Grundschule in Erkner - weltanschaulichen Unterricht durch den Humanistischen Verband Berlin/Brandenburg e.V. erhält. Dies lehnte das Ministerium im Januar 2002 ab. Ende Februar 2002 erhob die Beschwerdeführerin am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Erteilung des von ihr angestrebten Unterrichtes für ihre Tochter zu erreichen. Über die Klage ist noch nicht entschieden. Zugleich suchte sie bei dem Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nach mit dem Antrag, das Ministerium im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache das Fach unterrichten zu lassen. Dies wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichtes vom 15. August 2002 abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg mit Beschluß vom 18. Dezember 2002 zurück. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liege kein Anordnungsanspruch vor. Es gebe keinen oder jedenfalls keinen ausdrücklichen Anspruch der Erziehungsberechtigten und der Kinder auf eine Bekenntniserziehung an öffentlichen Schulen. § 9 Abs. 2 Satz 1 Brandenburgisches Schulgesetz nenne allein Religionsgemeinschaften. Selbst wenn wegen des Gleichbehandlungsgebotes und wegen Art. 36 Abs. 5 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) - „Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung werden den Religionsgemeinschaften gleichgestellt“ - eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift vorzunehmen sein sollte, könne daraus allenfalls der Humanistische Verband, nicht aber die Beschwerdeführerin als Erziehungsberechtigte Rechte ableiten. Auch aus Art. 6 Abs. 2, Art. 4 und Art. 3 Grundgesetz ergebe sich der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Anspruch nicht. Die genannten Vorschriften vermittelten kein subjektiv-öffentliches Recht auf die von der Beschwerdeführerin angestrebte Erweiterung des Unterrichtsangebotes. Ob dem humanistischen Verband ein Anspruch auf Einführung des Faches „Humanistische Lebenskunde“ zukomme, müsse dieser in einem eigenen Verfahren klären, wie es auch schon beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig sei. Letztlich ließen sich die grundlegenden verfassungsrechtlichen Rechtsfragen nur in dem Hauptsacheverfahren der Beschwerdeführerin klären. Von einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Klage sei aber jedenfalls nicht auszugehen. Bei einer Interessenabwägung könne der Antrag keinen Erfolg haben. Es sei zu berücksichtigen, daß die Beschwerdeführerin selbst Lehrerin für das erstrebte Unterrichtsfach sei und bis zu Entscheidung des Klageverfahrens das Ausbleiben eines humanistischen Weltanschauungsunterrichtes kompensieren könne.

II.

Am 21. Januar 2003 hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6, Art. 12 und Art. 13 LV. Staatlicher Rechtsschutz müsse effektiv sein. Durch den angegriffenen Beschluß werde ihrer Tochter uneinholbar die Teilnahme an einem Bekenntnisunterricht versagt. Eine vorläufige Verpflichtung nehme die Hauptsache nicht vorweg. Eine andere Sicht der Dinge bedeute, daß bei Leistungsbegehren einstweiliger Rechtschutz nicht umfassend zur Verfügung stehe. Der Anordnungsanspruch ergebe sich unmittelbar aus Art. 12 und 13 LV. Sie, die Beschwerdeführerin, werde daran gehindert, eine Form der kollektiven Bekenntnisausübung wahrzunehmen. Nicht nur der Humanistische Verband und ihre Tochter, auch sie werde gleichheitswidrig benachteiligt. Die buchstabengläubige Auslegung des Schulgesetzes widerspreche der grundrechtlichen Gleichwertigkeit von Religion und Weltanschauung.

III.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Brandenburg und das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist teils unzulässig (I.), im übrigen unbegründet (II.).

I.

1. Die Beschwerdeführerin ist im Verfahren vor dem Verfassungsgericht ordnungsgemäß vertreten. Der von ihr beauftragte Honorarprofessor Dr. R. ist zwar kein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne von § 19 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg). Hierzu zählen nicht auch Honorarprofessoren (ebenso zu § 22 Bundesverfassungsgerichtsgesetz [BVerfGG]: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 22 Rn. 10; Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethke, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand Juli 2002, § 22 Rn. 3; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl., Rn. 197; a.A. Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 4. Aufl., § 22 Rn. 1: auch Honorarprofessoren). Das Gericht läßt indes Professor Dr. R., der die Beschwerdeführerin bereits im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren vertreten hat und mit den Fragen des Falles ersichtlich vertraut ist, nach § 19 Abs. 3 Satz 1 VerfGGBbg als Beistand der Beschwerdeführerin zu.

2. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht wird, das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, daß der Beschwerdeführerin ein Leistungsanspruch aus Art. 12 und Art. 13 LV zustehe, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Die Beschwerdeführerin muß sich insoweit auf das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren verweisen lassen.

a) Der in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität verlangt, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichtes zu erwirken. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität auch dann unzulässig, wenn trotz Erschöpfung des Rechtsweges im einstweiligen fachgerichtlichen Verfahren in zumutbarer Weise Rechtschutz auch noch im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren erlangt werden kann (Beschlüsse vom 16. November 2000 – VfGBbg 49/00 –, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 201 f. m.w.N.; vom 16. Juli 1999 - VfGBbg 20/99 -; vom 18. Juli 1996 - VfGBbg 20/95 -, LVerfGE 4, 201 und vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 -, LVerfGE 2, 170; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 20. Dezember 2002 – 1 BvR 2305/02 -, www.BVerfG.de, Abschnitt 7; BVerfGE 104, 65, 7o f.; 86, 15, 22; 79, 275, 278 f.; 78, 290, 301 f.; 77, 381, 400 f.). So aber liegt es hier. Die Frage, ob sich aus Art. 12 und 13 LV ein Anspruch auf humanistischen Weltanschauungsunterricht ergibt, wird im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu klären sein (vgl. auch - speziell zum Vorrang eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens nach Erlaß bzw. Nichterlaß einstweiliger Anordnungen nach § 123 VwGO -: BVerfG NJW 2003, 1305; NVwZ 2002, 1230; NJW 2002, 2225; BayVerfGH BayVBl 2002, 458).

b) Hinreichende Gründe für eine Sofortentscheidung des Verfassungsgerichts in analoger Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg liegen nicht vor (zur analogen Anwendung der Vorschrift bei Verweisung auf den Hauptsacherechtsweg vgl. Beschluß vom 16. November 2000 - VfgBbg 49/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 203 f.; s. auch BVerfG NJW 2003, 1305, 1306; 2003, 418 zu § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes kommt eine Sofortentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg nur unter besonderen Umständen in Betracht. Die Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als Kann-Vorschrift macht deutlich, daß auch bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen eine Vorabentscheidung des Verfassungsgerichtes keineswegs zwangsläufig ist. Sie bleibt vielmehr auch in diesen Fällen schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg („im Ausnahmefall“) die Ausnahme (Beschluß vom 21. November 1996 - VfgBbg 17/96, 18/96, 19/96 -, LVerfGE 5, 112, 120). Letztlich setzt eine Vorabentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerGGBbg voraus, daß eine Grundrechtsverletzung im Raum steht, die auch nur zeitweise hinzunehmen ganz und gar unerträglich wäre (Beschluß vom 16. November 2000 - VfgBbg 49/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 204). Diese Schwelle ist hier nicht erreicht. Daß in der Schule, die die Tochter der Beschwerdeführerin besucht, kein humanistischer Weltanschauungsunterricht erteilt wird, mag aus Sicht der Beschwerdeführerin schwer erträglich sein. Objektiv ganz und gar unerträglich ist es nicht. Die Beschwerdeführerin hat die Möglichkeit, anderweitig - selbst, gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Eltern und ggf. über humanistisch ausgerichtete Organisationen - für die Erziehung ihrer Tochter im Sinne des weltanschaulichen Humanismus zu sorgen.

II.

Auch eine Verletzung der Beschwerdeführerin in dem Artikel 6 Abs. 1 LV zugrundeliegenden Grundrecht auf effektiven Rechtschutz ist nicht zu erkennen. Vorläufiger Rechtsschutz ist zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236; 2003, 418; BVerfGE 79, 69, 74). Die das verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtschutzverfahren abschließende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes vom 18. Dezember 2002 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberverwaltungsgericht hat keine aus verfassungsrechtlicher Sicht zu hohen Anforderungen an den Erlaß einer verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung gestellt. Es durfte die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung unbeschadet der Erfolgsaussichten der Hauptsache letztlich von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen abhängig machen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1305; BVerfGE 79, 69, 74). Die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichtes, der gegenwärtige Zustand, daß nämlich die Tochter der Beschwerdeführerin in der Schule keinen humanistischen Weltanschauungsunterricht erhält, belaste die Beschwerdeführerin nicht so schwer, daß es einer einstweiligen Anordnung bedürfe, ist als tatrichterliches Abwägungsergebnis vertretbar und gerät damit nicht in Widerspruch mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtschutzes.
 

Dr. Macke Prof. Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
   
Prof. Dr. Will